Alfred Mombert von Martin Buber

Alfred Mombert von Martin Buber

Was Mombert zu einem Phänomen der Natur und des Geistes macht, ist, dass sich durch diesen „ späten“ Menschen eine Urkonzeption echt ausspricht, nicht als überkommener, vorgestellter, geäußerter Inhalt, sondern als die Gewalt, die Leben und Werk dieses Menschen trägt, der Grund, aus dem er wächst und dem er gehorcht. Da ist nicht Willkür und auch nicht Bekenntnis, da ist welthafte Notwendigkeit; nicht Wort, das man in den Mund nimmt, sondern Wort, dem man zum Munde dient. Dieser Dichter, der von dem Gesetz der dichterischen Überlieferung seines Schrifttums gelöst erscheint, ist nicht gesetzlos: er steht in dem Gesetz der Urkonzeption, die sich durch ihn ausspricht. Sie ist der Halt seiner Ekstasen und die Regel seiner Gesichte; sie befiehlt ihm die Bilder und die Klänge. Sie macht, dass sein Werk jenseits der heutigen Dichtung erscheint, gleicherweise der gestalthaften und der gestaltsprengenden — der ersten gegenüber in einer Unvollendung und Unvollendbarkeit von reiner Legitimität, der zweiten gegenüber in einer monumentalen Absolutheit. Es ist die Urkonzeption der Welt als Schöpfung: die Konzeption, dass die Welt geschaffen ist und geschaffen wird, und dass ihr Geschaffensein und Geschaffenwerden den im Menschen lebendigen Geist unmittelbar angeht. Es hatte den Anschein, sie sei im Getriebe der Religionen und Theologien, der Literaturen und Rhetoriken zerwalkt worden; Mombert bezeugt, dass sie Element geblieben ist.


Der „Urmensch“ erfährt die Welt als Schöpfung, nicht indem er Betrachtungen darüber anstellt, wer all die Dinge gemacht habe, sondern indem er in ungeheuren Erschütterungen, in Katastrophen der Seele seine eigene Urheberschaft erfährt. Wer das Werkzeug, das er gezimmert und oft gebraucht hatte, plötzlich sah; wer, der mit seinem artikulierten Ruf immer wieder die Gefährten zu einer bestimmten Haltung und Handlung bewegt hatte, es plötzlich merkte; wer, nachdem ihm vom Weibe Kind um Kind geboren war, plötzlich verstand, dass er sie gezeugt hatte: diese späten Menschen (denn wie viele Geschlechter mögen ihr Leben abgelebt haben, ehe sie es erkannten!), diese frühen Menschen (denn wie vielen Geschlechtern musste neu und neu das gleiche Erkennen widerfahren, bis es zu Wissen und Wissenserbe wurde!), erfuhren nicht sich, sondern die Welt. Es wäre intellektuelle Ausdeutung, hier von einer „Projektion“ oder gar von einem „Analogieschluss“ zu reden, als ob der solches Erfahrende sich sodann einen Gott aussänne und ihm den eignen Urhebertrieb und die eigne Urhebermacht beilegte; der Vorgang ist tiefer und einfacher, er hat den Charakter eines Näherkommens. Hinfort steht der Mensch im Zeichen des Schöpferischen, das ihn mit dem nun vertrauter gewordenen Gott verbindet. Der Mythus der Weltschöpfung in seiner mannigfachen Gestalt — Schöpfung durch ein Machen, durch ein Sagen, durch ein Zeugen — ist die Sprache dieses Grundverhältnisses. Das Dogma schematisiert das Bild des Schöpfergottes; die innere Lehre richtet immer wieder groß und lebendig das Selbstwissen des Menschen auf, dass er von Gottes Geschlecht und sein Genosse im Werk der Schöpfung ist. Jenes verkündet den vorweltlichen, diese äußert den ewigen Schöpfungsakt. Ihn meint die Kunst, wenn sie, urselten, an das Geheimnis des Anfangs rührt: aus der Selbsterfahrung der ewigen Schöpfung stammt die Bewegung des Schöpfergottes auf der Decke der Sislina.

