Feldzug nach Russland am 11. März 1812

Feldzug nach Russland am 11. März 1812

Nun kam das schreckliche Jahr 1812 und mit ihm der unglückliche Feldzug in Rußland. Wir rückten am 11. März aus. Hauptmann Annifer war mein Kompagniekommandant geworden, da Hauptmann Denis in Nürnberg geheiratet hatte und in den Bürgerstand übergetreten war. Viele Freunde gaben mir das Geleite bis Buch, wo wir unter wechselseitigen Segenswünschen schieden.

Ich maße mir nicht an, den russischen Feldzug beschreiben zu wollen. Das ist oft, mit großer Einsicht, Sachkenntnis, und mit einem Überblick des Ganzen geschehen, den ich armseliger Sergeant auf meinem beschränkten Standpunkte nicht haben konnte. Nur meine Leiden, Schicksale und Abenteuer in diesem verhängnisvollen Feldzuge wag’ ich schlicht und der Wahrheit getreu zu erzählen Unser Marsch ging durch Sachsen und Preußen, wo wir überall äußerst freundlich aufgenommen und verpflegt wurden. Zu Glogau hielt der General Gouvion St. Cyr (der später Marschall wurde) über uns Heerschau. Von da kamen wir durch das Herzogtum Posen, und blieben in der Stadt Posen ungefähr 10 bis 12 Tage im Quartier. Von hier erreichten wir den Fluss Memel, wo wir Halt machten. Die Leibkompagnie bekam die Wache an der Schiffbrücke, und wir überschritten endlich hier die russische Grenze und standen auf feindlichem Gebiet. Ich bin nicht im Stande die Ortschaften, durch die wir zogen, mit Namen zu nennen, da mir mein Tagebuch nebst allen meinen Papieren in der Gefangenschaft abgenommen wurden, daher ich in dieser Beziehung um Nachsicht bitten muß.

In der Gegend der Memel mag es vor unserer Ankunft nicht eben säuberlich zugegangen sein, denn wir fanden eine zahllose Menge zertrümmerter Bagage, Wagen, und toter Pferde, die zurückgelassen worden waren. Auch viele abgemagerte Pferde liefen herrenlos herum. Die Offiziere machten meine Frau darauf aufmerksam und rieten ihr, sich aus diesen Überbleibseln ein Fuhrwerk zu bereiten. Sie ließ sich das nicht zweimal sagen, die Soldaten der Kompagnie boten ihr hilfreiche Hand an, und in Kurzem war ein Wagen mit zwei Pferden hergestellt. Ich war auch froh, daß ich meinen Tornister nun nicht mehr zu tragen brauchte, ausgenommen bei Paradierungen. So setzten wir unsern Marsch mehrere Tage lang und bereits Brigaden- und Divisionsweise sort. Alles Fuhrwerk, die Kanonen und Munitionswagen ausgenommen, mußte abgesondert entweder vor oder hinter der Truppe fahren. Meine Frau pflegte demnach jedesmal mit den Bagage- und andern Wagen eine Stunde vor unserm Aufbruche sich auf den Weg zu machen. Eines Tages, als wir auf dem Platz ankamen, wo die Division sich versammeln sollte, sah ich in der Entfernung in einem See etwas herumschwimmen, das ich aber nicht unterscheiden konnte. Wie wir aber näher kamen, schrieen die Soldaten: Hr. Sergeant, Ihre Frau ist dort mitten im See in größter Lebensgefahr! Man denke sich meinen Schreck. Ich rannte aus Leibeskräften dem See zu. Viele Zuschauer sah ich am User stehen, aber keiner wagte sich hinein. Endlich, noch ehe ich das Ufer erreichen konnte, sah ich einen Soldaten Waffen, Rock und Schuhe von sich werfen, sich in das Wasser stürzen, auf den Wagen zuschwimmen, die Zügel ergreifen, und als ich ankam hatte er die Pferde schon an derselben Stelle ans Land gebracht, wo sie hineingestürzt waren. Triefend stand meine Frau am Ufer. Ihr Retter war ein Franzose, der einzeln seiner Truppe nachzog und den die Vorsehung gleichsam dazu ersehen hatte, denn wahrscheinlich war er der Einzige von Allen, die eben da waren, der schwimmen konnte. Ich wollte ihm einen Kronthaler geben, aber beleidigt wies er das Geschenk zurück und sagte in gebrochenem Deutsch: Nik so, Kamerad! das nit schön! Ik Dein Frau rett, Du mein Frau auk rett, wenn sie fällt in die Wasser. — Der gute Franzose irrte sich. Ich hätt’ es wohl müssen bleiben lassen, seine Frau aus dem Wasser zu holen, denn ich konnte nie schwimmen. Später erfuhr ich, daß auch Generalleutnant Graf Wrede ihn für diese Tat beschenken wollte, aber auch von ihm nahm der edle Mann nichts an. Mich schmerzte am meisten, daß ich mit ihm nicht sprechen konnte, da wir jeder des andern Sprache nicht verstanden. Ich weiß nicht einmal, wie er hieß, und habe nie wieder von ihm gehört. Meine Frau war ohne ihr Verschulden in diese äußerste Gefahr geraten. Es war ein sehr heißer Tag, und als die Pferde, von großem Durst gepeinigt, das Wasser erblickten, rissen sie ihr den Zügel aus den Händen und stürzten sich sammt dem Wagen vom hohen Ufer in den See.


