Professor Ferdinand Cohn und Professor Nathaniel Pringsheim

Professor Ferdinand Cohn und Professor Nathaniel Pringsheim

Auch das schwierige Gebiet der Botanik, besonders der in der neueren Zeit erst ausgebaute systematisch-spezielle Teil, hat zwei jüdischen Forschern Gelegenheit gegeben, ihren Geist und ihre Energie in gleich bedeutender Weise zu beweisen. Die Namen des berühmten Breslauer Botanikers Ferdinand Cohn und des Berliner Gelehrten Nathaniel Pringsheim werden in der Geschichte der Botanik unvergessen bleiben, da ihre Arbeiten und Forschungen grundlegend für den weiteren Fortschritt auf diesem Gebiete der exakten Wissenschaften war. Beide von Geburt Schlesier — Pringsheim wurde 1823 zu Wziesko bei Landsberg, Cohn 1828 zu Breslau geboren — studierten sie Naturwissenschaften, Pringsheim erst Medizin, und habilitierten sich fast zu gleicher Zeit. Während Cohn 1851 Privatdozent, 1859 außerordentlicher, 1872 ordentlicher Professor an der Breslauer Universität wurde, ließ Pringsheim sich 1851 in Berlin nieder, wurde 1858 zum Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften ernannt und folgte 1864 einem Rufe als Professor der Botanik nach Jena. 1868 kehrte er wieder nach Berlin zurück. Hier lebte er bis zu seinem 1884 erfolgten Tode. Cohn, der seine Lehrtätigkeit nur in Breslau ausübte, überlebte seinen großen Kollegen um 14 Jahre. Er starb 1898 in Breslau.


Soweit der äußere Entwicklungsgang der beiden größten Botaniker des 19. Jahrhunderts. Wenn man ihre Arbeiten Professor Ferdinand Cohn und Professor Nathaniel Pringsheim betrachtet, so ist ihr gemeinsames Verdienst die Gründung von pflanzen-physiologischen Instituten, deren Entstehen in Breslau und Berlin wohl sicher in nahem Zusammenhange stehen. Aber auch das Gebiet, auf welchem beide ihre bedeutendsten Entdeckungen machten, ist das gleiche: die Sexualität der Pflanzen.

Cohn, der sich mehr der Biologie der Bakterien widmete, erkannte 1854 die Verwandtschaft dieser und der Vibrionen mit den Oszillarien und den Chrookokkazeen, was von großer Tragweite war, da Robert Koch, der Begründer der eigentlichen Bakteriologie, auf diesen Arbeiten seines Lehrers fußte. Die Forschungen Cohns, die sich größtenteils auf die Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pilze und niederen Algen bezogen, bedeuteten einen gewaltigen Fortschritt in der botanischen Wissenschaft. Das bis dahin bestehende System der Schyzomyceten (Spaltpilze) wurde umgestürzt und eine neue, nach anderen Gesichtspunkten hergestellte Einteilung eingeführt. Und während man bis dahin angenommen hatte, dass Spaltpilze, Mikrokokken, Bakterien, Bazillen usw. Repräsentanten eigener Gattungen seien, erbrachten die Untersuchungen Cohns den Beweis, dass man es bei diesen verschiedenen Formen nur mit verschiedenen Lebenszuständen eines und desselben Spaltpilzes zu tun habe. Das war etwas ganz Neues in der Biologie der Bakterien. Auch gab der unermüdliche Forscher bald eine Systematik dieser Lebewesen heraus, die ebenso grundlegend für die Bakteriologie wurde, wie seine später erschienenen „Untersuchungen über die Organisation der Infusorien und Rädertierchen" für die Beziehungen zwischen Botanik und Zoologie.

Ähnlich aufsehenerregend waren die Entdeckungen des anderen großen Botanikers Pringsheim. Auch er beschäftigte sich eingehend mit den Algen und beobachtete neue Erscheinungen bei der Befruchtung und Keimung dieser niedrigsten Gewächse. Der Entdeckung der Sexualität bei diesen Pflanzen und der Beschreibung des betreffenden Zeugungsaktes verdankte er seine Ernennung zum Mitglied der Königlichen Akademie, und in dieser Entdeckung liegt wohl auch seine Hauptbedeutung. Bis dahin hatten alle Botaniker die Anschauung vertreten, dass sich die niederen Algen, eine Gruppe der Thallophyten (Laub- oder Lagerpflanzen), auf ungeschlechtliche Art, durch Sporen, fortpflanzen. Nun aber war festgestellt, dass auch bei diesen niederen Gewächsen Geschlechtsorgane vorhanden sind und dass die Art dieser Organe bei den verschiedenen Ordnungen verschieden ausgebildet, bald sehr entwickelt, bald sehr primitiv sind, bis zur einfachsten überhaupt denkbaren sexuellen Form herab, der sogenannten Kopulation oder Paarung von Sporen, wo Männliches und Weibliches nicht mehr zu unterscheiden ist. Diesen für die Wissenschaft hochbedeutenden Beobachtungen Pringsheims steht fast gleichwertig zur Seite die neue Theorie, die er über den Zweck des Chlorophylls und die Wirkung des Lichtes auf die Pflanze aufstellte. Das Pflanzengrün, welches in der lebenden Pflanze, an Teile des Protoplasmas gebunden, in Gestalt der Chlorophyllkörner vorkommt, ist nach dieser neuen Theorie als Schutzvorkehrung gegen die verschiedenen Einflüsse des Lichtes anzusehen. Pringsheims Untersuchungen über die Wirkung des Lichtes auf Pflanzen ergaben die heute fast allgemein bekannte Tatsache, dass Pflanzenteile, die durch Entziehung von Licht etioliert, d. h. gelb geworden sind, nach wenigen Tagen wieder ergrünen, das Etiolin also wieder in Chlorophyll übergeht. Dabei untersuchte er den verschiedenen Einfluss der farbigen Lichtstrahlen und erkannte, dass das Ergrünen am schnellsten bei mittlerer Lichtintensität erfolgte, dass bei konzentriertem Sonnenlichte der
Chlorophyllfarbstoff zerstört wurde und dass die Regeneration bei hoher Lichtintensität schneller in den stärker brechbaren Strahlen (blau, violett), bei geringer Intensität schneller in den schwächer brechbaren Strahlen erfolgte.

Die Entdeckungen Cohns und Pringisheims, von denen die des letzteren ja eigentlich mehr wissenschaftliches Interesse erfordern, führten zur Begründung der modernen mikroskopisch-botanischen Technik, wie sie heute noch in allen botanischen Instituten angewendet wird. Die Namen der beiden jüdischen Gelehrten werden mit ihren Entdeckungen stets eng verknüpft bleiben.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Juden als Erfinder und Entdecker