Zehnter Abschnitt. - Der alte Mann gab ihr die Hand und sah sie lange an, ohne zu sprechen. ...

Der alte Mann gab ihr die Hand und sah sie lange an, ohne zu sprechen. Er erkannte in Jenny einen gut gebildeten Verstand, der dabei seine ursprüngliche Kindlichkeit behalten hatte und in dem sich das Streben nach Klarheit auf eigenthümliche Weise mit einem poetischen Gemüthe vereinte. Eben deshalb liebte Jenny es, Gedanken, die sie sich nicht ganz deutlich zu machen wußte, in einen poetischen Schleier zu hüllen, als ob sie sie dadurch vor der entweihenden Berührung des Zweifels behüten könne. Dem Pastor wurde ihre Richtung gleich in dieser ersten Unterredung klar. Er errieth, daß kein inneres Bedürfniß, sondern nur Liebe zu Reinhard der Beweggrund sei, welcher sie dem Christenthume entgegenführe, und er tadelte sie deshalb nicht. Ein langes Leben hatte ihn zu der Ueberzeugung gebracht, die er in früher Jugend mit orthodoxer Strenge bekämpft, daß man Christ sein könne ohne den Glauben an die christlichen Dogmen, und er war, einmal zu dieser Erkenntniß gelangt, ernstlich mit sich zu Rathe gegangen, ob diese Ansicht ihn nicht zwinge, sein Amt niederzulegen. Mit dem gewissenhaftesten Eifer hatte er die Lehre Jesu und sich selbst geprüft und sich dadurch in der Ueberzeugung befestigt, daß Liebe und Duldung bei fortschreitender geistiger Entwickelung die Grundzüge des Christenthums und besonders des Protestantismus ausmachten. In diesem Sinne hatte er sein Amt behalten und verwaltet. Er hatte von ganzem Herzen darnach getrachtet, unter seiner Gemeinde die Lehre Jesu in ihrer moralischen Reinheit zu verbreiten, und auch die Form heilig geehrt, in der diese Lehre uns übergeben worden ist, ohne jedoch Diejenigen fanatisch zu verdammen, die sich ausschließlich an den Geist hielten. Diese bekannte Gesinnung hatte den Vater bewogen, ihn zu Jenny’s Lehrer zu wählen, womit Reinhard, nur auf Zureden seiner Mutter, sich einverstanden erklärt.

Der Unterricht begann, und der Pastor mußte natürlich sein erstes Augenmerk gegen die pantheistische Weltanschauung richten, in der Jenny, ohne es zu ahnen, erwachsen, und in welcher die dichterische, gewissermaßen heidnische Vorstellung der Gottheit ihr lieb geworden war. Es freute sie, Gott zu sehen in Allem, was sie umgab, und obgleich sie sich zu der reinen Anschauung Gottes im Geiste zu erheben vermochte, hatte sie oft die heitere Zeit des griechischen Alterthums zurückgewünscht, in der es den Menschen möglich war, sich die Gottheit als unter ihnen wandelnd zu denken. Viel leichter als mit Reinhard konnte sie sich mit ihrem jetzigen Lehrer verständigen; und es gewährte ihr in der ersten Zeit eine wahre Befriedigung, zu sehen, daß sich ihr Verstand mit Ueberzeugung den Lehren anschließen könne, die man ihr bot; doch das sollte nicht allzulange währen. Hatte sie sich geistig spielend an den Göttern der Vorzeit erfreut, so widerstrebte der Gedanke an die Menschwerdung Gottes, nun sie ihn als Bekenntniß annehmen sollte, ihrem Verstande. Die Erlösung, Genugthuung und Versöhnung durch Christus kamen ihr wie grobe, sinnliche Begriffe vor, die weder auf einen Geist, noch auf das Verhältniß eines Vaters zu seinen Kindern Anwendung finden konnten, und die Dreieinigkeit erschien ihr unerfaßbar.


