Der ersten Liebe goldne Zeit

Mit außerordentlichem Jubel wurde am andern Tage Adolf bewillkommnet. Freudig umarmte der glückliche Vater den geliebten Sohn, den jetzt der Doktorhut schmückte, und eben so freudig umarmte Rahel den geliebten Bruder, und dachte dabei an die Freude, welche Laura empfinden würde, wenn sie jetzt an ihrem Platze wäre. Deshalb flüsterte sie auch gleich dem Bruder ins Ohr: „Du triffst Laura gegen Abend im Gartenhause.“ Die Mutter weinte vor Freude, als sie den geliebtesten ihrer Söhne ans Herz drückte. Richard und Benno waren ausgegangen, und begrüßten den Ankömmling etwas später.

Laura aber war gleich gekommen, denn sie hatte Adolfs Ankunft von ihrem Fenster aus bemerkt. Das konnte nicht auffallen, denn Adolf war ihr Jugendfreund, und selbst wenn ihr Vater es gewusst hätte, würde er nichts dagegen eingewendet haben. Die beiden Liebenden drückten sich die Hand und sahen sich wonnetrunken ins Auge; was ihre Herzen fühlten und empfanden, lag in diesem Blick und in diesem Händedruck; in Gegenwart der Familie mussten sie sich Zwang antun, und so groß auch die Freude des Wiedersehens war, wurde sie doch dadurch getrübt. Der ruhige Beobachter würde indes bemerkt haben, dass sich hier zwei Herzen begrüßten, die sich näher standen, und die nur gezwungen den Ausdruck der Seeligkeit, die sie fühlten, unterdrückten. Es konnte nicht schwer sein, diese Blicke, dieses freudige Aufjauchzen zu deuten, man musste verstehen, was in dieser hochklopfenden Brust sich regte, und nur die Sicherheit der Eltern und die langjährige Gewohnheit, Laura wie ein Kind der Familie zu betrachten, waren der Grund, dass sie die Freude der beiden Liebenden natürlich fanden. —


Eine Stunde später saßen die Liebenden Arm in Arm in dem Gartenhäuschen. Schnell und leicht entfernte sich Rahel. Sie gönnte beiden ihr Glück, aber sie fühlte in ihrem Herzen etwas sich regen, das wie Sehnsucht sie berührte, und lange noch ging sie in den einsamen Gängen des Gartens umher. Wer ihr begegnet wäre, würde geglaubt haben, dass sie in tiefes Nachdenken versunken sei, aber sie dachte in diesem Augenblicke gar nichts, sie fühlte nur, ohne sich Rechenschaft von ihren Gefühlen geben zu wollen. Ein leichter Anflug von Traurigkeit überzog ihre sonst nur heiteren Züge, doch nur auf kurze Zeit, denn sie wollte sich solchen sentimentalen Stimmungen nicht hingeben, weil Lust und Heiterkeit bei ihr Grundsatz waren, und recht erwünscht war es ihr, dass Benno gerade jetzt in den Garten trat. Freundlich ging sie ihm entgegen und führte ihn umher; sie war heute weicher gestimmt, statt zu spötteln, suchte sie in die Ideen des Gastes einzugehen, sie fühlte das Bedürfnis, jemand wohl zu tun, und gegen Benno hatte sie gut zu machen. Darum erschien sie dem jungen Manne heute eine Andere, er wusste nicht, welches Gesicht er für das wahre halten sollte, da er aber Rahel so liebenswürdig fand, da sie so ernst und ruhig mit ihm über Allerlei sprach, während sie im Garten umhergingen, tat es ihm schon leid, einem fröhlichen Kinde, einer mutwilligen Stunde wegen, in seinem Innern Unrecht getan zu haben. Es tat seinem Herzen wohl, dass sie ihm heute ganz anders erschien, denn er hatte es nur gar zu sehr gewünscht.

Adolf und Laura tauschten indes aufs Neue die Versicherungen ihrer ewigen Liebe, sie durften sich jetzt sagen, was sie sich einander waren, was sie für einander fühlten, und konnten sich entschädigen für den Zwang, den die Verhältnisse ihnen auferlegten. Doch vermochte selbst die Wonne dieser Stunde nicht, ein leichtes Wölkchen der Trauer aus Lauras schönen Augen zu verscheuchen, und erst als Adolf, dem es nicht entgangen war, dass die Geliebte noch etwas Anderes als ihre Liebe dachte, in sie drang, und sie flehentlich bat, ihm zu sagen, was sie Trübes im Herzen verberge, da löste sich die Trauer in Tränen auf und mit leise schluchzender Stimme sagte sie: „Ich fürchte für meine Zukunft, Du mein Geliebter, und je größer das Glück dieser Stunde für mich ist, je mehr ich mich nach ihr gesehnt habe, je mächtiger wird eine trübe Ahnung in mir und ruft mir zu, — dass wir noch recht unglücklich sein werden!“ —

Und Laura lehnte sich an Adolfs Schulter und weinte still vor sich hin.

