Kosaken und Husaren

Kosaken und Husaren

Unser schwaches Häuflein mußte sich in dem verwachsenen Buschwerk deptoyieren. Während dieses Manövers gewannen die Russen Zeit, uns abermals zu überflügeln. Sie merkten, daß wir keine Kavallerie hatten, und sprengten uns ganz auseinander. Nun suchte sich jeder einzeln zu retten wie er konnte. Wir wurden von Husaren und Kosaken verfolgt. Besonders schadeten uns die letztern durch ihre Schnelligkeit, gaben aber auch zugleich den Beweis, daß sie nur zur Verfolgung einer geschlagenen Truppe taugen, selbst aber keine Truppe schlagen können, und überhaupt gegen einen geregelten Widerstand nicht Stich, halten. Vier bayerische Liniensoldaten, die den Wald nicht mehr erreichen konnten, hatten ein Quarré formiert und das Bajonett gegen einen Haufen Kosaken gefallt. Die Kosaken ritten auf sie zu, und ich dachte ihre große Überzahl würde ihnen bald den Garaus machen. Aber gefehlt. Die Kosaken machten vor diesem vierblätterigen Bayonetten-Kleeblatt kehrt und sprengten davon. Unsere Flucht war vergebens. Wir waren zu sehr abgemattet. Die russischen Husaren mit grauen Spensern und roten Schnüren, die, wie wir in der Folge erfuhren, Elisabethiner-Husaren hießen, holten uns bald ein. Sie ritten in Carriere mitten zwischen uns durch, bis sie keinen Bayer mehr sahen. Dann kehrten sie um, legten ihre Lanzen*) gegen uns ein, und riefen uns zum Zeichen, daß wir uns ergeben sollten, Pardon! zu. Wir konnten uns nicht mehr zur Wehr setzen und mußten uns alle als Gefangene ergeben. Alle warfen die Gewehre weg, nur ich war von dem Schreckensgedanken, russischer Gefangener zu sein, so betäubt, daß ich vergaß, es wegzuwerfen. Dies hätte mir leicht das Leben kosten können. Aber ein Husar, der wohl merken mochte, daß es nicht aus Widersetzlichkeit geschah, erwies mir den Liebesdienst und schlug mir das Gewehr mit seiner Lanze von der Schulter. Man mache sich jetzt einen Begriff von meinem Jammer. Wehrlos, in russischer Gewalt, fern vom Regiment, von meiner Frau, die Schreckensaussicht ins tiefste Sibirien transportiert zu werden, vielleicht die Heimat nie wieder zu sehen. Mein schrecklichster Gedanke in diesem Augenblick war die Vorstellung, was meine Frau für Kummer nm mich haben würde. Dieser Gedanke gab meinem Geiste eine neue Schwungkraft. Ich sann auf Flucht, es koste was es wolle. Der Wald war groß und dicht und die Gelegenheit günstig.