Mit aller Kraft ihrer Seele hörte sie den Vorträgen ihres Lehrers zu; sie wollte sich aus Liebe um jeden Preis überzeugen; glauben, was Millionen Menschen, die es kaum so eifrig gesucht hatten, wie sie, zur beseligenden Gewißheit, zur Stärkung in Noth und Tod geworden war. Warum sollte gerade ihr das unerreichbar bleiben? Warum gerade ihr, die ihn so eifrig erstrebte, der Glaube versagt sein? Eine quälende Unruhe bemächtigte sich ihrer. Geistig unaufhörlich mit der Lösung ihrer Zweifel beschäftigt, auf der ihr ganzes Glück beruhte, erschien sie dem Geliebten zerstreut und theilnahmlos, und er drang in sie, ihm den Grund ihrer Verstimmung zu entdecken. Das aber vermochte Jenny eben nicht. Sie schützte körperliches Unwohlsein, Sorge um Eduard, den offenbar ein tiefer Schmerz bedrückte, und tausend andere Veranlassungen vor, und versuchte durch eine erzwungene Heiterkeit Reinhard zu beruhigen, dem diese plötzlichen Wechsel ihrer Stimmung als Launen erschienen und der sich mißbilligend über dieselben äußerte. Dazu kam, daß er, so oft sie allein beisammen waren, sich bei Jenny nach dem Fortgange des Religionsunterrichts erkundigte; daß er zu wissen begehrte, was sie gehört und wie sie es aufgenommen habe. Und doch war es gerade Dieses, was sie zu vermeiden wünschte. Sie suchte es also einzurichten, daß Reinhard in den Stunden, die er gewöhnlich bei ihr zubrachte, bald Therese, bald Clara als Dritte fand; und mit Scherzen mancher Art machte sie jeder ernsteren Unterhaltung ein Ende, aus Besorgniß, diese könne eine Richtung nehmen, die sie zu scheuen Ursache hatte. Wie natürlich setzte ein solches Betragen Reinhard in Verwunderung. Er konnte sich diese Leichtfertigkeit nicht erklären. Jenny hatte früher mit besonderer Vorliebe ernsthafte Unterhaltungen mit ihm geführt, und, um dieselben ungestört zu genießen, jede Gelegenheit benutzt, die Anwesenheit dritter Personen zu verhindern. Jetzt kam sie selbst zu seiner Mutter seltener und oft zu Zeiten, in denen sie ihren Bräutigam außer dem Hause beschäftigt wußte. Reinhard begriff das nicht. Er tadelte es als Achtlosigkeiten, er war verstimmt, die guten traulichen Stunden bei seiner Mutter wollten nicht mehr wiederkehren.

Jenny schmerzte diese Unzufriedenheit ihres Verlobten; aber sie tröstete sich über den Kummer, den sie ihm und dadurch sich selbst bereitete, mit der Hoffnung, daß es ihr endlich doch gelingen müsse, das Christenthum zu erfassen, und daß Reinhard erst dann erfahren solle, wie schwere Zweifel sie durchkämpft, wie wacker sie gerungen habe.

In dieser Zeit begab sie sich eines Tages zur gewohnten Stunde in die Wohnung des Pastors, der jetzt mit ihr das Kapitel von der Dreieinigkeit verhandeln sollte. Nach einer einfachen Einleitung sagte er ihr, die ersten christlichen Philosophen, welche über die Dreifaltigkeit gedacht, hätten von ihr gesagt: Gott war! aber außer ihm Nichts. Gott dachte sein Bild; und da das Denken und Entstehen bei Gott eins ist, so war dies Bild Gottes vorhanden, ohne selbstständiges Wesen zu sein, denn es besteht nur in Gott. Dieses Wesen, für das die deutsche Sprache kein Wort hat, heiße in dem Urtext der Bibel Logos und sei in dem Menschen Jesus Mensch geworden, als die geistigen Geschöpfe der Erde, die Menschen, einer göttlichen Offenbarung gewürdigt werden sollten. Darum nenne sich Christus den Erstgeborenen. Das Band nun zwischen diesem Gedanken Gottes und Gott sei der heilige Geist. Man könne also Gott allein, ohne Jesus und den heiligen Geist denken, nicht aber die letzteren ohne Gott – denn nur in ihm sind sie. –

Als Jenny diese Erklärung vernommen hatte, rief sie freudig: O! Sie geben mir das Leben wieder, indem Sie mir sagen, ich dürfe Gott denken, ohne Christus und den heiligen Geist! Das ist der Gott, den man mich von Kindheit an gelehrt hat, der uns Alle beschützt. So vermag ich ihn zu glauben.

Nein, meine Tochter! wendete der Greis ihr ein, er staunt über die willkürliche Auslegung, welche Jenny seinen Worten gegeben. Nein, Sie täuschen sich selbst! Ich habe Ihnen gesagt, daß wir Gott allein zu denken vermögen, aber es konnte unmöglich meine Absicht sein, Ihnen den Glauben an die Dreifaltigkeit Gottes preiszugeben, den unsere Religion lehrt.