Unser Zeitalter scheint vollends, über lauter Ent- und Abwicklung, der Gegenwart des creator spiritus entfremdet zu sein. Die Schöpfung ist zu einem Satz des Katechismus und das Schöpferische zu einer beliebten literarischen Metapher geworden. Darüber kann auch der sogenannte Expressionismus mit seinen Ausbrüchen psychologischer Lava nicht hinwegtäuschen. Mombert ragt einsam hervor als eine wahrhafte Kundgebung des Fortbestands.

„Kennst du den Übergang vom Er zum Ich?“

Dies ist in Momberts Werk das Grundmotiv, aus dem allein es zu verstehen ist. Dass die Einheit nicht gegeben ist — dass wir dem Geistwesen, das über den Wassern brütet, mit einem eigenen Geisthauch gegenübertreten — dass wir den Samen des Unfassbaren zeugerisch in uns tragen — dass das von urher Seiende sich im vergänglichen Werden ewig neu gebiert — und dass das Fünklein in seiner Selbsterfahrung solcher Unendlichkeit inne wird, dass es zum Urfeuer kaum noch Du sagen kann: aus dieser gelebten Unausdenkbarkeit entspringen diese — nicht mythischen, aber prämythischen — Dichtungen in all ihrer Macht und Ohnmacht. An ein Wort des Randes hat hier wieder einmal ein Mensch sein Äußerstes gewagt, ihm zum Mund zu werden, aus Notwendigkeit. Daraus kommt die Unvollkommenheit des Dichters und seine Größe.

Die Welt wird nicht. Die Welt wird getan. Wer so fühlt, wer so erkennt, in Unmittelbarkeit, dem wird aller Gegenstand zur Musik des Subjekts, und das Subjekt kann nicht unmittelbar genug sein. Ich tue dieses ungeheure Schaffen — auch das Gewahren der Dinge, unter den Flügeln der Fantasia, wird als ein Schaffen der Dinge gelebt — ist dies nicht das Schaffen der Welt? „Ich“ — aber das Ich des Einzelnen unter zahllosen Einzelnen ist entschwunden, hier spricht, nicht mehr geeinzelt, das Ich des Menschengeistes. Kein Abstraktum: das gelebte schöpferische, zeugerische Menschen-Ich: Aeon.

In drei Bildträumen, von denen jeder folgende den Vorgänger überwindet, versucht dieses Ich, der furchtbaren Ferne und Nähe des Schöpfergottes, den Schwingungen des „Übergangs“ standzuhalten.

Der eine Bildtraum ist: Erinnerung, — das Sich-Zurückwerfen in das Subjekt der Urschöpfung, aus unüberwindlich verharrender, dennoch überklungener Ferne. „Einst war hier nichts als mein Beruf. Heut lieg' ich körperlich in großen Träumen zwischen weißen Wogenschäumen und rede mit dem Licht, das ich erschuf.“ Das ist der Traum der Identität.

Der andere Bildtraum ist: Übernahme, die Fortbildung oder Umbildung der Schöpfung; am deutlichsten wohl in der Vision des Riesen unterm Sterngewölbe: Ich nahm sein Wort, ich nahm sein Licht und nahm dann, seine ganze Last auf meine Schultern.“ Das ist der Traum der Geschichte.

Aber der stärkste und lebendigste ist der Traum der Begegnung. „Erheb' ich: wach: die Hand zum Frühgruß: so lächelst du aus deiner Morgenröte.“

Im ersten der Träume versinkt das Ich im Er, von ihm Ich sagend. Aber da ist das Ich nur noch ein Gefühl.

Im zweiten geht Er ins Ich über. Aber da ist Er nur noch eine Vorstellung.

Im dritten allein heißt es, als von Wesen zu Wesen: Ich und Du.

So hat sich hier der Vorgang des Näherkommens vollzogen.

Die Welt wird getan. Wer des Geistes als ihres Täters in sich selber inne wird, inne werden kann: dem ist alle Natur in einer eigentümlichen Art erschlossen — und entzogen. Die harte Abgehobenheit der dinghaften Welt unseres disziplinierten Wachbewusstseins von der Wirbel well des Traums besteht für ihn nicht; der Bann, der die Dinge von uns weg in ihre festen Formen und an ihre sichern Orte wies, ist gelöst; ein mächtiger Gegenzauber des Aneinander- und Ineinanderdringens wirkt, die Welt möchte am Menschen vergehen, an dem „ wunderbaren Geist -Gewebe, das die vielen Welten eint und bindet“. Das Gesetz eines schöpferischen Traums, eines Traums also, der nicht geschähe, sondern getan würde, wird zum Gesetz der Schöpfung.

