Seemannsleben in Warnemünde im Jahre 1523

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Waren diese Seevögel doch auch die einzig lebenden Tiere, die das Auge ringsumher erblicken konnte! Das trauliche Blöken der Kuhherde, das Bähen der Schafe, ja selbst das Gackern der Haushühner, was doch sonst der Nähe auch des ärmsten Dörfleins einen gewissermaßen gemütlichen Charakter verleiht; in Warnemünde fehlte dieses Alles damals gänzlich. Kein Haustier irgend einer Art, außer vielleicht hier und da ein Schwein, dessen Nahrung dann fast nur in Fischen bestand, oder eine behende Hauskatze, hielt sich die Warnemünder Familie jener Zeit. Wäre auch wirklich Nahrung für solche nützliche Geschöpfe gewesen, so hätte doch Zeit wie Lust zu deren Pflege und Wartung gefehlt. Die kräftigen Knaben, Jünglinge und Männer fuhren fast das ganze Jahr hindurch als Matrosen auf den Handelsschiffen in allen Meeren, welche die damalige Schifffahrt nur kannte, umher und weilten nur in den wenigen Monaten der rausten Winterszeit in ihrer Heimat. Die älteren Männer und Familienväter aber waren den größten Teil des Tages, ja selbst oft mitunter in der Nacht in ihren Booten mit dem Fischfang auf dem Meere beschäftigt, um das Verlangen der Bürgerschaft in der hochansehnlichen Stadt Rostock nach frischen Seefischen stets befriedigen zu können, während ihre Frauen und Töchter mit dem Transport des Fanges nach dem Markt und dem Verkauf daselbst oder auch mit dem Herausschaffen von feinem, silberglänzenden Seesand, den die wirtlichen Rostocker Hausfrauen so gerne zum Ausstreuen der Stuben benutzten, so viel zu tun hatten, dass sie nur erst in später Nachmittagsstunde in die eigene Häuslichkeit zurückkehren konnten. So wie am Morgen die Sonne kaum dem Meere entstiegen war und ihre ersten Strahlen dessen Fläche mit purpurnem Schimmer färbten, rüsteten sich die Warnemünder Boote — und jedes Haus daselbst besaß ein solches als unumgängliches Handwerksgerät zur Gewinnung des Lebensunterhaltes — zum Auslaufen. Ein Teil der kleinen Flottille nur mit starken Männern bemannt, fuhr hinaus in die wogende See, um dort, oft in meilenweiter Entfernung vom Lande, dem Fischfang obzuliegen; ein anderer, dessen Insassen größtenteils nur Frauen waren, die aber mit nicht minder kräftiger und geschickter Hand als die Männer die langen Schlagruder zu führen oder die Segel zu stellen wussten, nahm den Weg über den Breitling nach den fern am Horizont auftauchenden Türmen von Rostock, dort den Ertrag des letzten Fanges zu verwerten. Während der Mittagsstunden war oft Niemand im ganzen Flecken anwesend; kein einladendes Feuer brannte auf dem Herde, öde und unbewohnt lagen die kleinen Hütten da, deren Türen nur mit einem Holzriegel verwahrt waren. Erst die späteren Nachmittagsstunden vereinigten Alle wieder und das Abendessen bildete die Hauptmahlzeit des Tages für die ganze Familie. Freilich war auch dieses oft dürftig genug und Fische in allen Gestalten, dann Buchweizengrütze, Haferbrei und schwarzes Roggenbrot bildeten fast stets ihre ausschließlichen Bestandteile. Den Kaffee, der jetzt bei allen Warnemünder Mahlzeiten die Hauptsache ist, kannte die damalige Zeit noch nicht und Branntwein bei den Männern und mitunter ein Trunk Dünnbier bei den Weibern, musste dessen Stelle vertreten. Und doch war es ein überaus kräftiges, wohlgebautes Geschlecht, sowohl an Männern wie auch Frauen, welches diese Hütten bewohnte. Die Seemannsarbeit gab Allen ein festes Ansehen und kühnes Auftreten, denn wer schwächlich an Körper und feige von Charakter war, taugte in jenen Tagen wahrlich nicht zum Seemann.


Konnte man doch schon am Flecken Warnemünde selbst sehen, wie ungenügend für den Schiffer damals, im Vergleich zu unserer Gegenwart, gesorgt wurde. Wo jetzt ein mächtiger Steindamm — im Sommer der beliebte Modespaziergang der zahlreichen Badegäste — die Sicherheit der Hafeneinfahrt vermehrt, lag früher eine ungeheure Sandbank und die Warnow selbst musste sich an einer ganz anderen Stelle als gegenwärtig mühsam ihren Weg durch sumpfige Wiesen, die von Sanddünen eingefasst waren, in das Meer bahnen. Ein niederes, starkes Holzgerüst, auf dessen Plattform an besonders dunkeln Abenden mitunter ein hellbrennendes Feuer aus Kienholzkloben angezündet wurde, das seinen dunkelroten Flammenschein nicht allzuweit auf die Fläche des Meeres warf, vertrat die Stelle des jetzigen Leuchtturmes mit seinen meilenweit strahlenden Lampen. Wagte es doch auch damals nur äußerst selten ein Schiffer, sich in der Nachtzeit der Küste zu nähern und unternahm dies nur im höchsten Notfall. Wie gering waren auch sonst die Hilfsmittel, die sich ihm bei allen Reisen boten! Abgesteckte, durch Baggermaschinen ausgetiefte und durch Pfähle bezeichnete Fahrwasser in den Mündungen der Häfen, kannte man in früheren Zeiten nicht im Allergeringsten, sondern man ließ hierin der Natur ihren freien Lauf, zu schaffen und zu zerstören wie sie es grade wollte. Die Unterstützungen trefflicher, bis auf das Kleinste genauer Seekarten, richtiger Chronometer, weitsehenden Ferngläser, mit eisernem Fleiß bearbeiteter astronomischer Karten und Berechnungen; kurz alle die vielfachen Erfindungen, welche unsere Gegenwart dem Seemann darbietet, um selbst in den fernsten Meeren leicht den kürzesten Weg finden zu können, fehlten dem Schiffer in jenen Jahrhunderten fast gänzlich. Keine erfahrenen, wohldisziplinierten, von einem gestrengen Lotsenkommandeur befehligten Seelotsen erleichterten die Einfahrt in die Häfen, keine Rettungsboote von kunstvoller Konstruktion steuerten kühn durch die schäumende Brandung um den verzweifelnden Schiffbrüchigen auf dem schwankenden Wrack die heißersehnte Hilfe zu bringen. Im Gegenteil sogar, ein rohes Strandrecht, was alles Hab und Gut der armen Schiffbrüchigen als verfallene Beute erklärte, herrschte an allen Küsten und entmenschte Strandbewohner plünderten in wüster Habgier oft die Armen, denen das Meer gnädig wenigstens das Leben geschenkt, wenn es auch ihre Schiffe zertrümmert hatte, bis auf das letzte Kleidungsstück aus. Gehörten die Fälle, dass absichtlich täuschende Feuer angezündet wurden, um die Fahrzeuge dadurch an gefährliche Stellen zu verlocken, sie desto leichter zum Stranden zu bringen und sich dann des Strandgutes zu bemächtigen, doch gar nicht zu den Seltenheiten. Wie aber die Landstraßen damals durch Raubritter auf ihren festen Burgen und allerlei sonstiges zügelloses Gesindel in den dichten Waldungen und den überall zerstreuten Diebsherbergen arg gefährdet wurden, so dass Niemand es nur wagen durfte, die sichere Stadt ohne ein schützendes, bewaffnetes Geleit zu verlassen, so gehörte die Seeräuberei — eine in unserem Jahrhundert, außer vielleicht in den chinesischen Gewässern, gar nicht mehr stattfindende Erscheinung — zu den gewöhnlichsten Vorkommnissen. Das Mittelmeer war durch die kühnen Korsaren der Barbaresken-Staaten, von denen einzelne Fahrzeuge selbst durch den Biskayischen Meerbusen bis in die Nordsee und bis nach Island herauf kreuzten, im höchsten Grade gefährdet, in den westindischen Meeren hausten die wilden Buccaniers, deren Schnellsegler sogar wiederholt die Gallionen der hispanischen Silberflotten anfielen und bezwangen, und auch die Schifffahrt auf unserer Nord- und Ostsee ward durch förmlich organisierte Seeräuberbanden, von denen die sogenannten „Vitalienbrüder“ sich den bekanntesten Namen erworben, höchst unsicher gemacht. Konnte deshalb im Mittelalter auch das kleinste Kauffarteischiff es nicht wagen ohne Wehr und Waffen in die See zu gehen. Schwere Enterbeile und wuchtige Hellebarden standen immer scharf geschliffen zum augenblicklichen Gebrauch bereit, in einem besonderen Verschlage am Maste geordnet und ein kurzes scharfes Schwert am breiten Ledergurt um den Leib getragen, gehörte zur notwendigen Ausrüstung jedes Matrosen, was er außer bei seinen Arbeiten, wo es hätte hinderlich sein können, niemals ablegte. Vermochte ein Schiffer im Anfang des 16. Jahrhunderts, aber nur irgendwie die Kosten dazu zu erschwingen, so schaffte er sich gewiss ein Paar kleine Schiffsböller auf seinem Verdecke an, die dann nicht wie jetzt der Fall, nur bei freudigen und festlichen Gelegenheiten, sondern häufig auch zur Notwehr im ernsten blutigen Streit, ihre Donner ertönen ließen.

Allen diesen und noch gar manchen andern Gefahren und Beschwerden, welche unsere Gegenwart kaum dem Namen nach mehr kennt, musste der Seemann des Mittelalters mit kühnem Mute und fester Stirn trotzen. Es ist daher erklärlich, dass nur Männer von Kraft des Körpers und Kühnheit des Geistes, die so leicht vor nichts verzagten, sich solchen Lebensberuf, bei dem Gefahren und Strapazen fast niemals aufhören sollten, widmen konnten.