Das begehre ich auch nicht, sagte Jenny, noch immer in freudiger Erregung. Ich weiß, Gott ist – und er sandte Christus, der mehr als wir, mehr als Mensch, aber doch nicht dem Schöpfer gleich war, zu uns, um uns zu belehren; und wenn ich an Gott glaube, und zu ihm und Christus bete, und ihnen vertraue, dann wird mir der Beistand des heiligen Geistes nicht entgehen. – Der Pfarrer schüttelte bedenklich das Haupt und sprach sehr ernst: Es mag Ihnen leichter werden, sich in diese Vorstellung hineinzudenken, als an die Verkörperung, das Menschwerden eines rein geistigen Wesens zu glauben. Und doch ist Ihre Ansicht verwerflich; denn sie ist das erste Hinneigen zur Vielgötterei. Christus ist nach ihr ein Halbgott, und es werden zwei Wesen der Verehrung hingestellt, während die christliche Religion nur Ein Urbild kennt, den Schöpfer, von dem Christus und der heilige Geist nicht zu trennen sind, denn er ist der dreieinige Gott!

Das konnte Jenny zwar denken, aber sie vermochte nicht, es als eine Wahrheit einzusehen, die eben als Wahrheit Glauben gebiete. Sie begriff die Nothwendigkeit dieses Glaubens nicht.

Es ist hier nicht der Ort, noch kann es unsere Absicht sein, eine Abhandlung über die christliche Religion zu geben, sondern es kommt nur darauf an, die Wirkung derselben in dem Gemüthe eines jungen Mädchens darzuthun, das nicht von Jugend an in dem Glauben an diese heiligen Symbole erzogen war; und den Einfluß zu erzählen, den der Unterricht im Christenthum auf Jenny und auf ihr Schicksal übte. Wir dürfen deshalb die mehrstündige Unterredung des Pfarrers mit Jenny übergehen und nur bemerken, daß nach manchem vergeblichen Versuche, ihr ein Bild von der Dreieinigkeit zu geben, welches sie befriedigte, der Pfarrer sie endlich anwies, die Dreieinigkeit als ein Symbol aufzufassen, an das zu glauben Gott uns durch Christus geboten habe.

Das stürzte aber Jenny auf’s Neue in den alten Kampf hinein.

Sie hatte versprochen, nach dem Unterricht zu Reinhard’s Mutter zu kommen, und ging, da Reinhard sie damit neckte, wenn sie sich stets der Equipage bediente, langsam und sinnend der fernen Gegend zu, in der die Pfarrerin wohnte.

Immer und immer wieder dachte sie an das Gehörte. Wenn sie sich die Gottheit unverändert und ungetheilt stark, in Gott, in Christus und dem heiligen Geiste dachte, so waren entweder Christus und der heilige Geist Eigenschaften Gottes, was der Pastor so nicht gedeutet haben wollte, oder sie waren Ausströmungen, Strahlen Gottes: und diese Deutung näherte sich in gewisser Art dem Pantheismus, vor dem der Pfarrer und Reinhard sie oft und ernst gewarnt hatten, der zu Hochmuth und Selbstanbetung führen sollte, da man nur zu geneigt wäre, den Gott in sich anzubeten und darüber den einzig wahren Gott zu vergessen. Vergebens rang sie darnach, zu einer klaren Vorstellung zu kommen, es gelang ihr nicht, und immer wieder tönte ihr das furchtbare „glaube“ ins Ohr, auf das man sie verwies und das sie nicht in sich erzwingen konnte.

Der Abend fing schon an hereinzubrechen und die Atmosphäre hatte jenen warmen, schwülen Duft, der in unserm Klima den ersten Tagen des beginnenden Frühlings häufig eigen ist und der Seele eine weiche melancholische Stimmung gibt. Jenny, der man früher niemals erlaubt hatte, ohne Begleitung eines Dieners die Straße zu betreten, wollte sich, um Reinhard zu gefallen, gern von Allem entwöhnen, was der Luxus den Reichen zum Bedürfniß macht, und hatte zu Hause erklärt, sie werde allein von dem Hause des Pastors zu ihrer künftigen Schwiegermutter gehen.

