Die langersehnte Stunde schlägt

Die langersehnte Stunde schlägt

Es war wieder Winter geworden, und mochte etwa im November sein, als uns die langersehnte Stunde der Erlösung schlug. Die preußischen und portugiesischen Gefangenen waren schon früher ausgewechselt worden, und durch die Zeitungen trafen immer mehr Nachrichten ein, die auch eine baldige Auswechslung der Bayern wahrscheinlich machten. Durch unsere Offiziere erfuhren wir Verschiedenes, das uns freilich nicht erbaute, denn, unsers großen Heerführers Unglück ging uns natürlich zu Herzen.


Als ich eines Tages bei dem Kapitän der Polizei meine Löhnung hatte, kündigte er mir durch, einen Juden, der Dolmetscher war, an, ich sollte mich freuen, die Bayern würden nun nach Hause geschickt, und hätten nur noch so lange zu warten, bis die Monturstücke fertig wären, die der Kaiser Alexander für sie zu machen befohlen. Unsere Freude wurde nur durch die Gewißheit von dem Verlust der Schlacht bei Leipzig und dem nur sehr wahrscheinlichen Sturz Napoleons gedämpft. Kein Soldatenherz wird uns verübeln, daß wir an diesem großen Kriegshelden hingen, und von ihm Ersatz, für die unsäglichen Drangsale hofften, die wir erduldet hatten.

Wir Bayern erhielten endlich jeder die Monturstücke, bestehend aus einem Hemd, Pantalons, Stiefeln, Strümpfen oder wollenen Lappen, einem kurzen Pelz, einer Mütze und einem Mantel, und am. 23. Dezember 1813 verließen wir Czernikof. Wir waren unser 31, die Offiziere ungerechnet, die immer zu zweien in Schlitten, unter Begleitung eines russischen Kommissärs vorausgefahren wurden. Von den Offizieren sind mir noch erinnerlich: Oberleutnant Michel von einem leichten Bataillon, Oberleutnant Baumgraz, der noch immer von seinem Bedienten in und aus dem Fuhrwerk getragen werden mußte, Oberleutnant Delapair vom 3ten Linien-Infanterie-Regiment, Oberleutnant Albrecht, vom 5ten Chevauxlegers-Regiment, und endlich ein westphälischer Offizier, ebenfalls mit Namen Albrecht, den die bayerischen Offiziere aus Gefälligkeit mitnahmen und für einen Bayern ausgaben. Dieser trennte sich, später in Warschau von uns. Da ich der einzige Unteroffizier bei dem ganzen Transport war, so ward mir die Führung der Soldaten anvertraut.

Wir hatten einen Weg von ungefähr 500 Stunden zurückzulegen, daher ich alle überflüssige Monturstücke an die Juden verkauft, und mich so leicht als möglich gemacht hatte. Wir marschierten täglich sechs bis acht Stunden, und nachdem wir viele kleine Ortschaften passiert hatten, die zu erwähnen zu weitschweifig wäre, kamen wir am 30. Dezember 1313 bei Kiof an, konnten aber nicht über den Dnieper, da das Grundeis sehr stark strömte, und weit und breit keine Brücke war. Der Fluss ist hier wohl eine Viertelstunde breit. Wir wurden in ein Dorf unsern des Ufers einquartiert. Tags darauf wollten wir in Fähren über den Fluss, aber das Eis strömte noch stärker, so daß kein Schiffer es wagte zu fahren. In der Nacht fror das Wasser endlich ganz zu, und nun marschierten wir am 1. Jan. 1814 zu Fuß hinüber. Die Kälte war bis auf 32 Grad gestiegen, und fünf Mann erfroren auf dem Übergang Nasen, Ohren und Kniee. Ich selbst erfror die Nase und das linke Ohr. Meine Kameraden machten mich darauf aufmerksam und ich rieb die erfrornen Teile so lange mit Schnee, bis das Blut darnach rann. So kam ich mit einer hochgeschwollenen Nase und eben solchem Ohr nach Kiof, wo die Soldaten alle in ein Haus gelegt wurden und Fleisch und Brot bekamen. Die Offiziere wurden bei einem Sekretär einquartiert und waren so gütig, mich mit dahin zu nehmen. Als wir bei diesem Sekretär eintraten, lief er hastig auf seinen Degen zu, der im Winkel lehnte, und steckte ihn an, dann holte er ein Wickelkind aus der Wiege, nahm es auf den Arm, und so mit Kind und Degen versehen schritt er schweigend im Zimmer auf und ab. Dies Manöver kam uns sehr spaßhaft vor. Wir wußten nicht, fürchtete er sich vor uns, oder wollte er uns imponieren. In jeden Fall waren Kind und Degen eine komische Allianz gegen den Feind. Wir lagen vier Tage lang da, während welcher Zeit der wunderliche Sekretär sich, so viel ich wahrnehmen konnte, nicht würdigte, auch nur eine Silbe mit den Offizieren zu wechseln.

Von der Stadt Kiof kann ich nicht viel sagen, da ich sie nicht recht besehen konnte. Sie ist groß, weitläufig gebaut, und wie Czernikof ohne Pflaster. Sie wird durch eine Zitadelle beherrsche, die auf einer steilen Höhe dicht am Flusse liegt.

