Kosaken nehmen uns gefangen

Kosaken nehmen uns gefangen

Bald darauf kam die Ordre, daß unser Detaschement ungesäumt in Kopolniki einzutreffen habe. Wir brachen auf. Ein eingetretenes Tauwetter milderte die Kälte und wir langten noch denselben Tag in Kopolniki an. Die Offiziere meldeten sich beim Hauptmann und Etappenkommandanten Spitzel und wir wurden in die Häuser verteilt. Unsere Weisung war, hier zu bleiben, bis Oberstlieutenant Baron Scherer eintreffen würde. Wir warteten bis Abends, aber er kam nicht. Ein Edelmann, dessen Gut eine Viertelstunde von Kopolniki entfernt lag, benachrichtigte unsern Kommandanten, daß die Russen im Anzug und schon nah seien, er möge auf seinen Rückzug bedacht sein. Allein Hauptmann Spitzel entgegnete, er dürfe seine Station nicht verlassen, bevor er nicht Ordre dazu habe, oder der Oberstleutnant selbst eintreffen würden. So kam die Mitternacht heran. Ich und meine Frau, wir befanden uns eben nebst einer Menge bayerischen und andern Offizieren, Unteroffizieren und Soldaten, in einem Krug, als plötzlich die Türe aufgerissen ward. Welch ein Anblick zeigte sich, uns? Draußen standen eine Menge Kosaken, die ihre Spieße und Pistolen zur Türe herein streckten und uns zuriefen: Pardon! Das hieß soviel als: Ergebt Euch, Ihr seid gefangen. Was wollten wir machen? Das Haus war von großer Übermacht umzingelt, wir waren alle teils krank, teils so abgemattet, und halb verhungert, daß wir an keine Gegenwehr denken konnten. Wir warfen also unsere Waffen von uns, und riefen: Pardon, Kamerad! Nun strömten die Russen haufenweise, herein, und fingen an uns zu plündern, und zu misshandeln. Sie fanden Geld im Überfluss, da wir alle, Tags vorher, einen dreimonatlichen Rückstand empfangen hatten. Ich als ältester Sergeant (da die übrigen abwesend waren) hatte in einem Beutel die dreimonatliche Löhnung für die Übrigen, in sächsischen Talern, bei mir. Den Beutel hatte ich in meinem zerrissenen Rock zwischen Tuch und Unterfutter verborgen. Unsere eigene Barschaft hatte meine Frau bei sich. Fest entschlossen, eher mein Leben zu lassen, als, das, Geld meiner Kameraden herauszugeben, erwartete ich in dem Getümmel, Geschrei und Getobe, was da kommen würde. Das erste, was mir begegnete, war, daß mir ein Soldat das Kasket vom Kopfe riß. Das Messing daran hatte ich kurz vorher sauber geputzt. Die Russen mochten es für Gold halten, rissen es herunter, zerschnitten das Leder, und teilten es unter sich. Ein anderer Russe riß mir den Mantel von den Schultern. Ein dritter zog mir den Säbel aus der Scheide und wollte ihn, auf die Erde gestemmt, zerbrechen, aber das Eisen, war so jäh, daß es sich auf alle Seiten bog, und der Russe nicht im Stande war, die Klinge abzusprengen, wiewohl er sich auf die lächerlichste Art alle mögliche Mühe gab. Trotz meiner traurigen Lage kam mir das doch spaßig vor. Nun packte mich ein Husar, ein kleiner aber vierschrötiger Kerl, bei der Brust, und schrie: Gib Geld, Franzuß! Ich beteuerte ihm in gebrochenem Russisch, daß seine Kameraden mir schon alles genommen hätten. Da stieß er mich fluchend mit dein Säbelknauf vor die Brust, daß ich schwach und kränklich wie ich war, sogleich zu Boden