Bei Edelleuten spielte ich die Hausmagd und erlernte das Sattlerhandwerk

Bei Edelleuten spielte ich die Hausmagd und erlernte das Sattlerhandwerk

Ungefähr nach dritthalb Monaten trat des Apothekers Provisor, ein Kurländer von Geburt, und ein gebildeter Mann, als Kosaken-Offizier in Militärdienst, und rückte aus. Zu seinem Nachfolger nahm mein Herr einen gefangenen holländischen Offizier, der ein gelernter Apotheker war. Dieser war ein kalter, unfreundlicher Mann, der keine Nachsicht mit meinem Gemütszustande hatte. Er nahm gegen mich einen gebieterischen Ton an, den ich bei der Reizbarkeit meiner Nerven nicht vertragen konnte. Der Reibungen müde, die ich mit ihm hatte, entschloß ich mich kurz, und begehrte meinen Abschied. Der Apotheker, der wohl sehen mochte, daß ich gemütskrank war, suchte mich durch Zureden auf andere Gedanken zu bringen, doch umsonst. Ich dankte ihm herzlich für seine Wohltaten und seine gute Meinung, bestand aber auf meinem Entschluß. Ungern entließ mich der brave Mann und stellte mir frei, zu ihm zurückzukehren, sobald es mir gefiele. Der Kanonier Mühlboltner, der mit mir in seine Dienste getreten war, blieb noch ferner bis zu unserer Auswechslung. Ich schied, meldete mich bei dem Kapitän der Polizei und wurde bei einem Juden einquartiert. Doch bald fand sich ein neues Unterkommen für mich. Zwei Gefangene, ein Holländer und ein Brabanter, beide gelernte Sattler, arbeiteten für die Edelleute der Stadt und Umgegend, richteten deren Fuhrwerk, Geschirre, und Wagen nach deutscher und französischer Art ein, und wurden reichlich dafür bezahlt. Diese beiden Sattler machten mir den Antrag, zu ihnen zu gehen, und gegen Freihaltung in Speis und Trank die Haus - und Küchengeschäfte zu besorgen, damit sie ohne. Zeitversäumnis ihrem Handwerk obliegen konnten. Ich ging den Handel ein, und trat meinen Dienst mit Vergnügen an. Nun war ich förmlich eine Hausmagd, machte die Stube rein, ging auf den Markt, und besorgte die Küche. Für 25 bis 30 Kopeken täglich hatten wir Alle zu Mittag und Abends vollauf zu essen, denn das Pfund Rindfleisch kostete nur 5 Kopeken (nach bayerischem Geld 6 Pfennige) und ein Laib Brot eben so viel. In meinen Mußestunden erlernt’ ich einiges vom Sattlerhandwerk, nähte Riemzeug zusammen usw. Zuweilen nahmen mich meine beiden Sattler mit aufs Land, gaben mich bei dem Edelmann, wo sie Arbeit bekommen hatten, für einen von ihrer Zunft aus, und verschafften mir so, einen eben solchen Taglohn, als sie bezogen. Auf diese Weise war ich als improvisierter Sattlergesell beim General Stroganow, und bei einem andern vornehmen Herrn, Namens Miloradowitsch, in Arbeit. Einmal begingen meine Kameraden sogar den Mutwillen, mich bei einem Edelmann, wo wir mehrere Tage arbeiteten, für ihren Meister auszugeben. Zum Glück sprach derselbe kein Deutsch, sondern nur Französisch, und so konnt’ ich meine Urkunde im Handwerk hinter die Unkenntnis der Sprache verbergen. Aber wenn man bedenkt, wie unnütz dieser Betrug war, und wie leicht er hätte mit einer Tracht Kantschuhiebe ablaufen können, so muß man sich wundern, daß der Leichtsinn und die Lust, andere zum Besten zu haben, den Menschen selbst im Drangsal nicht verlässt.


Eines Tages erhielten sämtliche Gefangene den Befehl, sich bei dem Gouverneur einzufinden. Wir wurden in Reih und Glied aufgestellt, und einer nach dem andern hineingerufen. Es fiel mir auf, daß keiner der Abgerufenen wieder zurückkam. Die Reihe traf nun mich, und zu meiner Verwunderung stand ich vor einer Kommission, die unter Vorsitz des Gouverneurs versammelt war. Einer der Offiziere redete mich in deutscher Sprache folgender Maßen an. Sie heißen Joseph Schrafel, und sind Sergeant in bayerischen Diensten. Auf meine Bejahung fuhr er fort: Sie nehmen also auch russische Dienste? Ich erschrak nicht wenig. Davon weiß ich nichts, erwiderte ich entschieden. Aber der Beamte sagte: Ihr Kamerad, der vor Ihnen eingetreten, und der ebenfalls in unsern Dienst übergegangen ist, hat uns gesagt, Sie wollten russische Dienste nehmen. Dies war nie meine Absicht, erklärte ich hierauf, auch hab’ ich nie einem Menschen Auftrag gegeben, das von mir zu sagen. Ich habe meinem König und meinem Vaterlande Treue geschworen und werde sie halten. Hierauf sprachen die Herren in russischer Sprache mit einander, und da sie an meinem Ton wohl merken konnten, daß ich mich auf keine Weise würde überreden lassen, wiesen sie auf eine Türe, durch die ich abtreten sollte. Als ich im Begriff war, dem Wink zu folgen, rief mir der Wortführer nach: Man wird euch Starrköpfe schon kirre machen. Ihr werdet noch froh sein, in unsre Dienste zu treten, denn man wird euch nach Sibirien transportieren. In Gottes Namen, entgegnete ich. Ich bin in Feindeshand und muß mir Alles gefallen lassen, aber von meiner Pflicht weich’ ich um kein Haar. Somit trat ich, ab. Vor der Tür empfing mich ein Soldat, und führte mich durch den Garten ins Freie. Nun begriff ich, warum man keinen von uns auf dem nämlichen Wege zurückkehren ließ. Man fürchtete, das hinterlistige Verfahren könnte zu früh an den Tag kommen.

