Bei einem Apotheker fand ich Arbeit

Bei einem Apotheker fand ich Arbeit

Auf seine Weisung gingen wir zum Kapitän der Polizei, wo wir uns als Gesunde, die aus dem Spital entlassen seien, meldeten, und bei einem Juden einquartiert wurden. Tags darauf früh um acht Uhr begaben wir uns in die Apotheke, die der Arzt uns bezeichnet hatte, und wo wir Arbeit bekommen sollten. Wir fanden den braven Mann schon da. Er stellte uns dem Apotheker als die beiden Bayern vor, die er ihm empfohlen habe. Ich erschrak, als ich den Apotheker sah, denn er hatte in Gesicht und Gestalt eine so auffallende Ähnlichkeit mit einem Nürnberger Kaufmann (der noch lebt), daß ich diesen Herrn leibhaftig vor mir zu sehen glaubte. Es kann selbst bei Zwillingsbrüdern keine größere Ähnlichkeit statt finden. Je mehr ich den Mann ansah, je mehr staunte ich über dieses Spiel der Natur. Ich bin überzeugt, wenn beide sich einmal irgendwo begegneten, jeder würde den Andern für seinen Doppelgänger halten. Die Bayern sind brave arbeitsame Leute, sagte der Apotheker, die mir sehr willkommen sind. Hiermit waren wir in seinem Hause als Arbeiter aufgenommen, verrichteten die in einer Apotheke gewöhnlichen Geschäfte unter Anweisung des Provisors, als: Kräuterstößen, Sieben, Medizinen kochen usw. und wurden vom Herrn des Hauses sehr freundlich behandelt. Leider ist auch sein Name, wie der des menschenfreundlichen Arztes, meinem Gedächtniß entfallen. Hätt’ ich damals vermuten können, daß ich meine Schicksale je zu Papier bringen würde, so hält’ ich mir Alles besser eingeprägt, und manches vorläufig aufgezeichnet. So aber hatt’ ich kaum Hoffnung je meine Heimat wieder zu sehen, viel weniger dacht’ ich daran, meinen Landsleuten ein Buch zu widmen. Den Namen des Apothekers hab’ ich nun freilich vergessen, aber seine Wohltaten, sein edles Herz, seine Biederkeit werd’ ich nie vergessen. Er war ein Deutscher von Geburt, und wenn ich nicht irre, aus Hamburg. Seine Gestalt war untersetzt, sein Gesicht voll uns etwas blatternarbig. Auf einem Fuß war er lahm, weshalb er eine Krücke und einen Stock trug. Er war unverheiratet. In seinem Hause genoss ich die ersten guten Tage seit meiner Gefangennehmung. Ich erhielt täglich an Lohn 30 Kopeken. Hierzu die 15 Kopeken vom Kaiser, dies machte im Ganzen nach bayerischem Gelde 13½ Kreuzer, das in Rußland ein hoher Taglohn ist. An Essen und Trinken fehlte es außerdem nicht. Wir bekamen mehr, als wir brauchten. Außer dem Schnapps war unser gewöhnlicher Trank: Quaß, der ungefähr so schmeckt, wie schlechtes Farrenbacher- oder Weizenbier.


