Juden und Jüdisches Leben in Amerika 1846

Aus: Allgemeine Zeitung des Judentums, 11. Jahrgang, 01. Januar 1847
Autor: Lilienthal, Max Dr. (1815-1882) jüdischer Theologe und Rabbiner, Berater für die Reform der jüdischen Schulen in Russland. Vertreter des Reformjudentums in den Vereinigten Staaten., Erscheinungsjahr: 1846

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Auswanderung, Auswanderer, Judentum, USA, Glaubensgenossen, Gemeinden, Zusammenhalt, keine Judengesetze, kein Judenfeindlicher Geist, Glück, Freiheit, Religionsfreiheit, Bürgerrechte, Demokratie, Gleichberechtigung, Gleichstellung
Inhaltsverzeichnis
New-York, 30. November 1846. (Privatmitteilung des Oberrabbiner Dr. Lilienthal.) *)

*) Die interessanten Art. in No. 38. 39. 40. 41. des vor. J. aus New-York sind nicht von demselben. Redakt.

Wer sich die Entwicklung des Judentums in den Vereinigten Staaten Nordamerikas ansieht, kann nur von dem innigsten Danke gegen Gott, und der innigsten Freude für seine Glaubensgenossen durchdrungen sein. Überall, wohin man den Blick in der Union wendet, erblühen neue Gemeinden; überall entstehen Gotteshäuser, die dem Dienste des einig-einzigen Gottes gewidmet sind; und in wenigen Jahrzehnten wird das Judentum hier so festen Fuß, oder vielleicht noch festeren Fuß als in Europa gefasst haben; denn man kennt hier weder den proselytierenden noch überhaupt judenfeindlichen Geist einer Regierung, wie er im aufgeklärten, erleuchteten und philanthropischen Europa zu Hause ist.

Die vorzüglichsten Gemeinden befinden sich in New-York, Philadelphia, Baltimore, Charlestown, Albany, Richmond, Cincinati und New-Orleans. Diese sind zahlreiche Gemeinden; weniger zahlreich sind Boston, Cleveland, St. Luis, Syracuse, New-Haven, Claiborne, denen sich in kurzer Zeit noch eine Menge anderer, die in ihrer Organisation eben begriffen sind, wie Chicago, Buffalo, Augusta etc. anschließen werden. Noch vor zwölf — fünfzehn Jahren kannte man nur die portugiesischen Gemeinden in New-York, Philadelphia und Charlestown; denn Juden, die portugiesischem Ritus angehörten, waren die ersten, die nach Amerika übergesiedelt waren; sie waren vermögende Leute und trafen die nötigen jüdischen Einrichtungen; Juden, die anderem Ritus angehörten, und von anderen Gegenden hierher kamen, waren zu vereinzelt und zu unbemittelt, als dass sie auf eigne Faust Etwas hätten unternehmen können; und schlossen sich somit diesen Gemeinden an. Man kann es getrost behaupten, dass der bei Weitem größte Teil der Mitglieder der gegenwärtigen portugiesischen Gemeinden nicht aus Sephardim, sondern aus Abkömmlingen von Engländern, Holländern etc. besteht, die zu ihrer Zeit jenen Gemeinden beigetreten sind. Die Gründer dieser Gemeinden waren vermögende Leute, die bedeutende Legate hinterließen; und in New-Port, wo heute gar keine Juden wohnen, steht eine herrliche Synagoge mit einem bedeutenden Legate. Der Erbauer hat in Letzterem die Bedingung festgestellt, dass mit den Interessen des Kapitals die Synagoge immer in gutem Zustande erhalten werden, und in dem Gotteshause selbst nur nach sephardischem Minhag gebetet werden solle. Dieser Wille des Legators verhindert die jüdischen Einwanderer, die vielleicht gern jene Synagoge benutzen möchten, dorthin zu ziehen, und so steht das Gotteshaus seit Jahrzehnten leer und verwaiset.