Freilich waren dafür in mancher Hinsicht die Anforderungen welche, nun an die Führer und Matrosen der Schiffes und, die Schnelligkeit der Fahrten machte, ungleich geringer als dies jetzt der Fall ist. Winterreisen gehörten im Mittelalter zu den allergrößten Seltenheiten, die nur im Notfall gemacht wurden und vom Beginn des raueren Herbstes bis zu den allmählich zunehmenden Tagen des Frühlings, lagen alle Kauffarteischiffe wenn irgend möglich, abgetakelt am sichern Pfahl im Hafen befestigt. Auch Schnellsegeln und waghalsiges Trotzbieten von Wind und Wetter, um nur möglichst schnell das Ziel der Reise zu erreichen — jetzt ein so gewöhnliches Vorkommnis; — gehörten damals zu den allerseltensten Ereignissen. Kannten doch überhaupt unsere Vorfahren den Wert der Zeit lange nicht in gleich hohem Grade, als unsere Gegenwart dies tut und das Sprüchwort „dass Zeit Geld sei“ ward im Mittelalter sicherlich nicht erfunden. Wenn ein deutscher Ostseeschiffer im Jahre zwei oder höchstens drei Fahrten nach Riga oder Gothenburg, nach Stockholm oder Drontheim oder nach einem englischen, französischen oder flandrischen Hafen unternahm, so war dies das Höchste was geleistet wurde. Die mangelnde theoretische Bildung und das Fehlen der vielen Hilfsmittel aller Art, welche die Wissenschaft jedem strebsamen jungen Seemann jetzt gewährt, ward damals durch eine möglichst große praktische Erfahrung zu ersetzen gesucht. Die Schiffe mit ihrer ungleich seltener als jetzt wechselnden Benennung, unternahmen fast immer dieselben Reisen und besuchten beinahe beständig Jahr ein, Jahr aus die gleichen Häfen. So gab es früher in allen deutschen Hansehäfen, bestimmte Schoonenfahrer, Rigafahrer, Nordlandsfahrer, wie die nach Drontheim oder Archangel segelnden Schiffe genannt wurden, Hollandsfahrer u. s. w. und es gehörte zu den seltensten Ausnahmefällen, dass ein Schiffer mit seinem Fahrzeug eine andere Reise als nach der gewöhnlichen, ihm durch lange Gewohnheit genau bekannten Handels- und Hafenstadt unternahm. Nur das junge Volk der Matrosen von Lust nach Veränderungen und Abenteuer gelockt, schweifte oft weit in allen bekannten Meeren umher. Wer die Linie gestört und in Asien oder gar in dem erst vor Kurzem entdeckten Amerika, dessen größter Teil noch unbekannt blieb, gewesen war, der galt als eine außergewöhnliche Erscheinung und ward überall nach einem gewissen Gefühl des Neides und Erstaunens von seinen Kameraden angesehen. Solche Seeleute nannten sich „Matrosen von der langen Fahrt“ und pflegten gewöhnlich zur Unterscheidung und Auszeichnung eine bunte, breite Schärpe von fremdem Seidenzeug zum sonntäglichen Putz um den Leib zu schlingen. Der Knauf einer mächtigen Schiffspistole oder der silberbeschlagene Griff eines fremdartigen Dolchmessers, glänzte fast immer aus dieser Schürze hervor. Solche Matrosen von der langen Fahrt waren gar häufig wilde, verwegene Gesellen, die in den Trinkstuben und bei den Tanzfesten unter ihren Genossen gern das große Wort führten und die eine blutige Rauferei lieber aufsuchten, als sie grade ängstlich vermieden. Ein ehrbarer, stiller Bürger ging ihnen daher gerne möglichst weit aus dem Wege, wenn dies auch nicht ausschloss, dass sein hübsches, dralles Töchterlein verstohlen den schlanken kräftigen Burschen mit ihren klaren Augen recht lange nachzublinzeln suchte. Waren diese einzelnen, von der Tropensonne braun gebrannten, weit gereisten Seeleute, doch außergewöhnliche Erscheinungen und solche haben zu allen Zeiten sich eines besonderen Wohlwollens in der Mädchenwelt zu erfreuen gehabt, wie dies auch wahrscheinlich für alle zukünftigen Zeiten so bleiben wird.

Trotz dieser Langsamkeit und geringen Ausdehnung deutscher Seeschifffahrt im Mittelalter, war diese jedoch für alle unsere Küstenstädte von der höchsten Bedeutung. Der mächtige Hansabund, im Beginn des 16. Jahrhunderts freilich schon im Erlöschen seiner Macht, der mehr als einmal den nordischen Königreichen nicht allein den Krieg erklärt, sondern sie auch siegreich bezwungen hatte, verdankte der Seeschifffahrt den weit größten Teil seines Ansehens. Gar seine weit und breit mit Ehren genannten „wendischen Städte“ Lübeck, Wismar, Rostock, Stralsund, Greifswald und Stettin hatten durch ihre zahlreiche, mit Kraft und Geschick getriebene Reederei, den besten Teil ihres Wohlstandes erworben und ihre tüchtigen gut bemannten Schiffe erfreuten sich überall in der ganzen Ost- und Nordsee, hoch bis Drontheim und Archangel hinauf, eines besonders guten Rufes.

Mit den jetzigen schlanken und sich durch äußerste Eleganz aller ihrer Formen auszeichnenden, schnellsegelnden Klipperschiffen, konnten sich freilich die damaligen Kauffahrer weder an Größe noch Bauart nur im Mindesten vergleichen lassen. Sie waren möglichst rund und bauchig und mehr zum Einnehmen großer Lasten als zum Schnellsegeln erbaut und dabei selten über 50—80 Last Tragfähigkeit groß, da die geringe Tiefe der Einfahrt in den meisten Häfen keine größeren Fahrzeuge gestattete. Aber fest und durchweg vom besten Eichenholz verfertigt waren diese Ostseeschiffe der Hansa und wo sie hinkamen, konnten sie sich überall mit Ehren sehen lassen. Und wie das Schiff selbst, so war auch dessen Mannschaft lauter kerniges, tüchtiges Seevolk von der Ostseeküste, zwar wohl oft etwas rau im Auftreten und nicht fein im Reden und Umgang, aber treu, zuverlässig und unverzagt, mochte es sich im wütenden Sturm auf engem Fahrwasser oder beim Kampfe, Mann gegen Mann mit wilden Seeräubern zu bewähren haben. Litten die strengen Satzungen der Hansa es doch nicht, dass schlecht gebaute oder unzuverlässig bemannte Schiffe unter ihrer Flagge fahren durften, damit deren Ruf nicht irgendwie dadurch gefährdet werden konnte. Und unter diesem Hansakreuz hatte der schwarze Greif im gelben Felde das Wappen der guten, alten Stadt Rostock von jeher wieder noch einen besonders geachteten Namen. Musste der Schiffer doch ein angesessener Bürger Rostocks sein, und sah ein gestrenger Rat mit besonderer Schärfe bei der Musterung des Schiffsvolkes darauf, dass sich kein verlaufenes Gesindel darunter befand, sondern Alle entweder aus der Stadt selbst, oder dem ihr zugehörigen Flecken Warnemünde oder sonst vom sogenannten „Fischlande“ stammten.

Besonders viele Warnemünder, diese echten Abkömmlinge des nord-frisischen Volksstammes, der sich am Beginn des 13ten Jahrhunderts an einigen Teilen der deutschen Ostseeküste niedergelassen hatte, um hier Seeschifffahrt und Fischfang zu betreiben, dienten vielfach auf diesen Rostocker Schiffen.