Auf meine Bitte legte der Herr meinen Arbeitslohn zurück, damit ich mir von dieser Ersparnis in der Folge Kleider anschaffen könnte. Mein gutes Betragen, mein Eifer und meine Pünktlichkeit erwarten mir bald das volle Zutrauen meines Herrn. Er vertraute mir die Schlüssel all seiner Zimmer, und schlug mir sogar vor, daß ich mich gänzlich hier einbürgern und bei ihm als Hausmeister bleiben sollte, wo ich lebenslang versorgt sei. Er wollte den Vertrag mit mir förmlich beim Gouverneur abschließen. Natürlich lehnte ich dies Ansinnen, so wohlgemeint es war, entschieden ab, denn ich vergaß meine Pflicht als bayerischer Untertan und Soldat nie, und nährte die süße Hoffnung, vielleicht doch einst aus dem Lande der Barbarei erlöst zu werden. Mein Herr hoffte jedoch immer, ich würde mich endlich noch entschließen, bei ihm zu bleiben, und brachte die Sache oft noch aufs Tapet. Eines Tages trat er mit einem gefangenen württembergischen Stabsarzt in das Laboratorium, und indem er auf mich wies, sagte er zu dem Arzt: Sehen Sie, mein Herr, diesen braven Bayer möchte ich gern bei mir behalten. Ich würde ihn gut versorgen, ihm eine brave Frau verschaffen, und Alles beim Gouvernement für ihn tun — aber er verkennt sein Glück, und will nicht bleiben. Nein, sagte ich, lieber Herr, und wenn mir der Kaiser ganz Czernikof mit Allem, was dazu gehört, schenken wollte, so blieb’ ich doch nicht. Mein Herr ist der König von Bayern und ich kann nur in meinem Vaterlande glücklich sein. Da sagte der Stabsarzt zum Apotheker. Das ist ein Deutscher, der kann es in eurem schrecklichen Lande nicht aushalten. Er hat’ recht. Lassen Sie ihn. Als ich das Nötige zur neuen Ausstaffierung erspart hatte, kleidete ich mich neu vom Kopf bis zu den Füßen, und warf meine Lumpen sammt ihren Einwohnern ins Feuer. Nun war mir erst wohl. Ich war ausstaffiert, wie ein russische Edelmann, besaß sogar ganz neue Hemden, wovon das eine ein Geschenk meines Herrn war, und konnte nun in der Scheune, wo meine Schlafstelle sich befand, die ganze Nacht unbelästigt ruhen. Nur wer mein voriges Elend erfahren, kann mein jetziges Glück fühlen. Ich trieb den Luxus so weit, daß ich sogar Schnupftücher trug. Hier in Czernikof bekamen wir die Erlaubnis, nach der Heimat zu schreiben. Die Briefe mußten dem Kapitän der Polizei offen eingereicht werden. Dieser sendete sie nach Petersburg, wo sie von der Polizeibehörde durchgesehen, versiegelt, und an ihre Adresse abgeschickt wurden. Ich schrieb drei Briefe, die sämtlich ihre Bestimmung erreichten. Freilich waren sie sehr vorsichtig abgefasst, und Alles, was Anstoß hätte üben können, war mit Stillschweigen übergangen. Einer dieser Briefe, der nach Nürnberg an die Abendgesellschaft beim Wirt Horn adressiert war, veranlaßte ein Komisches Missverständnis. Ich hatte nämlich berichtet, daß wir Gefangene von der russischen Regierung täglich drei Pietaken (ein Pietak ist ein Fünfkopekenstück) zu unserm Unterhalt bekamen. Da aber meine Handschrift etwas undeutlich war, so lasen meine Freunde: Potaken (so heißen in der Nürnberger Mundart die Kartoffeln), und konnten nicht begreifen, wie man von 5 Kartoffeln einen ganzen Tag leben könne. Erst spät klärte sich dies Missverständnis auf.

Auch in der glücklichen Lage, in der ich mich jetzt befand, verließen mich die Nachwehen des ausgestandenen Elends nicht. Ich weinte oft, ohne mir Rechenschaft davon geben zu können. Ein unnennbares Heimweh ergriff mich oft so heftig, daß ich Alles um mich her verwünschte, und, gleich fort wollte. Mein Herr fragte mich mit Besorgnis, ob mir irgend Jemand etwas zu leid täte. Niemand, sagt’ ich, aber ich kann es nicht aushalten. Mein Herz zerspringt, mein Kopf wird verwirrt. Der Apotheker, der wohl merken mochte, woher diese Launenhaftigkeit rührte, ließ mich ruhig austoben, und blieb ganz der alte gegen mich.