Der Streit, der in Amerika zwischen Natives und Einwanderern besteht, machte sich auf seine Weise auch unter den Juden geltend — und da ich mehr mit der Geschichte bekannt bin, wie die Synagogen nacheinander in New-York, als in anderen Städten entstanden sind, so will ich diese geben; sie ist aber ein getreues Kontrefei auch dessen, wie die verschiedenen Gemeinden in anderen großen Städten entstanden sind. — Die portugiesische Gemeinde dahier ist die älteste, und in ihren Gemeindefonds die bemittelste. Vor ungefähr 28 Jahren war sie die einzige in hiesiger Stadt. Es kamen vereinzelte jüdische Einwanderer an und fanden reichliche Unterstützung bei derselben. Da das Land damals noch sehr jung war, die Eingewanderten keine Mühe und Arbeit scheuten, so arbeiteten sie sich bald hinauf, und fingen sich zu fühlen an. In diesem Gefühle wollten sie auch gelten, bei den Wahlen ihre Rechte und ihren Einfluss geltend machen; dazu kam, dass ihnen der portugiesische Ritus fremd war — also Grund genug zu Reibereien. Die Folge war, dass unter bitteren Feindseligkeiten eine Trennung stattfand, und eine zweite Gemeinde, die jetzige Elmstreet-Synagoge errichtet wurde. Da sie das portugiesische Element ausschied und den englischen Ritus annahm, so war sie allen Einwanderern ihrem Gottesdienste nach befreundet, und Alles, was damals ankam, schloss sich derselben an, so dass sie noch heute die gemischteste von allen anderen ist. Sie zählt unter ihren Mitgliedern Engländer, Holländer, Polen, Deutsche — doch war bis zum vorigen Jahre der englische Ton vorherrschend. Der Chasan, Rev. Samuel Isaaks, predigte in englischer Sprache, die Verhandlungen in den Gemeinden wurden in englischer Sprache gepflogen, da sie, als die Landessprache, das beste Verständigungsmittel zwischen Männern von so verschiedenartiger Zunge war. Allein eben dieser Umstand gab den Engländern wieder ein Übergewicht, das zu neuer Trennung und neuen heftigen Streitigkeiten führte. Die Gemeinde hatte eine herrliche Kirche in der Elmstreet käuflich an sich gebracht, und dieselbe in eine Synagoge umgewandelt.. Die Engländer fürchteten, dass sie von der obersten Verwaltung ausgetrieben würden, wenn sie nach dem Staatsgesetze einem Jeden, der ein Jahr lang einen Sitz in der Synagoge hatte und die üblichen Abgaben bezahlte, als Mitglied aufnehmen und ihm Stimmrecht geben würden. Sie verweigerten also den Sitzhaltern das Recht zu stimmen; dieser Umstand führte zu den heftigsten Angriffen von beiden Seiten, und endigte damit, dass Rev. S. Isaaks mit den Engländern — denen man eine Vergütigungssumme von 5.000 Doll. bezahlte — abtrat. Sie bauen nun eine neue Synagoge in Wusterstreet, die auf mehr als 20.000 Dollar kommen soll.