Zu meiner großen Freude erfuhr ich später, daß nicht ein Einziger von allen Vorgeforderten Dienste genommen hatte. Die Szenen der Barbarei, von denen wir Gefangene oft genug Zeugen waren, wenn wir das russische Militär exerzieren sahen, waren eben nicht geeignet, uns Lust zum russischen Dienst einzuflößen, selbst wenn wir unserer Pflicht und unseres Vaterlands vergessen hätten. Mitten in der Stadt war der Exerzierplatz und nur zu oft wurde er der Schauplatz unmenschlicher Exekutionen. Ja, man konnte das Exerzieren selbst für eine Art von Exekution halten, wenn man sah, mit welcher Roheit die Mannschaft behandelt wurde. Besonders konnten die Franzosen sich nicht an den Anblick dieser Misshandlungen gewöhnen. Ihr reizbares Ehrgefühl und ihre natürliche Heftigkeit sprudelte oft über, und als eines Tages ein Kapitän, einem Leutnant von rückwärts während des Marschierens einen so gewaltigen Faustschlag ins Genick versetzte, daß ihm die Kappe vom Kopfe fiel, wurden einige gefangene Franzosen so wütend, daß sie laut zu schelten anfingen, und sich nicht zufrieden geben konnten. Ich wundere mich noch heut, daß diese Szene nicht damals einen tragischen Ausgang für die Franzosen nahm, denn es war unmöglich, daß der Kapitän sie nicht sollte gehört haben, und wenn er auch ihre Sprache nicht verstand, so konnte er aus ihren Geberden wohl abnehmen, wovon die Rede war. Vielleicht bestimmte ihn ein Rest von Schamgefühl, zu tun, als hätte er nichts bemerkt.

Ich war wieder zu meinen beiden Sattlern zurückgekehrt, wo ich meine Zeit an Werktagen mit Arbeit und am Sonntag mit Spazierengehen zubrachte. Ich lernte nun die Stadt besser kennen und sah, daß sie zu den bessern Städten Rußlands gehörte. Sie zählte etwa acht bis zehntausend Einwohner, könnte ober ihrem weiten Umkreis nach, wohl dreimal so viel fassen. Es residiert hier, außer dem Gouverneur auch ein griechischer Bischof. Die griechische Kirche ist eine der schönsten, die ich sah, und mit unzähligen Heiligenbildern verziert. Auch Schulen hat diese Stadt, aber leider kein Pflaster, so daß man bei nasser Witterung kaum durch den Kot waten kann. Der Gouverneur galt allgemein für einen sehr rechtlichen Mann, und dieser Umstand war für uns arme Gefangene von großer Wichtigkeit. Wir erhielten nicht nur pünktlich und unverkürzt, was der Kaiser uns ausgesetzt hatte, sondern wir hatten durch die Milde des Gouverneurs auch ein freieres Leben, als wir sonst hatten hoffen dürfen. Die gefangenen Offiziere waren hier gar nicht übel dran. Sie hatten Eintritt bei vornehmen Familien, und waren überall wohlgelitten, besonders die Franzosen, sowohl ihrer Sprache wegen, die bei den höhern Ständen sehr beliebt ist, als auch wegen ihrer Leichtigkeit und Gewandtheit im geselligen Umgang. Ich hatte mehrmals die Ehre, von den Offizieren zum Mittagstisch eingeladen zu werden, besonders hatte der bayerische Unterarzt Stöhr (jetzt Mautkontrolleur in Straubing) in dieser Beziehung viel Güte für mich. Auch wir Unteroffiziere und Soldaten feierten gewöhnlich des Sonntags fröhliche Trinkgelage, freilich nur in Schnapps, den wir aber wie Wasser trinken konnten, da das Klima es nicht nur erlaubt, sondern sogar erheischt. Wir tranken die Gesundheit des Königs aus vollen Gläsern und mit vollem Herzen, und vergaßen unsere Lage. Eines Tages veranstalteten die Franzosen ein Gelage zu Ehren des Kaisers Napoleon, wo wir dem großen Heerführer ein lautes tumultarisches Lebehoch brachten. Dies hätte uns können teuer zu stehen kommen. Es wurde dem Gouverneur gemeldet, und jeder andere, als dieser, würde uns haben auf das Grausamste bestrafen lassen. So aber kamen wir mit der Warnung davon, uns dergleichen nicht wieder zu unterstehen, wenn wir es nicht mit dem Kantschu büßen wollten.