Der schöpferische Traum, in dem die Mächte nicht dinghaft stocken, sondern elementhaft wogen, überwindet die zuverlässige Welt der Individuation. Es ist hier, bei dem Dichter Mombert, nicht so, wie wir es in aller naturschauenden und naturdeutenden Dichtung der neuern Zeit im Abendland erfahren haben: dass sich die Wesen, Gestein, Gewächs und Getier, die Raumgestaltungen, Gebirg, Gewässer und Gestirn, in den Grenzen ihrer Einzelung und Einmaligkeit bleibend, verklären, dass also die Eiche des Gedichts nicht als „die“ sondern als diese, diese einzelne und einmalige, aber als diese eben doch verklärt sich offenbart; vielmehr sind hier die Wesen und die Gestaltungen Gefäße schwingender Mächte, von der ganzen Sinnlichkeit und Sinnenergebenheit des Traums, aber eben nicht geeinzelt sondern kosmisch, nicht einmalig sondern äonisch. lieber dieser Welt, die um den Preis der Welt erkauft ist, steht der Gottesname Schadai: „Der der Dämonen Waltende“.

Dämonen sind sie alle, die Spieler und Gegenspieler des ungeschriebenen und unschreibbaren Dramas, dessen Bruchstücke Momberts Gedichte sind, und auch die, welche sich nicht zu den Dämonen zählen. Wie immer sie heißen — der Erdriese, Asia, das Weib, das Meer — Dämonen sind sie alle, und alle, handelnd, leidend und singend eingetan in das eine große Spiel der Traum-Welt-Dämonie, welches das ewige Zwiegespräch, Dreigespräch — denn der Geist ist der Dritte — von Chaos und Kosmos umspielt. Und auch diese beiden, die „Frauen“, zwischen denen Aeon steht, die dunkle Ur-Frühe und die helle Tiona, sind Dämonen. Es sind nicht Götter. Götter sind nicht Mächte, sondern absolute Individuen, so einzeln und einmalig wie „ diese“ Eiche, aber bis in eine unwandelbar thronende Dauer hinein verklärt; sie sind unsterblich; sie sind nicht ewig. Dämonen sind sterblich aber ewig; denn sie sind Mächte. Fordere von ihnen nicht, dass sie dir ein götterhaft verklärtes Einzel-Wesens-Angesicht zeigen!

Ihr Spiel umspielt den Dialog von Chaos und Kosmos. Die Welt wird getan. Die Welt wird ewig getan. Nicht nur einst war Chaos und nicht nur jetzt ist Kosmos, wie nicht einst Mutter war und nicht jetzt Sohn ist. Sondern dass die Welt getan wird, meint ein ewiges Bewältigen, ein ewiges Einander-Bewältigen. Denn in jedem Kristall ist Chaos und in jeder Gärung ist Kosmos, als Gewalten. Jeder Leib fühlt alle seine Glieder in jedem Augenblick aus Urbrei werden und in ihn vergehen, und das Verhängnis Unvollendbarkeit, dem das uni grenzte Marmorbild trotzt, starrt aus eben dessen Zügen dem Bildner als das Verhängnis der Welt entgegen. In all der Ausgespanntheit des Raums und der Zeit wächst unendlichfaltig aus der heiligen Fülle die heilige Gestalt, versinkt — und dauert. Jede Sekunde jedes Atoms ist ein Schmelztiegel des ewigen Gießers Geist. Denn er ist der Täter der Welt. Er zeugt im Chaos, er formt am Kosmos, er spricht zwischen beiden sein Wort als der Dritte. Er liebt beide. Nicht als Feind gerungen hat er gegen den Abgrund, ehrfürchtig hat er ihn berührt und ist ihm obsiegend erlegen als ein Liebender, und erst als er in ihn eindrang, ward er seiner selbst gewahr. Nicht kann er sich von ihm weg ganz zur Vollendung wenden; wenn er sich an sie verlöre, an die Herrlichkeit des Gewordenen, wäre es um seine ewige Tat geschehen. Er „will nicht verseligen; will nicht verstirnen. Zeugen will er.“ Darum trägt in der Welt des Dichters Mombert jedes Weib als Sinn-Bild die Zeichen beider; jedes ist Urschoß und Verheißung der Gestalt, jedes Tänzerin des Chaos und aber dessen Blüte.

