Am 13. April 1814 erreichten wir die Grenze des Vaterlandes

Am 13. April 1814 erreichten wir die Grenze des Vaterlandes

Wir lagen 14 Tage in Warschau und mein Quartier war bei dem Neffen des Nürnberger Hutmachers Marx, der mir einen Brief an seinen Onkel mitgab. Ich traf in Warschau viele bayerische Offiziere, worunter auch einige von meinem Regiment, als: die Hauptleute v. Bacher und v. Fabris, und zu meinem freudigen Erstaunen die Lieutenants v. Stromer und Schnitzlein, die ich in Kopolniki, wo wir gefangen wurden, im hoffnungslosesten Zustand von Krankheit und Elend, zurückgelassen hatte.


Hier wurde die 11te Kolonne von 40 Mann unter dem Grafen Isenburg errichtet, der das Kommando an den Hauptmann Maltherr (jetzt Major) übergab. Diese Kolonne, zu der auch ich zur Leistung des Feldwebeldienstes kommandiert wurde, trat am 14. März 1814 den Rückmarsch nach dem teueren Vaterlande an. Es wurden täglich 7 bis 8 Stunden zurückgelegt. Am 25. passierten wir die preußische Grenze und kamen in die schlesische Stadt Wartenberg, die am 12. März 1812 abgebrannt war. Am 27. erreichten wir Breslau, wo wir die Oder passierten. Am 2. April kamen wir in das Sächsische nach Görlitz. Am 7. nach Dresden, wo wir Rasttag hielten. Am 9. rückten wir in Freiberg ein. Von da ging’s über Chemnitz, Zwickau, Plauen, bis wir endlich am 13., als wir eben durch einen Wald marschirren, plötzlich das bayerische Wappen aufgerichtet sahen! Welch ein Jubel für uns! Wir hatten die Grenze des Vaterlandes erreicht, wir standen auf bayerischem Boden! , Ein unbeschreibliches Freudengeschrei erfüllte die Luft. Es lebe unser König Max! rief Alles wie aus einem Munde. Dieser Ruf wurde unzählige Mal wiederholt, und auch der ganzen königlichen Familie brachten wir wiederholt das herzlichste Lebehoch. Die Offiziere, die uns vorausgeeilt waren, hatten in einem Grenzdorfe ein großes Mittagsmahl für uns bereiten lassen, zur Feier unsers Eintritts ins Vaterland. Daß wir auch da bei jedem Glas, das wir tranken, des Königs und seiner Familie nicht vergaßen, läßt sich leicht denken. In Hof wurden wir einquartiert. Am 14. kamen wir nach Münchberg, am 16. nach Bayreuth, am l6. war Rasttag und ich lag in einer Mühle, wo ich mich der letzten ungebetenen Gäste in meinen Kleidern entledigte. — Am 17. erreichten wir Pegnitz, am 13. Gräfenberg, und endlich am 19. Nürnberg. Wer kann die Gefühle beschreiben, die mich ergriffen, als ich die gute Stadt wieder sah, die ich vor zwei Jahren verlassen hatte, und wo man mich längst mit so viel Tausenden meiner Unglücksgefährten tot glaubte. Wahrlich, der konnte sich einen Auserwählten nennen, der dem großen nordischen Grab entstiegen und zurückgekommen war unter seine Landsleute. Mit klingendem Spiele, mit fliegenden Fahnen, gegen 2.000 Mann stark, unter Begleitung einer zahllosen Menschenmenge, die Brust von großartigen Hoffnungen geschwellt, waren wir ausmarschiert; und einzeln, abgehärmt, halbinvalide, kehrten einige Wenige zurück, unerkannt und unbeachtet von den Bewohnern. Ich begegnete mehreren alten Bekannten, die mich ansahen und an mir gleichgiltig vorüber gingen, weil sie mich nicht erkannten. Indem ich die Stadt wieder betrat, erwachte das Andenken an meine Frau mit nie gefühlter Stärke, und eine unbeschreibliche Sehnsucht und Wehmut befiel meine Seele.

Diejenigen von uns, die nicht vom 5ten Linien-Infanterie-Regiment waren, wurden einquartiert, wir aber, die frühere Garnison von Nürnberg, würden in die Kaserne gelegt.

