Klirrende Kälte: Vögel fielen erstarrt von den Bäumen

Klirrende Kälte: Vögel fielen erstarrt von den Bäumen

An diesen Tagen war es so kalt, daß die Vögel erstarrt von den Bäumen fielen. Sogar Krähen, die doch viel Kalte ertragen können, lagen erfroren auf der Straße. Die Kosaken führten wieder ihre Pferde am Zügel und gingen zu Fuß, um nicht gleiches Schicksal mit den Krähen zu haben. Zum Beweis, daß es unter diesen Halbwilden doch auch welche gab, denen ein menschliches Herz im Busen schlug, erzähle ich einen Zug, dessen Augenzeuge ich an diesem Tage war. Eine Soldatenfrau vom 3ten Linien-Infanterie-Regiment hatte ein Mädchen von 3 Jahren bei sich, das natürlich diesen Marsch nicht aushalten konnte und getragen werden mußte. Der Vater und die Mutter hatten eine Zeit lang mit einander abgewechselt, aber nun fehlte beiden die Kraft. Sie konnten sich kaum selbst mehr schleppen. Man stelle sich deren Verzweiflung vor, das arme Geschöpf liegen lassen zu sollen! Da erbarmte sich ein Kosak der kindlichen Unschuld. Er nahm das Kind, band es auf den Sattel seines Pferdes, hüllte es in einen Pelz, und zottelte darneben einher. Das Kind, von dem verwilderten bärtigen Gesicht des Mannes erschreckt, schrie lange Zeit ganz entsetzlich, und selbst die neben laufende Mutter konnte es nicht beschwichtigen. Es war drollig zu sehen, wie der Kosak das Geschrei mit der größten Geduld ertrug, und nur zuweilen einige liebkosende Worte an das Kind richtete, die aber mit einem so barschen Wesen herausgebrummt wurden, daß man nicht wußte, war es gütiges Zureden oder Unwille. Dieses Betragen des Kosaken versöhnte mein Herz wieder einigermaßen mit diesen Halbmenschen. Aber mein Körper wurde mit jeder Minute schwächer, und als wir uns dem Städtchen Dochschütz näherten, etwa um die Mittagszeit, da wurde ich so hinfällig, daß ich nicht mehr fort konnte. Meine letzte Stunde schlägt, sagte ich zu meiner Frau, ich kann nicht mehr weiter. Mit diesen Worten nahm ich Abschied von ihr und sank zusammen. Schon wollten die Kosaken mit ihren Kantschu’s auf mich losschlagen, als meine Frau durch Bitten und Flehen sie von mir abwehrte. Sie ließen mich in Ruhe, und ich wurde endlich von meiner Frau und einem Grenadier unsers Regiments unter die Arme gefaßt, und mühselig weiter geschleppt. So kamen wir in Dochschütz an, und wurden nebst einer Abteilung von Gefangenen in einem neuen, aber noch unvollendeten Hause untergebracht, wo weder Tür noch Fenster war. Es lag an der Straße und hatte den durchmarschierenden Truppen als Pferdestall gedient, daher noch der Boden mit gefrorenem Pferdemist bedeckt war. Da pferchte man uns wieder wie Schafe hinein, und ließ uns auch hier ohne Nahrung. Wir sahen also bei der fürchterlichen Kälte nur den Tod entgegen. Das Ärgste, meinte ich, hätten wir nun erduldet, und es könne nicht schlimmer mehr kämmen. Aber ach! Nur zu bald erfuhren wir, daß unser Leiden jetzt erst recht angehen würde. Neue Truppen zogen durch, die uns wieder auf das Schrecklichste misshandelten. Ein gefangener Pole beging an uns, seinen Mitgefangenen, den schändlichsten Verrat, der denkbar ist. Er hatte ausgespäht, wo Jeder seine noch bis jetzt gerettete Barschaft verborgen hatte, und der russischen Sprache kundig, machte er gemeinschaftliche Sache mit den Feinden, und verriet ihnen Alles. Wütend stießen und zerrten uns nun die Unmenschen herum, daß unser Jammergeschrei die Luft erfüllte. Viele gaben unter den Misshandlungen ihren Geist auf, und so wie einer kein Lebenszeichen mehr gab, so zogen ihn die Russen sogleich nackt aus, schleppten ihn an den Füßen über unsere auf dem gefrorenen Pferdedünger dahingestreckten halberstarrten Körper hinweg