Ob aber auch in jedem Augenblick der Kosmos geboren wird: die Tatsache, dass der Mensch und die von ihm vorstellbaren Wesen in einer einlinig, in Einer Richtung verlaufenden Zeit (deren Gleichnis das einzelne Leben mit seiner Bewegung von der Geburt auf den Tod hin ist) wohnen, spannt die Urkonzeption der Welt als Schöpfung in die Form der Geschichte. An ihren Rändern stehen das Geheimnis des Anfangs — die große Tiefe unter dem Anhauch des Geistes — und das Geheimnis des Endes — die Vollendung der Welt aus dem Geist. Zwischen diesen Geheimnissen, von Erinnerung fies Gedächtnislosen und Ahnung des vom Gedanken nicht Vorwegzunehmenden umwittert, geschehen die Taten des Geistes, dem zu dienen und zu opfern, den zu tragen und zu dem als zu seinem ewigen Selbst sich zu bekennen der Mensch berufen ist.

Es ist bedeutend an Mombert, dass er die Geschichte des Menschengeistes unauslötbar in die Geschichte des Weltgeistes eingefügt schaut, in einer stolzen Demut. Der Geist spricht: „So fielen einst die Völker von mir ab. So verrieten mich einmal die Meerwogen. So verließen mich frühe Gestirne.“ Und: „Um meinen Scheitel spielten Weltschöpfungen, in meiner Herz-Höhle harfte die Zeit“. Der Geist, der in der Geschichte des Menschen waltet, der Geist-Befreier, der Völker zeugt, sie in den Kampf um ihr Freiwerden, ihr Selbstwerden führt, der in ihrem Zusammenklang tönt und in ihrem Untergang stirbt und aufersteht, entdeckt sich als jenem wesensgleich, der den Gürtel des Chaos löste. Fantasia kommt zu ihm als Lockung, aber auch als Mahnung aus dem All. Und die Mutter der Völker spricht zu ihm: „Alle leben sie in dir. Du hast sie ausgeströmt in deinen Gezeiten, und hast sie wieder zurückgeschlürft.“

Geschichte ist. Und Geschichte ist Schöpfung.

In der Zeitlichkeit ist Schöpfung Tragödie. Aeons Gefährte „im furchtbaren Spiel“, sein Schatten-Geist, ist „der Zertrümmerte“, dem das ganze Grauen, aus dem die Taten der Geschichte aufsteigen, aufs Haupt gehäuft wird, wie die Sünden Israels dem Bock des Asasael aufgeladen wurden. Und Aeons Werk selber scheitert auf der Erde. Das „neue Volk“, das er ersehnt, wird nicht geboren. In großer Stunde, am Ende eines Weltalters, sterben die Völker und er ihnen nach. Aber aus dem Sterbenden steigt der Geist in neuer Gestalt auf, Sfaira, „die Freude des Menschen“, und fragt: „Was ist's mit dem Menschen? Hat er ein Ziel? Soll ich an ihm weiterschaffen auf diesem Stern?“ Und wie eine Antwort erklingt es aus anderm Gedicht: „Selige Welt-Jugend! Die alte erloschene granitene Himalaja-Welt: ersetzt ein Hauch aus Geist.“ Und wieder: „Dann werden Blumen blühen, wie noch keine. Dann kommt ein großer Frühling über die Welt. Dann werden Menschen blühen, wie noch keine.“

Zukunft ist. Und auch Zukunft ist Schöpfung: an der die Tragödie der Schöpfung sich zum Mysterium löst. Sie verkündend gehorcht der Dichter dem Gesetz der Urkonzeption, die sich durch ihn ausspricht. Denn beide Bilder: schöpferischer Ursprung im Anfang der Zeit, schöpferische Erlösung in ihrem Ende, sind die zwei Seiten eines Gottgewands, von Einem Geist gewoben; dessen sinaitischer Stimme die Stimme widertönt, die in Momberts Gedicht den „großen Frühling“ ansagt, da sie mit den Worten endet: „Deum sempiternum omniscium onnipotentem a tergo vidi et obstupui.“


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Juden in der deutschen Literatur