Auch an diesem zwar windigen und rauen, aber dabei doch sonnenklaren Apriltag des Jahres 1523, konnte man so recht sehen, wie eng alle Interessen der Bewohner von ganz Warnemünde mit der Rostocker Seeschifffahrt verwachsen waren. Unweit des alten, wohlbefestigten Turmes, der nicht fern von der Mündung der Warnow in das Meer, zum Schutz — oft auch schon zur Beherrschung des Hafens — erbauet und mit einigen Kartaunen und einer geringen Besatzung von einem Dutzend Söldnern versehen war, lagen, an starken Pfählen befestigt, zwei stattliche Kauffarteischiffe, eben im Begriff so bald als tunlich in See zu gehen. Die gelbe Flagge mit dem schwarzen Greif unter der größeren weißen Flagge mit dem rochen Kreuz der Hansa zeigte, dass sie zur Stadt Rostock gehörten. Nach Drontheim waren sie bestimmt zu segeln, dort goldene Weizenkörner von den gesegneten Fluren Mecklenburgs hinzubringen und gegen Tran, Hering, Stockfische und andere nordische Produkte wieder umzutauschen. Gar mancherlei gab es noch vor dem Auslaufen in die See an Bord der Fahrzeuge zu ordnen und trotz des rauen Windes hatten die kräftigen Matrosen ihre dicken Friesjacken abgeworfen, um so ungehinderter bei der angestrengten Arbeit zu sein. Befehligten doch eifrige Schiffer beide Fahrzeuge, die genau aufpassten, dass Alles bis auf das Kleinste am Bord gut im Stande sei, bevor sie die Reise antraten. Besondere Assekuranzgesellschaften, um Schiff und Ladung gegen Seegefahr zu versichern, kannte jene Zeit noch nicht; es ging Alles auf eigene Gefahr des Befrachters und Reeders und da der Schiffer häufig einen mehr oder minder großen Anteil an dem Fahrzeuge, welches er zu führen hatte, besaß, so musste er wohl darauf achten, wenn er nicht durch eigene Fahrlässigkeit sein Schiff und somit auch sein Vermögen verlieren wollte. Besonders der junge Schiffer, der den „Greif von Rostock“, so hieß die stattlichste der beiden Galeassen, befehligte, schien von der eifrigsten Tätigkeit zu sein und verschmähte es selbst nicht, häufig mit Hand anzulegen und den acht bis zehn stämmigen, verwetterten Matrosen, welche seine Mannschaft bildeten, zu helfen. Hinrich Wulf, so hieß der junge Schiffer, der Sohn eines angesehenen Kaufherrn an der Ecke der Altbettelmönchsstraße und des Hopfenmarktes zu Rostock, galt aber nicht allein für einen der lustigsten und dabei kühnsten, sondern zugleich auch tüchtigsten Seeleute, welche nur jemals aus dem Hafen der Warnow abfuhren und wo nur hansisches Schiffsvolk sich in irgend einer Hafenschenke versammelte, da ward sein Name gewiss mit Ehren genannt. Hatte seine nicht zu bändige Liebe für das Meer und Alles, was damit zusammenhing, ihn doch auch gegen den Willen des gestrengen Vaters, der ihn eigentlich für die Schreibstube des Kaufmannshauses bestimmte, ein Seemann werden lassen. In Amsterdam, wohin sein Vater ihn als Jungen, geschickt, um die Handelsschaft desto gründlicher zu erlernen, war er heimlich davon gelaufen und hatte sich auf, ein holländisches Schiff, welches nach Indien fuhr, als Schiffsjunge anwerben lassen. Mehrere Jahre war er im Vaterhause gänzlich, verschollen gewesen, während er als Seemann auf den fernsten Meeren umherkreuzte, bis er plötzlich zur großen Freude der Seinen als stattlicher Matrose von der langen Fahrt, wieder in der Vaterstadt erschien. Lange, müßig zu sein lag aber nicht in seiner Art und als sein Vater, der sich notgedrungen, darin gefunden hatte, dass sein Sohn statt ein Kaufherr ein Schiffer wurde, ihm die Führerschaft eines ihm zugehörenden Schoonenfahrers anbot, schlug er auch dieses Anerbieten entschieden aus. Die Regelmäßigkeit der bestimmten, Fahrten behagte seinem ungebundenen Sinn noch nicht und er suchte noch mehr wilde Abenteuer als er schon bestanden. Der Bund der Hansa hatte grade mehrere, harte Kämpfe mit dem Übermute der dänischen Könige zu bestehen und konnte mutige Männer schon gebrauchen. So nahm Hinrich Wolf denn Dienste auf einem bewaffneten lübecker Schiff und zeichnete sich bei mehreren Gelegenheiten in den Kämpfen gegen den grausamen und harten König Christian II. von Dänemark diesem unversöhnlichen Feind der Hansa nicht wenig aus. Im vorigen Herbst erst war er wieder nach Rostock heimgekehrt und hatte nun endlich den Bitten seiner Familie nachgebend, sich dazu verstanden, die Führung eines Nordlandfahrer zu übernehmen. Musste der alte gestrenge Kaufherr Niclas Wulf nun auch gegen Wunsch und Willen den Sohn als Schiffer sehen, so setzte er doch seinen Stolz darin, ihm jetzt wenigstens ein Fahrzeug zu geben, so stattlich wie nur je eines auf den allberühmten Rostocker Schiffswerften vom Stapel gelaufen war. Hans Willgaß der angesehenste der vielbeschäftigten Schiffszimmermeister, hatte den „Greif von Rostock“ für das beste Fahrzeug erklärt, welches jemals von ihm aus kernigem mecklenburgischen Eichenholz und zähem schwedischen Eisen erbaut worden sei. Jetzt sollte das Schiff seine erste Fahrt antreten und da die Sitten jener Zeit, so einfach sie auch sonst waren, doch bei besonderen Gelegenheiten auch außergewöhnliche Festlichkeiten liebten, so fanden diese in sehr ausgedehnter Weise dabei statt. Die zahlreiche Sippschaft der wohlangesehenen Wulf’schen Familie war am frühen Morgen noch im Rostocker Hafen zu einem festlichen Imbiss am Bord des absegelnden Schiffes eingeladen. Von dem stattlichen Wohnhause des Niclas Wulf hatte sich der lange Festzug über den Hopfenmarkt und die Breite- und Schickmannsstraße nach dem Strande begeben. Voran die blasenden Zinkenisten des Stadtpfeifers, die auf ihren Instrumenten einen so gewaltigen Lärm machten, dass es weit durch alle Straßen scholl und die Zahl der Zuschauer, die aus Neugierde oder Teilnahme dem langen Zuge folgten, immer mehr anschwoll. Viele Häuser angesehener Kaufherrn, Schiffer oder sonst wohlhäbiger Handwerker, die irgend wie mit dem Wulf’schen Geschlechte in Verbindung standen, in den Straßen, durch welche der Zug ging, ließen dem Tage zu Ehren ihre Festflaggen mit dem großen schwarzen Greif im gelben Felde, vom Giebel herabwehen. Besonders aber am Hafen selbst herrschte das regste Leben, denn alle Schiffe die dort lagen, entfalteten ebenfalls ihre bunten Flaggen so viele sie davon besaßen, während die Mannschaft den Zug mit lautem Hurrah bewillkommte. Hatte der reiche Niclas Wulf an diesem Feiertage doch ein hundert Mark Lübisch an die Schiffskasse gespendet, damit seinem heute absegelnden Sohn ein tüchtiger Vatertrunk noch getrunken wurde. Gleich vor dem Schnickmannstore am Strande lagen einige große Tonnen mit dem jener Zeit weit und breit berühmten starken Rostocker Doppelbier, und zwei stämmige Brauerknechte machten die Schenker und füllten allen Seeleuten, welche einen Trunk sich ausbaten, die großen hölzernen Schleifkannen so voll, dass der weiße Schaum oft hoch über den Rand stand. Solch’ gutes Bier erfrischte schon die Kehlen und machte die Brust frei und so konnte es nicht ausbleiben, dass die lustigen Seeleute ihre lauten Rufe: „Hoch, hoch der wohlansehnliche Kaufherr Niclas Wulf“ oder häufiger noch: „Hoch, hurrah, hoch der junge Schiffer Hinrich Wulf, möge er den „Greif von Rostock“ seinem Hause zum Nutzen und unserer Stadt zu Ehren noch recht lange Jahre glücklich führen“ so laut schrieen, das es längs des langgedehnten Strandes bis weit hinter das Koßfeldertor erscholl. Und nun gar die Jungens, die ebenfalls ihr Bier erhalten und an denen gelbe Weizensemmel im Menge verteilt wurden, was machten die für einen Lärm und trieben für Possenspiel und kletterten hoch in die Masten der im Hafen ankernden Fahrzeuge, um zu zeigen, dass sie schon jetzt in allen diesen waghalsigen Kletterkunststücken, wie solche der Seemann für seinen Beruf bedarf, wohlgeübt waren.

Am Ufer der Warnow selbst, die freilich damals noch nicht wie jetzt der Fall ist, ein fester Kai einfasste, war ein großes Zelt aufgeschlagen, um den letzten Trunk am Festlande einzunehmen. Der Hafenmeister, ein alter verwetterter Seemann, der sein jetzt mit mächtigem Pechpflaster bedecktes fehlendes linkes Auge im Kampfe gegen wilde Seeräuber eingebüßt hatte, der Schiffszimmermeister, der die Galleasse erbaut, der Segelmacher der sie mit Segel und Takelwerk ausgerüstet und noch ein halbes Dutzend wohl angesehener Handwerksmeister verschiedener Zünfte, die sonst zu ihrer Erbauung und Ausrüstung mit beigetragen hatten, nebst einem Dutzend älterer Schiffer und Steuermänner von den im Hafen liegenden Schiffen, bildeten hier die Gäste. Die damalige Zeit liebte das Trinken starker Getränke in einer Weise wie unsere jetzige Generation dies kaum annährend mehr kennt und so kreisten denn in diesem Zelte die Silberhumpen mit warmen Würzereien gar schnell herum und mussten von dem alten bewährten Hausdiener des Wulsschen Hauses, der hier den Kellermeister machte, recht häufig wieder gefüllt werden, da sie stets bis zur Nagelprobe geleert wieder zu ihm zurückkehrten. Selbst die hübschen Jungfern und ehrbaren Hausfrauen unter den Gästen, nippten von dem warmen würzigen Wein, der von den scharf gerösteten Brotschnitten und den Muskatnelken, die auf ihm herumschwammen, so aromatisch duftete, nicht wenig, so dass bald ihre Wangen noch röter glühten und ihre Augen noch heller blitzten wie sonst schon der Fall. War der Aprilmorgen doch noch kühl und sollte die Fahrt auf dem Schiffe doch eine gute Strecke bis Warnemünde mitgemacht werden und so war ein inneres Erwärmungsmittel schon angebracht.

Eine Anzahl festlich geschmückter Boote nahm endlich an dem langen Holzsteg der vor dem Schnickmannstor in die Warnow führte, die ganze frohe Gesellschaft auf, um sie an Bord des „Greif von Rostock“ zu bringen. Das Schiff mit allen möglichen Flaggen und grünen Tannenbüschen hübsch verziert, am Ehrenplatz die weiße Flagge mit dem roten Kreuz des Hansabundes, diesem geachtetsten Zeichen, welches die Schifffahrt damals nur kannte, hatte sich schon auf der Mitte des breiten mächtigen Stromes, der jetzigen „Fähre gegenüber,“ gelegt. Auf dem Hinterdeck stand der junge Schiffer Hinrich Wulf und wie sein Auge die abstoßenden Boote mit den jubelnden Gästen erkannte, donnerten auf seinen Handwink die zwei Karthaunen auf dem Verdeck seines Fahrzeuges, zum Ehrensalut und fuhren damit fort bis die Boote an dessen Seite anlegten und die Gäste die breite Treppe bestiegen hatten, die zur Kajüte führte.

