I. Juden als Erfinder und Entdecker auf dem Gebiete der exakten Wissenschaften und ihrer praktischen Anwendung.

Unsere Zeit ist anspruchsvoller als die früheren. Man begnügt sich nicht mehr mit schlichten Wahrheiten und groben Unwahrheiten. Man will die ersteren recht verwickelt und die zweiten recht verfeinert hören. Und so kommt es, daß man sich heute nicht nur mehr als je von jenen einfachen Grundlinien der Lebens- und Gottesweisheit entfernt, die das Judentum gezogen hat, sondern im Kampfe gegen die Juden sozusagen wählerischer in den Argumenten ist. Ehedem genügte es, den Juden ihr trotziges Beharren im angestammten Glauben und Volke vorzuwerfen, oder ihnen ein paar ganz schlimme verbrecherische Neigungen anzudichten, um die praktische Ablehnung der Juden vor sich und den andern zu rechtfertigen. Jetzt macht man sich die Sache nicht mehr so leicht, sucht vielmehr mit heißem Bemühen in Rasse und Geschichte der Juden herum, um ihre angeborene und durchgreifende Minderwertigkeit zu beweisen und deren Wesen zu erklären. Und wer sucht, der findet. So wurde eine ganze Reihe von mehr oder minder interessanten Theorien geschaffen.

Unter diesen nimmt die Lehre von dem völligen Mangel der Juden an genialen Menschen wohl den ersten Rang ein. Dies schon deshalb, weil sie mit großem Raffinement am weitesten zielt. Man muss sich nur vorstellen, was das heißt, den Juden sei zwar eine über die weitesten Schichten des Volkes verbreitete mittelmäßige Intelligenz eigen, das Genie aber sei ihnen versagt. Das bedeutet doch nicht weniger, als daß sie den letzten und eigentlichsten Stempel der menschlichen Gottähnlichkeit nicht tragen; daß sie, das einzige unter allen Kulturvölkern der Vergangenheit und Gegenwart, in einer Art geistiger Sackgasse leben, aus der sie niemals herauskönnen.


Um imstande zu sein, dieser ungeheuerlichen Behauptung zu begegnen, müssen wir vor allem zu deutlichen Vorstellungen darüber kommen, was als Genie anzusprechen ist. Darüber gibt es nun eine ganze Menge von Meinungen. Doch scheinen sie alle im letzten Grunde darin übereinzustimmen, daß sich der geniale Mensch in der Weise kundgibt, wie er an die Dinge, die er beobachten, erforschen, bearbeiten, gestalten will, herantritt; daß ihn eine Art geistigen Hinübergreifens nach einem Punkte hin, wohin er mit normalen Geistesschritten überhaupt nicht oder wenigstens nicht zu seiner Zeit gelangen könnte, auszeichnet. Und unter dieser Voraussetzung wird sich unsere Aufgabe nun dahin bestimmen, diese auszeichnende Fähigkeit auch an jüdischen Menschen nachzuweisen.

Natürlich ist dieser Nachweis nicht immer mit gleicher Präzision zu führen. Wenn z. B. die Gegner der Juden in ihrem unruhigen wissenschaftlichen Drange neuestens auch nicht davor zurückschrecken, dem jüdischen Stamme selbst das religiöse Genie abzusprechen — so wie sie ihm das künstlerische und philosophische schon früher abgesprochen haben — so liegt zwar das Ungeheuerliche dieser Behauptung für jeden nicht Böswilligen offen zutage: Das Volk, in dem die Bibel zur Welt kam, das die Propheten, diese gewaltigen Erschütterer der Menschheit, hervorbrachte, das auch seitdem — und zwar noch bis vor gar nicht langer Zeit — erneute Proben seiner religiösen Schöpferkraft ablegte, braucht wahrlich vor dieser verstiegensten Konsequenz seiner Feinde nicht zurückzuweichen. Es wird im Gegenteile ganz vorzugsweise darauf bedacht bleiben müssen, seinen stolzesten Ruhm vor sich und der Welt zu behaupten. Aber wir dürfen uns nicht verhehlen, daß alle Beweise, die uns da in überreicher Fülle zur Verfügung stehen, von den Gegnern als subjektive Wertungen geschichtlicher Tatsachen hingestellt werden können, denen sie eben ihre subjektiven Wertungen gegenüberstellen. Und daraus ergibt sich für uns das dringende Bedürfnis, den Leugnern des jüdischen Genies auch dorthin zu folgen, wo (freilich nicht für sie) die exakte Beweisführung gilt, wo wir die hinübergreifende, erobernde, entdeckende Kraft des Genies auf dem Wege der sinnlichen und verstandesmäßigen Erfahrung festzustellen vermögen, — wo sie ja auch wirklich Entdeckung heißt — nämlich auf das Gebiet der exakten Wissenschaften.