Es war das erste Mal, daß sie den Versuch machen wollte; und als sie nun bei einbrechender Dunkelheit – denn der Unterricht hatte länger als gewöhnlich gedauert – allein durch die Straßen ging, überkam sie ein Unbehagen, wie sie es nie zuvor empfunden hatte. Sie fürchtete, daß irgend einer ihrer Bekannten sie so allein umhergehen sehen könnte, und wünschte doch sehnlich, Jemandem zu begegnen, der sie beschütze, da ihr bange war unter dem Gewühl der Männer und Frauen, die jetzt um die sechste Stunde von der Arbeit heimkehrten. Wenn die Mutter wüßte, daß der Unterricht so lange gedauert hat; wenn sie wüßte, daß ich nun im Dämmerlichte, in der fernen Vorstadt ganz allein auf der Straße bin, in der mich Niemand kennt, fern von Reinhard und so weit von Hause, wie besorgt würde sie sein! so sagte sie sich; und – rief es in ihr – was will dies Verlassensein bedeuten, gegen die geistige Vereinsamung, in der ich mich befinde? Durch einen Eid will ich mich in wenigen Wochen lossagen von dem Glauben meiner Väter, den ich begreife und heilig halte, und zu einer Religion übertreten, gegen welche meine Ueberzeugung sich noch immer sträubt. Das kann Gott nicht wollen, das wäre Sünde.

Aber was konnte sie denn thun, sich zu befreien aus dieser Noth? Sich Reinhard entdecken oder irgend Jemandem, hieße Reinhard verlieren; denn nur als Christin konnte sie die Seine werden, konnte er ihr gehören. Sie erschien sich unglücklicher als jene Arbeiter, die in Dürftigkeit, aber gewiß ruhigen Geistes neben ihr herschritten. Was hatte sie verbrochen, um so schwer geprüft zu werden? Die sorglose Freudigkeit, mit der sie an Gott gedacht und das Rechte gethan, hatte ihr Reinhard geraubt und sie auf Lehren hingewiesen, die ihr bis jetzt nicht die geringste Beruhigung boten und sie den qualvollsten innern Kämpfen preisgaben. Vater und Mutter sollte sie verlassen, sich von dem Bruder, von allen Freunden trennen. Sie sollte Reinhard folgen nach einem Orte, den sie nicht kannte, und der, vielleicht fern von der Heimat, öde und traurig sein konnte. Sie dachte an ihr helles, sonniges Zimmer, an das Treibhaus, an all jene Behaglichkeiten des Lebens, die sie nie hochgeschätzt hatte, weil sie nicht gefürchtet, sie jemals entbehren zu müssen. Auch wäre das gar nicht nöthig, wenn Reinhard nicht so wunderlich wäre, dachte sie weiter. Warum sollte sie nicht alle diese kleinen Bequemlichkeiten auch in ihrem Hause haben können, da ihr Vater nur zu glücklich sein würde, ihr Alles zu gewähren, was sie wünschte? Aber Das gerade wünschte Reinhard nicht. Das erlaubte sein Stolz ihm nicht, den er ihr nicht zum Opfer bringen wollte, während sie Alles opfern sollte: Heimat, Eltern, Freunde und ihre Ueberzeugung, und es so gern, so bereitwillig that, um des Geliebten willen. Ertrug sie doch jetzt eben Zweifel und Furcht und Bangigkeit, und das Alles nur aus Liebe zu ihm! Wie ernst strebte sie, den Gedanken der Dreieinigkeit zu fassen um seinetwillen! Denn sie selbst, sie konnte wie bisher sehr glücklich sein auch ohne diese Erkenntniß – aber ohne Reinhard nicht.

Je dunkler es wurde, um so mehr beschleunigte sie ihren Anfangs gemessenen Schritt, und langte endlich in der verzagtesten Stimmung von der Welt fast athemlos bei ihrer künftigen Schwiegermutter an. Die Pfarrerin kam ihr wie immer liebevoll entgegen, aber sie erschrak, als sie Jenny den Hut abnahm und in ihr verstörtes, bleiches Gesicht blickte. Die feuchte Abendluft hatte ihr Haar durchnäßt, es fiel ungelockt über ihre Stirn und machte sie noch bleicher erscheinen, als sie ohnehin war. Große Thränen fielen aus ihren Augen.

Um Gottes willen, Kind! rief die Matrone, und zog sie ängstlich zum Sopha, vor dem auf einem Tische die kleine Lampe brannte, was ist geschehen? wo kommst Du her? So rede doch, bat sie dringend, da Jenny noch immer kein Wort zu sprechen vermochte, was ist Dir zugestoßen?