Nach dem frommen Sinn jener Zeit durfte der Segen der Kirche jeder wichtigen Handlung niemals fehlen, und so war denn auch auf dem Verdeck des „Greifs von Rostock“ ein Altar aufgeschlagen und auf das Beste ausgeschmückt worden. Der Pater Rothstein aus dem Dominikaner-Kloster zu St. Johannis, der Beichtvater und Hausfreund der ganzen Wulf’schen Familie, hielt hier die heilige Messe ab und erteilte den Segen der Kirche für das Schiff und dessen Führer. Der Pater, damals noch zu den beliebtesten Kanzelrednern Rostocks gehörend, der besonders unter den angesehenen Geschlechtern viele eifrige Verehrer zählte, war ein strenger Verteidiger der Rechte der römisch-katholischen Kirche und verstand es, schon mit heftigen Worten ein drohendes Strafgericht über alle Ketzer und Zweifelhaften im Glauben zu halten. So war denn auch seine jetzige Rede zur Einweihung des neuen Fahrzeuges nicht frei von Vorwürfen über den Unglauben, der sich leider unter so vielen jungen Seeleuten immer mehr zu verbreiten anfing und er schwor den Zorn des Himmels auf Alle herab, welche es nur wagten, den mindesten Zweifel an den Satzungen der hohen römischen Kirche, wie solche der heilige Vater in Rom durch den Mund seiner Priester verkünden ließe, zu hegen. Schloss er seine donnernde Rede doch damit, dass es besser wäre, dieses stattliche neue Schiff ruhe auf dem Grunde des Meeres, wo solches am Tiefsten sei, und dessen Mannschaft fände ihr Grab im Bauche der Fische, als dass jemals Ketzerei, Zweifel und Unglauben an den Lehren, die aus Rom verkündet würden, an dessen Bord herrschen möge! Gar lautes Schluchzen der Frauen ertönte bei diesen Straf- und Drohworten des glaubenseifrigen Paters, und die Tücher aus den reichgestickten, an hellglänzenden Stahlketten hängenden Gürteltaschen, fuhren gar oft an die Augen, um die Tränen zu trocknen. Hätte der Redner aber die teils unwilligen, teils spöttisch blickenden Gesichter der meisten Seeleute unter den anwesenden Gästen beobachtet, so würde er bemerkt haben, dass seine allzu eifrige und strenge Rede gerade dadurch ihren beabsichtigten Zweck vielfach verfehlte. Besonders das hübsche, männliche Antlitz des jungen Hinrich Wulf selbst, nahm bei einigen sehr zürnenden Worten des Paters Rothstein sogar einen trotzigen, ja fast bösen Ausdruck an, und die Blicke, die er Letzterem zuwarf, schienen nichts weniger als freundlich zu sein.

Es war ein Glück, dass sogleich nach Beendigung der Messe der „Greif von Rostock“ von dem Pfahle, an dem er bisher festlag, gelöst wurde und die Fahrt begann, so dass Hinrich Wulf durch seine Pflichten als Schiffer zu sehr in Anspruch genommen wurde, sonst dürfte leicht noch ein heftiger Wortwechsel zwischen ihm und dem Pater erfolgt sein. Ein innerer tiefgehender Zwiespalt entstand aber von dieser Stunde an zwischen beiden Männern und als Freunde schieden sie dabei nicht von einander.

Da der Wind noch nicht günstig war, so wurde die Galeasse durch ein halbes Dutzend Boote, die alle mit kräftigen Ruderern besetzt waren, bis hinter Bramow, eine halbe Meile von der Stadt, am Schlepptau gezogen. Bis so lange blieben auch die Gäste noch Bord und er feurige alte Rheinwein, aus dem besten Mutterfass des gut gefüllten Wulf’schen Kellers, der in mächtigen Humpen kredenzt wurde, vereint mit den Klängen der Gesellen des Rostocker Stadtpfeifers, die in einem Boote sitzend, ihre munteren Weisen über die breite, in hellem Sonnenschein glitzernde und blitzende Fläche der Warnow ertönen ließen, verfehlten nicht, die frühere heitere Stimmung Aller bald wieder hervorzurufen. Dass der sonst so glaubenseifrige, fanatische Pater Rothstein ein Liebhaber eines guten Tropfen sei, und seinen silbernen Pokal gar wiederholt leerte, konnte man auch heute bei dieser Fahrt wieder merken.

Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, wo das Schiff vollen Wind hatte und alle Segel beisetzen konnte und somit die Gäste dessen Bord verlassen und sich in den Booten wieder nach der Stadt zurückrudern lassen mussten, wenn sie nicht die Fahrt bis nach Warnemünde mitmachen wollten. Noch ein kräftiger Händedruck Aller an Hinrich Wulf und manch herzlich gemeinter Abschiedswunsch für die glückliche Reise nach dem fernen Norden, dann entfaltete das Schiff bald die vollen Segel und gleich einem riesigen Schwan setzte es seine Fahrt mit rascher Strömung fort, während die Boote nach der Stadt zurückruderten.

Der Aufenthalt in Warnemünde, wo noch Einiges an der Ladung geordnet werden musste, schien dem jungen Schiffer gar nicht so unwillkommen zu sein, als man sonst bei seiner Ungeduld, bald in See zu kommen, eigentlich hätte erwarten sollen. Musste er doch sehnsüchtig hier noch auf einen Besuch am Bord seines Schiffes harren, denn er sah außergewöhnlich oft mit spähenden Blicken auf die blau-grüne Fläche des Meeres hin, um unter der Menge der dort kreuzenden Fischerboote ein bestimmtes zu erkennen. So war es vielleicht auch kein bloßer Zufall, dass er seinen festtäglichen Anzug, den er dem Besuch der vornehmen Gäste im Rostocker Hafen zu Ehren angelegt hatte, noch immer nicht mit der gewöhnlichen Kleidung eines Schiffers auf; der See vertauschte. Freilich, gar schmuck sah der junge wohlgebaute Schiffsführer, der wohl 6 Fuß maß, mit dem offenen, ehrlichen, an der Sonne gebräunten Gesicht auch jetzt aus, und es war nicht zu verwundern, dass in seiner Vaterstadt manche hübsche Jungfer aus angesehenem Geschlechte ihm mit besonderem Wohlgefallen nachgeblinzelt hatte. Ein Wams aus feinem niederländischen blauen Tuch umschloss eng den Oberkörper und ließ dessen kräftige Formen recht merklich hervortreten. Die Ärmel waren mit kunstvollen Schlitzen versehen, aus denen die weiße feine Leinewand des Hemdes hoch hervorbauschte, während ein breiter weißer Halskragen von zierlicher Arbeit den offenen Hals umschloss. Kurze weite Pluderhosen, zu deren Anfertigung der Schneider manche Elle feines blaues Tuch verbraucht hatte, in so viele Falten lagen sie, reichten bis zum Knie, während sie um den Hüften an einem breiten, kostbar gewirkten Shawl, den Hinrich Wulf selbst aus Indien mitgebracht hatte, festgehalten wurden. Der kunstvoll mit Silber ausgelegte Knauf einer langen Pistole mit mächtigem Radschloss blitzte aus diesem Shawl hervor. Die stämmigen Waden staken in blauen mit bunter Wolle am Zwickel ausgenähten Strümpfen, während breite Schuhe mit hellfunkelnden Silberschnallen den Fuß bekleideten. Das nach den Sitten jener Zeit lang bis auf den Nacken darnieder hängende hellblonde Haar war jetzt im Hafen zierlich gestrählt und in der Mitte gescheitelt, mochte sonst freilich auf der See, wenn der Sturmwind da hineinfuhr, oft wild genug das Gesicht umflattern. Langes ungeschorenes Haar war damals an der Ostseeküste das Ehrenvorrecht aller freien, nicht hörigen Männer, und so trugen es auch stets sämtliche Matrosen auf den Schiffen, hatten es aber, damit es sie bei der Arbeit nicht hinderte, gewöhnlich mit einem schmalen Lederband festgebunden. Der breite Hut von feinem Filz war an der einen Seite mit der Krempe aufgeschlagen und mit einer kleinen silbernen Agraffe, einen Schiffsanker vorstellend, und zwei Bandschleifen mit den schwarz-gelben Rostocker und den rot-weißen hanseatischen Farben geschmückt. An einem breiten, mit silbernem Buckel reich verzierten Ledergurt über der Schulter hing ein kurzes breites Enterschwert, dessen kunstvoll gearbeiteter Handkorb schon manche tiefe Einhiebe, als Spuren tüchtiger, schon damit bestandener Kämpfe, zeigte.

Schon manches einsegelnde Warnemünder Fischerboot war in rascher Fahrt an dem „Greif von Rostock“ vorbei geschossen, aber das rechte, von dem jungen Führer so sehnlichst erwartete, schien noch immer nicht gekommen zu sein. Ward dieser zuletzt doch immer ungeduldiger, ja, ließ es sich sogar nicht verdrießen, trotz seines geputzten Anzuges, mit seemännischer Gewandtheit in die Strickleiter bis zum Mastkorbe emporzusteigen, um von dessen Höhe einen weiteren Umblick zu erreichen. Seine Bestrebungen sollten nun auch belohnt werden, denn bald schien er in einem kleinen Boote, was in schneller Fahrt der Strommündung zueilte, das Ziel seiner Wünsche gefunden zu haben. Die untergehende Sonne hatte schon des Meeres weite Fläche mit purpurnem Glanze übergossen und ihre letzten Strahlen fielen auf die weißen Segel dieses kleinen Bootes, dass solche, wie aus goldenen Fäden gewoben, weit schimmernd erglänzten. Auch das junge Mädchen, welches vorne im Boote aufrecht stand, sich mit der einen Hand nachlässig auf dem hochaufgewundenen Haufen der Fischernetze stützend, ward jetzt in gar rosiger Färbung beleuchtet und es schien fast, als sei selbst die Natur bestrebt, ihren Anblick noch möglichst zu verschönern. Es war auch wirklich eine auffallend edle Gestalt und selbst der kurze weite faltige Rock vom gröbsten dunkelblauen Fries und die runde, vorne offene Jacke von gleichem Stoff, die ihren Anzug bildeten, konnten die Anmut der Formen nicht verhüllen. Auch das jetzt in so glänzenden Farben schimmernde Gesicht war von ungemein edler Bildung, während reiche blonde Haare, von der Arbeit gelöst, in dichten Flechten ihr bis weit über die Schulter darnieder hingen. Schien es doch wirklich, als sei ein gewisser poetischer Hauch über dem Ganzen ausgegossen, so hübsch war das Bild dieses, von der Abendglut gefärbten, die weißschäumigen Wellen der Küstenbrandung jetzt schnell durchfurchenden kleinen Fischerbootes mit dem schlank gewachsenen jungen Mädchen auf seiner Spitze. Von der geschickten Hand des alten grauhaarigen Fischers, der hinten am Steuerruder saß, gewandt geleitet, flog das Fahrzeug haarscharf an dem Bug des „Greifs von Rostock“ vorbei, während das Mädchen vorne mit großer Behendigkeit auf die Ruderbank sprang, um in geübter Schnelligkeit die Segel zu lösen und dann abzunehmen, so dass die Landung genau an dem bestimmten Anlegeplatze stattfinden konnte.

