Die Geschichte von Magnitogorsk

Im Frühjahr 1933 zog ich mir in der Fabrik eine schwere Verbrennung zu. Zwei Wochen lang musste ich den Arm in der Binde tragen. Fast jeden Tag ging ich in die Klinik, um mich von dem alten, weißbärtigen Doktor verbinden zu lassen. Wir wurden sehr gute Freunde, und ich besuchte ihn oft in seiner Baracke in der Nähe des Krankenhauses. Er wohnte allein, seine Familie befand sich, soweit ich verstehen konnte, in Frankreich.

Der Doktor war seit der Jahrhundertwende Arzt im Uraldistrikt. Schon von jeher war er Sozialist gewesen, seit 1905 gehörte er der Martow’schen Gruppe der Menschewiken an. Er stand in Magnitogorsk unter Aufsicht, weil er als ehemaliger Menschewik*) bekannt war, der es niemals für notwendig gefunden hatte, seine Anschauungen zu verleugnen. Er diskutierte niemals über Politik, lebte seiner Arbeit in der Klinik oder im Krankenhaus, wo er Knochenbrüche und verschiedene Krankheiten heilte. In seiner freien Zeit arbeitete er an einem Riesenwerk über industrielle Hygiene, welches noch immer nur zur Hälfte fertig war, obwohl er sich den größten Teil des letzten Jahrzehntes damit beschäftigt hatte. Lange vor der Revolution hatte der Doktor in Ufa gearbeitet, ungefähr dreihundert Kilometer westlich von Magnitogorsk. Ab und zu war er über die Steppen zu dem alten Dorf Magnitnaja geritten. Er konnte sehr fesselnde Geschichten erzählen. Dank seiner Hilfe konnte ich die Umrisse der Geschichte von Magnitogorsk aufzeichnen.


*) Menschewiken sind Anhänger der alten russischen sozialdemokratischen Fraktion.