Von den Russen umzingelt

Von den Russen umzingelt

Ich war froh, nicht hinausgewiesen zu werden, da hier der Sammelplatz für die Herren Offiziere war, und legte mich still wieder hin. Nun hört’ ich Pferdegetrab und es erschien der Generalleutnant Wrede. Landkarten wurden auf dem Tisch ausgebreitet, Ordres wurden gegeben usw. Ich lauschte hinter der Bank, denn diese Beratung hatte natürlich großes Interesse für mich. Ich hörte wie der Generalleutnant den Generalmajor Baron v. Ströhl beauftragte, mit einer Anzahl Truppen und 2 Kanonen gegen die Uschazka aufzubrechen, die Russen zu verhindern, eine Brücke zu schlagen, und andere Ordres, die ich aber nicht verstehen konnte. Das Kanonen- und Gewehrfeuer jenseits der Düna bei Polozk wurde bisweilen so stark, daß alles auffuhr, denn es schien in der Nacht, als wär’ es dicht vor dem Dorfe. In der Folge erfuhr ich, daß wir ganz von den Russen eingeschlossen waren, und Generalleutnant Wrede durch ein treffliches Manöver Luft gemacht hatte. Dieser wackere Herr hielt sich nicht lange auf, sondern begab sich noch gegebenen Ordres wieder hinweg, und die Offiziere gingen auseinander. Kurz darauf erscholl draußen, in Ermangelung eines Tambours, das Geschrei: Soldaten heraus aus den Häusern!


Lieutenant Weinig, unser Bataillons-Adjutant (jetzt Rittmeister im 2. Chevauxleger-Regiment) stellte uns auf. Da keine Gemeinen mehr da waren, so mußten die Unteroffiziere sämtlich als Gemeine eintreten. Ich, als Sergeant, sollte als Korporal eintreten. Da zeigte ich dem Herrn Lieutenant meinen entblößten und geschwollenen Schenkel, an dem die beiden entzweigerissenen Fetzen wie Flügel im Winde flatterten (Unterhosen hatte ich schon lange nicht mehr, sie waren mir stückweise vom Leibe abgefallen). Da ich überdies hinkte und das Bein mich schmerzte, was bei der Kälte und Nässe nicht zu verwundern war, so litt der Adjutant nicht, daß ich einrückte, sondern schickte mich als vorläufig dienstunfähig zurück. Ich ging nun in Gottesnamen auf Polezk zu, wo ich einige von meinem Regiment zu treffen hoffte. Das Kanonenfeuer und Gewehrfeuer dauerte ununterbrochen fort und Polozk, stand in hellen Flammen, so daß ich, noch in ziemlicher Entfernung, alle Gegenstände unterscheiden konnte. Noch ein paar Unteroffiziere, die teils dienstunfähig, teils versprengt waren, gesellten sich zu mir und wir genossen auf dem Wege das schrecklich schöne nächtliche Schauspiel einer brennenden Stadt, um die zwei Truppenkorps sich schlugen. Das schwere Geschütz spielte um und über die Stadt. Die Unsrigen, von allen Seiten gedrängt, zogen sich in Eile aus der Stadt über die Schiffbrücke zurück. Als die Kommandanten mutmaßen konnten, daß die Truppen größtenteils die Schiffbrücke passiert waren, wurden die Seile abgeschnitten und die Kähne schwammen den Fluss hinunter. Es waren freilich noch viele Deutsche jenseits, besonders Schweizer, die in der Stadt mit den Russen handgemein wurden, allein da es unmöglich war, der russischen Übermacht einen Damm entgegen zu stellen, und da man in der Dunkelheit nicht wohl wahrnehmen konnte, wie viel Mannschaft schon hinüber war, so mußte man sicher gehen und dir Brücke bei Zeiten zerstören. Dem Generalleutnant Wrede verdanken wir, daß dieser Rückzug noch in guter Ordnung bewerkstelligt werden konnte, denn in derselben Nacht überfiel er die Russen, schlug sie zurück, und machte nur einer Handvoll Leute noch 1.500 Gefangene. Diese Tatsache weiß ich durch Erzählung der Herren Offiziere, und habe später auch diese Gefangenen von den Schweizern eskortieren sehen.

Gänzlich zersprengt und aufgelöst war aber leider unser Regiment, und so viel ich mich erinnere, waren bei Bononia an Offizieren gefangen worden: die beiden Schützenhauptleute Bacher und Avila, Oberleutnant Bechmann (jetzt Hauptmann im 5ten Lin.-Inf.-Regim.), Oberleutnant Wilhelm Roth (jetzt Hauptmann im 7ten Lin.-Inf.-Regim.), Oberleutnant Sack (jetzt Hauptmann im 12ten Lin.-Inf.-Regim.) und andere mehr.