Freilich müssen, so wie wir uns dazu entschließen, Bedachtsamkeit und Maß unsere ersten Tugenden sein. Wir dürfen nicht mit Titeln und Stellungen als mit Beweisen arbeiten, sondern können sie höchstens gegebenenfalls als beweisergänzende Tatsachen von untergeordneter Bedeutung verwenden. Wir sollen uns ferner davor hüten, den Kreis derer, die wir der Welt und uns selber präsentieren, zu weit zu ziehen. Vergessen wir nicht, daß uns ja niemand den Besitz vieler Wissenschaftsbeflissenen bestreitet, daß es vielmehr gerade ihre große Zahl ist, aus der man uns einen Strick zu drehen liebt. Alle einfachen Wissenschaftler, die sich nur mit dem Studium und der Überlieferung des ihnen Überlieferten befassen, mögen sie noch so fleißig und nützlich sein, dürfen wir für unsern Zweck nicht in Betracht ziehen. Auch dann nicht, wenn sie etwa während ihres Wissenschaftsbetriebes irgend einmal ein Gesetzchen auflesen, auf das sie sozusagen mit dem Fuße gestoßen sind. Nur wirkliche Entdecker dürfen wir verzeichnen, und unter diesen besonders nur jene Fälle unterstreichen, wo ein wahrhaft erobernder Geist in das Dunkel hinüberlangt, und mit sicherem, mächtigem Griff eine neue fruchtbare Methode, ein neues, neu orientierendes System, ein bis dahin unbekanntes, Theorie und Praxis umwälzendes Gesetz herausholt und ins Licht der Sonne stellt.

Mit dem Entdecker gleichwertig ist der Erfinder, der ja eigentlich auch nichts anderes als ein Entdecker ist, nur daß er, statt Beziehungen und Verhältnissen in der Natur, die darauf sich gründenden Pläne praktischer Anwendung entdeckt. Wobei es natürlich gleichgültig ist, ob es sich um Erfindungen handelt, die für den Betrieb einer exakten Wissenschaft von entscheidender Bedeutung sind, oder ob sie das praktische Leben selbst revoltieren.

Nur wird hier unsere Vorsicht noch angestrengter sein müssen, als bei den Entdeckern. Denn was gegenüber diesen ein Parterre der einfachen Wissenschaftler ist, ist gegenüber den Erfindern ein Parterre der einfachen Handwerker. Und während die Entdecker mit weniger bedeutsamen Leistungen doch immer noch den typischen Zug des Genies, die intuitive Eroberung eines entlegenen geistigen Punktes, aufweisen, kann bei der Mehrzahl der kleinen Erfinder davon nicht die Rede sein. Man wird also bedacht sein müssen, diese Mehrzahl ganz auszuschalten und um so mehr Nachdruck auf die ganz großen Erfinder zu legen, denen es gegeben ist, durch die realisierten Gebilde ihres Hirnes das Antlitz der Erde zu ändern.

