Blut, Schweiß und Tränen

Als ich im Jahre 1931 die Universität von Wisconsin verließ, musste ich entdecken, dass ich mich in einem Amerika befand, das in schwere Bedrängnis geraten war, in einem Amerika, das wenig Möglichkeit für jugendliche Energie und Enthusiasmus bot.

Die gewöhnliche Wanderlust ergriff mich. Die Vereinigten Staaten erschienen mir nicht groß genug. Ich beschloß, irgendwo anders hinzugehen. Ich war bereits dreimal in Europa gewesen. Jetzt dachte ich an größere Ausflüge. Pläne für einen Motorradabstecher nach Alaska und von dort weiter im selbstgemachten Segelboot nach Sibirien und China wurden zunichte. Woher sollte ich das Geld für die Verwirklichung dieser Pläne nehmen und was hatte ich überhaupt in China zu tun? Ich sah mich also nach Arbeit in New York um, aber es gab keine. Irgend etwas schien mit Amerika nicht in Ordnung zu sein. Nun begann ich allerhand über die Sowjetunion zu lesen und kam allmählich zu dem Schlusssatz, dass die Bolschewiken die Antwort auf wenigstens einige der Fragen gefunden hatten, die man sich in Amerika vergebens stellte. Ich beschloss also, nach Russland zu fahren, um zu arbeiten, zu studieren und mit Hand anzulegen beim Aufbau eines Staatswesens, das wenigstens einen Schritt vor dem amerikanischen voraus zu sein schien.


Dem klugen Rate meines Vaters folgend, lernte ich ein Handwerk, ehe ich nach Russland fuhr. Ich bekam eine Anstellung als Schweißerlehrling auf den Anlagen der General Electric in Schenectady. Einige Monate später erhielt ich mein Befähigungszeugnis als Schweißer. Dieses sowie Empfehlungen vom Metallarbeiterverband, dessen aktives Mitglied ich war, und von persönlichen Freunden nahm ich mit auf die Fahrt nach Berlin, wo ich mich um das Einreisevisum nach der Sowjetunion bewarb.

Ungefähr fünf Wochen verbrachte ich bei Freunden im Vorort Wedding, besuchte kommunistische Demonstrationen und war bei zahlreichen politischen Versammlungen verschiedener Parteien zugegen. Damals sah es schlecht aus in Deutschland. Es war empörend, dass Tausende tüchtiger Männer mit ihren Familien in Laubenkolonien wohnen mussten, während Häuserblock neben Häuserblock, wo sie vorher gewohnt hatten, leer stand. So etwas konnte in der Sowjetunion, dessen war ich gewiss, nicht geschehen.

Allmählich glückte es der Mühle des Sowjetkonsulats, mein Visum herauszumahlen, und ich setzte mich in den Zug nach Moskau. Zehn Tage lang lief ich dort von einer Sowjetorganisation zur anderen, um Arbeit zu finden. Das Schweißungsbüro wollte mir gern Arbeit geben. Es brauchte Schweißer auf vielen Stellen. Man konnte mich jedoch nicht anstellen, ehe das Passamt mir die Erlaubnis erteilt hatte, mich als Arbeiter in der Sowjetunion aufzuhalten. Dieses aber durfte eine solche Genehmigung nur an Leute mit Arbeit erteilen. Keine von beiden Stellen wollte etwas Schriftliches von sich geben.

Schließlich aber ordnete sich alles, und ich trat eine viertägige Eisenbahnfahrt nach einem Ort an, Magnitogorsk genannt, an den Ostabhängen des Uralgebirges gelegen.

Ich war sehr glücklich. In der Sowjetunion gab es keine Arbeitslosigkeit. Die Bolschewiken hatten offenbar Ordnung im Haushalt und schufen Arbeitsmöglichkeiten für junge Männer und Frauen. Auch hatten sie sich von der Fetischverehrung des materiellen Besitzes befreit, die, wie meine guten Eltern mich gelehrt hatten, eines der grundlegenden Übel der amerikanischen Zivilisation war. Allerdings entging es mir nicht, dass die meisten Russen nur schwarzes Brot aßen, dass sie ihre Kleider bis zur vollständigen Abnutzung trugen, dass sie alte Zeitungen zu Brief- und Notizpapier, als Zigarettenpapier und Briefumschläge und für alles mögliche andere verwandten.

Am Aufbau dieses Gemeinwesens wollte ich teilnehmen. Ich wollte einer der vielen werden, die keinen Wert auf den Besitz eines zweiten Paars Stiefel legten, die aber Hochöfen bauten, die ihnen selber gehörten.

Es war im September des Jahres 1932, und ich war damals zwanzig Jahre alt.




Im Jahre 1940 erklärte Winston Churchill dem englischen Volke, dass es nichts anderes als Blut, Schweiß und Tränen zu erwarten habe. Das Land befand sich im Krieg. Die Engländer waren von dieser Aussicht keineswegs erfreut, aber die meisten fanden sich in das Unvermeidliche.

Aber die Sowjetunion befand sich seit etwa 1931 im Krieg, und das Volk hat geschwitzt, geblutet und geweint. Menschen wurden verwundet und getötet, Frauen und Kinder erfroren, Millionen verhungerten. Tausende wurden vors Kriegsgericht gestellt und in dem Feldzuge für Kollektivismus und Industrialisierung erschossen. Ich möchte wetten, dass allein Russlands Kampf für die Herstellung von Eisen und Stahl größere Verluste verursacht hat, als die Marneschlacht im ersten Weltkrieg. Während der ganzen dreißiger Jahre befand sich das russische Volk im Krieg im industriellen Krieg.

In Magnitogorsk wurde ich mitten in die Schlacht gestürzt. Ich wurde an der Eisen- und Stahlfront eingesetzt. Zehntausende mussten die härtesten Leiden beim Bau der Hochöfen erdulden; viele trugen sie willig und mit grenzenloser Begeisterung, die auch mich vom ersten Tage an ergriff.

Mit der ganzen Energie der Jugend warf ich mich ins Leben dieser Stadt. Ich verschliss buchstäblich meine russische Grammatik, und nach drei Monaten konnte ich mich verständlich machen. Viele meiner Kleider verschenkte ich und ging mehr oder weniger wie meine Arbeitskameraden gekleidet. Ich arbeitete so angestrengt und so gut, wie es meine verhältnismäßig begrenzte Erfahrung und Übung zuließen.

Und ich wurde reichlich belohnt. Meine Arbeitsgenossen akzeptierten mich als Gleichgestellten. Die lokalen Behörden ermahnten mich zum Studium und verschafften mir Zutritt zum „Komwus“, der kommunistischen Hochschule, zu der sonst gewöhnlich nur Mitglieder der Kommunistischen Partei zugelassen wurden. Sie verhalfen mir auch zu Studienreisen im Lande.

Während die politischen Führer in Moskau berieten und intrigierten, planten und organisierten, arbeitete ich zusammen mit den gemeinen Soldaten, den Stahlarbeitern, dem einfachen Volk.

Fünf Jahre arbeitete ich in Magnitogorsk. Eine großartige Anlage sah ich entstehen. Aber auch Ströme von Schweiß und Blut und Tränen sahen meine Augen.