Dasselbe englische Element hatte aber auch die Wirkung, dass die deutschen Juden, die herüberkamen und der deutschen Sprache nicht mächtig, auch an die Verschiedenheiten des englischen vom deutschen Ritus nicht gewöhnt waren, sich absonderten. Bis vor zehn Jahren sah man nur sehr wenige Deutsche hier. Die Leute waren überdies Anfangs arm, hatten auch Unterstützung Anfangs genossen, und konnten, der gentlemännischen Weise unkundig, nicht sobald hoffen, vollkommen anerkannt zu werden. Der Deutsche, der bei seinem Fleiße, bei seiner Beharrlichkeit, bei seiner Arbeitslust und vor Allem bei seiner Sparsamkeit sich sehr schnell hinaufarbeitete, so dass wir unter ihnen nun Leute sehen, die als Bettler herübergekommen waren, und nun die herrlichsten Geschäfte und bares Vermögen haben — dieser Deutsche wollte sich nicht über die Achsel und mit Gnaden angeblickt wissen, sondern selbst gelten. Und diese Umstände gaben die Veranlassung zur Gründung der ersten deutschen, der Ansche-Chesed-Gemeinde, die eine herrliche Synagoge in Henrystreet hat. — Der Anfang derselben war sehr klein, und so klein, dass der Gottesdienst Anfangs in einem Zimmer abgehalten wurde, und die Leute am Freitag Abends, im Winter, ein Stück Holz ein Jeder mitbrachten, um das Zimmer zu wärmen. Die deutschen Einwanderer waren und sind größtenteils 5/8 aus Bayern, von welchem Lande sie das Pharaonische Gesetz vom Jahre 1814 treibt, dass die Vermehrung der Juden zu verhindern befiehlt. Nachdem die Ersten ihr Glück gemacht und sich eine Existenz begründet hatten, folgten diesen immer mehr, und jetzt ist der Strom der Einwanderung jährlich im Ungeheuern Wachsen; so zwar, dass die eine Ansche-Chesed-Gemeinde jetzt schon an 320 Mitglieder und Sitzhalter, die zweite deutsche Gemeinde Schaar Haschomajim an 220 Mitglieder und Sitzhalter, und die dritte Gemeinde Rodef Scholom an 180 zählt. — Dieser starke Anwuchs der Deutschen hatte die Gründung der genannten zweiten Gemeinde benötigt, und eine Unzufriedenheit mit der Verwaltung hatte die Trennung derselben und die Gründung der dritten herbe! geführt. So viel Geld auch erspart werden könnte, wenn diese drei Gemeinden nur eine bildeten, so hätte mit der Zeit doch eine andere gebildet werden müssen, da die Gemeinden unverhältnismäßig rasch anwachsen, und in denselben in dem Jahre 1846 hundert Hochzeiten gefeiert wurden. — Die Verschönerung des Gottesdienstes, die in Deutschland vor einem Jahrzehnt noch in den dortigen Gemeinden so vielen Kampf hervorgerufen hatte, begann auch hier von Mehreren gewünscht zu werden, und die ersten indirekten Schritte dazu geschahen durch die Gründung des Kultusvereins. Es kommt in Amerika in solchen Fällen zu keinen ähnlichen Streitigkeiten, wie in Deutschland, da die Kirche vom Staate nicht beaufsichtigt ist, sondern Beide ganz unabhängig nebeneinander bestehen. Wird irgend eine Meinung rege, und findet sie nicht allgemeinen Anklang, so trennen sich diejenigen, die derselben huldigen, von den Andersdenkenden, und bilden sich eine eigne Kongregation. Auf diese Weise entstand die deutsche Imanu-El-Kongregation, die nach den Einrichtungen des Hamburger Tempels ihren Gottesdienst — jedoch nicht durchgehends — organisiert hat. Rev. Dr. Merrbacher ist als Geistlicher an demselben angestellt; der Chor benutzt die Wiener und Münchner Chorgesänge, und alle 14 Tage wird in dem Tempel gepredigt. — Während der Zeit hatte sich auch eine nicht unbedeutende Anzahl von Juden, teils aus Preußisch-, teils aus Russisch-Polen hier zusammengefunden, und eine polnische Gemeinde begründet. Da Mehrere von ihnen schon länger im Lande und mit Christinnen verheiratet waren, welche Letztere später zum Judentume übertraten, so entstanden in dieser Gemeinde Misshelligkeiten, die die Trennung derselben veranlassten, so dass wir in New-York jetzt neun jüdische Gemeinden mit ungefähr 8—10.000 Juden haben: die portugiesische mit Chasan Lyons; die Elmstreet-Gemeinde: Chasan Leo; die Gemeinde Ansche-Chesed, Schaar-Haschamajim und Rodef-Scholom: Chiefrabbi Dr. Lilienthal: der Tempelgeistliche Dr. Merrbacher, die zwei polnischen Gemeinden und die Schaare-Tesila: Chasan und Prediger S. Isaaks. Ich führe sie Ihnen nach dem Alter ihrer Entstehung auf, und wie die Gemeinden hier sich gebildet und koordiniert haben, so ging und geht es in allen den größeren Gemeinden Nordamerikas, die ich Ihnen aufgeführt habe.