sank. Ich raffte mich jedoch bald wieder auf und ging in die Nebenstube, wo sich die Offiziere befanden. Aber auch sie wurden von diesen Barbaren eben so mißhandelt und ausgeplündert. Plötzlich hörten wir draußen Schüsse fallen und den Generalmarsch schlagen. Schon glaubten wir, die Unsrigen rückten an, uns zu befreien, aber es war Täuschung. Der Tambour, der den Generalmarsch geschlagen hatte, wurde kurz darauf von einem Kosaken gefangen zu uns hereingeschleppt, das Fell seiner Trommel war zerstochen. Die Schüsse waren bei dem Edelhof gefallen, wo Hauptmann Spitzel lag, welcher Vorposten aufgestellt hatte, die bei Annäherung der Russen Feuer gaben. Er mußte kapitulieren, und schützte dadurch sich selbst und seine Truppe vor Plünderung und Misshandlung. Während alldem fing der Tag an zu grauen. Jetzt trat Oberst Tettenborn mit einem Adjutanten herein, beide in Pelze und Bärenfelle gehüllt, denn dem Tauwetter war wieder eine strenge Kälte gefolgt. Wie geht’s Euch, Kinder, fragte uns Tettenborn. Wir klagten ihm unsere Beraubung und unser Leiden durch die Misshandlungen. Ich habe, sagte er, den strengsten Befehl gegeben, daß man euch nichts abnehme, noch sonst auf irgend eine Art misshandle. Ich werde Sorge tragen, daß euch künftig nichts mehr zu leide geschehe. Auch sollt Ihr Brot bekommen. — So lange er in der Stube war, geschah uns auch wirklich nichts, aber sobald er den Rücken gewendet hatte, fingen die Plünderungen und Misshandlungen wieder an, denn kaum war ein Trupp dieser wilden Horden fort, so kam wieder ein neuer nach, der auf dieselbe Weise mit uns verfuhr. Von dem uns versprochenen Brot bekamen wir auch keinen Bissen zu sehen. Es war nun ganz Tag geworden, und wir blieben, von den Russen bewacht, zusammen eingesperrt. Da ich nicht wohl war, so fühlte ich schmerzlich den Verlust meiner Kopfbedeckung, und bat den Junker v. Strömet (jetzt Oberleutnant im 5. Linien-Inf.-Reg.), der außer seinem Kasket noch eine rotgestrickte Mütze besaß, mir diese zu geben, was er auch gerne tat. Es mochte schon einige Stunden und Mittag sein, als ein Adjutant mit einem Trupp Kosaken hineintrat und uns ankündigte, wir müßten marschieren. Meine Frau stellte denselben vor, wie schwach und kränklich ich sei, und daß ich nicht wohl fortkommen könnte, worauf er erklärte, wer nicht marschieren kann, möge hier bleiben. Wer war froher als ich, bei solcher Kalte wenigstes unter Dach bleiben zu können. Jetzt wurden die andern alle durcheinander, Offiziere und Soldaten, von den Russen mt dem Kantschu, wie Schafe hinausgetrieben. Mich jammerten besonders die beiden Junker von Schnitzlein und von Stromer, die noch in dem zarten Alter von 14 bis l5 Jahren standen, und die unser Oberst Habermann ihres zarten Alters wegen nur ungern mit in den Feldzug genommen hatte. Ich glaubte nicht, daß sie das Elend überstehen würden, da sie schon jetzt sehr krank und schwach waren, und doch traf ich sie später, als wir ausgewechselt wurden, frisch und gesund, während baumstarke Männer zu tausenden dem Elend unterlagen, und in fremder Erde verscharrt liegen. Die Gefangenen wurden in jenen Edelhof getrieben, wo die durch, Kapitulation Gefangenen sich befanden.


