Die mörderische dreitägige Schlacht bei Polozk

Die mörderische dreitägige Schlacht bei Polozk

Bei Polozk begann die mörderische dreitägige Schlacht, am 16., 17., und 18. August. Die Russen trachteten um jeden Preis, die Stadt zu nehmen, wurden aber auf allen Punkten zurückgewiesen und am dritten Tage endlich zum Weichen gebracht. Am ersten Schlachttag kam ich nicht ins Feuer. Am zweiten standen wir auf einer Anhöhe rückwärts, während das erste Bataillon weiter vorn an einem Wald im Feuer stand. Uns zur Rechten stand die erste Division aufgestellt, und uns zur Linken feuerte die russische Artillerie nach dieser Division, die noch höher stand, als wir, und besonders nach der Kavallerie. Allein in so weiter Entfernung erreichten die russischen Kugeln die Division nicht, sondern schlugen fast alle bei uns nieder und taten uns großen Schaden, ohne daß die Russen vielleicht darum wußten, denn ich glaube nicht, daß es auf uns gemünzt war. Während dieser Affaire kam meine Frau herbei und brachte mir Brot. Wir wunderten uns über ihre Kühnheit, und die Offiziere riefen ihr zu, wie sie sich dem Kugelregen aussetzen möge, wo sie so leicht verunglücken könne. Wenn mein Mann verunglückt, ist es eben so viel, sagte sie, ich muß für ihn sorgen, im Feld wie zu Haus, das ist meine Schuldigkeit. Endlich kam Oberst Baron von Habermann herangesprengt und befahl dem Major Flad, das Bataillon aus dem Feuer zu bringen, da es hier doch nichts wirken könne und unnützerweise Leute verliere. Wir zogen uns zurück und kamen aus dem Schuß. Indes war der Wald von den Unsrigen genommen worden. Mehrere Bewegungen und Manövers wurden noch gemacht, die zu weitläufig zu erzählen wären.