Im übrigen sind die jüdischen Entdecker und Erfinder ein Protest nicht nur gegen die Theorie vom jüdischen Mangel an Genie, sondern auch noch gegen eine andere wichtige Lehre juden- gegnerischer Wissenschaft, die sicherlich nicht weniger gefährlich ist als die erste, mit der sie ja auch in innerlichem Zusammenhang steht. Wir kennen sie ja alle, diese Lehre, daß die Juden ein Volk des Zweckes seien, das sich niemals über den Zweck erhebe, niemals naiv und ohne irgendwelche Reflexionen und Hintergedanken das Leben leben und im großen Drama des allgemeinen Geschehens aufgehen könne, daher auch niemals den frischen, ursprünglichen Wagemut der arischen Völker aufweise. Wir kennen alle diese Lehre, und haben oft gefühlt, daß eigentlich nur ein bisschen guter Wille, in unsere Eigenart einzudringen, nötig ist, um sich von ihrer liederlichen Oberflächlichkeit zu überzeugen. Man hat sie ja auch oft genug in Hinsicht auf einzelne Kapitel, wie z. B. den Sport und soldatische Tugenden, durch stattliche Beispielreihen widerlegt. Aber man sollte doch auch das Genie nicht vergessen, das ohne einen starken Zug von um die Folgen unbekümmerter Liebe zur Sache einfach undenkbar ist, und damit auch einen unmittelbar einleuchtenden Gegenbeweis gegen jene Lehre darstellt. Als solcher bleibt er in jedem Falle bestehen, — auch dann, wenn man es ablehnt, im Genie die zentralste Kraft des Volkes zu sehen.

Durch diesen Gedankengang aber werden wir auf gewisse Typen aufmerksam, die sozusagen zum Gefolge der Entdecker und Erfinder gehören und mit diesen die Unbekümmertheit und Kühnheit teilen, von der wir sprachen: Auf jene Persönlichkeiten nämlich, für die eigentlich das Wort Entdecker vorzugsweise gebraucht wird, auf die Entdecker neuer, d. h. früher unserer Kulturwelt unbekannter, von ihr unbetretener Länderstrecken. Und wir haben dann nur ohne Mühe festzustellen, daß es unter diesen Persönlichkeiten auch Juden gibt, um die beiden gegnerischen Haupttheorien, sowohl die des mangelnden Genies, als die der mangelnden zweckfreien Kühnheit gleichzeitig zu widerlegen. Denn das ist ja klar, daß sich in den großen Länderentdeckern und Länderdurchforschern das Verhältnis zwischen Genie und frischem Wagemut ziemlich stark verschoben hat. Sie sind nicht nur wagemutig und unmittelbar, weil sie genial sind, sondern auch genial in ihrem Wagemut und ihrer Unmittelbarkeit. Diese Eigenschaften sind einfach die eigentlichen, organisierten Inhalte ihres Genies geworden. Höchstens kommt als solcher noch der Wille in Betracht, der aber, da er auch bei den nichtjüdischen Entdeckern die gleiche Rolle spielt, nicht in jenen ausschließenden Gegensatz zur natürlichen Hingabe gebracht werden kann, der den antijüdischen Wissenschaftlern beliebt.

Das Moment des unbekümmerten Wagemutes ist übrigens für uns so wichtig, daß wir es, im Zusammenhang mit der Welt der Entdeckungen und Erfindungen auch dort nicht übersehen sollen, wo es noch nicht Träger der Genialität ist. Wir dürfen darauf verweisen, daß auch unter denjenigen, in denen die kampffroh wagende Natur nicht in einem breiten mächtigen Strome reicher und mannigfaltiger Planung und Handlung, sondern enger, ärmer und monotoner dahinfließt, Juden sind, — und zwar ebenso unter jenen Weltreisenden, die man nicht gut Entdecker nennen kann, als unter den neuartigen Helden der letzten Jahre, den Fliegern.

Selbstverständlich darf die Feststellung der Kühnheit, Unmittelbarkeit und Zweckfreiheit bei den Entdeckern (in welchem Sinne immer man das Wort nehmen will) und den Erfindern nicht dahin ausgelegt werden, als spräche im Tun und Treiben dieser Persönlichkeiten das persönliche, private Interesse überhaupt nicht mit. Oder als wäre ein solches Mitsprechen, falls es nachgewiesen würde, ein Moment, das alle gewonnenen Resultate, alle Tatsachenbeweise wieder in Frage stellt. Muss ja auch der nichtjüdische Entdecker oder Erfinder erst gefunden werden, der von solchen Allzumenschlichkeiten frei wäre.