und warfen ihn vor die Haustür. Ich erinnere mich dunkel, daß bei dem Manöver des Kleiderabreißens ein Jude gegenwärtig war, vermutlich um die Kleider zu erschachern. Der Pole schlich zu meiner Frau, und flüsterte ihr zu, wenn sie Geld habe, so möge sie es ihm geben, sonst würde sie nebst mir von den Russen auf das grausamste mißhandelt werden, und unser Geld doch alles verloren sein. Meine Frau ergriff diesen Vorschlag. Sie sagte ihm, sie besäße noch einen bayerischen Thaler, den wolle sie ihm geben, wenn er uns vor Misshandlungen schützen wolle. Er versprach es, und nun holte sie einen der beiden Thaler, die in meinen Rockärmeln verborgen waren, und gab ihm denselben, vorgebend, dies sei unsere letzte Habe. Der Pole nahm ihn, und wirklich hatten wir uns dadurch von ferneren Misshandlungen losgekauft. So rettete der Polen Habsucht mir die im Hosenträger eingenähten Goldstücke, von denen er glücklicherweise nichts wußte. Dies drohende Unheil war also glücklich an uns vorüber gegangen, aber ein neues, stellte sich bei mir ein. Ich bekam wieder die Diarrhoe, und da ich mich vor Schwäche nicht mehr auf den Beinen halten konnte, so wurde ich von meiner Frau und einem Soldaten meines Regiments mühselig vor die Türe gebracht und auf die hinausgeworfenen Toten gesetzt. Auf diese Weise wurde ich mehrmals auf die mühseligste Art aus- und eingeschleppt. Um meinen Leib einigermaßen zu erwärmen, bedeckte meine Frau, dicht neben mir liegend, mich mit den Röcken, die sie auf dem Leibe trug, und tat überhaupt mit unermüdlichen Sorge alles zu meiner Erleichterung, was nur in ihren Kräften stand. Gegen Abend wurden wir endlich aus diesem Hause des Elends und Schreckens abgeführt und in verschiedene Häuser des Städtchens verteilt. Ich kam nebst andern, worunter Feldwebel Haller und Sergeant Stöcke! (jetzt beide tot) in ein Judenhaus. Welche langentbehrte Wonne: hier war eine warme Stube! Auch lagen wir nicht so dicht beisammen und konnten, uns wenigstens auf die Erde hinlegen. Freilich blieben wir auch hier ohne Nahrung, aber wir dankten Gott, vor der entsetzlichen Kälte geschützt zu sein. Ich war in eine elende Bettstelle gelegt worden, die von Ungeziefer wimmelte. Nur wer Augenzeuge war, hat einen Begriff von der Unsauberkeit der Juden in diesen Ländern. Zu meinem Übel gesellte sich nun ein schreckliches Kopfweh, das wahrscheinlich durch die ungewohnte Ofenhitze, nach so lang erlittener heftiger Kälte, entstand. Mein ganzer Körper litt abwechselnd an Frost und Hitze, wozu noch die krampfhaften Schmerzen der Diarrhoe kamen. Bei Anbruch des Tages erschienen unsere Peiniger, die Kosaken, wieder, um uns aus den Häusern heraus, zur Fortsetzung des Marsches zu treiben. Mich ließen sie ungestört liegen, da sie wohl sahen, daß ich nicht mehr aufstehen konnte. Meine Kameraden nahmen Abschied von mir und gingen ihrem weiteren Schicksal entgegen. Kaum war der Transport fort, als der Jude, dem das Haus gehörte, meiner Frau das Halstuch, das einzige Kleidungsstück, das noch einigermaßen gut war, vom Leibe reißen wollte. Meine Frau schrie und setzte sich zur Wehr. Endlich gewann sie die Tür und lief nach dem nahegelegenen Edelhof, um da Schutz zu suchen, da sie gehört, hatte, daß der Edelmann die Oberaufsicht über die Gefangenen habe. Ihre Klage wurde nur mit halbem Ohr gehört, doch als sie um eine Unterkunft für mich flehte, beschied sie der Edelmann, mit mir auf den Edelhof zu kommen, wo er ihr ein Plätzchen in einem kleinen Gebäude bei mehreren gefangenen Offneren anweisen wolle. Getröst kehrte meine Frau zurück, aber in welchem Zustande fand sie Mich! Kaum war sie aus dem Hause gewesen, als der Jude mich gepackt und zur Türe