Als die Stube geräumt war, bemerkte ich erst, daß noch Sterbende und Tote in den Winkeln und an den Wänden herumlagen. Der Anblick war grässlich, und, mich, überfiel ein Schauder. Ich kann nicht bleiben in diesem Totenhause, sagte ich zu meiner Frau. Sie stellte mir vor, daß ich bei meiner Kränklichkeit die Anstrengung des Marsches nicht aushalten würde. Da aber von Zeit zu Zeit, immer wieder, Russen hereinkamen, die nach Beute lechzend, sowohl uns, als die Kranken und Halbtoten erbarmungslos herumstießen und zerrten, da rief ich aus: Laßt uns gehen! Ich will lieber auf freiem Felde sterben, als hier bleiben, wo wir am Ende doch unter den Händen der Barbaren sterben müssen. Wir brachen also in Gottes Namen auf. Noch zwei Mann von Bubenhofen-Chevauxlegers und ein Hesse schlossen sich uns an. Aber kaum waren wir auf der Straße, als ein Haufen Kosaken und Kürassiere über uns herfielen, und uns in ein Judenhaus hineintrieben. Hier ging das Plündern von neuem an. Ein Kosak riß mir gleich die eben zum Geschenk erhaltene Mütze vom Kopf. Dann mußten wir uns, meine Frau ausgenommen, bis aufs Hemd ausziehen, und es wurde Stück für Stück durchsucht. Zuerst traf die Reihe meinen Rock. Der Beutel mit den Löhnungsgeldern ward sogleich entdeckt. Da ich immer beteuert hatte, ich hätte kein Geld, so hielt mir ein Kosak diesen Beutel vor das Gesicht, und grinste mir mit Zähneblöcken zu: He, Schelma! Franzuß! Kein Geld? In den Rockärmeln staken in jedem ein Thaler; da diese Geldstücke aber bei jeder Bewegung des Rockes zwischen Tuch und Futter herumrutschten, so entdeckten sie sie nicht, und warfen mir den Rock wieder zu. Nun ging es über die zwei Westen, die ich übereinander angehabt hatte. Die eine war von Tuch und schon sehr abgetragen, die andere war von rotem Atlas. Ich hatte sie von Nürnberg mitgenommen, denn da wir unter Napoleons Fahnen nur zu siegen gewohnt waren, so dachten wir nicht anders, als daß wir, als letztes Ziel des Feldzugs, nach Petersburg, oder in irgend eine große Stadt kommen würden, wo man sich putzen müsse. Die tuchene Weste gaben sie mir zurück, die schöne atlassene behielten sie. Nun durchstöberten sie die Beinkleider, die schon sehr zerfetzt waren, und wo sie meine silberne Uhr fanden. Ich zitterte für meinen Hosenträger, in welchem drei Dukaten eingenäht waren, und den ich nachlässig auf die Erde fallen ließ, und darauf trat. Meine Frau bebte ebenfalls und äußerte in der Angst etwas von ihrer Besorgnis. Ich bedeutete ihr flüsternd, zu schweigen, da man nicht wissen könne, ob nicht irgend einer von den Plünderern deutsch verstehe. Wir kamen jedoch mit dem Schreck davon, denn niemand beachtete den alten schlechten Hosenträger. Von den zwei Hemden, die ich über einander trug, da wir vor Kurzem Hemden, Unterhosen und wollene Handschuhe gefaßt hatten, wurde mir das neue ausgezogen, das zerlumpte ließ man mir. Eben so büßten wir die Unterhosen und Handschuh ein, die den Russen sehr willkommen waren. Ich trug Ohrringe, wie es damals häufig unter den Soldaten Sitte war. Ein Kosak riß mir den einen aus den linken Ohr, daß es blutete, doch war der Ohrring noch glücklich gebrochen. Den andern machte ich schnell heraus, damit mir nicht etwa das Ohr durchgerissen würde. Der dumme Barbar steckte dieselben an die Finger, da sie ihm aber zu weit waren, warf er sie mir vor die Füße, wiewohl sie golden waren. Vermutlich waren sie für seine Habsucht nicht glänzend und massiv genug. Nun kleidete ich mich wieder an, hob die Ohrringe auf, und steckte sie in die Hosentasche. So rettete ich sie, und trage sie noch heute, als Andenken jener Stunde. Das Härteste aber stand mir noch bevor. Meine Frau trug unter dem Hemde einen ledernen Gürtels in welchem alle unsere Barschaft stak, ungefähr 90 bis 100 Gulden, teils früher gefasste Löhnungsbeträge, teils das durch Marketenderei verdiente Geld. Ein Kosak, der sie betastet hatte, um verborgenes Geld zu entdecken, fühlte diesen Gürtel, rief seinen Kameraden einige Worte zu, und endlich, alles Schamgefühl vergessend, beraubten sie meine Frau dieses Gürtels, indem sie ihn ihr mit dem Säbel vom Leibe schnitten.

