Siebenter Abschnitt. - Aber die Leute haben an ihrem kleinen Besitz, wandte Clara ein, vielleicht oftmals ebensoviel Freude, als ...

Aber die Leute haben an ihrem kleinen Besitz, wandte Clara ein, vielleicht oftmals ebensoviel Freude, als mancher Reiche an dem größten Treibhaus, und mehr!

Glauben Sie denn, daß ich diese Treibhäuser und Treibhauspflanzen liebe? fragte Eduard lebhaft. Es liegt etwas Unnatürliches in der Farbenpracht und dem Duft dieser erkünstelten Vegetation, das mich ebenso unangenehm berührt, als die Bewegung der freien Thiere des Waldes in den engen Käfigen einer Menagerie. Für mich ist alles Geschaffene nur schön an dem Ort, für den es geschaffen ward. Ich vermag es zu bewundern, wo ich es finde, aber es freut mich nicht, sobald man es von seinem Platze entfernt. Auf die Gefahr hin, Ihnen zu widersprechen, bekenne ich, mir erscheint die Zusammenstellung einer Masse von Pflanzen aus den verschiedensten Welttheilen, die alle nur ein krüppelhaftes Dasein führen, oft wie eine Verirrung des Geschmackes; und wenn es nicht wissenschaftlichen Zwecken gälte, möchte ich lieber auf alle tropischen Gewächse verzichten, als sie so kümmerlich gedeihen sehen. Ich sehe ihnen immer an, was sie sein könnten, wenn sie in ihrer Heimat und frei wären, und die armen, kranken Verbannten thun mir dann leid.


Clara hörte ihm überrascht zu und blickte mit stillem Entzücken auf ihr schönes Bouquet. Ich habe die südlichen, schönen Gewächse dennoch lieb, sagte sie, und vielleicht ist es das Mitleid mit den Gefangenen, das mich so unwiderstehlich zu ihnen zieht, fügte sie lächelnd hinzu.

Wenigstens wäre das echt weiblich, schaltete William ein, als sie das Hornsche Haus erreicht hatten und gemeinschaftlich das Zimmer der Commerzienräthin betraten.

Clara war sehr heiter. Sie konnte der Mutter nicht genug von der Herrlichkeit der Treibhäuser erzählen, und sie war noch in der lebhaftesten Beschreibung, als die Commerzienräthin abgerufen wurde.

Mir that es leid, sagte Eduard, als Clara’s Mutter sich entfernt hatte, mir that es leid, daß Frau Steinheim unser Beisammensein störte. Sie meint es gut, aber man fühlt sich doch erleichtert, wenn man sie scheiden sieht.

Da Sie selbst das Thema berühren, erwiderte Hughes, so bekenne ich Ihnen, daß mir Herr Steinheim auch nicht eben zusagt, und daß ich es nicht begreife, wie Sie diese ewigen Citate ertragen können. Sein Witzeln, sein Spielen mit den Worten machen mich oft ungeduldig.

Ich theile ihre Empfindung, gab Eduard ihm zur Antwort, aber Steinheim’s üble Angewohnheit ist halbwegs nationell. Es walten in den Juden noch die alten orientalischen Elemente vor; und noch heute hat z.B. der ungebildete Jude seine Lust an kleinen Erzählungen, wie der Orientale. Er liebt es, sich in Bildern und Gleichnissen auszudrücken, und mag gern Das, was er zu sagen hat, mit einer jener Anekdoten begleiten, die oft schlagend genug sind und deren seine alten Bücher zu Tausenden enthalten. Solche alte Gleichnisse wird nun Steinheim nicht leicht zu benutzen wagen, aber von der Gewohnheit derselben kann auch er nicht loskommen, und die Citate aus neuen und alten Werken müssen ihm als Aushülfe dienen.

Mir kam Herr Steinheim originell und geistreich vor, sagte Clara, und etwas Rasches, Bezeichnendes kann man dieser Art nicht absprechen. Dazu sieht er eigentlich sehr gut aus, und dennoch, wenn ich es offen sagen darf, verletzte mich Etwas in seiner Erscheinung. Ich weiß nicht, soll ich es Selbstgenügsamkeit nennen, oder ein gewisses zutrauliches Wesen, das mir von einem Fremden auffiel.

