Wie das Alles gekommen ist

Als Herr de Castro sich ein kleines Vermögen erworben hatte, vergrößerte er seinen Handel und mietete in einer der besten Gegenden der Stadt einen Laden; das Glück war ihm hold, denn er hatte sich durch seine redliche Handlungsweise viele Freunde erworben, und jedermann kaufte gern bei ihm. Bald trieb er seinen Handel im Großen und namentlich war er bemüht, ihn nach entfernten Gegenden hin auszubreiten; er hatte in London und Paris seine Agenten, die die Einkäufe für ihn besorgten, und in Hamburg befrachtete er ganze Schiffe teils mit ausländischen, teils mit einheimischen Produkten, die auf den fernen Inseln für seine Rechnung verkauft wurden. Auf diese Weise nahm sein Vermögen immer mehr zu, und schon nach einigen Jahren war er ein sehr reicher Mann. — Sein ältester Sohn, Richard, hatte bei ihm die Handlung erlernt und sich durch kaufmännischen Geist vor vielen andern jungen Leuten seines Alters ausgezeichnet. Er verstand es, die Arbeiten des Berufes mit seinen Vergnügungen zu einigen, und man konnte eben so wenig von ihm sagen, dass er ein Vergnügen als dass er sein Geschäft vernachlässigt hätte. Herr de Castro meinte, dass die Jugend austoben müsse, und wusste wohl, dass der Sohn eines reichen Mannes auch seine Jugend im vollen Maße genießen will; er war daher bemüht, ihn vor Übertreibungen zu warnen, aber er hielt ihn um so weniger von seiner Lebensweise zurück, als er im Geschäft stets tätig und vorsichtig war. Richard besuchte Theater und Bälle, hatte vielerlei Beziehungen und Bekanntschaften, von denen er die wenigsten in seiner Eltern Haus eingeführt hatte, aber er hatte in seinen Schuljahren, und später noch, Tüchtiges gelernt, und der Sinn für Kunst und Wissenschaften war rege und lebendig in ihm. Er konnte sich für einen Dichter so begeistern, dass er mehrere Abende hintereinander sein Zimmer nicht verließ; es war ihm eine Freude, ein aufkeimendes Talent zu unterstützen, aber er konnte mit demselben Feuer für eine schöne Tänzerin schwärmen und darüber seine Familie acht Tage lang vernachlässigen. Doch hatte sein Vater so viel Zutrauen zu ihm, dass er ihm, als er seinen zwei und zwanzigsten Geburtstage feierte, seinen Laden für seine eigene Rechnung übergab, und sich auf die Betreibung der Engros-Geschäfte beschränkte. Die Geburtstage waren immer Familienfeste, die nicht ungefeiert vorübergehen durften; doch wurden immer nur die näher stehenden Freunde dazu eingeladen. An diesem Tage sagte Herr de Castro zu seinem ältesten Sohne: Ich übergebe Dir heute das ganze Geschäft als Dein Eigentum, Du sollst darüber schalten und walten können nach Deinem eigenen Willen, und nur wenn Du es verlangst, will ich, Dich mit meinem Rate dabei unterstützen. Ich mache Dich heute zu einem selbstständigen Manne und lege Dein Glück in Deine Hände. Wenn Du fleißig, tätig und sparsam bist, wird es Dir gelingen. Du bist ein Kaufmann, und als solcher musst Du darnach streben. Dein Vermögen, das Du von heute an besitzest, zu vermehren; ich möchte nicht, dass Du auf das tote Geld einen zu großen Wert setzest, denn es soll uns nur der Zweck sein, damit es uns nachher als Mittel diene; der wahre Kaufmann weiß sein Geld so anzuwenden, dass er der Menschheit dadurch Nutzen und Segen bringe, und so eine Stelle in der menschlichen Gesellschaft ausfülle. Ich habe mit Nichts angefangen und es so weit gebracht, dass ich viele Hände beschäftige, vielen Familien Brod geben kann, und war immer bemühet, meinen Mitmenschen zu helfen. Der Himmel hat mir Segen verliehen, aber ich darf wohl sagen, dass ich ihn gut angewendet habe. Der Gelehrte nützt mit den Kräften seines Geistes, der Kaufmann mit seinem Vermögen. Wer das Geld verschwendet, ist kein Ehrenmann; aber wer es im Kasten verschließt und es bewacht, der ist auch kein Ehrenmann. Ich möchte, mein Sohn, dass meine Handlungsweise Dir als Muster diente, dann wird auch Dir der Segen des Himmels nicht fehlen, und Du wirst die Freude und der Stolz meines Alters sein. Solltest Du aber meine Hoffnungen täuschen, so sei überzeugt, dass ich Dir eben so wenig helfen würde, wie jedem andern Verschwender, denn mein Sohn hat um so weniger das Recht, auf meine Hilfe zu rechnen, als ich gerade von ihm erwarte, dass er derselben nicht nötig haben würde.

