Leistungen Hunderttausender sinken ins Namenslose. Die nächste Umgebung übersieht sie. ...

Leistungen Hunderttausender sinken ins Namenslose. Die nächste Umgebung übersieht sie. Die Historie erfährt nichts von dem Elan der Tapfersten, weil ihrem Vorwärtsdrängen der Erfolg ausblieb und ihnen das Glück nicht blühte, daß beredte Zeugen ihre Tat schildern ? oder der Tod sie überraschte, ehe sich Wirkungen auslösen konnten. Der geerntete Ruhm erhöht das geleistete Opfer. Wer die feindliche Fahne entriss, die mit Kanonen bespickte Bastion als erster besteigt: ? ist ? der Held; und der Kamerad, der zehn Schritte vor ihnen als vorderster tödlich getroffen niedersinkt ? ein unbeachtetes Opfer. Neben der Leistung ist das praktische Resultat und ihre Anerkennung eine Voraussetzung für das öffentliche Lob. Was alles in diesem Krieg auf Vorposten und in Patrouillen in dunkler Nacht, im Hagelschauer des Trommelfeuers, beim offenen Sturmangriff, geleistet wird, kann nicht gezählt werden. Die Welt will das Heldentum amtlich sozusagen festgestellt haben. Die Auszeichnung und die Beförderung für bewiesene Geistesgegenwart und Wagemut sind objektive Prüfsteine oder gelten wenigstens als solche. Sie nehmen der Kritik die Handhabe, an den starken Qualitäten eines Mannes zu zweifeln. Unsere Sammlung wird daran anknüpfen müssen und auf diese äußerlichen Erscheinungen einen gewissen Wert legen. Sie wird aus dem großen wechselvollen Spiel dieses Krieges eine bleibende Erinnerung schaffen, uns einen Ausschnitt bieten: das Bild jüdischer Flieger. Bei der Relativität der Werttheorie, bei dem Mangel der Statistik verzichten wir darauf, erschöpfendes Material zu bieten.

Wen die Frage des jüdischen Soldaten interessiert, dem wird dieser Ausschnitt einiges geben ....


Heldentum und Tapferkeit sind der Ausdruck einer hochgeschraubten, individuellen Natur, sind starke, persönliche, womöglich bewusste Impulse in Hinblick aus das Wohl der Allgemeinheit, somit für das soziale Ganze. Von jedem Soldaten wird diese restlose Hingabe verlangt und vorausgesetzt. Trotzdem gibt es Nüanzierungen. Differenzen in der Tapferkeit der Soldaten. In der Ausgabe der verschiedenen Orden und Ehrenzeichen anerkennt jede Heeresleitung ihr Vorkommen.

Nicht mit Unrecht haben Infanterieoffiziere oft bittere Klage geführt, daß ihr Opfersinn, das grauenhafte Leiden, was sie mit Heroismus ertragen, der viele der berühmten Muster, die wir in unserer Schulzeit bestaunten und bewundern mußten, übertrifft, nicht genug Anerkennung findet. Gleichwohl! Die Stellung des Linienoffiziers kann einen passiven Einschlag haben. Anthaeus fand in der Berührung mit der Erde stetig neue Kraft. In der Masse entwickelt mancher Infanterist sein Talent, fast jeder stärkt an der Umwelt seine Triebe und wächst im Bewusstsein des Siegeswillens der Nachbarn.

Die Welt des Fliegers ist eine abgeschlossene. Auf sich selbst ist der Flieger angewiesen: von seiner Umsicht hängt das eigene Schicksal ab: nirgends ist der Zufall auf die Dauer so ausgeschaltet wie beim Fliegerkampf. Die Tat des Fliegers ist eine individuell-aktive, die Einflüsse der Außenwelt sind stärker reduziert, die Erfolge persönlicher, sichtbarer. Das soll das Leben des Liniensoldaten nicht herabsetzen; uns gilt es eine Waffe zu sichern, bei der die Zahl der Mitläufer, der Helden aus dem Augenblick, aus dem eisernen Muss heraus auf ein Minimum beschränkt wird, wo tatsächlich das klare Bewusstsein und das Vollgefühl der eigenen Tat als Voraussetzung gelten dürfen. Und noch an eines möchten wir erinnern. Der Dienst bei der Fliegertruppe ist ein freigewählter, das Menschenmaterial ein ausgesuchtes. Ein Volk von physisch minderwertigen Elementen stellt kein starkes Kontingent von tüchtigen Fliegern.

Aus solchen Gesichtspunkten heraus erschien die Darstellung des jüdischen Einschlags an dem Ruhmesblatt der Fliegerwaffe berechtigt. Erinnerungen an das Wirken von Juden bei anderen Waffengattungen sollen folgen. Auf allen Kriegsplätzen sind Judengräber geschaufelt. Tausende und Abertausende haben für Deutschland geblutet und selbst dort, wo man von Juden keine Ausstrahlungen ihres Mutes erwarten konnte, stoßen wir auf wundersame Beispiele. Wer hätte an ihre Mitwirkung an den Taten der Flotte gedacht? Aus dem Material ihres Wirkens auf U-Booten und der Hochseeflotte darf vielleicht ein Dokument Zeugnis ablegen. Es ist dies der Brief des Prinzen von Hohenzollern (datiert: Malta, den 1. März 1915) an die Angehörigen des Matrosen Levi (zitiert nach dem Hamburger ,,Israelitschen Familienblatt“.
Der Brief lautet:
,,In dem Gefecht bei der Kokosinsel, wo die Tätigkeit der „Emden“ ihr Ende fand, starb auch den Heldentod fürs Vaterland der Matrose Levi. Ich bin vom Kommandanten des Schiffes, Herrn Fregattenkapitän von Müller beauftragt, Ihnen zu dem schweren Verlust, sein herzlichstes und wärmstes Beileid auszusprechen. Auch im Namen der übrigen Offiziere, Deckoffiziere, Unteroffiziere und Mannschaften der ,,Emden“ und ebenfalls für mich persönlich versichere ich Sie unserer aufrichtigsten Teilnahme. Wir alle bedauern mit Ihnen den so frühzeitigen Tod des tapferen Heimgegangenen, dessen junges Leben zu den schönsten Hoffnungen berechtigte und der durch seinen großen Diensteifer und sein kameradschaftliches Wesen bei Vorgesetzten und Kameraden gleich beliebt war. Im Endgefecht der ,,Emden hat er auf seiner Gefechtsstation als Geschützmatrose sein Bestes getan und tapfer ausgehalten bis ihm eine englische Granate einen kurzen und schmerzlosen Tod bereitete. Im Herzen der Überlebenden von Sr. Majestät Schiff „Emden“ wird das Andenken an den tapferen und beliebten Kameraden alle Zeit unvergessen bleiben.“

Ein Antisemit hat bekanntlich im Reichstage sich einen Zwischenruf gestattet, der wohl nur eine rhetorische Frage darstellte: „Zeigen Sie mir doch einmal einen jüdischen Flieger!“ Ich weiß nicht, ob er eine Antwort darauf bekam. Tatsache ist, dass viele Leute glauben, es gäbe keine jüdischen Flieger, weil ....

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Juedische Flieger im Kriege