Der Wohltätigkeitssinn unter allen Gemeinden ist nicht genug zu rühmen und anzuerkennen. Abgesehen von den ungeheuren Summen, die jährlich an arme Verwandte nach Europa geschickt werden, ermüdet Niemand, für Arme und die wohltätigen Vereine zu spenden. Es bestehen an solchen in New-Vork gegen zwanzig. Ein Teil von ihnen sind wechselseitige Versicherungsanstalten der Mitglieder derselben gegen die verschiedenen Unfälle des Lebens; ein Teil sind bloß Anstalten zur Verteilung der Unterstützungen an Armen. Die bedeutendsten der Letzteren sind die „Hebrew benevolent Society", deren Präsident der bekannte M. M. Noah ist, und die Heuer ihr fünfundzwanzigjähriges Jubiläum feierte, und die „German hebrew benevolent Society“ deren Präsident Herr Kaiser ist, und die in diesem Jahre ihr drittes öffentliches Dinner gab. Ich habe Ihnen ein solches im vergangenen Jahre beschrieben; die wohltätigen Spenden an dem Abende des 12. November beliefen sich diesmal auf 2.300 Dollar – 5.750 Fl. Man wird kaum zu hoch gehen, wenn man annimmt, dass die Einnahmen der neun Gemeinden und der verschiedenen Vereine in New-York sich jährlich über 40.000 Dollars belaufen, und diese gewiss sehr bedeutende Summe wird nur dadurch zusammengebracht, dass der größte Teil der Individuen weit mehr tut, als die jungen Kräfte noch erlauben. Aber was tut die Freiheit nicht?

So und ähnlich sieht es in den größeren Gemeinden aus. Werfen wir nun einen Blick über das weite Gebiet der Union, wo hier und da kleine und vereinzelte Gemeinden sich bilden. Ein Jude ist vor mehreren Jahren hinaus in ein kleines Städtchen gezogen, und lebt da ferne und getrennt von Allem, was Jude und Judentum ist. Man weiß nicht, dass er Jude ist; er hält kein jüdisches Gebot, beachtet keine jüdische Zeremonie. Einige Zeit nachher gesellt sich noch ein Jude, dann ein zweiter, ein dritter dazu; die heilige Zeit unsres Neujahrs- und Versöhnungstages kommt, die Leute denken an Gott, und sehen in ihrem Wohlstande, wie viel sie Ihm zu danken haben, sehen auf ihr irreligiöses Leben und schämen sich desselben. Der Wunsch wird in ihrem Herzen rege, zu Gott zurückzukehren; sie zählen sich und sind ihrer zehn, sind im Stande ein Minjan zu bilden; Einer macht den Vorschlag, sich als Gemeinde zu konstituieren, die Anderen stimmen freudig und begeistert ein. Man berät sich, schießt etwas Mittel zusammen, und dann kommt in New-York oder in einer andern großen Gemeinde ein Brief an. Die Leute schicken Geld, um ihnen eine . . . . . . . und . . . . dafür zu senden, beschreiben einen . . . und . . . . und kommt man nach fünf Jahren an einen solchen Ort, an dem man bei seiner ersten Anwesenheit von einem Juden keine Spur hatte, so findet man eine gut und frei organisierte Gemeinde, eine hübsche Synagoge, eim eignes . . . . und wundert sich, wie schnell und wie fest das Judentum in dem neuen Vaterlande Wurzel fasst. Und dieses Bild findet man, wohin man den Blick wendet, und noch wenige Jahrzehnte, so sind jüdische Gemeinden überall, wo die Zivilisation ihren beglückenden Fuß hinsetzt und die Kolonisten die Urwälder gelichtet haben.

Da der Jude hier nicht den judenfeindlichen, europäisch-humanen Ausnahmegesetzen unterworfen ist, so findet man ihn auch in allen Stellen und Gewerbezweigen. In Charlestown bekleiden die Juden die ersten öffentlichen Ämter; in Baltimore, Philadelphia, New-York und anderen Städten desgleichen; und allgemein bekannt ist es, dass im Kongresse zu Washington, sowohl im Senate, als im Hause mehrere und ausgezeichnete Juden sitzen. Dass der Jude sein Amerika wirklich liebt, bezeugen nicht nur die einzelnen Offiziere, die jetzt in der Armee gegen Mexiko stehen; sondern auch die Hebrew-Volunteer-Company, die sich in Baltimore bildete, und dem Präsidenten in dem gegenwärtigen Kriege ihre Dienste anbot. — Wir zählen auch sehr viele jüdische Fabrikanten, Handwerker in allen Fächern; und wenn ein europäischer Judenfreund Sie fragen sollte: Wie, handelt denn der Jude in Amerika gar nicht? so antworten Sie ihm so ironisch als er Sie frug: O ja, sehr viel, und sehr vorteilhaft, und ohne dass die christliche Bevölkerung sich dadurch beeinträchtigt fühlt. — Die Lust zum Ackerbau erwacht hier und da auch, und besonders in Wisconsin hat man die Hoffnung, bald jüdische Kolonien, zu sehen.

