Philipp Reiss und Ernst Berliner

Philipp Reiss und Emil Berliner

Auch das Telefon, dieses wichtige Verkehrsmittel der Kulturwelt, ist, wie jetzt allgemein zugestanden wird, die Erfindung eines Juden. Lange Jahre sah man den Amerikaner Bell für den Erfinder an, jetzt steht es jedoch fest, dass der deutsche Jude Philipp Reiss zuerst den glücklichen Versuch gemacht hat, Schallwellen auf elektrischem Wege zu übertragen.


Im Jahre 1834, nach anderen 1837, zu Gelnhausen geboren, wurde Reiss, dessen Eltern nicht in guten Verhältnissen lebten in die Erziehungsanstalt zu Friedrichsdorf bei Homburg und mit 16 Jahren in ein Färb Warengeschäft zu Frankfurt a. M. gegeben, bereitete sich jedoch autodidaktisch zum Lehrerberuf vor. Nach Absolvierung seiner Militärzeit erhielt er auch 1858 eine Anstellung am Knaben-Erziehungsinstitut zu Friedrichsdorf bei Frankfurt a. M. Schon 1852 hatte er seine ersten Versuche über Gehörwerkzeuge gemacht. Jetzt gelang es ihm, einen Apparat zu erfinden, mit welchem man die Funktionen der Gehörorgane, soweit sie damals bekannt waren, anschaulich machen konnte. Von der damals üblichen, heute als falsch erkannten Ansicht ausgehend, dass das menschliche Ohr den Schall durch den Gehörgang aufnimmt, dem Trommelfell zuleitet und so dieses in Schwingungen versetzt, baute er bei dem ersten Apparat analog der Ohrmuschel eine muschelförmige Aufnahmevorrichtung, durch welche der Schall auf eine, dem Trommelfell entsprechende Membran geleitet wurde. Diese war mit einem elektrischen Pol verbunden und trug ein mit einem feinen Stifte versehenes federndes Blättchen, welches mit dem anderen Pol verbunden war. In dem Stromkreis war der Empfänger, der aus einer von einer Spule umgebenen und auf einem Resonanzkasten stehenden Nadel bestand. Wenn sich nun durch die Schallschwingungen die Membran bewegte und somit der Strom zeitweise geöffnet und geschlossen wurde, musste die Nadel bei Schließung des Stromes magnetisch werden, bei Öffnung den Magnetismus verlieren. Dadurch geriet sie selbst in Schwingungen, die nun als Schallschwingungen hörbar waren.

Diesen Apparat führte Reiss in einer Vorlesung der Frankfurter Physikalischen Gesellschaft vor und wiederholte seine Ausführungen auf der Naturforscherversammlung zu Gießen 1864, wo er sich jedoch infolge des feindlichen Entgegentretens Poggendorfs keine Geltung verschaffen konnte. In der folgenden Zeit hatte der in seinen Hoffnungen getäuschte Erfinder wegen eines körperlichen Leidens keine Gelegenheit, irgendwelche Schritte zur Ausbeutung seiner Idee zu unternehmen, und so geriet die Erfindung in Vergessenheit, obwohl sie bereits in wissenschaftlichen und populären Physikbüchern Eingang gefunden hatte. Erst später, als Graham Bell, der allerdings viel für die Verbesserungen getan hat, auch die Priorität der Erfindung beanspruchte, dachte man wieder an den inzwischen 1874 verstorbenen Reiss und zollte seinem für die Kulturwelt so hochbedeutenden Werke die gebührende Achtung. 1878 errichtete die Physikalische Gesellschaft dem genialen Erfinder auf dem Friedrichsdorfer Friedhofe ein Denkmal und die Regierung zeigte sich erkenntlich, indem sie der Witwe und der Tochter des im Leben Verkannten ein jährliches Gehalt bewilligte.