Jetzt, da sie sich in Sicherheit fühlte, wollte Jenny sich selbst verspotten, aber es gelang ihr nicht. Aufgeregter, als sie es wußte, erzählte sie, wie sie Reinhard zu Liebe habe ohne Diener gehen wollen, wie der Abend sie überrascht und eine kindische Angst sie überfallen habe. Die Pfarrerin suchte sie freundlich zu beruhigen und redete ihr zu, künftig Versuche der Art zu unterlassen. Sie selbst wollte ihrem Sohne sagen, daß er auch im Scherze nicht solche Anforderungen machen und Dinge verlangen dürfe, an die seine Braut weder gewöhnt sei, noch sich zu gewöhnen nöthig habe. Dann schob sie die Lampe in die Höhe, nöthigte Jenny, sich zu ihr auf das Sopha zu setzen, stellte das Theegeräth zurecht und fing, um sie zu zerstreuen, an, ihr scherzend vorzuhalten, wie es gar nicht lange dauern werde, bis Jenny im eigenen Hause schalten könne.

Dann brauchst Du, armes Kind, sagte sie tröstend, nicht mehr so spät allein in Religionsstunden zu gehen, und kannst dem Bösewicht, der Dich zu dieser unzeitigen Promenade veranlaßt, und der eben nach Hause kommt, als wackere Hausfrau die Furcht gelegentlich vergelten, die Du heute unnöthig ausgestanden hast.

Wirklich trat, noch während die Mutter also sprach, der Sohn herein und fragte ängstlich, als er, von dem plötzlichen Lichtwechsel geblendet, Jenny hinter der Lampe nicht gleich sah: Ist Jenny noch nicht hier? Ich bin ihr bis zum Hause des Pastors entgegengegangen, als es dunkelte und ich sie noch nicht hier sah, weil sie heute zu Fuß und allein zu kommen versprach. Dort aber ist sie lange fort, und – –

Hier ist sie! rief Jenny, und die Pfarrerin sah mit Wohlgefallen, wie die Beiden sich entgegenflogen und des Glückes und der Freude gar kein Ende werden wollte. Dann aber schilderte sie dem Sohne, in welcher Bewegung seine Braut bei ihr angelangt war, und er versprach, künftig viel vernünftiger zu werden, und keine Kunststücke, wie die Mutter sie nannte, von dem geliebten Mädchen zu verlangen.

Es will mir nur immer nicht in den Kopf, sagte er dann neckend, daß Ihr jungen Mädchen so gar verwöhnt seid. Haben doch selbst die Engel auf Erden gewandelt, warum sollte mein kleiner Engel es nicht können, so wie sie?

Vergiß nicht, scherzte die Pfarrerin, daß solch ein Engel sich aufschwingen konnte, wenn ihn das Irdische zu rauh berührte, damit ist es aber jetzt vorbei; denn es geschehen leider keine Wunder mehr.

Ach! sage Gott sei Dank! mein Mütterchen! rief Jenny, mich quälen die alten Wunder schon so sehr, daß ich genug an ihnen habe und nach neuen nicht begehre. Kaum aber hatte sie es gesagt, als sie das Wort bereute, denn Reinhard fragte, ob der Pastor etwa von den Wundern zu ihr gesprochen habe, und wovon überhaupt die Rede gewesen sei?

Nun war das Gespräch, das sie gefürchtet hatte, kaum noch zu vermeiden, und sie erzählte ruhig alles, was der Pastor ihr über den Gegenstand gesagt hatte, ohne den Eindruck zu berühren, den es ihr gemacht. Dann, als Reinhard zu wissen verlangte, ob ihr denn nun die Idee der Dreieinigkeit einleuchtend geworden, ob sie nun erfaßt hätte, was ihr früher unbegreiflich gewesen sei? sagte sie: Nun, Eine Dreieinigkeit habe ich immer erkannt, die vielleicht wieder Andern unverständlich oder wenigstens nicht so in sich und durch sich bedingt erscheint, als mir. Es ist die Dreieinigkeit der Kunst! Diese ist mir von jeher einleuchtend gewesen, so sehr, daß ich Poesie, Musik und bildende Kunst gar nicht von einander im Innersten der Seele zu trennen vermag; daß ich sie wie Eines immer zusammen empfinden und die Anschauung oder der Genuß Einer dieser Künste mir gleich, wie zur Ergänzung, das Bedürfniß nach der andern hervorruft. Mir wird jede Musik Gedicht und jedes Gedicht zum Bilde. Hier ist mir, obgleich ich jede Kunst als selbstständig in sich erkenne, doch eine unauflösliche Einheit denkbar: und so kann man nicht sagen, daß ich bis jetzt den Begriff der Dreieinigkeit nicht hatte.