Wie rasch war jetzt auch der Schiffer Hinrich Wulf aus dem Mastkorb wieder herabgeklettert und eilte vom Bord seines Schiffes nach der Anlegestelle des Bootes. Kam er doch gerade noch zur rechten Zeit, als die junge Warnemünderin soeben das Land betrat und dann mit Hilfe der hinzugeeilten Mutter, ebenfalls einer gar stattlichen Frau, den Alten, der am Ruder gesessen, sorgsam das etwas steile Ufer hinaufgeleitete. So überaus kräftig der ganze Oberkörper des alten Wegner, so hieß dieser Fischer, auch noch war und mit so starken Armen er stundenlang die schwersten Ruder zu führen vermochte, so konnte man doch jetzt bemerken, dass beide Füße von der Mitte der Schenkel ab ihm fehlten und durch kleine angeschnallte Holzstumpfen ersetzt waren. Dadurch hatte er kaum eine Höhe von 3 1/2 Fuß und konnte auch allein ohne fremde Hilfe sich nicht von der Stelle bewegen. In der blutigen Seeschlacht bei Bornholm im Jahre 1511, als die hansischen Schiffe die ganze dänische Kriegsflotte unter dem wilden eroberungslustigen König Johann total besiegten, hatte Wegner, damals noch ein rüstiger Steuermann auf einem Rostocker bewaffneten Schiffe, seine beiden Füße verloren. Die Anfertigung künstlicher Glieder, die in unserer Gegenwart so weit gediehen ist, kannte die damalige Zeit noch nicht und so musste der Verstümmelte sich mit diesen beiden Holzstummeln begnügen. Sonst freilich war er noch immer der beste Seemann in ganz Warnemünde, und galt es, beim schwersten Sturme ein Schiff in den Hafen zu bringen, so war er sicherlich der Erste, der sich in das Boot heben ließ, um dies Werk der Rettung zu versuchen. Er war überhaupt ein Mann, dem ein gar mutiges kühnes Herz in der Brust schlug und der, wo es galt fremde Not zu lindern, alsbald keinen Augenblick mit tatkräftiger Hilfe zauderte. Der lange weißgraue Bart, der ihm bis weit über die offene, von Wind und Wetter gerötete Brust hernieder hing, und die feurigen Augen unter den dichten weißen Augenbrauen gaben ihm dabei ein ehrfurchtgebietendes Ansehen, was freilich durch die arge Verunstaltung seiner Füße wieder sehr beeinträchtigt wurde.

Der Fang, den der alte Wegener mit Hilfe seiner Tochter Gundula an dem heutigen Tage in der See gemacht hatte, schien nicht allzu reichlich zu sein und die Zahl der in den Netzen schwimmenden Fische war nicht sehr groß. Mochte dies nun der Grund der üblen Laune der Frau Wegner sein oder fürchtete sie, dass das schnelle Herbeieilen des jungen Schiffers Grund zu boshaften Klatschereien unter den überall am Ufer mit dem Auslösen des Fanges aus den Netzen beschäftigten Weibern aus dem ganzen Orte geben konnte, kurz, sie empfing seinen freundlichen Gruß nur äußerst kurz, ja selbst unfreundlich. Die tiefe Röte aber, welche das Gesicht der Tochter jetzt überzog, bewies, dass dieser die Ankunft des Schiffers nicht gleichgültig sein könne.

„Steht dem Schiffer vielleicht etwas bei uns zu Begehr, dass er es so eilig hat, herzulaufen, als wenn der Vogt die neuen Steuern eintreiben will?“ frug die Alte in der eigentümlichen Warnemünder Mundart, die sich damals noch weit mehr als jetzt von dem Rostocker Plattdeutsch unterschied, sehr spöttisch den Schiffer.

„Wollt mich nur nach dem heutigen Fange erkundigen und fragen, ob ich ein halbes Dutzend fette Dorsche von Euch bekommen könnte, um zu Abend noch ein gutes Nachtessen in der Kajüte meines Schiffes zu halten, bevor ich mit anbrechendem Tage dann in See gehe,“ antwortete Hinrich Wulf, sichtbar über den kurzen Empfang der Frau Wegner verlegen.

„So, also Dorsche will der Schiffer in eigener Person von einer armen Warnemünder Fischerfrau einkaufen? Mir deucht, das wäre doch eher ein Geschäft für den Schiffsjungen gewesen, als für den Herrn Hinrich Wulf, den Sohn des reichen, stolzen Kaufherrn in der Stadt, der nicht leiden will, dass unsereins auch nur einen Schritt in seine Schreibstube setzen darf, da er behauptet, wir Fischerfrauen alle stänken zu sehr nach Fischen,“ erwiderte das Weib, und die Erinnerung einer Beschimpfung, die sie von dem alten übermütigen Handelsherrn unlängst erhalten haben musste, stammte zornig bei ihr wieder auf. „Kann Euch nicht mit Dorschen dienen, denn die wenigen, welche heute gefangen sind, wurden schon längst von meinen besten Kunden in Rostock, den hochehrwürdigen Patern im St. Johanniskloster, zum heiligen Osterfeste bestellt,“ fügte sie Noch schnippisch hinzu.

„Was das Weib da für dummes Zeug schnackt! Kehrt Euch nicht daran, Schiffer Hinrich Wulf; für einen Seemann wie Ihr sind immer Fische da, so lange der alte Claus Wegner noch eine Flosse fängt,“ rief jetzt aber plötzlich der Alte, der auf einem umgestürzten Boot in der Nähe sitzend, diese ganze Unterhaltung mit anhörte. „Da frisch, Gundel, suche ein halbes Dutzend der besten Dorsche für den Schiffer aus,“ wandte er sich nun, ohne auf sein noch heftig brummendes Weib weiter zu achten, an die emsig mit dem Sortieren des Fanges beschäftigte Tochter. Wie geschwinde war die hübsche, muntere Gundel jetzt bereit, des Vaters Gebot zu erfüllen und die besten Fische des ganzen Fanges wurden gewiss von ihr für den Schiffer bereit gelegt.

War es doch schon eine alte Liebe, die Beide für einander hegten, da Hinrich Wulf, der vor einiger Zeit einst beim Herunterfallen aus dem Mast sich den Fuß gar arg in Warnemünde beschädigte, dort einige Wochen auf dem Krankenlager liegen bleiben musste und so die Gundula Wegner häufig gesehen hatte. Ein offenes Geständnis war freilich von keiner Seite schon erfolgt und es schien fast, als ob die Jungen bisher sich scheuten, frei auszusprechen, was die Augen, diese Offenbarer der innersten und heiligsten Gefühle des Herzens, doch schon längst gegenseitigst verkündet hatten. Und doch, wie die Verhältnisse nun einmal waren, schien diese Liebe ja auch nimmermehr zu einem erwünschten Ziele führen zu können. Die strenge Aufrechthaltung von Rang und Ansehen und der Unterschied der Stände war im Mittelalter ungleich strenger, als unsere Gegenwart mit ihren allmählich Alles nivellierenden Bestrebungen dies noch kennt. So war denn auch die Kluft, die zwischen Hinrich Wulf, dem Sohne eines der angesehensten Rostocker Handelsherrn, dem Sprössling eines weitverzweigten Patriziergeschlechts, was stets in den ersten Ehrenämtern der Stadt vertreten war, und Gundula Wegner, dem armen Fischermädchen aus Warnemünde, lag, damals weit größer, als jetzt zwischen einem Grafen und einer Schauspielerin der Fall sein möchte.

Grade diese Furcht, dass Schiffer Hinrich Wulf nur nach Seemannsart ein kurzweiliges Spiel mit ihrer Tochter Gundula treiben, diese aber nun und nimmermehr als sein rechtmäßiges Ehegemahl in sein stolzes Bürgerhaus führen würde, machte auch die Frau Wegner dem jungen Manne so abgeneigt. Sahen doch alle Warnemünder, ebenfalls ein schönes Erbteil des friesischen Volksstammes, mit der äußersten Strenge auf die unbedingteste Sittenreinheit ihrer Töchter und Frauen, und ein junges Mädchen, dessen Ruf auch nur den allermindesten Makel hatte, war auf immer dort geschädigt.

