Das Schlachtfeld der Beresina

Das Schlachtfeld der Beresina

Wir waren nun wieder, ungefähr acht Tage lang gefahren, als, wir auf eine große Haide kamen, die, so weit das Auge reichte, mit Toten übersät war. Es war das Schlachtfeld an der Beresina. Schon von ferne hatten wir große Feuer und viel Rauch gesehen, als wir nun näher kamen, erkannten wir, daß es Scheiterhaufen waren, auf welchen die Leichname verbrannt wurden. Die Russen verfuhren dabei so, daß sie immer eine Lage Holz, eine Lage Menschen, eine Lage Stroh, und wieder Menschen u. aufeinander schichteten, und in Brand steckten.


Wir langten in dem Städtchen Borisof an, das von den Franzosen auf jenem verhängnisvollen Rückzug zur Hälfte eingeäschert worden war, und wurden auf dem Marktplatz aufgefahren. Unser Baschkir ging zum Stadtkommandanten und wahrend seiner Abwesenheit sammelte sich eine Menge Volk unsre Schlitten. Schon fing der rohe Haufe an zu schimpfen, und uns mit Steinen und Kot zu bewerfen, als das Militär dazwischen trat. Besonders nahm sich ein alter Soldat unserer mit Eifer an, und so entgingen wir einer ferneren Misshandlung. Nun kam auch unser Baschkir vom Kommandanten zurück, und übergab einem der Bauern einen kleinen beschriebenen Zettel. Uns aber machte er begreiflich, daß er uns nicht weiter begleiten könne. Gerührt sagte er uns Lebewohl, umarmte unter Tränen jeden von uns, und schied unter vielen Segenswünschen. Wir waren sehr betrübt, diesen redlichen Mann zu verlieren, der so menschenfreundlich für uns gesorgt hatte, und die Folge bewies nur zu sehr, wie gerecht unsere Betrübnis war. Die Bauern fuhren gegen Abend mit uns weiter, und etwa nach einer Stunde, als es schon ganz Nacht war, erreichten wir ein großes Dorf. Der Bauer, der den Zettel erhalten hatte, ging in den Edelhof, wo der russische Kommandant, ein Leutnant, im Quartier lag. Dieser war aber nicht zu Hause, und wir mußten auf der Straße seine Zurückkunft geduldig erwarten. Ungefähr nach einer halben Stunde kam er, in einen großen Pelz gehüllt, in einem Schlitten angefahren. Mit ihrer gewohnten knechtischen Unterwürfigkeit gingen ihm die Bauern tiefgebückt entgegen und der eine überreichte ihm das Papier von dem Kommandanten von Borisof. Er überlas es, Zorn überflammte sein rohes Gesicht, und mit einem Strom von Flüchen und Schimpfwörtern zerriss er das Blatt und warf es in den Schnee. Marschier, Franzosen, rief er uns zu, ich geb’ euch kein Quartier! Und so fuhr er pfeilschnell davon. Als die Bauern, die uns schon acht Tage Vorspann geleistet hatten, nun sahen, daß sie hier nicht abgelöst werden sollten, wechselten sie einige kurze Worte untereinander, dann ging jeder zu seinem Schlitten, faßte ihn an einer Seite an, und warf ihn um, so daß wir im Nu alle Sechzehn, sammt dem Stroh und Heu, in das wir eingewickelt waren, wie Kälber auf der Straße im Schnee lagen, während die Bauern ihre Schlitten bestiegen und davon jagten. Jetzt war guter Rat teuer. Wie sollten wir ein Unterkommen für diese Nacht finden? Endlich mußten wir uns entschließen, jeder selbst darnach zu suchen. Wir rafften uns auf, und schleppten uns einzeln an die Türen der Häuser. Ich kam in ein Haus, und das erste, was mir begegnete, war ein russischer Soldat. Es lagen deren viele, sowohl Gesunde als Kranke, in diesem Dorfe. Er fragte mich mit barschem Ton, was ich hier wolle. Ich bat ihn, mir zu erlauben, auf dem Vorplatz zu übernachten. Er wies mich aber ab, und gab mir zu verstehen, es liege ein kranker Kapitän in diesem Hause, und für einen Franzosen sei kein Platz. Ich bat dringender, da versetzte mir der Russe mit geballter Faust einen Schlag vor die Stirne, daß, ich gleich zu Boden stürzte, und warf mich dann ohne Umstände vor die Türe. Mit bittern Tränen schleppte ich mich zurück auf den Platz, wo uns die Bauern abgeladen hatten. Hier traf ich mehrere, die gleiches Schicksal mit mir gehabt hatten und auch wieder zurückgekommen waren. Auch der hilflose Oberleutnant langte auf dem Rücken seines Bedienten wieder hier an, und in Kurzem waren wir alle 16 versammelt. Nicht einer hatte bei den Barbaren ein Obdach gefunden. Da standen wir zerlumpt und elend unter freiem Himmel, in einer hellen gestirnten Mondnacht, bei entsetzlicher Kälte. Was war zu tun? Wir rafften das Stroh und Heu, das mit uns abgeladen worden war, zusammen, bereiteten daraus eine Lagerstelle auf dem Schnee, kauerten uns darauf hin, und rückten und schoben uns ineinander so dicht wir konnten, wie die Schafe. So erwarteten wir den gewissen Tod. Aber die Vorsehung harte es anders beschlossen. Ungefähr nach einer Viertelstunde kamen zwei Russen des Weges, die wir an ihrer grauwollenen Kleidung für Rekruten erkannten. Sie bemerkten uns, traten herzu und sagten: Heda, Kamarad! Hier nicht gut! Hier kalt! Wir gaben ihnen keine Antwort, da wir, nach