Vermuthlich Beides, meinte Eduard. Ich komme leider Ihnen gegenüber immer wieder in die Lage, den Vertheidiger der Juden zu machen.

Das haben Sie nicht nöthig! betheuerte ihm Clara. Ich habe gewiß kein Vorurtheil der Art gehabt; und wäre das selbst der Fall gewesen, so verdanke ich es Ihnen und William, dasselbe durchaus besiegt zu haben. Wie könnte ich daran noch denken, nachdem Sie mir die Freude gemacht, Ihre verehrten Eltern kennen zu lernen, nachdem ich in Ihrer Familie eben solch glückliche Stunden verlebt habe.

Clara schwieg, aus Besorgniß, zu viel gesagt zu haben, und auch Eduard saß sinnend eine Weile neben ihr und las in ihren Augen, was ihr Herz sprach und ihr Mund verschwieg; dann fuhr er fort: Und doch würden Ihnen viele von den Freunden meiner Familie gar sehr mißfallen, obschon es gute, brave Leute sind. Die Gewohnheit, sich immer nur in demselben Kreise zu bewegen, in welchem Alle sich seit ihrer frühesten Kindheit mindestens dem Namen und den Verhältnissen nach kennen, gibt den Juden eine Art sich gehen zu lassen, die dem Fremden zudringlich und beleidigend erscheinen muß. Ich erfahre das selbst bisweilen. Meine Verhältnisse haben mich zum Theil diesem Kreise entfernt; ich sehe manche Personen oft kaum einmal im Jahre; und doch, treffen wir zusammen, so bin ich gezwungen, mir die kleinlichsten Familienereignisse mit unerträglicher Weitschweifigkeit berichten zu lassen. Ihnen bin und bleibe ich der Eduard Meier, der mit ihnen eingesegnet wurde, mit ihnen einmal dies und jenes gemeinsam hatte, und sie können nicht begreifen, daß mich das Thun und Treiben ihrer Onkel und Großonkel nicht ebenso interessire als sie selbst.

Das ist aber der Fehler aller engen Kreise, meinte Clara, die mit feinem Gefühl dem Geliebten jede unbequeme Erörterung ersparen wollte. In unsern kleineren und größeren Zirkeln wiederholt sich, was Sie eben rügten. Das darf man nicht so strenge tadeln, denke ich.

Und doch thut das alle Welt bei den Juden! rief Eduard; bei ihnen, denen man nicht einmal die Möglichkeit läßt, aus ihrem engen Kreise herauszutreten, so gern sie es möchten. Ein Theil der gebildeten Juden kann sich dreist mit jedem andern Gebildeten messen, er würde, wie in Frankreich, sich längst der Masse der Nation angeschlossen haben, er würde auch in Deutschland längst nationalisirt sein, wenn ihn sein Aeußeres, seine dunklere Farbe und das schwarze Haar nicht auf den ersten Blick von den Deutschen unterschieden zeigten. Dies fremde Aeußere erinnert unaufhörlich an eine verschiedene Abkunft und gibt, vom Pöbel ausgehend, dem Judenhasse immer neue Nahrung, von dem wol die Wenigsten so frei sind, daß sie den Juden nicht den Mangel an gesellschaftlicher Bildung zum ächtenden Vorwurf machten. Und man brauchte sie doch nur zu emancipiren, um die Unebenheiten von ihrer Außenseite abzuschleifen. Freilich ist es gar bequem zu sagen: Die Juden haben einen häßlichen Dialekt, häßliche Manieren. – Woher das aber kommt, fragt Niemand! – Daß es so ist, reicht ja hin, den Juden auszuschließen von der Gesellschaft, und mehr braucht es nicht, mehr will man nicht.