Während nun Mutter und Tochter mit dem Auslösen der Fische aus den Maschen des weitläufigen Netzes sich beschäftigten, setzte sich der Schiffer, der grade keine sonderliche Eile mehr zu haben schien, seine Dorsche in Empfang zu nehmen, zum alten Wegner auf das umgestürzte Boot, dort mit ihm zu plaudern. Wusste er doch, dass es dem Alten zur besonderen Ehre und zum größten Vergnügen gereichen würde, mit einem angesehenen Rostocker Schiffer vor aller Leute Augen vertraulich verkehren zu können. Aber auch ganz abgesehen davon, mochte er gerne mit dem alten Seebären einen längeren Schnack machen. Der Alte war in allen nordischen Meeren wohlbekannt und konnte somit dem jungen Seemann manches erzählen, was diesem vom größten Interesse war und ihm auch zugleich zum besonderen Nutzen dienen konnte. Eine recht gefährliche und kritische Zeit war dazumal grade wieder für die hansischen Schiffer, die nach dem Norden fuhren, eingetreten und die größte Vorsicht ihnen dringend geboten. Der harte despotische König Christian II. von Dänemark, dieser ärgste Feind des Hansabundes, herrschte mit unumschränkter Macht in allen drei nordischen Reichen und fand ein besonderes Wohlgefallen daran, den Handel der wendischen Städte dabei möglichst zu unterdrücken. So hatte er sogar mehrere Jahre hindurch alle schwedischen Städte gänzlich für die hansischen Schiffe gesperrt, durch welche Maßregel besonders Rostock und Wismar, die viel Bier, Getreide und Obst dahin ausführten, hart litten. War der offene Handel nach Schweden und auch mitunter nach Norwegen den Hansen verboten, so musste ein heimlicher Schleichhandel, der zwar viel Gefahr, dafür aber, wenn er glückte, desto reicheren Gewinn brachte, an dessen Stelle treten. In dunkeln stürmischen Nächten liefen die Fahrzeuge in die versteckten Buchten der schwedischen Scheeren ein und vertraute Fischer nahmen dort die mitgebrachte Ladung in Empfang und lieferten neue Waren zur Rückfracht. Freilich kam es bei diesem unerlaubten Schleichhandel nicht selten zum heftigen Kampfe mit den bewaffneten dänischen Ruderboten des Königs Christian, die unablässig längs der ganzen nordischen Küste umherkreuzten, oder auch am Lande mit den gewappneten Strandreitern und den Strandvögten und ihren reisigen Knechten. Blutigen Streit und heftige Fehde auf Leben und Tod war das raue, kühne Geschlecht in jener Zeit übrigens schon so gewöhnt, dass weiter nicht viel Rede davon gemacht wurde.

Jetzt aber im Jahre 1523 hatten die Streitigkeiten und Kämpfe, die fast unablässig bald hier, bald dort, an den Küsten der Ostsee tobten, wieder einen außergewöhnlich hohen Grad erreicht. Die Schweden, der grausamen Tyrannei des Königs Christian II. überdrüssig, waren in offene Empörung gegen ihn ausgebrochen und hatten den jungen, wegen seiner besonderen Tapferkeit, großen Klugheit und Weisheit hochgeehrten Gustav Erichsohn aus dem edlen Hause der Wasa, zu ihrem Führer erwählt und auch in Dänemark selbst war von einer mächtigen Partei der Herzog von Holstein als König proklamiert worden. König Christian II., bei aller Grausamkeit ein tapferer energischer Mann, hatte aber starke Haufen gewappneter Soldaten zusammengebracht, der größte Teil des dänischen Adels stand ebenfalls auf seiner Seite und so fanden die heftigsten Kämpfe in allen nordischen Landen und oft auch Meeren statt und die Wellen der Ostsee, des Kattegats und der norwegischen Fjorde, wurden nicht selten von Blut gerötet. Der Bund der Hansa, dieser alte Gegner König Christians, hatte sogleich Partei für den neuen König Gustav Wasa genommen und suchte dessen Macht auf jegliche Weise zu unterstützen, während wieder Herzog Albrecht von Mecklenburg, wegen der besonderen Wohlgestalt seines Körpers „der Schöne“ genannt, es mit König Christian hielt. So war Rostock in ganz eigentümlicher Lage, doch betrachteten sich dessen Bürger weit mehr als Glieder des Hansabundes, denn als Untertanen des Herzogs von Mecklenburg und wie sie sich zu allen Zeiten verzweifelt wenig um die Befehle, die ihnen aus der herzoglichen Burg in Güstrow oder Schwerin gekommen waren, gekümmert hatten, so geschah dies auch jetzt hinsichtlich ihrer Teilnahme in diesen nordischen Streithändeln und sie suchten ihren Herzog zum Trotz, dem König Christian auf alle Weise zu schaden. Der alte Handelsherr Niclas Wulf war aber ein sehr vorsichtiger Mann, der es wenigstens nicht gerne ohne allzudringende Not mit dem Herzoge Albrecht von Mecklenburg verderben wollte. Er kannte den kühnen, abenteuerlustigen Sinn seines Sohnes Hinrich, der am liebsten, statt mit dem „Greif von Rostock“ Frachtgüter nach Norwegen zu fahren, sein Schiff bewaffnet und dann auf Königsbeute gegen König Christians Fahrzeuge damit gekreuzt hätte und hatte ihm deshalb noch in der letzten Abschiedsstunde, den allerstrengsten Befehl erteilt, sich unter keinen Umst?nden freiwillig mit in diese Streithändel zu mischen. Zwar sein Eigentum, Schiff und Ladung sollte er im Notfall auf das Entschiedenste gegen Jedermann und somit auch gegen Dänemarks Fahrzeuge oder Söldner verteidigen, sonst aber jedes Gefecht eher vermeiden als gerade mutwillig aussuchen. Besaß Herzog Albrecht von Mecklenburg doch noch nicht weit von Warnemünde ebenfalls einen befestigten, mit einigen reisigen Knechten besetzten Turm, durch welchen er die Rostocker Schiffe auf der Warnow arg molestieren konnte und so hielt der alte Ratsherr Wulf es nicht für geraten, ihm offen und nutzlos Trotz zu bieten. Gab es ohnehin nur schon zu viele Händel zwischen diesen reisigen Knechten des Herzogs und dem Rostocker Schiffsvolk und war es soeben erst mit Mühe gelungen, für den Augenblick wenigstens, ein äußerlich leidliches Einverständnis zwischen beiden Teilen herzustellen.

Über alle diese vielen Streithändel konnte der junge Schiffer aber jetzt von dem alten Fischer Wegner die beste Auskunft und erfahrenste Belehrung erhalten. Der war in seiner Jugend, als er noch auf beiden gesunden Füßen stand, stets der heftigste Feind der Dänen gewesen, der mit besonderer Vorliebe an allen heimlichen Händeln, die gegen diese geführt wurden, teilgenommen. Jetzt, wo seine Tätigkeit auf das Boot sich beschränken musste, hatte er in den Streitigkeiten mit der Besatzung des herzoglichen festen Turmes bei Warnemünde sich stets hervorgetan und war besonders bekannt dadurch, dass er durch allerlei listige Streiche und heimliche Überrumpelungen öfters schon deren Wachsamkeit getäuscht, wenn sie, wie ab und zu der Fall gewesen, mit offener Gewalt die Schifffahrt auf der Warnow zu sperren versuchten. Gar manche gute Ratschläge und treffliche Winke, die in geeigneten Fällen vielleicht von dem allergrößten Nutzen ihm sein konnten, vermochte der alte Wegner über all solch Treiben dem aufmerksam zuhörenden Hinrich Wulf zu erteilen. Musste ein wirklich tüchtiger Schiffsführer in jener Zeit doch Vieles wissen und in mancherlei Praktiken wohlgeübt sein, was er nur aus dem reichen Schatz der Erfahrung lernen konnte, von dem die jetzigen Schiffer kaum noch eine Ahnung haben.

So aufmerksam der Schiffer auch den Worten des Alten lauschte, versäumte er trotzdem doch nicht, seine Blicke unablässig auf dessen Tochter ruhen zu lassen und, so oft wie möglich, wenigstens einige kurze freundliche Worte mit dieser zu wechseln.

War die Sonne auch inzwischen schon im Meere versunken und hatte die letzte Abendröte der immer dunklere Schatten verbreitenden Dämmerung weichen müssen, so trat dafür die Mondsichel schon klar am Himmel hervor, und warf ihr bleiches Licht auf die im silbernen Glanze schäumenden Wellen. Allmächtig ward es immer öder und stiller am Strande, denn die meisten Fischerfrauen hatten ihr Geschäft draußen bereits geendet und kochten nun am hellen Herdfeuer die Abendmahlzeit für die hungrige Familie, welche dieser nach der schweren vollbrachten Arbeit des Tages die ersehnte Labung bringen sollte.

Auch Frau Wegner war endlich mit ihrer Arbeit fertig und das große Netz geleert, die Körbe hingegen mit den zappelnden Fischen gefüllt. Die für den Schiffer ausgesuchten Dorsche lagen zusammen auf einem Haufen und die Fischerfrau war noch viel zu erzürnt, um sie dem Käufer anzubieten. Fast schien es auch, als hätte dieser den angeblichen Grund seines Kommens schon wieder gänzlich vergessen, denn als die Tochter ihn mit freundlichen Worten aufforderte, seine Fische doch in Empfang zu nehmen, wusste er in der Tat nicht, wie er solche nach seinem Schiffe hinbringen solle.

„Und was bin ich der Jungfer für die Dorsche schuldig? Wirklich so große und ausgesuchte Fische habe ich noch niemals bei einander gesehen!“ frug er mit befangener Stimme das vor ihm stehende Mädchen. Wie verlegen wurde diese jetzt ob solcher Frage, denn es widerstrebte ihrem Gefühle, einen Preis zu fordern, und doch fürchtete sie auch wieder den Stolz des Schiffers zu beleidigen, wenn sie, das arme Fischermädchen, ihm die Dorsche zum Geschenk anbieten würde.

„Das halbe Dutzend Dorsch soll gestern auf dem Rostocker Markt mit einem lübeck’schen Schilling bezahlt sein, wie die Nachbarsfrau erzählte,“ antwortete sie nach kleiner Pause mit tiefer Stimme.