Reinhard wandte ein, daß der Vergleich nicht richtig sei, und wollte zu seiner eigentlichen Frage zurückkommen. Jenny unterbrach ihn aber ängstlich und sagte mit herzgewinnender Freundlichkeit: Und noch eine Dreieinigkeit begreife ich: Du, mein Mütterchen, und Reinhard und ich, wir sind drei und sind doch Eines und so einig, daß der geliebte Reinhard auch mit keiner Sylbe widersprechen darf, wenn seine Jenny es behauptet. Habe ich das recht verstanden? fragte sie den Glücklichen, der so vielem Liebreiz nicht zu widerstehen vermochte und sich willig den Plaudereien seiner Braut hingab, ohne ihrer religiösen Erkenntniß weiter zu gedenken.

Wenn er Jenny so vor sich sah in einfachster Kleidung, die sie ihm zu Liebe jetzt fast immer trug, wie sie in dem kleinen Stübchen an seiner Seite saß, ihm den Thee bereitend und mit den sanften klugen Augen freundlich nach jedem seiner Wünsche spähend, so ruhig und so begnügt; dann konnte er es nicht fassen, wie ihm jemals davor bangen mögen, sie aus dem reichen Hause ihres Vaters in beschränktere Verhältnisse zu führen. Er warf es sich dann vor, ihr Unrecht zu thun mit seinen Zweifeln; er nahm sich dann vor, ihr bei nächster Gelegenheit den Mangel an Zutrauen zu bekennen, den er in dieser Beziehung zu ihr gehabt habe; und heute vollends empfand er sich auf dem Gipfel des Glückes, denn heute waren sein Herz und sein Verstand gleich befriedigt durch die Geliebte. Er hatte keinen Wunsch, als daß es stets so bliebe; und daß es also bleiben werde, davon war er überzeugt.

Als sie nun so in friedlicher Stille beisammen waren, klopfte es an die Thüre. Reinhard ging um zu öffnen, und trat bald darauf mit einem Briefe in der Hand wieder bei ihnen ein, den er, nachdem er ihn schnell durchlesen, seiner Braut mit den Worten reichte: Nun endlich, meine Jenny! lies, o, lies!

Doch hinderte er selbst sie daran, denn er erzählte, wie dieser Brief ihm die Nachricht von dem Entschlusse eines entfernten alten Verwandten bringe, zu seinen Gunsten eine Pfarrerstelle niederzulegen, die er bis jetzt bekleidet hatte. Fröhlich, wie ihn die Aussicht machte, überhörte er die Bemerkung der Mutter, daß die Pfarre zu Schönfelde, von der eben die Rede war, in einer gar traurigen Gegend liege, und glücklicherweise entging ihm ebenso Jenny’s Erbleichen bei der Mittheilung.

Heute gerade, wo Reinhard sich zufrieden und mit sich einig fühlte, war Jenny in einer völlig entgegengesetzten Stimmung. Nachdem sie auf dem Wege zur Pfarrerin zum ersten Male an die Entbehrungen gedacht, die sie sich künftig werde auferlegen müssen, erschien ihr Alles, was sie bisher in der Wohnung ihrer Schwiegermutter idyllisch und behaglich gefunden, wie entzaubert. Die kleine Lampe fand sie düster, die Zimmer eng und beklommen; und in so kleinen Räumen, in solch beschränkten Verhältnissen für immer zu leben, hielt sie für ein Unglück, das selbst durch Reinhard’s Liebe nur gemildert, nicht aufgehoben werden konnte. Mit gewohnter Freundlichkeit half sie der Pfarrerin bei den Zurüstungen zu dem einfachen Mahle und deckte den kleinen Tisch, wie siepflegte; aber es machte ihr heute kein Vergnügen, und sie hätte es gern der jungen Magd überlassen, wenn sie nicht gewußt hätte, wie sehr sie ihren Bräutigam damit erfreute, der sie während der kleinen Arbeit nicht aus den Augen verlor und mit Blicken der innigsten Liebe jede ihrer Bewegungen betrachtete. Trotzdem konnte sie ihre Niedergeschlagenheit nicht besiegen und sie war sehr zufrieden, daß weder ihr Bräutigam, noch dessen Mutter etwas von Dem erriethen, was in ihr vorging. Sie fühlte sich gradezu erleichtert, als sie gegen die zehnte Stunde das bekannte Rollen ihres Wagens hörte und von der Pfarrerin Abschied nahm, die sie mit ängstlicher Sorgfalt in den Mantel hüllte und noch ein Tuch hinzufügen wollte, damit sich Jenny nicht erkälte.

