Einführung

Als meine Mutter sich verheiratete, bekam sie ein Kammermädchen mit; die gehörte mit zur Ausstattung und war vielleicht das beste Stück derselben; ihre Eltern hatten aus gutem Vorbedacht so gehandelt, und waren dadurch über die Abreise der Tochter so ziemlich getröstet. Den Schwiegersohn kannten sie wenig, aber die Kammerfrau destomehr, und so gaben sie die Tochter unter ihre Obhut und ihren Schutz. Sie erhielt die Zusicherung eines kleinen Jahrgehalts und außerdem das Versprechen, im Testamente dereinst mit bedacht zu werden; dergleichen Versprechungen waren aber kaum nötig, denn Christiane — so hieß die Kammerjungfer — war die Liebe und Treue selber und das Zutrauen, womit man sie beehrte, machte sie so stolz und flößte ihr einen, so hohen Begriff von ihrem eigenen Werte ein, dass sie von nun an meiner Mutter noch treuer und eifriger zugetan war, und obschon sie höchstens um einige Jahre älter war, sie doch recht mütterlich liebte. Christiane war die Tochter einer ehrsamen Wäscherin in Amsterdam; meine Großmutter hatte sie zu sich genommen, auf das bloße Aussehen, denn sie war eine ganz freundliche Jungfer, und verstand mit den Leuten zu reden, und je mehr sie sich in unserm Hause beliebt zu machen verstand, je mehr gewann sie an Ansehen, und es war kein geringes Opfer von Seiten meiner Großmutter, dass sie „die treueste Person im Hause“ wie sie sie nannte, von sich weg ließ und dem jungen Ehepaare mit nach Hamburg gab.

Christiane war in Amsterdam Faktotum des Hauses gewesen und wurde es in Hamburg um so leichter, als meine Mutter ihr vollständig vertraute, und in einer fremden Stadt noch weit weniger die Wirtschaft zu leiten verstand als in dem elterlichen Hause, wo die fleißige Mutter sie nicht dazu kommen ließ, als ob die Tochter weniger für Küche und Keller passend gewesen wäre wie die Mutter.


Christiane hatte schon mit allen Nachbarn Bekanntschaft gemacht und wusste schon die kleinen Geheimnisse aller Familien, die in unserer Nähe wohnten, noch ehe nur meine Mutter einen Schritt aus dem Hause getan hatte; als Kammermädchen war sie mitgegeben worden, aber sie schwang sich bald zur Würde einer ersten Haushälterin empor, ohne dass jemand sie dazu ausdrücklich erhoben hatte, sie hatte die Macht in Händen und wenig galt ihr der Titel, später wurde sie unser Aller Erzieherin, und dadurch fühlte sie sich so außerordentlich geehrt, dass sie glaubte, nicht höher steigen zu können und auch nicht höher steigen wollte; der vierzigjährige Buchhalter unseres Hauses wusste ihre Vorzüge und ihre Stellung zu schätzen, und bewarb sich um ihre Gunst; sie gab ihm aber einen Korb und als ihr darauf von vielen Seiten vorgestellt worden war, dass sie doch wohl Unrecht getan habe, eine so gute Versorgung von der Hand zu weisen, und ihr mein Vater namentlich die Vorzüge des Herrn Meyer recht eindringlich auseinander setzte, gab sie mit der größten Ruhe zur Antwort: dass sie gar nicht daran denke, sich zu verheiraten und es vorziehe, ihr Lebelang in unserem Hause zu bleiben. Das war uns außerdem sehr angenehm, und man ließ sie gewähren. Sie lehrte uns Nähen und Stricken, brachte uns zur Schule und holte uns von dort ab, sie sorgte für Alle, aber am besten für mich und meine zwei jüngern Brüder. Indem ich dieses niederschreibe, und die Erinnerung an die Liebe, welche diese treue Freundin uns bewiesen hat, in allen ihren Phasen vor meiner Erinnerung vorüberzieht, erfüllt mich dieser so ausgezeichnete Charakter mit wahrhafter Bewunderung, und ich nehme durchaus keinen Anstand, offen zu bekennen, dass ich die treue Leiterin meiner Jugend nicht weniger liebte als meine Eltern und Geschwister. Wenn sie diese Zeilen liest, möge ihr diese freie Anerkennung zeigen, wie sehr ich ihr Wirken zu schätzen weiß und wie innig ich ihr zugetan bin.

Als ich mich verheiratete, war Christiane ungefähr einige vierzig Jahre alt; sie hatte das Ansehen einer schönen und kräftigen Frau; aus ihren hellen, freundlichen Augen leuchtete eben so viel Sanftmut, als Entschlossenheit und Tatkraft. Ihre Kleidung war immer sehr reinlich und einfach, die weiße Schürze — das Zeichen ihrer Würde — fehlte nie, bei allen Leuten im Hause stand sie in höchster Achtung, das ganze Dienstpersonal war ihr untergeben. Jeder erkannte in ihr die Leiterin des ganzen Hauswesens, und doch erinnere ich mich keines Beispiels, dass jemand über ihre Herrschaft Klage geführt hätte; bei den Nachbarn war sie nicht weniger beliebt, und sehr oft wurde sie von ihnen um Rat gefragt; auch war sie gern bereit, ihnen zu dienen, und ihre Hilfe ward darum oft in Anspruch genommen.

Ich verweilte absichtlich etwas länger bei diesem Anfang, der noch nicht den Anfang der Erzählung bildet, weil Christiane mitunter handelnd in derselben auftritt und ich später nicht gut Gelegenheit haben werde, sie so darzustellen, wie sie es verdient.

Ich verließ, als ich noch sehr jung war, das Haus meiner Eltern; zu meiner Verheiratung hatte Christiane wesentlich beigetragen, denn mein Bräutigam stand bei ihr sehr gut angeschrieben. Sie hatte mir eine glückliche Zukunft vorhergesagt, und sich nicht darin geirrt. Das Haus meiner Eltern hatte sie nicht verlassen wollen, aber sie kam doch täglich zu uns, und war bei der Einrichtung meines Hauses sehr tätig. Als ich einige Jahre später an einer schweren Krankheit darniederlag, war sie stets bei mir, und pflegte mich, und später, als ich noch das Zimmer hüten musste, leistete sie mir Gesellschaft, und erzählte mir, was sich in der Stadt und namentlich in dem Kreise unserer Bekannten und Freunde zugetragen hatte. Zu der folgenden Erzählung hat sie mir den Stoff geliefert, und ich will nun nach dieser Einleitung gleich zu derselben übergehen, damit meinen Lesern nicht die Zeit lang werde, bevor sie das Buch eigentlich angefangen haben. —
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Juden und Christen oder die Zivilehe. Band 1