„Ach was, Schnickschnack, werdet doch von mir ein Paar elende Dorsche annehmen wollen, ohne Euch von dem Weibsvolk einen Schilling dafür abfordern zu lassen, Schiffer Wulf! Wisst, bringt mir von Drontheim ein Gericht Stockfische wieder dafür mit zurück, wenn ihr mit Eurem „Greif von Rostock“ heimkehrt, das ist eine gute Ausgleichung!“ rief aber der alte Wegner jetzt dazwischen, indem er sich zum Fortgehen rüstete.

„Ist ein Wort: das beste Bund Stockfische was nur auf dem Drontheimer Markt zu bekommen ist, sollt Ihr haben. Wegner! — Und ist der Jungfer nichts gefällig, was ich Ihr mitbringen kann?“ wandte sich Wulf an das jetzt über und über errötende Mädchen.

„Wüsste nichts, was mir der Schiffer von dort her mitbringen könnte,“ antwortete diese leise.

„Auch nicht mein treues Herz voll Liebe für Euch, wie es jetzt schon schlägt, Jungfer Gundula?“ flüsterte der junge Mann, schnell den günstigen Augenblick benutzend, da der Alte noch einige Schritte seitwärts gehumpelt war, um nach seinem Boote zu sehen, und ergriff dabei mit rascher Entschlossenheit die Hand des Mädchens, um diese fest zu drücken.

Ein leiser Gegendruck erfolgte, und als sein Blick das Auge des jungen Mädchen traf, fand er hier einen so wahren, innigen Ausdruck der Liebe und zugleich einen solchen tiefen Schmerz über die bevorstehende Trennung, dass es keiner weiteren Worte mehr bedurfte, um ihm die frohe Überzeugung zu verleihen, dass auch Gundula seine Gefühle erwidere und mit treuer Liebe so warm und fest, wie das Herz, einer einfachen Fischertochter solche nur zu fassen vermochte, für dies fernere Erdenleben an ihm hängen würde. Wozu bedarf es in solchem Augenblick der inneren Weihe, wo die Herzen zweier edlen und starken Menschen von inniger Liebe für einander ergriffen werden, auch wohl noch der leeren Worte? Mehr als Alles verkünden die Augen, diese treuen Spiegel der Seele, das, was die Brust mit der reinsten Lust erfüllt.

„Also gute Fahrt und gedeihliche Binnenkehr, Schiffer Wulf, und wenn die dänischen Spitzbuben Euch molestieren wollen, so gebt ihnen nur gehörige hansische Hiebe auf ihre dicken Grützköpfe zu kosten,“ rief jetzt der alte Wegner, der inzwischen wieder herangekommen war, dabei zum Abschied mit seiner breiten Riesenfaust die Rechte des jungen Mannes derb drückend und dann am Arme seiner Tochter, die ihm zur Stütze diente, forthinkend. Auch Gundula reichte ihm zum Lebewohl noch einmal die Rechte und es war fast, als könnten die Hände Beider kaum von einander lassen, so fest hielten sie sich.

Die gekauften Fische in einem kleinen Netze tragend, wandte Schiffer Wulf sich langsamen Schrittes seiner Galeasse zu. Wusste er doch jetzt, dass ein edles treues Herz am Warnow-Strand in wahrer Liebe ihm zugetan war, und dennoch durfte er sich nicht verhehlen, dass noch gar manche harte und heiße Kämpfe zu bestehen sein würden, bevor er das Mädchen wirklich sein Weib nennen konnte. Welch’ höhnisches Gelächter würde seine gesamte Sippschaft in der Stadt Rostock aufschlagen und welch’ spöttisches Naserümpfen und Achselzucken musste es geben, wenn es erst bekannt würde, der junge hübsche Schiffer Hinrich Wulf, der Stammerbe des reichen angesehenen Rats- und Handelsherrn Niclas Wulf, der immerhin nach einer Tochter des ersten Patriziergeschlechts seine Hand ausstrecken durfte, wolle sich jetzt so weit vergessen, — um eine arme Warnemünder Fischerdirne als sein Ehegemahl heimzuführen.

Neben der Galeasse, der „Greif von Rostock“, lag noch ein ähnliches aber kleineres und älteres Fahrzeug, der „Nordstern“, was ebenfalls zur Fahrt nach Norwegen bestimmt war. Der alte Schiffer Knurspe, ein rauer verwetterter Seemann, erfahren in allen nordischen Meeren, war dessen Führer. Seine heisere Stimme, mit der er Wulf vom Bord aus zuschrie: „Seid wohl ein Mondgucker geworden, Hinrich, dass Ihr so spät zum Schiff zurückkommt, oder habt Ihr zuletzt noch eine lustige Liebelei mit einer hübschen Warnemünder Dirne gehabt? Hütet Euch hierbei, die Warnemünder sind ein gar trotziges Volk und verstehen keinen Spaß und der Gang zum Traualtar muss bald dem ersten Kuss folgen oder es gibt Mord und Totschlag“ — weckte zuerst den jungen Mann aus seinen Träumereien. „Beim Morgengrauen setzt der Wind sicher mehr zum Westen um und dann ist die beste Zeit zum Auslaufen und wir haben gute Fahrt bis zum Sund. Wollt ihr mit Eurem „Greif“ zuerst voran oder soll ich mit meinem alten Kasten Euch den Weg zeigen?“ frug der Schiffer Knurspe noch weiter.

Es galt in jener Zeit zwischen zwei Schiffen, welche zu gleicher Stunde aus dem Hafen segeln und ein und dieselbe Reise antreten wollten, für eine Art von Ehrensache, wer zuerst auslaufen und somit dein Andern den richtigen Weg zeigen sollte. Genau vermessene Seekarten und geprüfte Lotsen kannte man, wie gesagt, noch nicht und so war das Aus- und Einlaufen in die Häfen ein ungleich gefährlicheres und schwierigeres Unternehmen, wie jetzt der Fall ist. Dem Range seines Schiffes nach, was besser gebaut und zu einer höheren Klasse gerechnet wurde, als die alte Galeasse des Schiffers Knurspe, wie auch nach seiner Abstammung aus vornehmen Geschlechte, hätte nun zwar dem Hinrich Wulf diese Ehre gebührt, doch konnte in anderer Hinsicht Ersterer wegen seines höheren Alters und geprüfterer Erfahrung wohl den Anspruch darauf erheben. Das Schiffsvolk beider Fahrzeuge hatte an dem Abend schon so viel und heftig über diese wichtige Frage, wer von den beiden Schiffern zuerst auslaufen und dadurch stillschweigend eine Art von Oberleitung während dieser ganzen Reise führen werde, hin und her gestritten, dass es fast nach gewohnter Art zu einer Schlägerei deshalb gekommen wäre. Zwar war Schiffer Wulf ein viel zu ehrgeiziger, von feurigem Tatendrang erfüllter Mann, als dass er nicht unter andern Umständen seinen Anspruch auf solch einen Ehrenplatz sehr entschieden behauptet haben würde, allein an dem heutigen Abend erfüllte eine eigene, fast ungewöhnliche Weichheit und Milde seine Brust und so beschloss er freiwillig und ohne weitere Zänkerei das Ehrenvorrecht seinem so viel älteren Kollegen zu überlassen.

„Segelt nur voran, Knurspe; in einem sichereren Fahrwasser kann ich nicht steuern, als wenn ich immer Euch nachfolge,“ rief er dem Alten zu und bereitete diesem dadurch eine stolze Freude.

„Sollt es nicht zu bereuen haben, Hinrich Wulf, dass Ihr keinen unangemessenen Stolz habt, weil Ihr ein Geschlechter-Sohn seid und Euer „Greif“ höher im Rang steht als mein alter „Nordstern“. Hoffe Euch mit Gottes gnädiger Hilfe sicher hin nach Drontheim und dann auch wieder zurück hierher den Weg zu zeigen. Also haltet Euch bereit zum Aussegeln, sobald der Tag zu grauen anfängt,“ antwortete der Alte, sichtlich erfreut über die ihm gewordene Auszeichnung.

Zu sehr war Hinrich Wulfs Herz noch von seiner heutigen Begegnung mit Gundula und, was dabei sich wichtiges ereignet hatte, erfüllt, als dass es ihm möglich gewesen wäre, für einige Stunden Ruhe in der engen Schiffskajüte zu suchen, und zur größten Verwunderung seiner Mannschaft sandte er diese in die Kojen, um dort bis zum anbrechenden Morgen zu schlafen, da er allein die Wache für die ganze Nacht halten wolle.