Diese ganze Schilderung wird nun gewiss nicht verfehlen, in Vielen die Lust zur Auswanderung nach Amerika zu wecken; und sind es nur die Rechten, die davon geweckt werden, so freue ich mich, ihnen im neuen Vaterlande bald die Bruderhand drücken zu können. Um aber auch nur die Rechten herüber zu rufen, erlauben Sie mir folgende Bemerkungen. Amerika ist ein junges, gesegnetes Land, überreich an Erwerbsquellen. Wer die Lust und Fähigkeit zur Arbeit mitbringt, wer es sich nicht verdrießen lässt, die ersten Schwierigkeiten, die einem Jeden in einem fremden Lande sich entgegenstellen, zu überwinden; wer die Träume von den alten Wichtigkeitsmachereien auch in der alten Heimat gelassen, der findet gewiss sein Auskommen hier, und hat alle Fälle für sich, es zu etwas Tüchtigem zu bringen. Hier zu Lande gibt es nicht die Kastenabteilungen, dass ein Lampenputzer in seine Kategorie, ein Fuhrmann in die seinige, ein Kommis in eine dritte, ein Kaufmann in eine vierte etc. gehört, und nach dieser Kategorie behandelt und geachtet wird; hier heißt es: der Mann macht sein Leben mit dem Erwerbe, ein zweiter mit einem andern, und des Abends zieht Jeder seinen schwarzen Frack an, und wählet und stimmt für seinen Kandidaten zur Präsidentur, so gut als der reiche Millionär Aston. Jeder, der sich redlich und anständig ernährt, ist auch geehrt. Aber der Fremde, der herüberkommt, darf nicht glauben, dass New-York mit Doublonen gepflastert ist; darf nicht sprechen, das habe ich zu Hause nicht getan, und dazu kann ich mich nicht hergeben; wer so denkt, der bleibe in Deutschland geduldig und gutmütig hinter seinem Kruge Bier sitzen. Wer Hierher kommt, komme mit dem Vorsatze, für keine Arbeit sich zu hoch zu dünken, willig auch manches Ungewohnte zu ertragen, und dann gelingt es ihm gewiss. Wir haben in hiesiger Stadt eine Menge von Kaufleuten, die Geschäfte für 100—200.000 Doll. tun und die, als sie vor sechs Jahren ankamen, keinen Pfennig in der Tasche hatten. Die trugen anfangs einen schweren Bündel von 100—120 Pfund Tage lang, um sich Etwas zu verdienen; als sie das Etwas hatten, dann fingen sie mit Pferd und Wagen zu Krämern an; dann errichteten sie ein kleines Geschäft im Lande, und nun bilden sie Häuser in New-York, die allgemeine Achtung und Kredit genießen. Man wird mir antworten: Wer Arbeitslust und Arbeitsfähigkeit hat, bringt es auch in Deutschland zu Etwas. Das wäre freilich wahr, wenn dem Juden nicht tausend Ausnahmegesetze entgegenträten; wenn wir nicht Hunderte hier hätten, die ihr Letztes erst im Nachsuchen von Konzessionen und Gewerbegerechtsamen verprozessiert hätten; mit dem Gelde hätten sie es hier schon zu Etwas gebracht, und wären, wenn sie sich hier so viel, als in Deutschland, und doch umsonst, geplagt hätten, schon längst unabhängige Leute, die kein Gensd'arme auf der Landstraße beängstigt. Männer von solchem Mute die sind hier recht, und ihnen lächelt mit der Zeit eine freundliche und glückliche Zukunft. — Die zweiten, die hier willkommen sind, sind die Handwerker; der Arbeitslohn ist hier hoch, die Gelegenheit zum Verdienste vorhanden, die Konkurrenz im Lande ist noch nicht zu stark, und im Westen wartet ihrer Aller reicher Verdienst. Ein sehr glaubenswürdiger Mann aus Cincinnati sagte mir, dass dort allein noch zweihundert Schuhmacher ihr reiches Auskommen finden können. Schicken nun Familien ihre jungen, unverheirateten Männer voraus, von denen sie wissen, dass sie tüchtig sind, den Mut haben, die ersten Unannehmlichkeiten zu überkommen, so werden diese bald Fuß fassen, die Eltern und Geschwister dann nachkommen lassen, und Beide werden glücklich sein. — Nun komme ich aber auf die Kehrseite. Wir haben in diesem Sommer Leute herüberbekommen, die in der alten Heimat weder Lust noch Fähigkeit zur Arbeit hatten; Leute, die einem Stiefvater oder einer Stiefmutter aus dem Wege gehen sollten, damit man ihr Vermögen an sich ziehen könne, und die also schon von vornherein entmutigt waren; Leute, die halb blödsinnig waren, und die man draußen los sein wollte; wie, fürchten sich die Verwandten nicht, solche Menschen herüberzuschicken und sie einem grenzenlosen Elende auszusetzen? Die Gemeinden haben durch freiwillige Beiträge die Kosten der Rückfahrt für Manche gedeckt; aber wenn man dessen müde wird, was, wird das Los dieser Unglücklichen sein? Freilich oft macht auch ein Tölpel — man verzeihe mir den Ausdruck — sein Glück, und oft schneller als der Tätigste und Klügste; aber dann ist es auch nur ein Glück und keine vernünftige Bereicherung. Wir brauchen hier Männer mit Fleiß, Mut und Geduld; das soll ihr Kapital sein, das sie mitbringen; dann werden sie ihr eignes und das Glück der Familien, die sie nachkommen lassen, gewiss und bald begründen.