Weg war unsere letzte Stütze! Weg der Sparpfennig, den meine Frau mit tausend Beschwerlichleiten, ja, oft mit Gefahr ihres Lebens erschwungen hatte, denn, auf unsern Märschen war sie oft um Lebensmittel einzukaufen, wider meinen Willen und ohne mein Wissen, stundenweit ganz allein von der Hauptroute seitab gefahren, bis sie eine Ortschaft antraf, wo sie ihren Wagen mit Mundvorrat anfüllen konnte. Sie wagte jedesmal ihr Leben unter dem feindseligen barbarischen Volke, aber beherzt wie sie war, bot sie jeder Gefahr Trotz, um nur meine Not zu lindern. Man stelle sich ihren Jammer vor, als sie nun plötzlich alles verlor. Als die Kosaken mit Plünderung fertig waren, brachen sie auf, und nahmen auch die Stiefel der beiden, Chevauxlegers mit. Als ich sah, wie einer auch meine Stiefel hinaustragen wollte, ergriff mich die Wut der Verzweiflung, denn ich sah voraus, daß ich ohne Fußbekleidung in dieser grimmigen Kalte umkommen müsse. Entschlossen, mich lieber niederstechen zu lassen, als meine Stiefel zu entbehren, trat ich den Räubern in den Weg, und bedeutete ihnen, so gut ich auf russisch konnte, daß ich die Stiefel bei solcher Kälte nicht missen könne. Ich griff darnach, es entstand ein Wortwechsel, und ich wendete mich an die Kürassiere, denn ich hatte gehört, daß bei den Russen die irregulären Truppen den regulären Gehorsam leisten müssen. Der Erfolg bewies dies auch, der Kürassier sprach einige Worte in gebieterischem Tone zu dem Kosaken, worauf dieser mir die Stiefel brummend und schimpfend hinwarf, und davon ging. So entblößten uns diese Raubhorden von Allem, ohne Rücksicht darauf, daß wir, unserer strengen Ordre gemäß, früher den russischen Gefangenen nicht das Mindeste abgenommen hatten, wiewohl sie oft mit Kleidungsstücken, die uns fehlten, reichlich versehen waren, so daß die Gefangenen in dieser Beziehung manchmal besser daran waren als wir. Verzweiflungsvoll gingen wir nun alle fünf auf den Edelhof, wo die übrigen Gefangenen im Hofraum versammelt waren. Meine Frau drang bis zum Obersten Tettenborn und trug ihm vor, was uns begegnet war. Dieser befahl sogleich einem Adjutanten, die Räuber auszumitteln. Der Adjutant, der wohl wußte, daß dergleichen Befehle meistens nur gegeben werden, um die Klagenden einigermaßen zu beschwichtigen, fertigte meine Frau auch leichthin mit dem Bescheid ab, daß es bei der Menge der durchziehenden Truppen unmöglich sei, die Täter herauszufinden, auch sei die Zeit zu kurz, indem die Gefangenen bald weiter transportiert werden würden. Kurz darauf kam wirklich der Oberstleutnant Baron von Scherer an, den wir die Nacht vorher abwarten wollten, um sodann abzumarschieren, aber als Gefangener auf einem Schlitten von zwei Kosaken eskortiert. Nun setzte sich der ganze Transport, etwa nach vier Uhr Abends, in Marsch, mit Ausnahme der Offiziere, die wir auf dem Edelhof zurückließen, und die später auf Schlitten fortgebracht wurden. So traf es ein, daß wir marschierten, sobald der Oberstleutnant angekommen war, nur mit dem kleinen Unterschied, daß wir landeinwärts mußten, statt