In voller Klarheit, stand jetzt der Vollmond am Himmel und sein glänzend bläuliches Licht färbte des Meeres weite Fläche mit einem eigentümlichen hellen und dabei zugleich doch wieder kalten Schein. In ungemein scharfen dunklen Linien traten in dieser Mondbeleuchtung die Masten und Rahen und die vielen angespannten Taue der hier ankernden Schiffe hervor, während zugleich in dem trügerischen Lichte ihre Größe weit bedeutender schien, als sie in Wirklichkeit sonst war. Dumpf rollten die sich überstürzenden Wellen der Brandung am Strande, wobei zugleich der Wind durch die vielen Taue an den Masten strich und ihnen hellklingende und dabei wieder ganz langsam verhallende Töne entlockte, wie man solche bei Ä+olsharfen größter Art mitunter wohl vernehmen wird. Daneben erklang oft hoch oben aus den Lüften ein seltsames Gewirr von kreischenden, schmetternden und pfeifenden Lauten, dass man wirklich zu dem Glauben hätte verleitet werden können, Gott Wodan mit seiner wilden Jagd triebe dort sein loses Spiel. Es waren große Zugvögel wilde Gänse und Schwäne und andere Seevögel, die jetzt beim Beginn des Frühling aus dem Süden ihrer nordischen Heimat zuzogen. Das scharfe Auge des Schiffers hätte leicht ihre streng geordneten, beinahe regelmäßige Dreiecke bildenden Haufen hoch in den Lüften zu entdecken vermocht, wenn er in dieser Nacht nur irgendwie den ihn umgebenden äußern Erscheinungen die mindeste Aufmerksamkeit gewidmet. Stumm und teilnahmslos für Alles durchmaß er aber unablässig mit rastlos schnellen Schritten den engen Raum der Planken seines Verdeckes. Durchtobten doch die widerstrebendsten Gefühle seine Brust und gar verschiedene Gedanken kreisten in seinem Gehirn. Dass er Gundula Wegner, mit ihrer einfach edlen Erscheinung und dem ganzen ungekünstelten Liebreiz ihrer Jungfräulichkeit, liebe und zwar mit der ganzen Kraft seines stolzen Herzens liebe, war ihm seit dem heutigen Abend zur vollsten Gewissheit geworden. In den vielen fernen Ländern, die er früher als junger Seemann besucht, hatte er wohl manch vorübergehendes Liebesverhältnis mit den glutäugigen, heißblütigen Töchtern des Südens gehabt und diese waren dem kräftigen blauäugigen Seemann, der ein so rechter Repräsentant der norddeutschen Männerschönheit war, nur zu oft mit glühender Inbrunst entgegengekommen. Was aber bedeuteten alle solche frivolen Liebesverhältnisse gegen das reine Gefühl, welches jetzt seine Brust erfüllte?! Wie rasch hatte er alle diese Schönen wieder vergessen, sobald nur der scharfe Kiel seines Schiffes die schäumigen Wogen des Meeres durchstrich; dass er aber Gundula Wegner nun und nimmermehr aus seinem Gedächtnis streichen könne, so lange noch ein Atemzug seine Brust bewegte, davon war er auf das Festeste durchdrungen. Und doch wieder bangte ihm vor den vielen inneren Zerwürfnissen aller Art, welche solche standeswidrige Verbindung mit der Fischertochter entschieden in seiner ganzen Familie hervorbringen musste. Dem heftigsten Zorn des Vaters, den strengsten Vorwürfen von Brüdern und Verwandten, dass er die Ehre seines Geschlechtes schände, mit kühnem Sinn Trotz zu bieten, dazu fühlte er sich zwar Mannes genug, aber vor den Tränen der alten kranken Mutter und den sanften Bitten der Schwester, und er wusste sicher, dass Beides, in nur zu reichlichem Maße kommen würde, hegte er jetzt schon eine nicht geringe Scheu. Wem musste er nicht noch Allem durch solchen Schritt entsagen! Dass die Geschlechter Rostocks ihm diese Heirat niemals wieder verzeihen würden und er für immer einen geringeren Platz unter denjenigen, die er von Jugend auf gewöhnt war als seines Gleichen zu betrachten, einnehmen müsste, wusste er bei dem starren Standesgeist und der festgegliederten Einteilung der Familien, die, damals in allen norddeutschen Hansestädten herrschten, nur zu gut. Würde aber sein stolzer unbändiger Sinn solche Zurücksetzung wohl gutwillig vertragen und nicht im Gegenteil steter Zank und Hader aller Art sein künftiges Loos sein? Es schien ihm am Geratensten, im Fall seiner Verheiratung mit Gundula Wegner seine Vaterstadt gänzlich zu meiden und zu versuchen, ob er nicht anderswo sein bescheidenes Stückchen Brot als Schiffer erwerben könne. Und doch bangte ihm auf der andern Seite nicht wenig vor diesem Schritte. Er liebte seine schöne Vaterstadt Rostock mit voller Kraft, hatte ihre vielen Vorzüge erst so recht schätzen gelernt, seit er so lange Jahre in der Fremde weilte, und es sich stets als seinen wahren Lebensberuf gedacht, als ein angesehener Bürger in deren Mauern zu wohnen, seine Tätigkeit ihrem Wohle zu weihen und besonders für die Entfaltung des Handels und der Schifffahrt, diese reichen Lebensadern von Rostock, alle seine Erfahrungen und Kenntnisse anzustrengen. Dies Alles nun sollte durch diese Heirat für immer aufhören und er nochmals als schon gereifter Mann die Fremde aussuchen müssen.

Alle diese und noch manch andere inhaltsschwere Gedanken und gewichtige Bedenken bewegten den Schiffer Wulf so sehr, dass er kaum darauf achtete, wie die Nacht verstrich, und ein leiser gelbroter Schein im Osten allmählich den Sonnenaufgang verkündete.

Die heisere Stimme des alten Knurspe, der soeben aus dem Verdeck auftauchte und ihm einen guten Morgen zurief, weckte ihn endlich aus all diesen Gedanken und Träumereien und erinnerte ihn an die Gegenwart. Wie der Alte schon am Abend vorher verkündet, hatte der Wind jetzt mehr zum Westen umgesetzt und war einer raschen Fahrt nach dem Sunde günstig. Schnell galt es daher, die Schiffe vom Lande abzubringen und in die See auszulaufen, und so fühlte auch Hinrich Wulf sich bald nur als Schiffer, dem eine schwere Verantwortung aufgebürdet war. Es war ein reger Wetteifer zwischen der kräftigen und geübten Mannschaft der beiden Galeassen, und wenn auch Knurspe mit seinem „Nordstern“ zuerst zum Auslaufen kam, so konnte doch der „Greif von Rostock“ ihm sogleich folgen. Hatte sich doch trotz der frühen Morgenstunde schon ein großer Haufe von Warnemündern am Strande zusammengefunden, die mit Kenneraugen alle Bewegungen der Schiffe beobachteten, und so galt es, vor diesen strengen und unparteiischen Kritikern die möglichste Ehre einzulegen. Besonders Hinrich Wulf konnte sicher sein, dass alle Einzelheiten bei seinem Auslaufen und nun gar das seltsame Ereignis hierbei, dass er freiwillig dem alten Knurspe die Ehre des Vorranges zugestanden hatte, ganz getreulich in der Schreibstube seines Vaters wieder berichtet wurden. Wie sicher und gewandt wurden jetzt aber beide Schiffe geführt und trotzdem, dass feste Molen und abgesteckte Fahrwasser fehlten, zeigten ihre erfahrenen Führer, dass sie ihr Fach aus dem Grunde verstanden und der Rostocker Flagge schon Ehre machen konnten. Noch war die Sonne nicht über die hohen Waldungen der ostwärts liegenden Rostocker Heide aufgegangen, da tanzten schon die beiden Fahrzeuge frei auf den schäumenden Wellen des Meeres und der günstige scharfe Wind schwellte die ausgespannten Segel, dass sie gleich riesigen Schwänen in rascher Fahrt ihrem fernen Ziele hoch oben im eisigen Norden zusteuerten.

In möglichster Entfernung von dem Haufen der übrigen Zuschauer, welche die Abfahrt der Schiffe in das Meer mit lautem, dreimaligem Hurrah begrüßten, stand einsam Gundula. Gar rosig versuchten zwar die ersten Morgenstrahlen das liebliche Gesichtchen des jungen Mädchens jetzt zu färben, allein ein aufmerksamer Beobachter hätte trotzdem leicht zu erkennen vermocht, dass eine durchwachte Nacht es gebleicht und abgehärmt und ein innerer Kampf den Glanz des sonst so klaren Auges getrübt hatte. Mit gar traurigen Blicken sah sie jetzt das Schiff, das den Geliebten ihres Herzens trug, von dannen segeln und weiter und immer weiter von dem heimatlichen Strande sich entfernen. Gundula war ein frisches, an Körper wie Geist kerngesundes Mädchen, was von einer überschwänglichen Empfindsamkeit — wie jene raue Zeit solche überhaupt kaum kannte — sehr weit entfernt war; seit aber am gestrigen Abend der Schiffer ihr jene süßen Worte der Liebe zugeflüstert hatte, fühlte sie plötzlich in ihrer Brust Empfindungen erwachen, von denen sie früher kaum nur eine leise Ahndung gehabt hatte. Je frischer und unberührter aber ihr Herz bis dahin gewesen war, desto tiefer waren jetzt die Gefühle, die es ergriffen. Dass sie fortan für ihr ganzes ferneres Erdenleben dem Manne, der ihr gestern Abend zuerst und in wenigen eiligen Worten seine Liebe gestanden, angehören, alles Wohl und Wehe, was das Geschick verhängte, mit ihm teilen müsse und keine Macht sie wieder von ihm abreißen könne, empfand sie jetzt mit voller Kraft. So stand sie noch lange am einsamen Strande und verfolgte das Schiff, dessen Segel immer kleiner und kleiner auf den Wellen des Meeres erschienen, so dass es zuletzt nur die Größe eines Seevogels annahm, so weit sie vermochte, mit scharfen Blicken. Der gellende Ruf der noch immer erzürnten Mutter, die sie mit scharfen Worten an die Arbeit rief, um die Körbe mit den gefangenen Fischen in das Boot zu tragen und dann die anstrengende Fahrt nach Rostock zu beginnen, weckte sie aus ihren Gedanken. Die schwere Arbeit des Tages nahm sie wieder in Anspruch und bald musste sie die langen Schlagruder mit kräftigen Armen handhaben, um das hochbeladene Boot gegen den auslaufenden Strom nach der alten Hansenstadt zu führen, deren lange Reihe stattlicher Türme als stolzes Wahrzeichen bis nach Warnemünde herüberschimmerte.

Und nahm die harte Arbeit des Tages, wie dies bei allen Warnemünder Frauen und Mädchen bis auf unsere Jetztzeit stets der Fall gewesen ist, auch jede Stunde vom frühesten Morgengrauen bis zur sinkenden Abenddämmerung sie unablässig in Anspruch, in ihrem einsamen Kämmerlein, bevor der Schlaf ihr die müden Augen schloss, gedachte Gundula Wegener mit treuer Liebe allabendlich des fernen Geliebten ihres Herzens und heiße Gebete stiegen zu Gott, dem allmächtigen Lenker aller Schicksale empor, dass er ihn getreulich bei allen Gefahren und Stürmen seines schweren Berufes beschützen und unversehrt wieder an den heimatlichen Strand zurückgeleiten möge, wo die treueste Liebe seiner für immer harrte.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Joachim Slüter - Band 1