Judenausweisungen – Leipzig, Juni 1851

, Erscheinungsjahr: 1851
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Judenausweisung, Judentum, Juden, Leipzig, Grundrechte, Emanzipation, religiöse Intolleranz, Börne
Aus: Deutsches Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben. Robert Prutz, Wilhelm Wolfsohn, Hermann Rost. Erster Jahrgang 1851. Juli - September

— n. In unserm Nachbarsdorfe Gohlis, wo Schiller sein Lied an die Freude gedichtet, das närrische Lied, nach welchem alle Menschen Brüder sein sollen, hat man harmlose jüdische Commis aus ihren Sommerwohnungen gewiesen. Juden dürften nur in zwei Städten Sachsens, in Leipzig und Dresden, wohnen — freilich setzte man später erläuternd hinzu: fremde Juden. Sie kennen diese denkwürdige Tatsache, die Kladderadatsch bereits in seinem Kalender verzeichnet hat. Dahin gehörte sie wohl eigentlich allein, wenn sie nicht auch eine ernste Seite hätte, und in die tiefe politische Verstimmung noch einen Misston mehr hineinbrächte. In Sachsen war die Emanzipation der Juden mir Einführung der deutschen Grundrechte vollendet. Als die Grundrechte aufgehoben wurden, wollte die Regierung sich keiner religiösen Intoleranz schuldig machen — gegen sächsische Staatsbürger. Sie sicherte die Gleichstellung der einheimischen Juden, für die fremden dagegen traten die früheren, beschränkenden Gesetze wieder in Kraft, mithin auch jenes, welches den Juden nur in Dresden und Leipzig den Aufenthalt gestattet. So ist es denn gekommen, dass, während nach dem ausdrücklichen Willen der Regierung die „Gewissensfreiheit“ Niemanden verkümmert werden soll, die Freiheit — eine reinere Luft zu atmen, und nach mühsamem Tagewerk in der Stadt ein paar Abendstunden in dörflicher Stille auszuruhen, Allen verkümmert wird, die nicht im Besitz eines Bürgerscheins, sondern nur einer Aufenthaltskarte sind. —

Wenn das Börne noch erlebt hätte! Nachdem er längst sich aus dem Judentum herausgerettet, erinnerte er sich doch mit Bitterkeit und Wehmut, wie in seiner Knabenzeit für ihn „hinter den, verschlossenen Tor das Ausland begann!“ Unsere armen Commis werden, wenn auch nicht mit Bitterkeit, doch jedenfalls mit Wehmut an die Zeit denken, wo hinter dem offenen Tor in ihnen die Ausländer begannen, Börne gesteht es laut, dass die Stickluft des Ghetto in ihm jenen ungenügsamen Patriotismus entwickelt hatte, welchen, „die Stadt nicht mehr zum Vaterlande genügt, nicht mehr ein Landgebiet, nicht mehr eine Provinz, nur das ganze große Vaterland, so weit seine Sprache reicht!“ In unseren ausgewiesenen Commis, so gutgesinnt sie auch sein mögen, dürften der Staub und das Geräusch der Stadt doch vielleicht auch einige patriotische Sehnsucht wecken. Ist es aber staatsklug, jetzt auch in den unschuldigsten Gemütern Empfindungen aufzustacheln, die nahe an die missliebigste Auffassung der deutschen Einheit streifen? — Also mit einem Bürgerschein versehene Juden genießen die Rechte aller Staatsbürger; die Nichteinregistrierten aber dürfen nicht einmal auf das Recht jedes Fremden Anspruch machen! Denn der Unterschied zwischen Bürger und Nichtbürger ist bei solchen, die seit Jahren im Lande wohnen, eben sehr unwesentlich. Diese Nichtbürger zahlen auch Steuern, erfüllen auch Bürgerpflichten. Sollen wir nach der Logik fragen, welche diese Begriffsscheidung im Gesetze zuließ, oder nach der Humanität, welche diese Sonderung mit buchstäblicher Genauigkeit durchführt? Wir fragen aber gar nicht, und werfen der Regierung weder Mangel an Logik noch an Humanität vor; der Regierung gewiss am wenigsten, die allein den Kammern gegenüber eine gesetzliche Anerkennung der Judenemanzipation überhaupt wahrte. Wir enthalten uns einer Kritik des Gesetzes nicht etwa weil wir mit einer solchen irgendwie gegen die Pressvorschriften zu verstoßen fürchteten, oder nur verstoßen könnten — sondern weil wir zu gut wissen, wo der Geist zu suchen ist, der in ein freisinniges Gesetz diese allen Beschränkungen wieder eingeschwärzt, und wen man namentlich für diese rücksichtslose Handhabung des Gesetzes verantwortlich zu machen hat. Geht, werfet einen Blick in die kleinlichen Krämerseelen! Da wird Euch auf einmal klar, warum man für die paar hundert Juden, die man leider hat emanzipieren müssen, sich an den Anderen, Nichtemanzipierten so gründlich entschädigt. Wer darf da die Regierung anklagen?

Quid leges sine moribus
Vanae proficiunt?