Nein, nein, Mütterchen! Ich bedarf ja all’ dessen nicht; ich gehe ja nicht, ich fahre nach Hause! sagte sie mit solchem Vergnügen, daß es ihr selber komisch vorkam, als sie an Reinhard’s Arm die Treppe hinunterging, der sie im Wagen nach Hause begleiten wollte, wo sie die Ihrigen noch beim Thee zu finden und ein Stündchen mit ihnen zusammen zu bleiben hoffte. Als dann der Diener den Fußtritt herunterschlug, sie gewandt beim Einsteigen unterstützte und die Thüre des Wagens schloß; als Reinhard das Fenster in die Höhe zog und sie an seiner Seite, bequem und warm, dahinflog, drückte sie sich mit einer nie gekannten Wollust in die seidenen Kissen. Ihre ganze Heiterkeit war wiedergekommen; und heiter und fröhlich trat sie auch mit Reinhard bei ihren Eltern ein, als ob sie dieselben wer weiß wie lange nicht gesehen hätte. Es gefiel ihr unbeschreiblich, viel besser noch als sonst zu Hause; es machte ihr besonderes Vergnügen, daß sie Eduard und Joseph noch bei den Eltern fand, so daß sie, als man sie fragte, wie es ihr ergangen, in Selbstverspottung ihre Angst und ihre Abenteuer schilderte.

Und für all die Heldenthaten, die ich heute so herrlich vollbracht habe, lieber Vater! bitte ich nur um Eine Belohnung. Du sollst mir zur Hochzeit nicht Perlen, nicht Brillanten schenken; daraus mache ich mir nichts und die möchten auch für eine Frau Pfarrerin nicht passen, welche Andern mit tugendhaftem Beispiele vorangehen soll, sagte sie, indem sie sich scherzend ein sehr ernsthaftes Ansehen gab, aber einen guten, ordentlichen Landauer, liebes Väterchen, den kannst Du mir nur immer kaufen!

Der möchte leicht ebenso unpassend, als die Brillanten sein! wendete Reinhard ein, und ich zweifle, daß ein Paar gewöhnliche Landpferde solche Carosse ziehen oder zieren würden.

Nun, da muß Vater ein Uebriges thun und zwei Pferde zulegen! rief Jenny lachend.

Und dann soll der Pfarrer wol in einer Equipage, die den reichsten Edelmann beschämt, durch das Dorf nach der Kirche fahren, um die Verachtung des Irdischen zu predigen? fragte Reinhard nicht ohne Spott. Solch eine Equipage möchte leicht mehr kosten, als meine künftige Pfarre in zwei Jahren einträgt, und würde uns deshalb übel anstehen. Du solltest nur sehen, liebste Jenny, wie meine Amtsbrüder ruhig auf einem Leiterwagen über Land fahren: da würdest Du begreifen, wie eine Staats-Equipage uns nicht kleiden kann.

Aber Sie können doch Jenny nicht zumuthen, auf einem Leiterwagen oder irgend einer andern elenden Karrette herumzufahren? meinte die Mutter verdrießlich.

Warum nicht? sagte Reinhard, gereizt durch den Ton dieser Frage. Meine Mutter ist Jahrelang so gefahren und es ist ihr vortrefflich bekommen, obgleich sie es ebenso wenig gewöhnt war, als Jenny! Aus Liebe kann man Viel!

Streitet doch nicht um des Kaisers Bart! rief Eduard dazwischen, als er sah, wie unangenehm seiner Schwester diese Wendung des Gesprächs sein mußte. Wenn Reinhard eine Pfarre haben wird, mögt Ihr nach dieser Stelle Euren Wagen einrichten, und das ist noch weit im Felde!

Glücklicherweise! murmelte die Mutter für sich, während Reinhard eben zu erzählen anfing, daß er im Gegentheil auf dem Punkte stehe, eine Stelle zu erhalten, die ihm, Alles zusammengerechnet, doch sechs bis siebenhundert Thaler bringen könne, und die nur den Einen Fehler habe, nahe der Grenze, in einer nicht eben angenehmen Gegend, zu liegen; doch hoffe er, nicht allzulange dort zu bleiben, und wolle sie bestimmt annehmen, weil man sie ihm biete.

Und was sagt Jenny dazu? fragte der Vater, nun ebenfalls gekränkt durch die rücksichtslose Art, mit welcher Reinhard über seine Zukunft entschied, ohne an die Wünsche Jenny’s oder ihrer Eltern irgend wie zu denken.

Nun ich muß ja meinem Manne folgen, wie es in der Bibel steht, sagte Jenny mit einer Stimme, die das Weinen verrieth, obgleich der Mund lächelte, aber vielleicht warten wir auch noch, bis sich eine Pfarre hier in der Nähe findet.