Diese ernste Anrede hatte Herr de Castro mit großer Feierlichkeit in Gegenwart der ganzen Gesellschaft an seinen Sohn gerichtet, denn so liebte er es, und gar zu gern gab er bei solchen Gelegenheiten seinen Worten einen biblischen Anstrich. Er hatte — in freien Stunden — sich in seiner Jugend sehr viel mit dem Studium der heiligen Schrift beschäftigt, weshalb ihm solche Reden sehr geläufig waren; auch verfehlte sein herzlicher, biederer Ton nie den rechten Eindruck. Dann hatte er seinen Sohn umarmt und geküsst, und nun erst durften die übrigen Anwesenden ihm ihre Glückwünsche darbringen.


Von diesem Tage an war Richard ein selbstständiger Mann; er verließ nun auch die elterliche Wohnung, und richtete sich im Geschäftslokale wohnlich ein, die väterlichen Hoffnungen hat er nie getäuscht, er war ein guter Kaufmann, und vermehrte sein Vermögen. Seine Vergnügungen und seine Lebensweise blieben dieselben, und sein Vater übersah Manches, das er wohl im Grunde seines Herzens nicht ganz billigte; im Stillen aber sah er sich nach einer passenden Ehehälfte für seinen Erstgebornen um, denn diese, so hoffte er, sollte ihn von all seinen Torheiten heilen.

Sein zweiter Sohn, Adolf, hatte Lust zum Studium, und das war dem Vater schon recht. Als Jude blieb ihm aber nur die Medizin übrig, denn nach des Vaters Ansicht musste auch die Wissenschaft einen goldenen Boden haben. Zum Glück dachte Adolf eben so, und da er als Jude weder eine Lehrer- noch eine Richterstelle in Hamburg bekleiden konnte, wählte er das Studium der Medizin. Er hatte in Berlin die Universität besucht, war alle Jahr ein Mal während der Ferien zu seinen Eltern gereist, hatte jetzt aber seinen Examen gemacht und wurde in diesen Tagen erwartet.

Beide Brüder liebten ihren Vater recht sehr, und eben so ihre Schwester Rahel und ihre Mutter, die eine einfache, herzensgute Frau war, von den großen Vorzügen ihres Gemahls aber so sehr eingenommen war, dass sie schon längst keinen eignen Willen mehr hatte, und immer nur das tat, was ihrem Eheherrn lieb und angenehm war.

Ein ganz eigentümlicher, in Hamburg sehr seltener Fall war es, dass die Familie des Herrn de Castro mit einigen gebildeten und angesehenen christlichen Familien Umgang hatte. Es ist kaum glaublich, und doch nur zu wahr, dass dieses Beispiel in Hamburg einzig dasteht. Man trifft wohl hier und da einzelne Juden in christlichen Kreisen, meistens aber doch nur solche, die sich im Gebiete der Kunst oder der Literatur einen Namen erworben haben; dadurch sind sie salonfähig, denn eigentlich pflegt man nicht ihre Person, sondern ihr Talent einzuladen; die jüdische Sängerin, welche bei dem christlichen Ratsherrn zu Tisch geladen wird, soll nach der Mahlzeit eins ihrer schönen Lieder zum Besten geben, und der jüdische Dichter würde schwerlich solcher Ehre teilhaftig werden, wenn seine letzte Gedichtsammlung minder günstig aufgenommen oder sein neuestes Stück weniger gefallen hätte. Man hat gern die Leute bei sich, von denen in gebildeten Kreisen gesprochen, das heißt über deren Talent und Produktionen abgeurteilt wird, man verbreitet einen Glanz um sich, wenn man das junge aufkeimende Talent bei sich aufnimmt, es sieht aus, als ob man es protegierte, als ob man selbst ein wenig Dichter, Maler oder Komponist wäre, und solcher Mäzen-Glanz ist das Opfer schon wert, das man bringt, wenn man einen Juden bei sich empfängt. Bei Herrn de Castro war es aber anders. Er hatte in früherer Zeit einigen angesehenen Beamten mit seinem Gelde gedient, und sich bei solchen Gelegenheiten so human benommen — ein seltener Fall unter Juden, weil die Christen sie durch ihre Beschränkungen zwingen, mit Geld Handel zu treiben — dass er sich die Achtung und Freundschaft jener Leute erworben hatte und sie nicht nur mitunter bei sich sah, sondern auch zu ihnen eingeladen wurde. Man schätzte den ehrenhaften Mann und scheute sich nicht, das offen zu erkennen zu geben. Außerdem hatte sich der reiche Jude — der Paria des Staates — bei Staatskalamitäten immer so bereit zur Hilfe gezeigt, dass er wie ein patriotischer Charakter angesehen wurde, wodurch manche Schranke noch leichter fiel. Auch hatten die Söhne manche flüchtige, doch interessante Bekanntschaft mit christlichen jungen Männern gemacht, und sie in der Eltern Haus eingeführt. Namentlich war Herr de Castro mit seiner Nachbarschaft befreundet, denn es war bei ihm Grundsatz, sich denen zu nähern, die ihm näher wohnten; seine Kinder waren mit den Nachbarkindern groß geworden, hatten unter einander Freundschaft geschlossen, und sie teilweise bewahrt. Ganz besonders war dies mit der Familie des Senators Klinghammer der Fall; sie wohnten seit einer langen Reihe von Jahren einander gegenüber, und die Väter, Söhne und Töchter waren eng befreundet.

