Geh. Baurat Dr. Emil Rathenau

Geheimer Baurat Dr. Emil Rathenau

Emil Rathenau wurde am 11. Dezember 1838 in Berlin geboren, besuchte das Gymnasium und arbeitete danach viereinhalb Jahre als einfacher Maschinenbauer. Durch eine kleine Erbschaft wurde ihm das technische Hochschulstudium ermöglicht. Als Ingenieur arbeitete er nun einige Jahre in großen Unternehmungen, Ein Versuch mit einer Maschinenfabrik genügte seinem weitausgreifenden Geiste nicht. Er verkaufte sie bald wieder und verbrachte, mehr als dreißigjährig, die folgenden zehn Jahre mit dem Studium der Verhältnisse und dem Suchen nach einem ihn befriedigenden Unternehmen. Er erkannte, dass nach dem Beispiel Amerikas auch für Europa die Zeit gekommen sei, die Handarbeit immer mehr durch Maschinenarbeit zu ersetzen. Bei der Weltausstellung in Philadelphia wieder empfing er die Anregung, das Telefon zu verwerten. Anfangs wurde ihm die Konzession zur Errichtung einer Berliner Telefonzentrale verweigert und auch Generalpostmeister Stephan hielt nichts von der Sache. Später wandte er sich selbst an Rathenau, dass er das Telefon auf Reichskosten in den Postdienst einführe. Rathenau nahm an.


Inzwischen hatte sich aber Rathenau mit dem Wesen der elektrischen Industrie vertraut gemacht und den Plan gefasst, Edisons neues Beleuchtungssystem praktisch in Deutschland durchzuführen. Bei der Vorsicht des Kapitals musste er sich zunächst mit Gründung einer Studiengesellschaft begnügen. Als Beleuchtungsproben bei verschiedenen Gelegenheiten günstige Erfolge aufwiesen, konnte 1883 die „Deutsche Edison-Gesellschaft für angewandte Elektrizität'' gegründet werden und Rathenau wurde ihr Direktor. Von jetzt ab kann man die Geschichte dieser Gesellschaft und dadurch der deutschen Elektrizitätsindustrie überhaupt fast mit der seinigen identifizieren. Im Jahre 1887 wurde der Name der Gesellschaft in „Allgemeine Elektrizitäts-Aktiengesellschaft" umgewandelt. Da der Betrieb sich anfangs recht mäßig entwickelte — elektrische Beleuchtung galt ja noch als Luxus — beschloss Rathenau, den Großkonsum selbst zu schaffen. Er gründete daher im Jahre 1887 die Städtischen Elektrizitätswerke in Berlin (ab 1887 Berliner Elektrizitätswerke), die alle Maschinen, Materialien usw. von der A. E. G. zu kaufen verpflichtet waren, (Die B. E. W., die mit 3 Millionen gegründet wurden, sind heute im Besitze von Anlagen, die einen Wert von zirka 120 Millionen Mark repräsentieren. Die Stadt Berlin, die im Jahre 1888/1889 von den B. E.W. 15.000 Mark Gewinnanteil bezog, bezieht heute mehr als 6 Millionen von ihnen.)

Die „Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft" dehnte ihre Tätigkeit bald auf ganz Deutschland und das Ausland aus, indem sie allenthalben eine unübersehbare Reihe von Licht- und Kraftwerken schufen, alle darauf berechnet, erst den Konsum hervorzubringen. Außerdem arbeitete sie systematisch daran, der Elektrizität auch andere Gebiete zu eröffnen.

Langsam aber durchgreifend wurden die Straßenbahnen elektrifiziert. Und schließlich sah sich Rathenau auch mit seinem dritten Programmpunkte, wenn man so sagen darf, am Ziele: Auch die elektrische Kraftübertragung setzte sich überall durch.

In seinen ersten Zeiten hatte es Rathenau für das klügste gehalten, sich mit der älteren und vor Konzessions- und Finanzierungsgeschäften zurückschreckenden Firma Siemens und Halske dahin auseinanderzusetzen, dass er ihr im großen und ganzen die Fabrikation überließ, während er die A. E. G. auf die Erwerbung von Konzessionen und auf die Ausführung von Bauten auf eigene Rechnung beschränkte. Dieser Vertrag wurde 1897 aufgehoben und nun entwickelte sich die Fabrikation der A. E. G. immer mehr und mehr, so dass sie heute die größte in Deutschland ist. Die Gewinne aus der Fabrikation ermöglichten die Ausdehnung der Gesellschaft auf immer mehr Unternehmungen in ganz Europa, was nun natürlich wieder der Fabrikation zugute kam.

Im Jahre 1895 gründete die A. E. G. die „Bank für elektrische Unternehmungen" in Zürich, die ihr die Sorge um die Finanzierungen abzunehmen hatte. Die 1897 gegründete „Elektrizitäts-Lieferungs-Gesellschaft" besorgte die betriebliche Leitung und Kontrolle der zum Konzern der Gesellschaft gehörigen Unternehmungen. 1902 erfolgte die Fusion mit der Löweschen „Union“-Elektrizitäts-Gesellschaft, 1910 mit dem Konzern der Felten-Guilleauma-Lahmeyer-Werke.

Die „Edison-Gesellschaft" war mit 5 Millionen gegründet worden. Den heutigen A. E. G.-Konzern kann man auf 3 bis 4 Milliarden schätzen.

Das Eigentümliche von Rathenaus Begabung liegt in der Vereinigung kaufmännischer Diplomatie, leidenschaftlicher Beharrlichkeit im Verfolgen seiner Ziele und absoluter Sicherheit im Voraussehen technischer und anderer Erfolge. Gerade diese letztere Eigenschaft ist die für ihn bezeichnendste. Während der Generalpostmeister Stephan anfangs meinte, dass eine Berliner Telefonzentrale höchstens 23 Abonnenten haben würde, sah Rathenau die wirkliche Entwicklung des Berliner Telefonnetzes voraus. Und als Professor Slaby, in einem Maschinenraum Rathenaus bewundernd ausrief: „Die Lichtzentrale des kommenden Jahrhunderts!“, berichtigte er ihn mit den Worten: „O nein! Wie verkennen Sie den unersättlichen Elektrizitätshunger der Menschheit, der in wenigen Jahren sich einstellen wird. Statt dieser Kellerräume mit ihrem ohrenbetäubenden Lärm sehe ich hohe, luftige Riesenhallen mit vieltausendpferdigen Maschinen, die automatisch und geräuschlos Millionenstädte mit Licht und Kraft versorgen. Zuvor haben wir den Maschinenbau für diese Leistungen zu erziehen.“

Das Verdienst Rathenaus aber besteht darin, dass er der Hauptträger dieser gewaltigen, von ihm vorausgesehenen Entwicklung, dass er nicht nur ihr Apostel, sondern auch ihr Erfüller war.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Juden als Erfinder und Entdecker
Rathenau, Emil (1838-1915) Maschinenbauingeneur und Unternehmer, Gründer der AEG

Rathenau, Emil (1838-1915) Maschinenbauingeneur und Unternehmer, Gründer der AEG

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