Ich bestimmt nicht! fuhr Reinhard auf. Es gilt die Erreichung meiner beiden Hoffnungen. Ich stehe an der Schwelle, einen Wirkungskreis und Dich zu gewinnen: willst Du Dich mir länger entziehen – gut! ich muß es tragen; aber selbst meine Liebe soll mich nicht verleiten, meinen Beruf zu versäumen, der mir höher gilt als Alles. Doch werde ich Dich keines Weges zwingen. Kannst Du und willst Du noch in Deinem Vaterhause bleiben, so muß ich es mir gefallen lassen, und meine Mutter allein wird mir dann folgen, bis mein Loos sich günstiger gestaltet.

Mit den Worten stand er rasch auf und wollte sich entfernen, aber Jenny hielt ihn in sprachloser Bewegung zurück. Es war der erste wirkliche Streit mit dem Geliebten, auch Eduard suchte Reinhard zu besänftigen, während die Mutter verdrießlich schmollte. Joseph sah bald düster vor sich nieder, bald blickte er verstohlen auf Jenny und trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte, wie es seine Art war, wenn ihn etwas unangenehm berührte. Nur der Vater blieb anscheinend ruhig, und sagte: Zu warten, bis Sie eine bessere Stelle in unserer Gegend haben, Reinhard, dazu würde ich meiner Tochter und Ihnen eigentlich auch rathen; wenn Sie nicht überhaupt besser thäten, in der Stadt zu bleiben. Ich wollte schon lange darüber einmal mit Ihnen sprechen, und rechne darauf, daß Sie morgen in der Frühe zu mir kommen, damit wir es ohne die Frauen überlegen.

Reinhard schickte sich an, zu antworten, der alte Herr ließ es aber nicht zu.

Das hat Zeit bis morgen, lieber Freund! sprach er, bis morgen können wir Beide das Für und Wider überdenken und verständigen uns dann leicht. Machen Sie jetzt nur Ihren Frieden mit Jenny und der Mutter und – ehe Sie über christliche Geduld predigen dürfen, mein junger Freund, fügte er lächelnd hinzu, werden Sie noch ein gutes Theil Ihrer Lebhaftigkeit abzulegen haben.

Reinhard war ebenso verstimmt als verlegen: verstimmt über die Anforderungen, die man an ihn machte, und verlegen über die Herbigkeit, zu welcher er sich hatte hinreißen lassen. Er näherte sich seiner Braut, die ihm ihre Hand entgegenreichte, und fragte, sich zu ihr neigend: Bist Du böse? sei es nicht! Dann sie festhaltend ging er zu der Mutter, küßte ihr, mit ein paar freundlichen Worten sich entschuldigend, die Hand, und empfahl sich den Männern. Jenny begleitete ihn, und auch Eduard wollte mitgehen; der Vater aber, der es bemerkte, sagte leise: Bleibe hier, laß sie allein.

Tage vergingen und wurden zu Wochen. Das Frühjahr entfaltete sich immer heiterer; man näherte sich der warmen Zeit und konnte mit neuer Hoffnung auf die schönen Tage des Maimonats blicken. Die Pfarrerin war abgereist, nicht ohne die Besorgniß, daß es vielleicht rathsamer gewesen wäre, in der Stadt zu bleiben, da ihr Sohn seit einiger Zeit manche kleine Reibungen mit seinen künftigen Schwiegereltern gehabt hatte, die nur durch ihre und Jenny’s Vermittelung ausgeglichen worden waren. Der Vater hatte nämlich Reinhard bestimmt erklärt, daß er erst dann seine Erlaubniß zur Hochzeit geben werde, wenn Reinhard eine Stelle gefunden habe, die ihn vollkommen sorgenfrei ernähre, oder wenn er sich dazu verstände, von den Eltern seiner Braut eine Mitgift anzunehmen, hinreichend, Jenny ein bequemes, häusliches Leben zu gewähren, was er bis jetzt abgelehnt hatte. Ich will nicht, hatte er ihm den Morgen, an dem er ihn zu sich beschieden, gesagt, daß Jenny ohne allen Grund sich Entbehrungen auferlege; und ebenso wenig, als ich von Ihnen verlangen kann, ihr jene Stellung von Ihrem Gehalte zu verschaffen, ebenso wenig können Sie von mir fordern, daß ich meine einzige Tochter in einer Hütte wohnen und sich mit ungewohnter Arbeit quälen lasse, während ich und wir Alle uns hier im Schooße des Wohllebens befinden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Jenny