Auf der Haide von Polozk, die ganz durch das Feuer erhellt war, stieß ich auf einige Kameraden, die sich auch hier herumtrieben. Unter andern traf ich den Sergeanten Bauernschmidt (jetzt Lieutenant im 4ten Lin.-Jnf.-Regim.), der im Schenkel durch einen Schuß leicht verwundet war, und hinkte. Diesen fragte ich, ob er meine Frau nicht gesehen. Er deutete auf eine Anhöhe und sagte, daß dort oben beim Kloster alle Fuhrwerke versammelt wären. Das war Musik für meine Ohren, denn ich glaubte, meine Frau sei gefangen, da ich in zwei Tagen nichts von ihr vernommen. Ich kam beim Kloster an. Meine Frau fuhr zusammen, als sie mich erblickte. Sie glaubte meinen Geist zu sehen, denn die Hoboisten hatten ihr aus Schabernack weiß gemacht, ich sei bei Bononia erschossen worden, sie hätten mich an der Brücke tot liegen sehen. So scherzten sie mit dem Tode, dem sie übrigens nie selbst ins Auge schauten, da sie immer zurückgeschickt wurden, wo es Ernst wurde. Nur wenn Lebensmittel gefaßt wurden, kamen sie wieder zum Vorschein. Wir hätten ihrer gar nicht bedurft, denn auch sie waren von 36 bis 40 durch das erlittene Elend auf 5 bis 7 zusammengeschmolzen, und weit entfernt, eine vollständige Regimentsmusik aufführen zu können, hätten sie kaum noch zu einer Bauernhochzeit aufzuspielen vermocht. Nach der ersten Freude des Wiedersehens stärkte mich meine Frau mit etwas Brot und Fleisch. Nun kam die Nachricht, daß unser Regiment sich wieder einigermaßen gesammelt habe, und ich begab mich mit mehreren andern auf den Sammelplatz in der Nähe der Ortschaft, wo ich meinen Hauptmann wiedergefunden hatte und von ihm war gelabt worden. Wir waren ungefähr vom ganzen Regiment noch 40 bis 50 Mann. Hier erlebten wir einen merkwürdigen Auftritt. Nicht lange hatten wir gestanden, es war ein heller Vormittag, als wir in der Ferne aus dem Walde einen Zug herauskommen sahen, den wir uns nicht erklären konnten. Voran unterschieden wir einen Schimmel, den wir gleich für sehr ähnlich mit dem Pferd des Reg -Adjutanten v. Pflummern hielten. Hinter dem Schimmel folgte ein Zug Fußvolk in grauen Mänteln, der aussah, wie Russen. Wir starrten unverwandt hin, der Zug kam näher und näher. Endlich erkannten wir auf dem Schimmel den Adjutanten v, Pflummern. Welche Freude! Welche Überraschung! Wir liebten diesen Ehrenmann sehr und hatten ihn schon gefangen geglaubt und um ihn getrauert. Jubelnd bewillkommnten wir ihn, und unsere Freude stieg noch höher, als wir sahen, daß er als Sieger an der Spitze von achtzehn Bayern, meist Unteroffizieren, mit etwa 100 gefangenen Russen, worunter mehrere Offiziere, einher geritten kam. Von Pflummern war nämlich, als unsere, nicht über 250 Mann starke, Brigade zersprengt worden war, ebenfalls im Walde bei Bononia nebst andern herumgeirrt. Zu ihm hatten sich, einige ebenfalls versprengte Unteroffiziere gesellt. Die dortigen Wälder sind häufig voll Sümpfe und da der Adjutant beritten war, so mußten die andern oft junge Bäume abhauen, um mittelst derselben das oft halbversunkene Pferd, aus dein Moraste zu heben. Als in jener Nacht Generalleutnant Wrede die Russen überfallen hatte, so waren ungefähr 200 versprengte Russen ebenfalls in diesen Wald gekommen. Auf diese Mannschaft stieß Tags darauf der Regiments-Adjutant v. Pflummern, um den sich nur etwa 18 Mann gesammelt hatten. Beide Parteien stützten und sahen sich zweifelhaft an. Endlich befahl von Pflummern, daß einige in den Wald gehen und ein großes Kriegsgeschrei erheben sollten, als ob ein Korps im Anzug wäre. Er selbst ritt an der Spitze der Übrigen, die das Bajonett fällten, auf die Russen an, und rief ihnen zu, sich zu ergeben. Die Russen warfen teils sogleich ihre Gewehre weg, teils entsprangen sie, so daß ihrer etwa hundert in die Gewalt der Bayern fielen. So nahm v. Pflummern durch seine Geistesgegenwart mit 18 Mann, 160 Feinde gefangen. Preis und Ehre einem solchen Offizier! Von den 18 Mann, deren Entschlossenheit ebenfalls zu rühmen ist, sind mir noch erinnerlich: der Sergeant Willmattinger (jetzt Getraidmesser in Nürnberg), dann der Sergeant Homeyer, und der Korporal Sträussel, der eigenhändig einen fliehenden Offizier ergriffen hatte. Aus dem Munde dieser Unteroffiziere erfuhren wir das Detail dieser schönen Waffentat. Nun traten wir den Rückzug wieder an. Oberleutnant Molzberger wurde beordert, mit 8 bis 10 Mann, lauter Unteroffizieren, jene gefangenen Russen zu eskortieren. Ihm wurde eine Marschroute vorgeschrieben und so trennte er sich von uns. Später erfuhren wir, daß er sammt seiner Mannschaft und dem Gefangenen, in die Hände der Russen gefallen ist.