Eduard war erregter, als er selbst glaubte, Clara betrübt, und selbst Hughes nicht frei von Befangenheit. Doch bezwang er sich, und sagte: Allerdings trifft die Deutschen der Vorwurf, nur in den Juden die Nationalität nicht anzuerkennen, während sie sonst jeder fremden Eigenthümlichkeit mehr als nöthig nachsehen. Erwarten wir das Beste von der Zukunft, und wenigstens lassen Sie uns die Gegenwart meines Mühmchens mit fröhlicherer Unterhaltung feiern. Das arme Mädchen sieht schon so betrübt aus, als ob es das Unheil verschuldet hätte, und ist so gut, daß es gewiß gern Hülfe und Aenderung brächte.

Wenn ich das könnte, rief Clara lebhaft, und Hughes glaubte eine Thräne in ihrem Auge zu sehen, als Eduard sich bald darauf empfahl, nochmals für die Ehre dankend, die Clara ihm erzeigt, indem sie seine Einladung angenommen hatte.

Ehre? seufzte Clara, obgleich Eduard das Wort nur zufällig und achtlos gewählt, Ehre? – Ach mein Gott! –

Auch William war der Schluß der Unterhaltung peinlich geworden. Es ist Schade, sagte er, als Jener sich entfernt hatte, daß man mit Eduard so gar vorsichtig sein muß, weil man nur zu leicht die Saite seines Gemüthes berührt, die ewig in Klagetönen erklingt, in Dissonanzen, für die es nun einmal noch keine Auflösung gibt. Oft thut es mir leid; aber man ist nicht immer dazu geneigt, über unabänderliche Verhältnisse zu sprechen und Theil an ihnen zu nehmen; man will nicht immer Mitleid haben.

Mitleid, fiel Clara ein, stolz aus der Seele des Geliebten antwortend, verlangt denn Eduard Mitleid? Er will sein Recht, das Recht, welches man seinem Volke und damit auch ihm selber vorenthält. Wer darf mehr verlangen, frei und den Besten gleichgestellt zu sein, als er? Und kannst Du ihn tadeln, daß er in jedem Augenblicke das Unrecht fühlt, welches ihm geschieht? daß er den Gedanken ausspricht, der zum Grundton seines Wesens geworden ist? Athmen und frei sein mit seinem Volke, das ist ihm gleichbedeutend; er kann und will nicht schweigen von Dem, was allein ihm Werth hat. Jeder Mann von Ehre müßte so handeln; ich begreife das vollkommen.

So scheint es, sagte William etwas spöttisch. Es ist nur zu bedauern, daß die Juden nicht viele solch eifrige Vertheidiger finden, als meine schöne Cousine, die ich von ihren Betrachtungen über die Gleichstellung der Juden nicht länger abhalten will.

Und verstimmt trennten sich die drei Menschen, die eben erst in schöner Freundschaft glückliche Stunden mit einander genossen hatten.

Länger als bis zum folgenden Abende konnte Reinhard es nicht ertragen, von Jenny entfernt zu sein. Mit seiner Mutter hatte er seit ihrer letzten Unterhaltung keine Silbe über seine Liebe gesprochen; und ein ängstliches, vorsichtiges Schweigen hatte zwischen Mutter und Sohn geherrscht, die sonst in innigster Mittheilung zu leben gewohnt waren. Da schlug am Abend des zweiten Tages die alte Uhr des Wohnzimmers sieben heisere Schläge, und die Pfarrerin hörte, wie Reinhard den Stuhl vom Schreibtisch schob und schnell in seinem Zimmer umherging. Wenige Augenblicke darauf sah sie ihn, zum Ausgehen gerüstet, bei sich eintreten.

Gehst Du aus, mein Sohn? fragte sie.

Reinhard bejahte es. Die Pfarrerin schwieg. Da bog er sich hernieder, und sagte schmeichelnd: Gib Deinem Sohne nur einen Abschiedskuß. Wer weiß, ob die Tochter, die ich Dir bringe, mich nicht aus Deinem Herzen verdrängt! Dann küßte er die Mutter und eilte von dannen, ehe sie ihm Etwas entgegnen konnte. Was hätte sie ihm auch sagen sollen?

Sie faltete die Hände, und suchte, sein Schicksal dem Himmel anvertrauend, Ruhe im Gebet.