Auch die wichtigste Verbesserung, welche das moderne Telefon aufweist, ist, wie sich in den letzten Jahren gezeigt hat, das Werk eines Juden; die Erfindung des Mikrophons, ohne das man heute das Telefon fast gar nicht mehr findet, ist Emil Berliner zuzuschreiben. Er wurde 1851 zu Hannover geboren, besuchte die Schule seiner Geburtsstadt und die Samson-Schule zu Wolfenbüttel bis 1865 und wanderte 1870 nach Amerika aus, wo er seit 1882 in Washington lebt. Er erfand mehrere Apparate, u. a. auch das Grammophon. Seine wichtigste Leistung jedoch ist das Mikrophon, der Apparat, welcher Schallschwingungen in Schwingungen eines elektrischen Stroms umsetzt. Zwar machte der Amerikaner Hughs 1878 den Anspruch auf diese Erfindung geltend, aber das amerikanische Patentamt sprach die Priorität dem jüdischen Ingenieur Berliner zu. Auch in der Anordnung der beiden Erfindungen, von denen jedenfalls beide unabhängig voneinander gemacht worden sind, besteht ein Unterschied. Während aus dem von Hughs konstruierten Apparate die Klasse der sogenannten Kohlenwalzenmikrophone hervorging, sind die sowohl einfacheren wie empfindlicheren und daher gebräuchlicheren Kohlenkleinmikrophone eine Folge der Berlinerschen Erfindung. Der Apparat selbst besteht aus einer Schallplatte, gegen welche die Schallwellen der gesprochenen Worte schlagen, und mehreren Kohlenstäbchen, die mit der Platte und untereinander in Verbindung stehen. An der Berührungsstelle der Kohlenstückchen findet der Strom den sogenannten mikrophonischen Kontakt, einen Übergangswiderstand, der gemäß dem Druck, der auf den Kohlenstückchen lastet, größer oder kleiner ist. Durch die die Schallplatte treffenden Wellen werden nun auch die Kohlenstückchen in Schwingungen versetzt, wobei Druckänderung auftritt, die sich wiederum in einer Widerstandsänderung des mikrophonischen Kontakts äußert, so dass der Strom jetzt die gleichen Schwingungen macht wie die Schallplatte. Das ist der Zweck des Apparats ; denn dadurch, dass mikrophonisch wirksame Berührungsstellen geschaffen werden, werden die Töne des Telefons, mit welchen das Mikrophon verbunden wird, wesentlich verstärkt und über weitere Strecken getragen. Berliner modifizierte seine Erfindung dann derart, dass er statt der Kohlenwalzen und Platten Kohlenkörner oder Kohlenkugeln oder Pulver verwendete, damit recht viele Berührungspunkte vorhanden seien und eine größere Empfindlichkeit erreicht werde. Besonderen Wert legte er darauf, dass die Kohlenkörner gleichmäßig und ohne Druck über die ganze Fläche der Kontaktstücke verteilt wurden und konstruierte den „Berliner-Transmitter“, bei dem dieses Resultat durch eine horizontale Anordnung der Schallplatte, oberhalb welcher das Kohlenpulver ruht, erreicht wird. Heute ist die Technik und Einrichtung der Mikrophone zwar eine sehr verschiedenartige, jedoch ist das von Berliner betonte Prinzip, dass mindestens ein Kontaktteil aus Kohle sein muss, wesentlich geblieben.

Dass Berliner auch den „sprechenden Kondensator" erfunden hat, ist wenig bekannt. Es ist dies ein aus Staniol und Seidenblättern bestehender Kondensator, den man hochgespannt ladet und von einem durch ein Mikrophon erzeugten Sprechwechselstrom durchfließen lässt. Die zwischen den Staniolblättern wirksame elektrostatische Anziehungskraft erfährt periodische Änderungen, welche sich im Ausdehnen und Zusammenziehen des Kondensators und weiterhin in Schwingungen und Sprechlauten äußert. Allerdings kommt diesem Apparate, wie manchen anderen Versuchen dieser Art, technische und praktische Bedeutung noch nicht zu; in physikalisch-wissenschaftlicher Hinsicht ist er jedoch von großem Interesse, und wird vielleicht die Grundlage für manche noch im Ungewissen schwebende Erfindung abgeben.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Juden als Erfinder und Entdecker