In Czernikof wurde ich in einem Spital behandelt

In Czernikof wurde ich in einem Spital behandelt

Durch Vermittlung der Offiziere wurde der Austrag des Handels bis zu unserer Ankunft in Czernikof vertagt, wo die Sache dem Gouverneur vorgelegt werden sollte. Dies geschah, sobald wir in Czernikof angekommen und dem Gouverneur vorgestellt worden waren. Seine Entscheidung beweiset hinlänglich, wie strafbar der Kommissär war, denn beide bekamen unrecht, und wurden verurteilt, die wechselseitig ausgeteilten und empfangenen Schläge ohne Genugtuung einzustecken. Ich wurde, meines Ausschlags wegen, sogleich in das Spital gebracht. Eben so ein bayerischer Kanonier, Namens Mühlboltner. Hier lagen Kranke aller Nationen. Der Spitalarzt war ein geborner Österreicher in russischen Diensten. Sein Name ist mir entfallen. Dieses Spital war für Jeden, der so viel erlitten, wie ich, ein wahres Paradies. Die Kranken wurden behandelt, genährt und gepflegt, als wären sie in Deutschland. Es fehlte nicht an Medikamenten für die, die deren bedurften, nicht an guter Kost für die Genesenden. Wir lagen alle auf Matratzen und diejenigen, deren Gesundheitszustand es erlaubte, bekamen jeden Morgen eine gute Suppe, zu Mittag Fleisch, Gemüse, und ein Pfund Brot, und Abends wieder Suppe. Unter diesen Glücklichen war auch ich. Hier fühlte ich mich wieder ein Mensch unter Menschen. Da ich nicht mehr so sehr mit körperlichem Elend zu kämpfen hatte, so erwachte dafür der Schmerz meiner Seele desto stärker. Ich dachte meiner Walburga, und meine Tränen flossen oft um sie, die für mich ins Elend gegangen, für mich gestorben war. Nach ungefähr vierzehn Tagen solcher Pflege fühlte ich mich durch die Medikamente sowohl als die gute Kost so gestärkt, daß ich dem Trieb nicht widerstehen konnte, mich ein wenig in der Stadt umzusehen. Auch lockte mich die schöne Witterung. Es war, wenn ich nicht irre, im Juni und die Sonne schien warm. Den Kranken war es zwar verboten, auszugehen, und eine Schildwache stand deswegen an dem Tor, welche die Weisung hatte, keinen Kranken hinauszulassen; allein das Verbot wurde häufig überschritten, was um so leichter war als man uns unsere Kleider gelassen hatte. Die Kranken bekamen viele Besuche aus der, Stadt von ihren Kameraden. Mit diesen schlich sich mancher Kranke hinaus, indem er tat, als sei er auch nur zum Besuch da gewesen. Die Schildwachen, lauter Kreuzbauern, konnten die Kranken von den Gesunden nicht unterscheiden, und glaubten Jedem aufs Wort; daß er in der Stadt im Quartier liege. Die Krankenwärter waren aus den Gefangenen selbst gewählt, und verrieten uns nicht. Der Arzt kam des Tages einmal, jeden Morgen nämlich, und konnte nichts bemerken. So schlich ich mich fast alle zwei Tage hinaus und badete mich ohne Wissen des Arztes in der Desna, während, dies müsse mir bei meinem Ausschlag sehr heilsam sein. Mit der Seife, die ich im Spital erhielt, seifte, ich mein Hemd über und über ein und träufelte es über meinen wunden Körper, nicht achtend die unsäglichen Schmerzen, die die scharfe Lauge mir verursachte, denn ich hatte nur meine schnellere Heilung vor Augen. Dann wusch ich das Hemd rein, und legte es auf den Rasen, wo es trocknete, während ich indessen selbst in den Fluss stieg, um das Seifenwasser wieder aus meinen Wunden wegzubaden. Oft setzte ich, mich, nach diesem Bade auf den Rasen und während mein Hemd in der Sonnenhitze trocknete, stellte ich schwermütige Betrachtungen über meine traurige Lage an. So weit von meiner Heimat, unter fremden feindlichgesinnten Völkern, ohne Gesundheit, ohne Kleider, ohne Geld, aller Hilfsmittel entblößt, was sollte aus mir werden! Ein Strom von Tränen schloß immer diese Selbstgespräche und erleichterte mein Herz. Gewöhnlich folgte dann der tiefsten Betrübnis eine unwiderstehliche Lustigkeit, die sich durch Trällern, Pfeifen und Singen Lust machte. Ich fühlte, daß durch die ausgestandenen Leiden, besonders durch die schreckliche Kälte bei dem 12 Stunden langen Marsch ohne Kopfbedeckung die Nerven meines Gehirns angegriffen, und mein Geist geschwächt worden war. Daher die kindische Launenhaftigkeit, mit der ich von einem Extrem zum andern überging. Diese Wirkung der Kälte äußerte sich bei andern in noch viel höherem Grade, und mancher wurde völlig wahnsinnig. Das gewaltsame Heilungsverfahren durch die Seifenschärfe verfehlte seine Wirkung nicht, so daß der Arzt nicht begreifen konnte, wie ich so schnell von diesem Aussatz genas. Schon nach fünf Wochen wurde ich als gesund aus dem Spital entlassen. Eben so der Kanonier Mühlboltner. Jetzt erst bekannte ich dem Arzt, wie ich seines Heilmethode vorgegriffen. Er war sehr betroffen darüber, und sagte, ich hätte mir dadurch großen Schaden getan. Durch das zu frühe Baden und die Anwendung der Seife sei ohne Zweifel der Krankheitsstoff, den die Natur durch den Ausschlag ausstoßen wollte, wieder in den Körper zurückgetreten und ich würde die schlimmen Folgen davon früher oder später fühlen. Der brave Mann hatte recht, denn schon im Jahre 1818 zeigten sich, verschiedene Übel, und sind trotz der Mühe vieler Ärzte noch jetzt nicht ganz gehoben. Der Arzt, der eine Vorliebe für die Deutschen hatte, und besonders mir sehr gewogen war, machte mir nun einen Vorschlag, der meinem Schicksal plötzlich eine günstigere Wendung gab. Wie wäre es, sagte er, wenn Sie Arbeit nähmen? Sie haben zwar die Charge eines Sergeanten, sind aber jetzt Gefangener, von allem entblößt, können ihren Körper kaum bedecken, ihren Hunger kaum stillen, denn die 15 Kopeken, die, Sie täglich vom Kaiser, erhalten, reichen nicht zu Ihrem Unterhalte hin, und Gott weiß, wie lange Ihre Gefangenschaft noch dauern wird. Ich habe, fuhr er fort, einen Platz für Sie und Ihren Kameraden (er deutete auf Mühlboltner) ausgesucht. Wenn Sie auf mein Anerbieten eingehen, so sind Sie versorgt. Wer war froher als ich! Ich dankte ihm herzlich, für diese wohltätige Sorgfalt, und bat ihn, uns je eher je lieber, unterzubringen.