uns dem geliebten Vaterlande zu nähern. Es fing schon an dunkel zu werden und unser Marsch bei bedecktem Monde war sehr mühselig. Besonders jammerten mich die beiden Chevauxlegers die ohne Stiefel waren. Zwar hatten sie sich Lumpen um die Füße gewickelt, so gut sie konnten, aber dies hielt nicht lange, die Füße wurden ganz entblößt, und ich sah, wie beinahe jeder ihrer Schritte eine Blutspur im Schnee und Glatteis hinterließ. Auch blieben sie allmählich zurück und bald sah ich sie nicht mehr. Ohne Zweifel sind sie hilflos auf der Straße liegen geblieben und erfroren. Wir waren kaum eine Stunde von Kopolniki entfernt, als einer der Gefangenen von den Kosaken erstochen wurde, weil er nicht mehr fort konnte. Und so erging es jedem, den die Kraft zu marschieren verlassen hatte, so daß wir sieben Mann auf diese Weise verloren, ehe wir ins Quartier kamen. Bei jedem dieser Schlachtopfer gaben uns die Russen zu verstehen, daß dies eine Wiedervergeltung für die russischen Gefangenen sei, die von unsern Leuten ermordet worden wären. In wiefern sie wahr sprachen, wag’ ich nicht zu entscheiden. Es ging zwar das Gerücht, die Schweizer, die, die bei Polozk durch Generalleutnant Grafen Wrede gefangenen Russen eskortierten, hätten die Müden, die zurückblieben, vor den Kopf geschossen, aber ich kann diese Angabe eben so wenig bestätigen, als leugnen.

Einige Stunden nach unserm Ausmarsch erblickten wir jenseits eines großen zugefrornen Sees viele Biwakfeuer. Wir stutzten hierüber, und vermuteten heimlich, dies könnten wohl französische Truppen sein. Auch kam es uns verdächtig vor, daß die Russen uns bei Nacht fortbrachten. Was hatten sie für Eile, wenn sie nicht Gefahr in der Nähe hätten zu besorgen gehabt? Einer von uns, bekannt unter dem Namen Louis, ein Bayer von Geburt, der früher bei dem 5ten Linien-Infanterie-Regiment als Tambour gestanden, aber desertiert und in schweizerische Dienste getreten war, erklärte beim Anblick dieser Wachtfeuer sogleich, dies könne nichts anders als ein französisches Biwak sein. Er wollte sogar durch die Stille der Nacht von dort der französische Worte vernommen haben. Auf, Landsleute, sagte er, wir sind unser etwa 400, die Eskorte ist nur 18 Mann stark, wir erschlagen die Kerle mit leichter Mühe, marschieren gerade auf die Feuer zu, und sind frei. Die Aufforderung war lockend genug für uns, und die Ausführung wäre um so leichter gewesen, als die Kosaken zu Fuß gingen, weil sie der großen Kälte wegen nicht reiten konnten, ohne Gefahr zu erfrieren. Wie aber, äußerten einige aus uns, wenn es Russen sind, die dort biwakieren? Dann tun wir, als wären wir Versprengte, sagte Louis, und ergeben uns als Gefangene. Wie aber, wenn sie später erfahren, sagten wir, daß wir uns befreit und ihre Kameraden erschlagen haben? Was werden sie? sagte Louis. Die Toten können nicht reden, und von uns wird es keiner verraten. Und dann — in diesem schrecklichen Lande müssen wir am Ende doch umkommen. Also folgt mir, Kameraden. Es leuchtete uns ein, aber — so groß war unsere Entkräftung, und dadurch auch