Am dritten Schlachttage rückten wir gegen einen Wald vor, um die Russen zu überfallen. Hier bekam ich den General-Leutnant Grafen Wrede zu Gesicht, der neben der Front zu Fuss ging, da er der Diarrhoe wegen, an der er litt, gar nicht mehr zu Pferde steigen konnte. Wir Soldaten wunderten uns, wie ein so vornehmer Herr, für dessen Nahrung und Pflege doch vor Allem gesorgt werden müsse, ebenfalls diesem Übel habe unterworfen sein können. Es war aber damals Niemand davon verschont, und die Armee litt unsäglich durch diese Epidemie. Wir nahmen den Wald in solcher stürmischen Eile, daß wir noch die russischen Feuer mit den kochenden Speisen vorfanden. Die Nacht brach ein und wir blieben stehen. Am vierten Tag marschierten wir, über das Schlachtfeld hinaus, das mit toten Russen bedeckt war. Auch fanden wir einen schönen Schimmel tot liegen, den wir Tags vorher von Weitem vor der russischen Fronte hatten ab- und zugaloppieren sehen. Es war ein stattliches Tier und wir hielten es allgemein für Wittgensteins Pferd. So ermattet und abgequält wir auch Alle selbst waren, so bedauerten wir doch einmütig das edle Tier, daß es seinen Tod hier gefunden hatte. Hätten wir gewußt, was uns erwartete, wir würden den Schimmel nicht bemitleidet, sondern beneidet haben. Einige Munitionswagen, die von unsern und den französischen Kugeln zertrümmert dalagen, lieferten uns treffliche Patronen. Ich warf alle die meinigen weg und ersetzte, sie doppelt durch diese russischen, die alle geleimt, folglich dem Ausrinnen nicht ausgesetzt waren. Überdies war das Pulver, wahrscheinlich englisches, von vortrefflicher Qualität, machte nicht, wie das unsrige, eine speckige Kruste am Zündloch, und hatte eine starke Triebkraft. Diese Patronen dienten mir in der Folge trefflich. Wir rückten durch lauter Wälder auf ein Posthaus vor, wo wir Halt machten. Hier bezog das Regiment mitten im Wald ein Lager. Wir litten Mangel an Allem Vom Brot war keine Rede mehr. Wir lebten von elendem Fleische, das hier und da zusammengerafft worden. Viele Soldaten gingen in die Wälder und suchten Wurzel und Kräuter, die aber oft schädlich waren und Krankheiten und Wahnsinn verursachten. Unser Elend war groß, doch da wir es in Kameradschaft erlitten, so behaupteten wir immer noch unsern Mut. Ja wir scherzten oft darüber, und mehrere von uns machten den andern weiß, die Brotwagen seien schon in der Nähe, von den hohen Bäumen müsse man sie heran kommen sehen. Da stiegen Einige, die Kraft genug hatten, auf die Gipfel der Bäume, und da sie nichts erschauen konnten, wurden sie tüchtig ausgelacht. So treibt der Mensch Scherz mit seinem Elende. Endlich kamen Brotwagen, aber so wenig, daß 16 Mann nur einen Laib Brot bekamen. Der bitterste Mangel war aber der des Wassers. In der ganzen Gegend war keine Quelle. Wir mußten unsern Trinkbedarf aus einer großen Pfütze holen, die aussah, wie braune Farbe, und von unzähligen kleinen Würmern wimmelte. Daraus entstanden wieder viele Krankheiten, und die Ärzte verordneten, daß dieses Wasser gesotten und durchgeseiht werden müsste, damit wir wenigstens keine Insekten mit verschluckten. Wir gruben auch Löcher und hofften auf Wasser zu kommen, allein immer war es eine solche braune Jauche. Endlich wurde am Posthaus ein Brunnen entdeckt, der gutes, wiewohl etwas süßliches Wasser gab. Hier wurde eine Wache postiert, damit der Brunnen nicht zu früh erschöpft würde. Dennoch hatten wir ihn bald ausgetrunken, und auf dem Grunde, — welch ein Ekel für uns! — fanden wir ein Menschenbein, das oben am Schenkel abgenommen und wahrscheinlich mit Willen von den Russen in den Brunnen war geworfen worden. Nun konnten wir uns den süßlichen Geschmack des Wassers erklären, und Niemand trank mehr aus dem Brunnen.

Einmal, es mochte etwa Mitternacht sein, schlief ich, vor Hunger ermattet, sanft unter einem Baume. Da weckte mich plötzlich jemand. Ich fuhr auf. Es war meine Frau. Ich staunte sie an. Wo in aller Welt kommst du her? fragte ich. Von Polozk, sagte sie, ich habe jemanden gefunden, der auf die Pferde Acht gibt, und komme, dir etwas Schnapps und Brot zu bringen. Aber wie bist Du durch alle das Militär gedrungen, das uns im Rücken steht, sagte ich, und noch dazu des Nachts? Ei, sagte sie, sie haben mich wohl oft angerufen, bald Franzosen, bald Schweizer, bald andere Deutsche, aber ich habe auf das qui vive so gut wie jeder geantwortet bon ami, und so ließen sie mich überall durch. Ich bin ja eine Soldatenfrau und habe mich vor Soldaten nicht zu scheuen. So erquickte mich das treue Weib und ließ sich durch kein Hindernis abschrecken mich aufzusuchen. Nachdem sie mich gelabt hatte, ging sie wieder zurück, da sie Pferd und Wagen nicht zu lange fremden Händen überlassen durfte.

Einige Zeit darauf machte das zweite Bataillon eine Bewegung vorwärts. Während wir marschierten, ging durch Unvorsichtigkeit eines Soldaten von einem leichten Jägerbataillon ein Gewehr los und gleich darauf sahen wir in einem Graben einen jungen Unterarzt, Namens Westermeier aus Landshut wie es schien, schreibend sitzen. Als wir näher kamen, sahen wir, daß ihm die Hirnschale von der Stirne an, wie durch eine Säge gespalten und ausgehoben war. Die Kugel des Jägers hatte ihn getroffen, als er eben an einer Krankenliste schrieb, und hatte diese sonderbare Wirkung hervorgebracht.