Als Adolf achtzehn Jahre alt war und zur Universität abgehen sollte, gab sein Vater ein glänzendes Fest, wozu die Freunde der Familie eingeladen wurden. Laura war Rahels Freundin, sie war Aller Freundin, sie durfte nicht fehlen. Man speiste in einem Saale, der sich nach dem Garten zu öffnete, und benutzte gern den freundlichen Herbsttag. Da gingen Rahel und Laura zusammen in den dunkeln Gängen des Gartens, Adolf gesellte sich zu ihnen und bald ging er mit Laura allein.

Als sie zur Tafel kamen, glänzte freudiger, heller das Auge, da war keine Trauer über den nahen Abschied in den freudigen, seelenvollen Blicken des jungen Mannes, es leuchtete in ihnen das Gefühl, zum Bewusstsein gekommen zu sein, das Leben und sein Schönstes erkannt und gefunden zu haben, Adolf war ein Anderer, ein besserer geworden, er teilte Aller Freuden, er war mild und gütig gegen Alle, und hätte er einen Feind gehabt, er würde ihn umarmt und um seine Freundschaft gebeten haben. Niemand hatte eine Ahnung, was in des jungen Mannes Seele vorging, man glaubte, dass er sich auf das bevorstehende Universitätsleben freue und war gern bereit, in seine fröhlichen Stimmungen einzugehen. Laura saß etwas entfernt von ihm an der langen Tafel: sie war im Gegenteil still und sprach weniger als sonst. Gewiss, sie fühlte nicht anders, nicht schwächer als der junge Mann, aber sie war ein Weib, und darum äußerte sich ihr Gefühl auf andere Weise. Sie war noch nicht zum Bewusstsein gekommen über die letzten Augenblicke ihres Lebens; was bisher in ihr geschlummert hatte, war plötzlich erweckt worden, und sie konnte sich an die helle Flamme noch nicht gewöhnen. Sie hatte Adolf immer lieb geschätzt, immer sehr wert gehalten, und jetzt war es ihr auf einmal klar geworden, dass sie ihn liebe, ihn und nur ihn allein. Was sie sich selbst nie hatte gestehen mögen, wovor sie zurückgebebt war, als ob es sie gar nicht berühren dürfe, das hatte sie jetzt gern und freudig ausgesprochen, und war nicht minder beglückt, als sie beglückte. Sie fühlte die Aufregung ihrer Seele und fürchtete in ihrem zart weiblichen Sinne jeden fremden Blick; darum saß sie still und schweigsam in Mitten dieser fröhlichen Gesellschaft und blickte nur mitunter verstohlen zu Adolf hinüber, der schon so klug und verständig geworden war, dass sein Auge beständig auf sie gerichtet war, ohne dass jemand es merkte.

Rahel war die Einzige, welche Alles verstand und richtig deutete, sie hatte Alles vorhergewusst und wunderte sich über Nichts; sie freute sich, denn sie liebte den Bruder und die Freundin!

Man trennte sich spät Abends und die Liebenden hatten kaum Gelegenheit, sich durch einen Blick und einen Händedruck die Geständnisse und Versicherungen, die erst einige Stunden alt waren, zu erneuern.

Die Briefe, die nun folgten, deren Besorgung Rahel als eine sichere Vertraute übernahm, befestigten die Erinnerung an den geweideten Augenblick dieses Abends, und mehr noch die Besuche, welche Adolf regelmäßig in den Ferien abstattete, und bei denen es nie an Gelegenheit fehlte, sich in den traulichen Laubgängen des Gartens oder in Rahels einfachem Zimmer zu sehen und sich die Versicherungen ewiger Liebe zu wiederholen. Das liebende Paar hatte vier Jahre auf diese Weise in den Wonneschauern einer ersten Liebe durchlebt und wenn je ein Gedanke an die Schwierigkeiten, welche ihnen entgegenstanden, ihre Freude stören wollte, siegte die Überzeugung, dass die Liebe immer den Sieg davon tragen müsse.

Der alte Herr Klinghammer aber hatte in seiner Senator-Würde nie daran gedacht, dass seine Tochter einen Juden lieben könne, und wenn es ihm jemand gesagt hätte, würde er ihn ausgelacht haben. Es gibt sehr viele Leute, die eben so nicht denken, sondern träumen. Das Erwachen ist ihnen dann um so schrecklicher. —
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Juden und Christen oder die Zivilehe. Band 1