Der Rückzug wird angeordnet

Der Rückzug wird angeordnet

Da wir uns in dieser Stellung nicht mehr halten konnten, so wurde der Rückzug beschlossen. Wir bekamen Ordre, in der Nacht so viele Feuer anzuzünden, als wir nur konnten, um dem Feind glauben zu machen, wir wären zehnfach so stark, als wir wirklich waren, und wollten das Feld gegen ihn behaupten. In aller Stille aber zogen wir ab, so schnell wir konnten. Kaum aber hatten wir eine Viertelstunde Weges zurückgelegt, als ein dichter Regen fiel, der die Feuer auslöschte. Den Russen aber ging dadurch eine Fackel im Kopf auf. Sie merkten, daß wir die Feuer verlassen hatten. Wahrscheinlich machten sie sich ungesäumt auf, uns zu verfolgen, denn mit Tagesanbruch waren sie uns schon auf den Fersen. Zum Glück für uns war aber die Nacht so stock finster, daß man die Hand vor den Augen nicht sehen konnte, sogleich konnten sie uns nichts anhaben, und hinter uns herziehend, mußten sie das Tageslicht erwarten. Es war einer der abenteuerlichsten und schrecklichsten Rückzüge. Wir tappten wie Blinde herum und verloren auf diesem ungebahnten Wege eine Menge Feldrequisiten. Kessel u. Viele stürzten in den Löchern und Pfützen zusammen. In welchem Zustande unsere Kleider und Schuhe waren, kann man sich denken. Regen, Kot, Finsternis und die Eile des Rückzuges vereinigten sich, uns Arme, ohnehin schon Abgemattete, noch mehr zu Peinigen. Endlich stießen wir auf einige Häuser oder Scheunen, denn was es für Gebäude waren, konnten wir im Dunkeln nicht unterscheiden. Hier wurde Halt gemacht, und da wir keine Ahnung hatten, daß die Kosaken uns auf dem Fuße folgten, so wurden einige Feuer angezündet. Jeder sank vor Müdigkeit zur Erde, wo er stand, und schlief sogleich ein, unbekümmert, ob er auf der Erde oder in einer Pfütze lag. Ich lag in einem Feld, dessen Furchen voll Wasser waren, und da ich beim Schein des Feuers sah, daß die Schützen das Stroh von den Dächern rissen, bat ich sie, einiges davon über mich zu werfen. Es geschah. Aber was half es mir? Halb lag ich im Wasser und der Regen drang durch das Stroh. Es währte indes nicht lange. Wir mußten wieder aufbrechen und unsern Marsch fortsetzen. Der Tag fing an zu grauen, und wir mußten durch mehrere vom Regen geschwollene Gewässer waten. Vom Regen ohnehin ganz durchnäßt, auch noch die abgematteten Beine diesem eiskalten Wasser auszusetzen, man denke sich unser Elend! Dennoch ist mir nicht erinnerlich, daß auch nur ein Soldat zurückgeblieben wäre. Bei unserer Kompagnie wenigstens fehlte keiner, alle sieben waren vollzählig, als wir uns wieder sammelten. Wir erreichten einen schönen Wald von Eichen und Buchen und es war Tag geworden. Wir durchzogen den Wald, der nicht lange war, und als ich mich ein wenig beiseits begeben hatte, und hinter der Truppe zurückgeblieben war, erblickte ich schon die Kosaken, die mir auf den Fersen waren. Ich eilte, so schnell ich konnte, meine Leute einzuholen. Wir stellten uns hinter dem Walde auf und erwarteten den Feind. Die Russen griffen uns aber nicht an, sondern nahmen blos Besitz von dem Wald. So sahen wir einander eine Zeit lang an, dann setzten wir unsern Rückzug ungestört sort. Nicht weit von da, auf einem Wiesengrund an dem Fluss Uschatzka, machten wir Halt und stellten Vorposten auf. Auch wurde eiligst eine Ordonnanz nach Polozk um Hilfstruppen abgeschickt. Da wir nicht ferner von den Russen beunruhigt wurden, so machten wir mehrere Feuer an, um uns zu trocknen und zu erwärmen. Das größte Labsal geschah uns aber dadurch, daß wir unsere Wagen hier trafen. Welche Erquickung, als meine Frau mir Brot und Schnapps brachte! Welches Glück, in solcher Lage eine Freundin zu haben, die hilfreiche Hand anlegt. Welche Wohltat für mich vor den andern allen, von Zeit zu Zeit eine liebreiche Pflege zu genießen!


Am Tage nach unserer Ankunft hier, kam schon von Polozk ein französisches Chasseur-Regiment nebst ungefähr 60 bis 70 polnischen Lanciers. Beim Anblick dieser Truppe jubelten wir laut auf. Alles schrie: Jetzt ist uns geholfen! Jetzt geht’s wieder vorwärts nach Disna! Da bekommen wir wieder Brot! Das Brot von Disna konnten wir nicht vergessen. Um Brot hätten wir uns mit der ganzen Welt herumgeschlagen. Aber leider wurde unsere Hoffnung getäuscht. Die Russen rückten immer näher, und das französische Regiment stellte sich in einer Kolonne auf. Aber kaum hatte es Halt gemacht, so fielen 2 Granatenkugeln mitten in die Kolonne, die dadurch in Unordnung geriet. Der französische Kommandant, wahrscheinlich aus strategischen Gründen, die ich nicht kenne, befahl seiner Kavallerie den Rückzug, der in solcher Schnelligkeit geschah, daß einige unserer Leute an einer Waldspitze überritten wurden. Bald darauf, verloren wir die Franzosen ganz aus dem Gesichte. Mit ihnen fuhren auch unsere zwei Kanonen davon, da wir sie nicht mehr decken konnten. Die polnischen Lanciers machten, bevor sie den Franzosen folgten, einen possierlichen Scheinangriff auf die russische Kavallerie. Sie ritten im Trab und mit gesenkten Lanzen auf sie zu, und als sie ganz nahe waren, richteten sie Alle zugleich ihre Lanzen rasch in die Höhe, so daß durch die vielen flatternden Fähnlein das ganze russische Korps in eine unruhige wogende Bewegung geriet. Nach dieser Verhöhnung kehrte das kleine Häuflein Polen um, und ritt in ruhiger Ordnung den Franzosen nach. Ein polnischer Unteroffizier schloß den Zug und ritt so ruhig einher, als ob es ein Spazierritt wäre. Plötzlich wurde dieser von zwei russischen Reitern angefallen. Rasch kehrte er um, und im Nu hatte er mit ein paar Säbelhieben Beide vom Pferde gestreckt, und brachte sie im Angesichte der ganzen russischen Kavallerie, die untätig zusah, als Gefangene mit. Wir klatschten alle in die Hände und schlugen ein schallendes Gelächter auf. Der Oberleutnant und Regiments-Adjutant Baron von Pflummern (jetzt Major im Generalstab) beorderte mich, die beiden Gefangenen, es war nach ihrer Angabe ein Rittmeister und ein Wachtmeister, nach Polozk zu transportieren. Als ich mich dazu anschickte, kam der polnische Unteroffizier aber selbst, und sagte, er wolle seine Gefangenen selbst nach Polozk bringen. Dies war mir seht lieb, denn wir hatten einen 4 Stunden langen Wald passieren müssen, und da ich von dem erlittenen Elend sehr entkräftet war, so hätten die beiden Gefangenen mir leicht entwischen können.