Moritz Becker

Geheimer Kommerzienrat Moritz Becker

Bis zum Jahre 1860 wurde der Bernstein dort, wo er hauptsächlich vorkommt, im nördlichen Teile Ostpreußens, auf die primitivste Weise, und zwar durch Lesen am Strande, Schöpfen aus der Brandung, Stechen vom Meeresgrund und durch kleine oberflächliche Grabungen an den Uferbergen gewonnen. Erst dem Geheimen Kommerzienrat Moritz Becker war es vorbehalten, da grandiosen Wandel zu schaffen.


Aus ganz kleinen Verhältnissen stammend — er wurde am 1. Mai 1830 als Sohn unbemittelter Eltern in Danzig geboren — wandte er frühzeitig sein Interesse der Gewinnung des Bernsteins zu. Gleich seine ersten ausgedehnten Versuche auf der östlichen Seite des Kurischen Haffs in der Nähe von Prökuls waren trotz der von der Regierung gemachten Schwierigkeiten und des hohen Pachtzinses von größerem Erfolge gekrönt.

Das Hauptverdienst Beckers liegt aber in jenen Unternehmungen, in denen er bahnbrechend wirkte. So zunächst darin, dass er an Stelle des Fischernetzes die Baggerei treten ließ. Mit drei Handbaggern fing man an, um zu einer stets wachsenden Zahl von Dampfbaggern fortzuschreiten. Ein Hafen zur Aufnahme der Baggerflotille und eine Schiffswerft für Baggerreparaturen wurden angelegt. Überhaupt tat sich neben dem Dörfchen Schwarzort ein großartiges industrielles Etablissement auf.

Eine zweite Umwälzung, die Becker veranlasste, geschah dadurch, dass er den Übergang vom Stechen zur Taucherei realisierte. In Brüsterort entstand ein ansehnliches Etablissement, Wohnungen für Taucher und Beamte, Werkstätten zur Herstellung und Renovierung der Taucheranzüge usw. Die ersten Taucher wurden aus Frankreich herangezogen, später wurden einheimische Litauer im Tauchen ausgebildet.

Bei dem Graben nach Bernstein in offener Grube am Strande in den Uferbergen hatte man sich ursprünglich begnügt, die zufällig entdeckten „Nester“ auszuheben. Später ging man planmäßig daran, den Seeberg bis zur Schicht der „blauen Erde", dem eigentlichen Sitz des Bernsteins, abzutragen und die „blaue Erde“ nach Bernstein zu durchsuchen. Aber der reiche Gewinn floss in die Taschen von Leuten, die den armen Strandbewohnern Geld liehen. Erst als Becker das Recht erhielt, am Strande von Warnicken zu graben, änderte sich die ganze Situation. Der Betrieb nahm große Dimensionen an, und die Strandbevölkerung hatte davon den Vorteil geordneter und gesicherter Verhältnisse.

Den Höhepunkt der Tätigkeit Beckers bedeutet die 1874 begonnene Anlage eines regulären bergmännischen Bernsteinabbaues in Palmnicken. Durch Unterfahren der gefährlichsten wasserführenden Schichten, gelang der Bau hier so, dass bereits 1875 die Bernsteinerde in Strecken gewonnen und durch Schachte zutage gefördert werden konnte. In Palmnicken erwuchs jetzt ein großartiges industrielles Etablissement — gewaltige Maschinenräume entstanden, Arbeiterwohnhäuser wurden erbaut. Eine Fabrik zur Gewinnung des Bernstein-Kolophoniums (geschmolzener Bernstein), das für die Lackfabrikation wichtig ist, wurde errichtet und zur Kohlenherbeischaffung eine Eisenbahn gebaut, die nun übrigens auch der dortigen Landwirtschaft zugute kommt.