hinausgeworfen hatte. Da lag ich hilflos in der Kälte, als meine Frau kam. Mit Hilfe eines mitleidigen Bauern schleppte sie mich nach dem Edelhof, der unsern von dem Städtchen auf einer Anhöhe lag, was mir den Weg dahin noch beschwerlicher machte. Dort angekommen, begaben wir uns in das mir angewiesene Lokal, aber es war ganz unmöglich hier einen Platz zu finden, denn das Zimmer war so vollgepfropft, daß die kranken Offiziere dicht aneinander lagen und sich selbst kaum regen konnten. Meine Frau wurde mit dem Bescheid abgefertigt, sie müsse so lange warten, bis wieder ein Offizier stürbe, was fast täglich geschehe. Einer der bayerischen Offiziere die da lagen, der Leutnant Kramer, von unserm Regiment, versprach meiner Krau, ihr Nachricht sagen zu lassen, sobald ein Platz in diesem Zimmer leer würde. Um in der Nähe zu sein und das zu hoffende Unterkommen nicht zu versäumen, bereite mir meine Frau auf dem Vorplatz neben dem Zimmer der Offiziere ein Strohlager unter einer Wäschmange. Ein Offiziersbedienter gab ihr für mich eine alte wollene Decke und eine Pelzkappe, ein Liebesdienst, dessen ich sehr bedurfte, denn auf diesem Lager war ich der Kälte und dem Zugwinde ausgesetzt. So lag ich elend da, und erwartete schmerzlich, welche Krankheit wohl in mir ausbrechen würde, denn der Zustand, in dem ich mich befand, war noch unentschieden. Zum Überfluss kam auch noch ein Kosak, und, mich wild und grimmig angrinsend, legte er sich neben mir nieder, wie ein brummiger Kettenhund, und ruhte einige Stunden aus, worauf er sich glücklich wieder entfernte. Ich dankte Gott, den gefährlichen Nachbar los zu sein. Aber er wurde durch ein noch größeres Übel abgelöst. Denn gegen Abend kamen ein Paar Mägde mit Wäsche, und fingen an, sie über meinem kranken Kopf zu mangen. Man stelle sich vor, was ich bei diesem Gepolter litt! Ich meinte oft, jetzt müsse mir die Hirnschale zerspringen. Doch half nichts, ich mußte geduldig ausharren, bis die Mägde fertig waren. Ich brachte eine schreckliche Nacht in dieser Lage zu. Meine Frau kroch ebenfalls unter die Mange und legte sich an meiner Seite zur Ruhe. Am andern Morgen begab sie sich zum Edelmann, stellte ihm mein Elend vor, und flehte um ein warmes Zimmer. Der Edelmann befahl einem Bauer, mich nach dem Städtchen zurückzufahren und in ein Haus zu bringen, das er ihm bezeichnete. Ich wurde also auf einen Schlitten gepackt, und dahin gebracht. Wir traten ins Zimmer und der Bauer richtete dem Hauswirt, einem Weber von Gewerb, den Befehl des Edelmanns aus. Zwei kranke russische Kürassiere, die in der Stube lagen, richteten nun den Zopf in die Höhe, und fingen an gewaltig auf mich zu schimpfen. Der Hauswirt nahm sich meiner an, und zankte sich eine Weile mit ihnen herum, während ich auf eine Bank hingelegt wurde. Der Hauswirt verließ nun das Zimmer, und als auch meine Frau hinaus ging, einige Lebensmittel für mich aufzusuchen, zogen die Kürassiere ihre Säbel und stachen nach mir. Ich weiß nicht, ob sie zu schwach waren aufzustehen, oder ob sie mich nur ängstigen wollten, aber ich traute diesen, selbst in der Krankheit noch unversöhnlichen Feinden das Ärgste zu. Als meine Frau zurückkam, beschwor ich sie, mich von diesen Menschen wegzubringen, wo ich meines Lebens nicht sicher sei. Der Mann und die Frau vom Hause, dies hörend, schalten die beiden Kürassiere mit großer Heftigkeit, diese entgegneten eben so, und des Scheltens, Schimpfens und Zankens war kein Ende. Ich war trotz alles Zuredens von meiner Frau nicht mehr zu bewegen, hier länger zu bleiben, denn der Schreck halle aus mein durch Krankheit gebeugtes Gemüt so stark gewirkt, daß ich seiner nicht Herr werden konnte. Meine gute unermüdliche