*) Das zweite Glied dieses Regiments führt Lanzen

Kaum hatten die Husaren uns einige Minuten weit zurückgeführt, kaum hatte ich mich von der Atemlosigkeit und Anstrengung des Laufes wieder ein wenig erholt, so nahm ich in raschem Entschluß alle meine übrige Kraft zusammen, und sprang seitwärts in den Wald. Mehrere Gefangene folgten meinem Beispiele. Aber es wäre mir beinahe teuer zu stehen gekommen. Ein Husar sprengte mir mit eingelegter Lanze nach, und ich begreife noch heute nicht, wie es möglich war, daß er mich nicht durch und durch spießte, denn er war immer nur ein paar Schritte hinter mir her. Ich benutzte aber das Terrain, wand mich in vielen Krümmungen durch die Bäume, erreichte eine niedrige Dornhecke, sprang darüber, blieb unglücklicher Weise mit dem rechten Bein an den Dornen hängen, riß das Beinkleid von oben bis unten entzwei, verwundete meinen Schenkel, und stürzte jenseits über den Zaun hinunter. Doch raffte ich mich schnell wieder auf, und lief einem Sumpf zu, da ich hoffte, der Husar würde mir dahin nicht folgen können, sondern darin stecken bleiben. Ich watete im Sumpf und passierte noch einen Graben, wo ich bis an die Kniee ins Wasser sank. Nun war ich gerettet. Es war auch die höchste Zeit gewesen,, denn der Husar war keine drei Schritte mehr von mir entfernt, als ich den Sumpf erreicht hatte, und meine Kräfte waren erschöpft. Ich setzte mich jenseits des Sumpfes im Gesträuche nieder um auszuschnauben. Da sah ich, etwa eine halbe Büchsenschussweite, wie der Husar abstieg, und seinem bis an die Knie versunkenen Pferde aus dem Moraste half. Hätte ich noch mein Gewehr, dachte ich, ich wollte diese ungebetene Eskorte bezahlen! — Ich war der einzige von den Entsprungenen, der verfolgt wurde, vermutlich weil der Russe mich für den Anstifter des Ausreißens hielt. — Als ich mich wieder erholt hatte, brach ich auf und vertiefte mich weiter in den Wald. Bald fanden wir alle, die wir entwischt waren, uns zusammen, so, daß wir ungefähr 8 Mann stark waren, meistens Unteroffiziere. Dies war ein großer Trost für uns, denn nichts ist schrecklicher, als in solcher Not allein zu sein. Wir hielten nun Rat, was zu tun sei, und beschlossen unsern Marsch behutsam nach Polozk zu richten. Wir durchzogen in dieser Richtung den Wald, der sehr dicht war und wo wir oft über das zusammengefaulte Holz wie über steile Hügel klettern mußten. Man sah, daß diese Wildnis vielleicht nie von Menschen betreten worden. Endlich gegen Abend erreichten wir den Saum des Waldes. Es wurde schon ziemlich dämmerich und begann auch zu regnen. Da wir nicht wissen konnten, ob wir draußen auf Freunde oder Feinde stoßen würden, so schlichen wir gebückt einher, und krochen endlich auf dem Bauch aus dem Wald ins Freie. Wir spähten vorsichtig umher und erblickten in der Entfernung Soldaten in Mänteln und Tzakos. Ob es aber Russen oder Franzosen waren, das konnten wir in der Dunkelheit nicht unterscheiden. Plötzlich wurden Kanonen aufgefahren, gewendet und gegen unsern Wald gerichtet. Daraus schlossen wir freudig, daß dies keine russischen Kanonen sein könnten. Dennoch trauten wir noch nicht. Endlich erkannten wir unsere Fuhrwesensoldaten an ihren tiefherunterhängenden Pferdehaarbüschen. Nun gingen wir getrost auf sie zu. Als wir bemerkt wurden, kamen uns sogleich die Artillerie-Offiziere freundlich entgegen. Nach vielen Fragen und Antworten wiesen sie uns ein nahes Dorf. Dort sagten sie, sei unser Sammelplatz. Wir begaben uns sogleich dahin und langten mit Anbruch der Nacht da an, die um so finsterer wurde, als es trübe Witterung war. Der erste Offizier, den ich dort traf, war mein Hauptmann von Zollern. In der freudigen Überraschung, mich, den Verlorengeglaubten wieder zu sehen, rief er aus: Wie! So hat der Teufel meinen Sergeanten doch nicht geholt? Mich nicht, antwortete ich, aber leider, sonst Bayern genug. Haben Sie Hunger? fuhr er fort. Gewaltigen, sagte ich, denn ich habe in 22 Stunden keinen Bissen genossen. So kommen Sie hier ins Haus, sagte er, und laben Sie sich. Wir traten in eine dunkle Stube, wo ein Licht düster brannte. Der gute Hauptmann bewirtete mich mit einem halben Laib Brot und etwas Schnapps. Wie Teufel sehen Sie aus? sagte er weiter, als er mein zerfetztes Beinkleid sah. Ihr Schenkel ist ja ganz entblößt, geschwollen und blutrünstig. Ich erzählte ihm mein Abenteuer, und versicherte ihm, dies schlechte Beinkleid habe mir das Leben gerettet, denn wäre es nicht so mürbe gewesen, da ich es seit meinem Ausmarsch von Nürnberg kaum ein paar mal abgelegt hatte, so wäre es nicht gerissen und in zwei Minuten hatte ich des Husaren Lanze im Nacken empfunden. Wohlan, sagte er, nun ruhen Sie die Nacht. Wie es morgen geht, mag Gott wissen. Ich fragte nach meiner Frau, Aber zu meiner größten Betrübnis konnte mir Niemand Auskunft geben. Welche Pein für mich. Ich dachte nicht anders, als daß sie den Russen in die Hände gefallen sei. Man stelle sich mein Gefühl bei diesem Gedanken vor. Mit blutendem Herzen aß ich meines Hauptmanns Brot. Während dem hörte man ein ununterbrochenes Kanonenfeuer durch die Nacht von Polozk her, wo man sich mit Erbitterung schlug. Nun trat ein Adjutant des Generalleutnants Grafen Wrede ein, und kündigte den Offizieren das baldige Eintreffen des Generalleutnants an. Ich, um die Herren Offiziere nicht zu stören, kroch ermattet unter eine von den Bänken, die rings an der Wand angebracht waren, und schlief ein. Aber plötzlich weckte mich ein Schmerz im Nacken Ich fuhr mit einem Schrei auf. Der Adjutant hatte sich nämlich über mir auf der Bank ebenfalls vor Müdigkeit hingestreckt, und im Schlummer war ihm der eine Fuß herabgeglitscht, und der Sporn hatte mich gerade ins Genick getroffen. Wer ist da drunten? rief der Adjutant. Ein Sergeant vom 5. Regiment, antwortete ich. Tut mir leid, sagte der Adjutant. Ich kann aber nicht dafür.