Auch den für den Bernsteinhandel hinderlichen Umstand, dass der Bernstein zumeist von einer dicken Rinde umgeben ist, wusste Becker durch seine Tatkraft und Ausdauer zu besiegen. Es wurden langwierige und teure Versuche angestellt, die endlich zur Erfindung von Maschinen zur Befreiung des Bernsteins von seiner Rinde führten.

Bei so rationeller Arbeit wurde natürlich eine solche Menge Rohbernstein in einem Jahre zutage gefördert, wie man mit anderen Mitteln und auf anderem Wege kaum in 25 Jahren erhalten hatte. Aber doch hatten sich die anderen kleineren Betriebe noch nicht ganz zurückgezogen und so bot sich der Begabung Beckers ein neues, gewaltiges Betätigungsfeld. Es galt jetzt einer Überproduktion vorzubeugen, neue Absatzgebiete zu schaffen, besonders aber die solange vorhandenen Preisschwankungen aufzuheben. Zu diesem Zwecke schuf er ein bis ins einzelne ausgearbeitetes Sortiment von Rohbernstein in 52 Arten. Der Preis derselben wurde festgesetzt, so dass es auch dem kleinen Fabrikanten möglich wurde sich mit geringen Mitteln ein genau kalkuliertes Lager einzurichten. Die Produktion stieg um das fünffache. Filialen wurden in allen Ländern von der Firma errichtet, elegante Verkaufslokale in Großstädten eröffnet, und so die Aufmerksamkeit auf den Bernstein, der nun Mode wurde, gelenkt.

Als in Wien das Ambroid, eine aus Bernsteinabfällen durch Pressung hergestellte Bernstein-Imitation, erfunden wurde, entstand daraus eine Gefahr für den Handel und die Industrie des echten Bernsteins. Solange das Ambroid nur zur Fabrikation großer Zigarrenspitzen diente, hatte Becker selbst das nötige Rohmaterial geliefert. Als es aber in immer größerem Maße auch für die Herstellung kleinerer Spitzen verlangt wurde, sah er sich gezwungen, gegen den Weiterverkauf seines Rohbernsteins an die Fabrikanten des Pressbernsteins mit Reversen und Konventionalstrafen vorzugehen. Wegen dieser notwendigen Maßnahmen musste er sich viele Vorwürfe gefallen lassen, wie er ja überhaupt von gewisser Seite gern angegriffen wurde. Dies wohl zum

Danke für das gewaltige Werk, das er mit ungeheurer Ausdauer und Tatkraft, mit ewig wachsamer Begabung und in wirklich harter Arbeit errichtete.

Wie enorm der Aufschwung der Bernsteinindustrie durch die Tätigkeit Moritz Beckers war, geht auch aus der Steigung der Pachtverträge hervor, die der Fiskus für das Recht der Gewinnung erhielt.

Der Fiskus hatte bei der früheren, primitiven Betriebsweise in der Zeit von 1815 bis 1860 durchschnittlich 34.000 Mark jährlich bezogen.

Von 1861 an aber erhielt der Fiskus allein von dem Beckerschen Betriebe folgende Jahresbeiträge:

1862 — 1871 93.000 Mark
1872 — 1881 472.000 Mark
1882 — 1891 670.000 Mark
1892 — 1898 660.000 Mark

Bezeichnend ist auch der Umstand, dass es gegen Ende der achtziger Jahre in ganz Ostpreußen kein größeres industrielles Unternehmen gab, als das Beckersche. Er beschäftigte damals gegen 2.000 Arbeiter.

Becker hat sich auch für die wissenschaftliche Seite des Bernsteins interessiert. Er übergab die geeigneten Funde seiner Produktion wissenschaftlicher Bearbeitung und brachte so im Laufe der Jahre mit erheblichen Kosten ein einzigartiges Bernstein-Museum zusammen.

Vor dem am 26. August 1901 erfolgten Tode Beckers erwarb der preußische Staat das ganze Unternehmen und das Museum.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Juden als Erfinder und Entdecker