Überhaupt dürfen wir uns nicht auf eine stümperhafte Psychologie festlegen, die nur Erwerbslust zu riechen braucht, um gleich an jeder Liebe zur Sache selbst, an jeder frischen, unberechneten Kühnheit zu verzweifeln. Solche Methode kann selbst denjenigen gegenüber falsch sein, deren ganze Tätigkeit auf Erwerb gerichtet ist. Denn es kommt immer darauf an, ob einer wirklich nichts anderes ist, als ein Werkzeug seines eigenen Erwerbszweckes, oder ob er ihn mit seiner Phantasie, seiner Stimmung belebt und beseelt, in ihm sich auslebt. Dies wird wohl von den meisten großzügigen und kombinatorischen Kaufleuten und industriellen Organisatoren mit einiger Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, und ist ja auch schon in zahlreichen Fällen und Gruppen von Fällen nachgewiesen worden. Als durch die Natur der Sache gegeben kann es aber gerade dort gelten, wo sich der kaufmännische und industrielle Organisator in der einen oder anderen Weise in den Dienst des Entdeckers und Erfinders stellt.

Wir können uns daher ohne Bedenken dessen rühmen, daß zu dem Berufe der Reeder, der immer das Seinige dazu beigetragen hat, um die Entfernungsprobleme zu lösen, den Weltwanderern ihre Aufgabe zu erleichtern und gerade in der neuen Zeit eine geradezu fabelhaft großzügige Tätigkeit entfaltet, auch die Juden ihr Kontingent stellen.

Ebenso können wir mit Stolz auf jüdische Unternehmer und Organisatoren verweisen, durch deren besondere Begabung und wagekühnes Zugreifen große technische Erfindungen erst zu wirklichen Faktoren des praktischen Lebens gemacht werden. Gehören sie auch nicht zu den Erfindern selbst, so gehören sie doch unter diejenigen, die sozusagen die vollendende Hand an das Werk der Zivilisation legen, als das sich jede Erfindung darstellt.

Auch, daß es jüdische Techniker gibt, die, ebenfalls ohne Erfinder zu sein, mit Hilfe einer großzügigen, fachlichen Befähigung große technische Aufgaben lösen, dürfen wir aus ähnlichen Motiven mit Genugtuung feststellen.

Also, wohin wir auch blicken mögen, von überall her strömen uns die lebendigen Beweise zu, die wir brauchen: In langer Reihe Juden als Entdecker wichtiger wissenschaftlicher Wahrheiten; Juden als Erfinder und oft gerade jener Dinge, die die entscheidendsten Veränderungen hervorbringen; Juden als Ländererschließer und beobachtende, kühne Wanderer durch unbekannte Länder und Meere und durch die Lüfte; Juden als Lenker des Weltverkehrs; Juden als Schöpfer technischer Wunderwerke; Juden als die ausdauerndsten und erfolgreichsten Einführer von Erfindungen und Entdeckungen ins praktische Leben. Wahrlich, keine kleine Schar von jüdischen Arbeitern auf den stolzesten, einsamsten und gefährlichsten Punkten menschlicher Betätigung!

Sollten sie alle aber der Welt nicht genügen — und wer darf sagen, daß er darauf nicht gefaßt ist, — so wird uns das schließlich nicht zu tief mehr kränken müssen. Genug, wenn wir wenigstens uns selbst durch die wissenschaftsernste Miene der neueren Judenfeinde nicht mehr werden täuschen, durch ihren Anklagensturm nicht mehr werden erschüttern lassen: wenn wir endlich selbst an uns werden glauben lernen.

Das vorliegende Buch will nun aber nicht etwa die ganze Zeugenschar herbeirufen. Das muss künftigen vollständigen und erschöpfenden Werken vorbehalten bleiben. Selber will es nichts, als in dieser kurzen Erörterung und durch eine Reihe von Beispielen aus den in Betracht kommenden Gebieten den Standpunkt gegenüber den neumodischen, mit tückischen Scheinargumenten bewaffneten Feinden der jüdischen Gemeinschaft wahren. Dem stärksten Geschütze wissenschaftlicher Unwahrheiten der Gegner will es mit Tatsachen entgegentreten.

Dr. Nathan Birnbaum.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Juden als Erfinder und Entdecker