Von unserm Sammelplatz brachen wir nach Wilna auf. Je weiter wir kamen, je größer wurde die Zahl der toten Pferde, die überall herumlagen, was einen Pestgeruch verbreitete, von dem viele Soldaten krank wurden. Auch fing es schon an, an Lebensmitteln zu fehlen, besonders an Fleisch. Daher wurden eines Tages vier Sergeanten, worunter ich, jeder mit 40 Mann kommandiert, Vieh aufzutreiben, und für das Regiment wegzunehmen. Jeder von uns wählte sich eine Richtung, in der er mit seiner Mannschaft fortmarschierte. Ich hatte mein Augenmerk auf einen Wald gerichtet, hinter welchem ich auf Herden zu stoßen hoffte. Ich hatte mich nicht geirrt. Nachdem wir ungefähr zwei Stunden Weges zurückgelegt hatten, öffnete sich der Wald, und wir hatten Aussicht auf eine große Heide, wo viel Hornvieh weidete, und in der Ferne ein großes Dorf lag. Wir umzingelten die Herde, die aus ungefähr 100 Stück bestehen mochte, und fingen an, sie fortzutreiben, als plötzlich ein großer Haufen von Bauern wie ein Bienenschwarm aus dem Dorfe strömte, alle mit Äxten, Sensen und Mistgabeln bewaffnet. Ich ließ 20 Mann gegen sie Front machen, und als ich die Überzahl der Bauern sah, die immer näher kamen, und Miene machten uns anzugreifen, ,so ließ ich einige Gewehre über ihre Köpfe losfeuern, damit sie die Kugeln sausen hörten, denn ich hatte Ordre, Menschenblut so viel wie möglich zu schonen, und nur im höchsten Notfalle Gebrauch von Bajonetten und Feuer zu machen. Die Schüsse verfehlten ihre Wirkung nicht. Die Bauern stutzten, hielten im Verfolgen ein und schienen sich zu beratschlagen. Ich zog mich mit dem Vieh in tiraillierender Ordnung auf den Wald zurück, aber das Vieh, durch das Schimmern und Rasseln der Gewehre, und besonders durch die Schüsse scheu geworden, riß von allen Seiten aus, und wir hatten nicht Zeit uns mit Einholen aufzuhalten. Als wir im Lager ankamen, hatten wir noch 10 Stück, nämlich: 6 Ochsen und 4 Kühe. Einige Bauern waren uns gefolgt und trafen mit uns ein. Sie warfen sich unserm Oberst Baron v. Habermann zu Füßen und flehten um Rückgabe des Viehs. Es wurde ihnen durch einen Dolmetscher, einen Polen von Geburt, bedeutet, daß die Armee gezwungen sei, sich selbst zu nehmen, da man ihr nichts regelmäßig liefere. Nun baten sie nur um die Kühe und der Oberst stellte ihnen drei davon wirklich zurück, worauf sie ihm, nach ihrer knechtischen Weise, die Füße zu küssen suchten, und vergnügt abzogen. Die drei übrigen Sergeanten waren nicht so glücklich gewesen, wie ich. Einer hatte nur ein Paar Stücke erhaschen können, die beiden an, dern brachten gar nichts. Sie waren die Kreuz und Quere in den Wäldern herumgezogen und hatten nichts Lebendes zu Gesicht bekommen. Sie bekamen Verweise und wurden von uns obendrein tüchtig ausgelacht.