Je schneller Reinhard dem Meierschen Hause zugeeilt war, je auffallender mußte ihn der Gegensatz überraschen, der sich ihm eben heute zwischen der stillen Wohnung seiner Mutter und dem Treiben in den reichgeschmückten Sälen darbot. Er hatte, wie es Jedem wol begegnet, sich lebhaft vorgestellt, wie er Jenny, mit weiblicher Arbeit beschäftigt, allein finden, wie sie ihn willkommen heißen, ihn um sein Ausbleiben fragen, und wie er ihr es dann endlich sagen werde, daß er sie liebe. Bis in die kleinsten Züge hinein hatte er sich das Bild ausgemalt; es war ihm lieb geworden, und die Möglichkeit, daß es sich anders machen könne, hatte er sich nicht beikommen lassen. Um so unangenehmer war es ihm, als der Diener ihn nicht in das gewöhnliche Wohnzimmer, sondern in einen der Säle führte, aus dem ihm schon von fern Erlau’s fröhliches Lachen entgegentönte.

Eine Menge Personen bewegten sich bei Reinhard’s Ankunft unruhig durcheinander. Erlau stand bei einer Theaterdecoration, die ein Gemäuer darstellte, und versuchte, einem jungen Offiziere die Arme in eine bestimmte Stellung zu bringen. Nicht weit davon saß Therese mit einer Dame, Beide in weite Tücher gehüllt, die Kopf und Gestalt umgaben. Madame Meier spielte mit einem Kinde, das ebenfalls bei den Bildern, die man probirte, beschäftigt werden sollte; kurz jeder der Anwesenden hatte nur Sinn für die Probe, und Reinhard’s Eintritt wurde kaum beachtet. Wie anders hatte er es sich gedacht!

Jenny war gar nicht in dem Zimmer. Er näherte sich Theresen und fragte nach ihr; aber Therese hatte sie seit einer Weile nicht gesehen. Es wurde ihm unheimlich in dem Getreibe, er wollte in ein Seitenzimmer und von da, wo möglich, nach Hause gehen, als er, die Nebenstube betretend, Steinheim peroriren hörte.

Und warum soll denn nun urplötzlich aus dem Bilde nichts werden, von dem wir uns so viel Effekt versprachen?

Weil ich nicht will! war Jenny’s kalte Antwort, die vor dem Spiegel stand und ihre Locken ordnete.

Aber das ist es eben, was ich frage, warum wollen Sie nicht? Sie selbst hatten den Templer und die Jüdin gewählt; Sie sehen reizend in dem Turban aus; der Hauptmann ist der stattlichste Templer. Gestern, noch heute früh, war Ihnen Alles genehm, und nun? – „Löset mir, Graf Oerindur, diesen Zwiespalt der Natur!“

Jenny gab keine Antwort und beschäftigte sich ruhig mit ihrer Frisur, bis Erlau hineinstürmte. Holdes, angebetetes Fräulein! rief er, keine Capricen; mein schöner Hauptmann steht mit ausgebreiteten Armen und sieht so sehnsüchtig und so göttlich einfältig in die Ferne, daß sich eine der Himmlischen erbarmen und in seine Arme hinuntersteigen müßte. Seien Sie nicht unerbittlicher! Sie sind immer ein Engel, eine Göttin; warum wollen Sie nun absolut mit einem Male eine wasserblaue schmachtende Madonna vorstellen? Sie, die der Himmel gleichsam für diese glühende Rebecca prädestinirte? Kommen Sie Fräulein! oder der Hauptmann kommt aus der Position!

Ich habe Ihnen ja vorhin gesagt, lieber Erlau, mir gefällt das Bild nicht. Zu dem Bendemann’schen bin ich bereit und will auch gern in irgend einem biblischen Tableau stehen, sonst aber .......

Während Jenny die ersten Worte sagte, gab Erlau Steinheim ein Zeichen, sich zu entfernen, warf sich, ehe sie ausgesprochen, ihr zu Füßen und rief mit komischem Pathos: Aber kann denn ein Candidat der Theologie sich nur in einen Heiligen verwandeln? Wie, wenn es mir gelänge, ihn zum Orden der Templer zu bekehren?