Walburga lief also noch einmal nach dem Edelhof, um mir ein anderes Unterkommen zu erbitten. Auf dem Wege kam ihr des Leutnants Kramer Bedienter, Namens Reiser, von der 2ten Schützen-Kompanie unsers Regiments, mit der Nachricht entgegen, es sei so eben ein französischer Offizier gestorben, wodurch nun Raum für mich und sie geworden. Gott dankend, kehrte Meine Frau zurück, packte mich mit Hilfe des Hauswirts wieder aus den Schlitten, und so gelangten wir neuerdings auf den Edelhof. Da Leutnant Kramer für mich gesprochen hatte, so wurde ich von den Offizieren freundlich und willig aufgenommen. Man wies mir und meiner Frau eine Ecke an, und endlich sollte ich zur Ruhe kommen! Das Zimmer war zwar nicht groß, aber trostreich mit einem förmlichen Ofen nach deutscher Art versehen. Ich lag, wie alle andern, auf Stroh, ober vielmehr auf dem zerknitterten Geniste, das ehedem Stroh gewesen, aber durch den langen Gebrauch so kurz wie Häckerlig geworden war. Wenn man es genauer betrachtete, so konnte man sehen, wie die einzelnen Hälmchen durch das Gewühl des durcheinander wimmelnden Ungeziefers sich bewegten. Man verzeihe mir diese ekelhafte Beschreibung, aber sie gehört zur vollständigen Schilderung unseres Elends. Von den bayerischen Offizieren, die in dieser Stube lagen, sind mir, außer oberwähnten Lieutenant Kramer, noch erinnerlich: Hauptmann Nagel, Lieutenant Baron v. Asch vom 3ten Linien-Infanterie-Regiment, Oberleutnant Schindling, ebenfalls, wenn ich nicht irre, vom 3ten Regiment und Oberleutnant Baumgraz vom 3ten leichten Bataillon (jetzt Rechnungskommissär beim k. b. Oberpostamt in München). Von andern Mächten, lagen da ein westphälischer Offizier, Namens Albrecht und ein Arzt (dessen Name mir entfallen ist) ebenfalls ein Westphale.


Einige dieser Herren hatten Bediente, die ebenfalls in der Stube lagen. Der Arzt erklärte meiner Frau, ich hätte eine hitzige Nervenkrankheit, an der ich, da keine Arznei zu haben sei, wohl würde sterben müssen. Der arme junge Mann ahnte nicht, daß ich ihn noch lange überleben würde. Sein Leiden und sein schrecklicher Tod stehen noch lebhaft vor meiner Seele. Seine Füße warm erfroren, und bis an die Kniee in Fäulnis übergegangen, was einen unerträglichen Pestgeruch verbreitete. Übrigens schien er noch kräftig, denn er sprach laut, und als der Schmerz an den Füßen und die Foltern des Hungers überhand nahmen, jammerte und schrie er Tage und Nächte lang, daß es uns durch Mark und Bein drang. Ach, mein Jesus, rief er oft, muß ich hier diesen schrecklichen Tod sterben. O meine armen Eltern! Wenn ihr mich so sehen könntet! Wenn ihr wüsstet, was ich leide!,— Ach, hilft mir denn Niemand! Ach, nur einen Bissen Brot! Ich verhungere! Gibt mir denn Niemand einen Bissen Brot? So ging das Wehklagen und Schreien unaufhörlich, und Niemand konnte helfen, denn wir hatten selbst nichts, und der grausame Edelmann vertröstete uns immer, aber schickte uns nicht einen Bissen Brot. Wer noch einiges Geld hatte, hielt es zu Rat, da er nicht wußte, wie es ihm selbst in der nächsten Stunde gehen würde. Auch war alles menschliche Mitgefühl durch das eigene Elend so abgestorben, daß jeder wünschte, und sogar laut aussprach, möchte doch der Unglückliche bald sterben, denn das Geschrei und der Gestank seien nicht länger auszuhalten. Endlich nach einigen Tagen wurde der Ärmste still, und als wir nach Ihm sahen, war er tot. Die Bedienten deckten sein grässlich verzerrtes Gesicht mit seinem grünen Mantel zu, der aber in Kurzem grau wurde, so sehr war er gleich mit Läusen übersäet, die den Toten verließen. Er wurde hinaus geschleppt, wo ihn die Bauern auf einen Schlitten warfen, und wie jeden Verstorbenen fortbrachten.