dem, was wir erlebt hatten, nicht anders glauben konnten, als daß sie unser spotten wollten. Aber sie ließen nicht von uns ab, und gaben uns zu verstehen, wenn wir ihnen folgen wollten, so wüssten sie einen Ort für uns, wo es warm sei. Wir deuteten ihnen an, daß wir zu elend seien, um weiter gehen zu können. Aber sie beruhigten uns, indem sie auf eine unsern liegende Hütte wiesen. Nun waren wir schnell entschlossen, ihnen zu folgen. Wir rafften uns auf, und traten den Weg an, so gut wir konnten, ich auf meinen Stock gestützt, den ich selbst bei dem Sturz aus dem Schlitten nicht losgelassen hatte, Oberleutnant Baumgraz auf dem Rücken seines Bedienten, und andere von uns, die nicht gut gehen konnten, am Arm der beiden mitleidigen Rekruten. Bei der Hütte angekommen, öffneten unsere Wohltäter die Türe und führten uns hinein. Es war eine Schwitzbadstube, und noch recht warm. Zwar war der Boden durchnäßt, da die Russen sich nach dem Schwitzen mit kaltem Wasser zu begießen pflegen, aber wir kümmerten uns wenig um die Nässe, hatten wir doch jetzt ein Obdach und eine warme, Ruhestätte. Da der Durst uns sehr quälte, so baten, wir die beiden Jünglinge um Wasser. Sie entfernten sich und kamen bald mit einer Windfackel, 2 Kübeln Wasser und, 2 Brote zurück. Sie reichten Jedem zu trinken, teilten dann die 2 Laibe Brot in 16 Teile und gaben Jedem sein Stück. Diese edlen Menschen sahen mit inniger Wehmut zu, wie wir gierig dieses Mahl verzehrten, gaben uns auf unser Verlangen nochmals zu trinken, und entfernten sich endlich, unter Ausdrücken des Mitleids und der Theilnahme, indem sie uns herzlich, gute Nacht sagten. Wenn wir noch in den Tagen der Wunder lebten, so würden wir diese beiden Menschen für Engel, des Himmels gehalten haben, die Gott abgesendet hatte, um 16 Menschenleben zu retten. Mögen sie in den folgenden Feldzügen nie in eine Lage, wie die unsrige war, geraten sein. Und wenn ihnen ein ähnliches Los zu Teil geworden, mögen sie eben so gute Menschen gefunden haben, die ihr Elend erleichterten! — So erquickt schliefen wir diese Nacht ziemlich gut. Es mochte Tages darauf schon ziemlich spät sein, als 2 Bauern die Türe aufrissen und uns zuriefen: Marschier, Franzuß! Wir gaben zu verstehen, daß wir nicht gehen könnten. Da hoben sie ihre Stöcke, drohten uns, und sagten, sie würden uns schon treiben. Wir blieben ganz gleichgültig dabei und sagten, sie sollten uns nur totschlagen, damit wir erlöst seien. Als sie sahen, daß wir ruhig und standhaft blieben, gingen sie fort, kamen nach ungefähr einer Stunde mit drei bespannten Schlitten, und schrieen wieder: Marschier, Franzuß! Endlich erhoben wir uns Aber wie sollten 16 Mann auf 3 dieser kleinen Schlitten Platz finden? Da half aber nichts. Die Bauern packten einige von uns und warfen sie über einander wie Kälber in die Schlitten. Der unglückliche Baumgraz wurde der Länge nach zuerst hineingeworfen. Die Bayern, die ihm nachfolgten, hatten so viel Achtung, ihm so viel möglich nicht zu nahe zu kommen, aber die andern, bis keine Bayern waren, setzten sich ohne Umstände auf ihn, so daß er ein schreckliches Schmerzgeschrei ausstieß. Da ich mit Hilfe des Stocks schon ziemlich gut auf den Beinen, war, so zog ich es vor, lieber zu Fuß mich fortzuschleppen, als so erbärmlich aufgeladen zu werden. Einige Hessen und Franzosen taten ein Gleiches, und zu unserer Verwunderung waren die Bauern so vernünftig, nicht schneller zu fahren, als wir gingen. Der Marsch dauerte zum Glück nicht lange. Nach ein paar Tagen erreichten wir das Städtchen Kalobinitz, von welchem uns die Bauern schon auf dem Wege imer gesagt hatten, wir würden es da recht gut haben. Wir bekamen gleich beim Eintritt einen Vorgeschmack des Glückes, das uns erwartete. Schon vor dem ersten Hause lagen zwei Tote, nackend ausgezogen, und als wir die Häuser näher betrachteten, hatten sie weder Türen noch Fenster, sie waren von den Bewohnern verlassen, und von elenden flanken Gefangenen aller Nationen vollgepfropft. Einige gefangene Soldaten kamen uns entgegen und warnten uns, ja nicht zu sagen, wir seien krank, da man uns sonst in diese wüsten Häuser verweisen würde, wo wir zwar etwas Brot und Grütze bekamen, aber der Kälte ausgesetzt wären. Die Bauern brachten uns zu dem jüdischen Bürgermeister, dessen erste Frage an uns war, ob wir krank seien? Einstimmig riefen wir alle: sind gesund! obschon wir uns kaum auf den Beinen erhalten konnten. Der Bürgermeister führte uns zum russischen Kommissär, der dieselbe Frage an uns tat, und dieselbe Antwort erhielt, worauf er dem Bürgermeister befahl, uns einzuquartieren. Uns aber bedeutete er, täglich Morgens um 9 Uhr uns im Magazin einzustellen, wo wir jeder Brot und Grütze bekommen würden. Es ist mir nicht mehr erinnerlich, ob ein Pfund oder ein halb Pfund Brot für jeden Gefangenen gereicht wurde.