Jenny war erzürnt und wollte das Zimmer verlassen. Aber Erlau, dessen Muthwillen man Vieles nachsah, hielt sie, darauf bauend, an der Hand zurück. Sind Sie böse, Fräulein! weil mein kleiner Finger mir einmal die Wahrheit gesagt hat? fragte er. Sie sind nicht eigensinnig, ich kenne Sie; dahinter steckt die Meinung Ihres Lehrers und Meisters, dem ich sehr gram sein würde, wenn er nicht das hohe Glück hätte, Ihr und mein Freund zu sein. Wenn nun aber Reinhard selbst .......

Ich wüßte nicht, sagte Jenny mit einer erheuchelten Kälte, die um so schneidender erschien, je bewegter sie war, was Ihnen das Recht gibt, derlei zu vermuthen? Herrn Reinhard’s Meinung hat mit meinem Entschlusse Nichts zu schaffen, gar Nichts! glauben Sie mir das.

Erlau fühlte, daß er leichtsinnig zu weit gegangen sei, er wußte auch, daß sie nicht dachte, was sie sprach. Aber während er noch schwankte, was er thun solle, sie zu begütigen, sah Jenny Reinhard plötzlich vor sich stehen. Das nahm ihr alles Maaß und alle Fassung. Sie versuchte zu lachen, setzte schnell den rothen Turban auf, den sie zu der Rolle der Rebecca brauchte, gab dem verwunderten Erlau den Arm und sagte: Kommen Sie! Sie sollen sehen, daß ich nachzugeben weiß, und daß ich meinen eigenen Willen habe.

Damit ging sie mit dem Maler mit flüchtigem Gruß an Reinhard schnell vorüber in den großen Saal.

Reinhard war wie versteinert. So vollkommen abstoßend war ihm Jenny nie zuvor erschienen. Schon der Ton, in welchem sie mit den Männern verkehrte, hatte ihn verletzt; er konnte sich ihr Verhalten nicht erklären und ihre Aeußerung über ihn empörte sein ganzes Herz. Das also war der Lohn für seine Liebe!

Er hatte sich in einen Sessel geworfen, dann hatte er gehen wollen und war doch geblieben. So ging die Zeit hin und er bemerkte es kaum. Er wußte nicht, was er wollte, kaum was er dachte. Es war ihm dumpf und trüb zu Sinn. Mit einem Male trat Therese an ihn heran. Sie hatte ihn gesucht und nahte ihm schüchtern mit der Frage: warum er die Gesellschaft verlassen habe? Reinhard antwortete ausweichend. Es ist Schade, daß Sie fortgingen, sagte Therese, Jenny sah so schön aus als Rebecca. Es ist eine allgemeine Bewunderung und ich eilte nur hinaus, um Sie zu suchen.

Reinhard hörte düster brütend zu. Kommen Sie! bat Therese freundlich dringend und beängstigt durch des jungen Mannes Schweigen, kommen Sie doch! und sein Sie nicht so traurig, es thut mir gar zu leid! – Gutes Kind! seufzte Reinhard aus tiefster Brust und ergriff Theresens Hand. So standen sie beisammen, als Jenny mit einigen Andern in das Cabinet kam, und, sowie sie Reinhard mit Theresen in dieser traulichen Vereinigung entdeckte, mit einem leise unterdrückten Ausruf hinaus und auf ihr Zimmer eilte. Die Mutter, welcher dieser Vorfall nicht entgangen war, folgte ihr sofort, aber kein Zureden vermochte Jenny, den Grund ihrer plötzlichen Entfernung anzugeben oder wieder zur Gesellschaft zurückzukehren; und die Mutter sah sich also genöthigt, zu erklären, ihre Tochter sei unwohl geworden, die große Wärme des Zimmers habe es vermuthlich dem sonst gesunden Mädchen angethan.