Adolf störte die Geliebte nicht in ihren Tränen, er tröstete sie nicht, denn auch sein Herz war voll trüber Ahnungen und er erkannte sehr wohl, dass er auf einen Kampf gerüstet sein müsse. Als aber Laura wie stehend das Auge zu ihm emporhob und ihn fragte: „Und Du hast kein Wort des Trostes für mich, mein Geliebter, oder fühlst Du es, wie ich es fühle und trauerst auch du, dass unser Glück mit trüben Schleiern umhüllt ist?“ Da ermannte sich Adolf und mit zuversichtlicher Stimme antwortete er der Geliebten: „Ich will Dich nicht täuschen, liebe Laura, und ich darf es nicht, ich will Dir die Schwierigkeiten nicht verbergen und sie nicht verkleinern. Das wäre von mir nicht recht gehandelt, und auch nicht klug. Ich habe es längst erkannt, dass uns nicht so leicht eine glückliche Zukunft erblühen wird, aber ich vertraue getrost der Macht unserer Liebe, und ich bin überzeugt, dass ihr heller Strahl auch durch die dichtesten Schleier leuchten wird. Ich kann Dir nicht verhehlen, dass uns noch mancherlei Trübes bevorstehet, denn Du musst den Mut haben, es zu ertragen, wie in mir die sichere Überzeugung lebt, dass wir sie überwinden werden. Unsere Liebe ist ein reines göttliches Feuer, das Gott auf dem Altar unserer Seelen angezündet hat und an unserer Liebe festhalten und nicht davon ablassen, das heißt Gott verehren: Was vermögen dagegen Satzungen, die Menschen gemacht haben, welche Macht haben dagegen Vorurteile, die auf anerzogenen Irrtümern beruhen. Mein Vater ist glücklich in seinem Glauben und wird durch ihn beseligt, aber das Glück seiner Kinder ist ihm auch etwas wert, und er wird seine Gesinnungen zum Opfer bringen; Dein Vater liebt und schätzt mich, Du bist seine einzige Tochter, er wird also nachgeben, und unser Glück soll ihm beweisen, dass er wohl daran getan hat. Und selbst wenn es uns nicht gelänge, die Einwilligung unserer Eltern zu erlangen, so folgen wir dem Gebote unserer Liebe. Wir suchen uns jenseits des Meeres eine neue Vaterstadt, und wenn wir die Unserigen auch verlassen, werden wir sie deshalb nicht weniger lieben und nur bedauern, dass ihre Vorurteile stärker waren, als ihre Liebe. Sei also getrost, mein geliebtes Mädchen, Du kannst stark sein, wenn Du willst; so sei es! Was auch kommen mag, halte fest an unserer Liebe, sie sei Dir ein leuchtender Stern in dunkler Nacht, und sicher wird sie uns führen in den Hafen des Glückes.“ Laura war beruhigt, wenigstens für den Augenblick, der Geliebte war ihre Stütze, ihr Alles, freudig gelobten sie sich, auszuharren, und dem Schicksale mutig entgegen zu schreiten.

Adolf versprach schon in den nächsten Tagen mit seinem Vater zu reden, und da man sich nicht zu lange Zeit von den andern entfernen durfte, traten sie in den Garten, wo ihnen bald Benno mit Rahel begegneten. Da sie zusammen in das Familien-Zimmer zurückkehrten, war ihre Abwesenheit durchaus nicht aufgefallen. Übrigens fiel es Niemand ein, sie zu beobachten und so fehlte es ihnen in diesen Tagen nicht an Gelegenheit, sich allein zu sehen, wofür auch Rahel mit unermüdlicher Tätigkeit besorgt war.

Benno hatte in Adolf einen festen Charakter erkannt, und sich ihm mehr wie den Übrigen angeschlossen! Rahel zeigte sich nachsichtig gegen ihn, so war auch er an diesem Abende recht froh und heiter geworden. —
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Juden und Christen oder die Zivilehe. Band 1