unsere Mutlosigkeit, daß wir in lauter Hin- und Herreden zu keinem Entschluß kommen konnten. Die Zeit verstrich, wir marschierten von den Russen wie das Vieh mit Kantschuhieben vorwärts getrieben, immer weiter, verloren endlich die Wachtfeuer aus dem Gesicht, und mit ihnen erlosch uns die Aussicht und der Vorsatz, uns zu befreien. Etwa um Mitternacht erreichten wir ein Dorf, wo wir in die Bauernhütten verteilt wurden. Die Stube, in die ich und meine Frau gerieten, war so voll gepfropft, daß nur diejenigen sitzen konnten, die so glücklich waren an die Bänke zu kommen, die rings an der Wand, angebracht waren. Unter diesen Glücklichen war ich. Die Übrigen mußten die ganze Nacht stehen. Man denke sich diese Marter nach einem ermüdenden Marsch! Viele sanken hin, und waren verloren, denn wer, einmal zu Boden lag, kam nicht wieder empor, er wurde von den andern unwillkürlich zertreten, und so an Kraft erschöpft, vom Hunger und Durst gequält, hauchten viele unter den Füßen ihrer Kameraden ihr elendes Leben aus. Wir bekamen hier nicht einen Bissen Brot, sondern zum Spott brachten die Russen einen Sautrog herein, der mit Wasser, von roten Rüben abgezogen, und Barakiwasser genannt, angefüllt war. Hier sauft! riefen die Russen uns höhnend zu, das ist gut für die Franzus! — Ich war der einzige, der in Zeit von 24 Stunden Nahrung erhielt, und zwar durch meine Frau. Da die Russen auf die Weiber nicht acht hatten und sie ungehindert aus- und eingehen ließen, so schlich sich meine Frau zu der Bäuerin, die am Ofen mit Feuermachen beschäftigt war, und erbettelte sich ein Stück Brot, das ihr das Weib heimlich zusteckte. Auch ein altes Tuch bekam sie von ihr für mich, das ich mir um den Kopf wickelte. Das Brot tat meine Frau in eine blecherne Büchse, die uns bei der Plünderung nicht abgenommen worden war, goss Wasser dazu, und kochte mir eine Art von Suppe, wozu ihr die Bäuerin auch verstohlen Salz gab. Diese Nahrung, so schlecht sie unter andern Umständen gewesen wäre, erquickte mich unendlich und erhielt mich ziemlich bei Kraft. Meine armen Kameraden mußten beim Schein eines brennenden Spahnes uns essen zu, sehen, und ich konnte, ohne mich selbst und meine Frau dem Verschmachtungstode preis zu geben, ihnen nichts mitteilen. Auch war das Mitgefühl durch die unausgesetzten Leiden und den immerwährenden Anblick barbarischer Szenen schon ganz abgestumpft. Jeder dachte nur daran, wie er sich selbst helfen möge, und am Ende wurde jedem sogar sein eigenes Leben gleichgültig. Die Toten wurden beneidet, und waren auch wirklich beneidenswert, denn sie waren erlöst. Nun brach der Tag an, und wir wurden mit Kantschuhieben aus der Stube geprügelt. Aber freilich konnte nur etwa die Hälfte von uns fort. Teils tot teils sterbend blieben die andern liegen, und ich sah noch, wie ihre Körper von den Russen mit grausamen Schlägen mißhandelt wurden, während die Seelen schon besseren Wohnungen zugeeilt waren. In den andern Häusern mag es eben so zugegangen sein, denn als ich den Transport überblickte, kam es mir sehr zusammengeschmolzen vor.