Mein erster Gang war zur Frau Juwelierin Jünginger (jetzt verstorben), in deren Hause ich vor meinem Ausmarsch einige Habseligkeiten in Verwahrung gegeben hatte. Ich war so verändert an Aussehen sowohl, als Kleidung, daß ich der Magd erst meinen Namen nennen mußte, ehe sie mich einließ. Ich wurde herzlich aufgenommen, und wiewohl ich lebend dastand, so fragte man mich doch, ob ich denn lebe? Ich lebe, erwiderte ich, aber leider nur halb, denn die andere Hälfte meines Seins, meine Gattin, ist tot, und liegt in ferner fremder Erde begraben.

Sobald meine Freunde Kunde von meiner unverhofften Ankunft hatten, wurde ich überall mit der Herzlichkeit aufgenommen, die die Bewohner Nürnbergs charakterisiert. Ich ging gleichsam von Hand zu Hand, und man hörte die Erzählung meiner Leiden mit unermüdeter Geduld und mit einer Teilnahme an, die auf mein Herz heilend und wohltuend wirkte.

Das erste Bataillon meines Regiments stand in Frankreich. Es wurde nun ein zweites Bataillon errichtet in welches ich als Feldwebel bei der 6ten Fusilierkompagnie, unter Kommando des Hauptmanns v. Fabris, eintrat. Nach geschlossenem Frieden kam das erste Bataillon zurück und das Regiment stand nun vollzählig in Nürnberg.

Als nun Napoleon die Insel Elba verlassen hatte und wieder in Frankreich gelandet war, marschierte das Regiment eiligst nach Frankreich. Meine Erlebnisse in diesem Feldzug bieten natürlich nicht mehr das Interesse für den Leser, wie jene in Rußland. Ich will auch nur in Kürze anführen, daß die Drangsale hier nur ein Scherz, gleichsam ein Lustmanöver gegen den russischen Feldzug waren. Dennoch fühlte ich an meinem Körper deutlich genug die Folgen der erlittenen Misshandlungen in Rußland und besonders der monatlangen Biwaks unter freiem Himmel bei schrecklicher Kälte, und peinigendem Hunger. Ich, fühlte, daß ich mich der Invalidität vor der Zeit näherte, und einige forcierte Märsche, die wir machen mußten, überführten mich, daß ich viel schwächer und zum anhaltenden Marschieren bei weitem untauglicher geworden war. Auch die Temperatur der Luft wirkte weit stärker auf mich als sonst, besonders die Wärme, die mich sehr abmattete und in Schweiß versetzte.

Nach geschlossenem Frieden rückte das Regiment wieder in Nürnberg in Garnison ein. Im August 1819 trat ich aus dem Militärdienst und wurde zum Rottmeister bei der Polizei ernannt.

Eines Tages erblickte ich auf dem Markte, unfern der Frauenkirche, einen Mann, der mir sehr bekannt erschien. Ich traute meinen Augen kaum, als ich die Züge meines Leidensgefährten, des Oberleutnants Baumgraz erkannte, den ich längst tot glaubte, der Zeuge des Todes meiner Frau war, und das schreckliche Elend in Dochschütz mit mir geteilt hatte.

Unser Wiedersehen war gleich überraschend für uns beide. Wir tauschten die Erzählung unserer Schicksale und gegenwärtigen Lage wechselseitig aus. Ich habe das Glück gehabt, sagte er, Seine Majestät unseren König Ludwig zu Brückenau zu sprechen, hab’ ihm alle meine Erlebnisse in Rußland erzählt, und dabei Ihres Namens oft erwähnt. Se. Maj. Hörte mich mit großem Erstaunen und herzlicher Teilnahme an.

Im November 1833 wurde ich quittiert, da die erlittenen Drangsale meinen Körper dienstunfähig gemacht hatten. Seitdem lebe ich mit meinem bescheidenen Lose, in einer zweiten Ehe, immer das Andenken meiner edlen unvergeßlichen Walburga ehrend, in der guten Stadt Nürnberg, im Kreise meiner treuherzigen Mitbürger, denen ich diese Erzählung als einen Beweis meiner Hochachtung und Dankbarkeit freundlichst darbringe.