Einen zweiten mahnenden Wink muss ich den Lehrern geben. Ich habe von Mehreren Briefe bekommen, die ihre Stellen aufgeben und herüber wollen. Hier gilt nun die Regel, dass Männer, die Familie, Anstellung und Auskommen haben, drüben bleiben sollen. Denn der Unterricht muss, da unsere Kinder Meistens nur englisch verstehen, in englischer Sprache erteilt werden; das verstehen aber diese Leute nicht. Bis sie das erlernen, haben sie ihre Mittel längst aufgezehrt, und was soll die Familie unterdessen beginnen. Zu etwas Anderem gibt sich der deutsche Gelehrte in seinem Diplomendünkel nicht leicht her; er wird also entmutigt und unzufrieden, und die Anstellungen lassen sich nicht immer mit der Wünschelrute herbeirufen. — Nun ist es zwar wieder wahr, dass die Anstellungen für . . . und . . . und Lehrer immer mehr werden; allein es gehören, wenn auch nur wenige, doch einige Mittel dazu, diese abzuwarten. Daher rate ich, dass besser unverheiratete Leute, die die nötigen Kenntnisse dazu besitzen, sich herüber wagen; sie können leichter zusehen; können bei den geringeren Sorgen, die sie haben, der englischen Sprache sich leichter befleißigen; können, da sie keine Familie haben, auch leichter Reisen ins Innere des Landes unternehmen, und auf erfreulichen Erfolg rechnen. Denn der Wirkungskreis wird hier immer größer, der Stellen werden doch immer mehr; und sie werden ein erfreulicher Zuwachs zu den Arbeitern im Weinberge des Herrn sein! Möge Er, der Allgütige, wie bisher das Judentum in seiner Blüte bewachen; dann sendet Ihnen gute Nachrichten und die herzlichsten Grüße für Sie und alle unsere Brüder
Ihr ergebener
Dr. Lilienthal, Oberrabbiner.

Lilienthal, Max Dr. (1815-1882) Oberrabbiner, Vertreter des Reformjudentums

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New York - Coney Island

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New York - East River

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New York - Hafen 1

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New York - Hafen

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New York - Hafen-Kai

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New York - Hudson-River-Kanal

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New York - Kreuzung Fünfte Straße

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New York - Umland, Bauern beim Pflügen

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New York - Umland, Farmhaus

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New York - Jamaica-Bay

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New York - The Old Coney Island

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