Am 5. setzten wir unsern Marsch fort. Von den vielen schlechten Ortschaften, wo wir das elende Leben der Bauern in ihren Hütten sahen, will ich nur eines Dorfes erwähnen, wo ich eine häusliche Einrichtung fand, die an Unsauberkeit und Elend alles übertraf, was ich bisher gesehen hatte. Gleich beim Eintritt empfing uns ein zerlumptes Weib mit einen, Kind auf dem Arm, die beide von Schmutz starrten, und so schwarzbraun geräuchert waren, daß ich sie beinahe für Mohren hielt. Der Tisch war aus dem Strunk eines Eichbaumes geschnitten, und in der Mitte war eine runde Höhlung, die als Schüssel diente, grob mit der Holzaxt eingegraben. Das Weib wischte diese Höhlung mit einem schmutzigen Lappen aus, und schüttete, wie in einen Sautrog, Kartoffeln und Kraut hinein, und wie Schweine mußten wir daraus essen. Das Brot enthielt Erde und Sand, Unreinlichkeiten aller Art, und manchen anderthalb Zoll langen Strohhalm. Der Soldat, der mit mir in diesem Hause einquartiert war, hieß Teufel, und es hätte nichts gefehlt, als daß ich Tod geheißen hätte, so hätten Tod, Teufel und Elend sich auf Erden zusammen gefunden.

Am 5. verließen wir Kiof und kamen am 14. in dem Städtchen Schidamir an. Hier erhielt ich von dem russischen Kommissär, unserm Begleiter, 39 Papier-Rubel zur Verteilung an meine Mannschaft. Am 17. kamen wir nach Pologua, dem Sitz des alten Polenkönigs Poniatowskv, der auch dort begraben liegt. Am 25. erreichten wir Radziwil, eine Judenstadt, an der Grenze des österreichischen Galizien. Hier bemerkte ich bei einem Juden, wo ich ein Glas Schnapps trank, zwei Kannen, die ich an dem Nürnberger Wappen sogleich für nürnbergische Ware erkannte. Auf meine Frage, wie er zu diesen Kannen käme, die so weit her wären, antwortete mir der Jude, er habe sie im Handel an sich gebracht. Wahrscheinlich waren sie in Nürnberg entwendet worden, und nach und nach durch Kauf von Hand zu Hand bis nach Radziwil gekommen. Von hier wurden wir nach Krewitz ins Quartier gelegt und mußten hier acht Tage verweilen, ich habe nicht erfahren, aus welchem Grunde. Unsere Marschroute lautete auf Lemberg, aber in Radziwil erhielten wir Ordre, nach Warschau zu Marschieren. Da uns noch in Czernikof bei unserm Abmarsch einige Franzosen gesagt, hatten, man würde uns nach Warschau transportieren und dort zwingen, russische Dienste zu nehmen, so schöpften wir Verdacht, und die Offiziere trugen ihre Bedenklichkeit den Kommandanten vor, der, so viel ich erfuhr, ein Deutscher war und von Hirsch hieß. Dieser aber versicherte auf sein Ehrenwort, unser König selbst habe die Kontreordre gegeben, und wies dem Offizier ein Schreiben, von unserm verewigten König Max unterzeichnet, worauf wir uns beruhigten. Hier mußte ich dem Kommandanten das Verzeichnis der in Czernikof gefassten Monturstücke in duplo einreichen. Wir erhielten auch neuerdings Alles, was wir benötigten, unter andern auch Leder zur Besohlung der Schuhe. Nach 8 Tagen brachen wir unter Anführung eines neuen Kommissars wieder auf, und zu unserm Befremden wurden wir von 20 Kosaken nebst einem Unteroffizier eskortiert. Nun zweifelten wir nicht mehr, das wir verraten seien, und daß unsre Auswechslung nur eine hinterlistige Vorspiegelung gewesen. Die Offiziere machten dem Kommandanten ernste Vorstellungen. Dieser aber erklärte, die Eskorte sei notwendig, um uns überall Vorspann, Quartier und Lebensmittel zu verschaffen. Trotz dieses Grundes, mit dem es allerdings seine Richtigkeit hatte, waren wir doch nah daran, uns zur Desertion ins österreichische Gebiet zu entschließen. Doch ergaben wir uns endlich in unser Schicksal und schlugen den Weg nach Warschau ein. Die Kosaken wollten Anfangs mit uns verfahren, wie sie es früher gewohnt waren, aber wir duldeten es jetzt nicht mehr, da wir uns nicht mehr als Gefangene betrachteten. Sie wurden auch bald vom Kommissär zurecht gewiesen und keiner erlaubte sich mehr die geringste Misshandlung. So langten wir endlich am 2. März 1814 bei Praga an, passierten die zugefrorne Weichsel, und rückten in Warschau ein. In dem Teile der Stadt, der die neue Welt heißt, lag der bayerische Oberst v. Gumpenberg, der von München als Kommissär dahin beordert worden. Diesem wurden wir vorgestellt. Hauptmann Engler vom 12ten Linien-Infanterie-Regiment, ein schon früher aus der russischen Gefangenschaft Zurückgekehrter, versah bei diesem Obersten die Adjutantenstelle. Er sagte uns, wir wären die letzten bayerischen Gefangenen, die aus Rußland zurückgekommen, und gab die Gesamtzahl derselben auf 800 Mann an. Wir erhielten eine dreimonatliche Löhnung in Gold, den Dukaten zu 5 fl. 52 kr. gerechnet. Aber wir mußten froh sein, vom Wechsler 5 fl. 20 kr. zu bekommen. Auch Monturstücke, wiewohl wir deren nicht benötigt waren, mußten wir fassen, jeder vom Feldwebel abwärts einen Mantel, 2 Unterhosen, 2 Hemden, ein Paar Schuhe, ein Paar Sohlen und eine Holzkappe.