Jenny lag indessen bitterlich weinend auf ihrem Ruhebette. Sie hatte geglaubt, daß Reinhard die Tableauxaufstellung nicht erwünscht sei, und vielleicht nicht mit Unrecht gedacht, es sei ihm besonders unlieb, weil er als künftiger Geistlicher an solchen Dingen keinen persönlichen Antheil nehmen mochte und konnte. Sie hatte also allerlei Schwierigkeiten erhoben, um entweder sich selbst davon frei zu machen oder Reinhard durch die Wahl irgend eines Bildes, das er liebte, damit auszusöhnen. Es war ihr unangenehm gewesen, es hatte sie gekränkt, daß er nicht zur Probe gekommen war, weil sie irrigerweise geglaubt, ihn dazu eingeladen zu haben; und als Erlau’s unbedachte Neckerei ihr den Gedanken eingab, Reinhard könne sich gegen ihn der Herrschaft gerühmt haben, die er über sie hätte, fühlte sie sich davon so verletzt, daß sie theils aus einer Art von Rache, theils aus höchster Verlegenheit die Worte sprach, die unglücklicherweise Reinhard zum Zuhörer gehabt hatten. In heftigster Bewegung, halb außer sich vor Schmerz und Zorn und Scham, war sie Erlau in den Saal gefolgt. Sie probirte, scherzte und lachte, während das Herz ihr bitter wehe that. Endlich war die Probe beendet; es trieb sie, Reinhard aufzusuchen, sich um jeden Preis mit ihm zu verständigen, die Qualen zu beenden, denen sie Beide unterlagen. Sie wollte den Saal verlassen; ohne allen Rückhalt wollte sie zu dem Geliebten sprechen; die demüthigste Abbitte schien ihr nicht zu schwer – aber die Fremden wichen nicht von ihrer Seite. Trotz dem eilte sie, in Reinhard’s Nähe zu kommen, um ihn wenigstens zu sehen. Da fand sie, wie sie glaubte, Reinhard und Therese in zärtlich heimlichem Gespräche. Ihre beste Freundin, der Mann, der ihr Alles war, hatten sie, wie sie glaubte, verrathen. Das war zu viel für ein so junges, heißes Herz; sie eilte hinaus, sie war ihrer selbst nicht mächtig.

Jetzt in der Einsamkeit malte ihr die Phantasie geschäftig tausend falsche Bilder vor. Sie konnte nicht begreifen, wie dies Verhältniß ihr so lange verborgen geblieben sei; sie war empört von so viel Falschheit und schauderte entsetzt zusammen, als Therese zu ihr kam, um freundlich nach ihrem Ergehen zu fragen.

Um Alles in der Welt, sagte sie heftig, laß mich allein, ich leide zu sehr.

Darum komme ich ja eben! bat Therese theilnehmend.

Nein, nur Du nicht, nur Du nicht! schluchzte Jenny. Dich kann ich nicht sehen, Dich am wenigsten von Allen!

Therese stand rathlos vor ihr. Sie verstand die Freundin nicht, sie besorgte, daß Jenny irre rede, und noch leiser sagte sie: Aber Jenny! kennst Du mich denn nicht? Ich bin’s ja, Deine Therese!

Meine Therese? rief Jenny und lachte bitter auf – Du bist Reinhard’s und nicht mein! Fort! – Gehe zu ihm, aber gleich! – und sage ihm, wie elend Ihr mich macht!

Nun fiel plötzlich die Binde von den Augen der ahnunglosen Therese. Sie faßte Jenny in ihre Arme und fragte: Liebst Du denn Reinhard?

O, unaussprechlich! so unaussprechlich, als ich elend bin, so wie Du ihn liebst, so wie er Dich!

Kaum hatte Jenny unter heißen Thränen diese Worte hervorgebracht, da flog Therese zur Thüre hinaus, die Treppe hinunter, suchte Reinhard und zog den Ueberraschten mit sich fort. In derselben Eile führte sie ihn zu Jenny und trat mit ihm vor sie hin, ohne daß Reinhard den Vorgang begriff.

Jenny weint um Sie, Reinhard! rief Therese ebenfalls weinend, sie ist eifersüchtig auf mich! und ehe sie noch vollendet, sank Reinhard vor dem Ruhebette nieder und Jenny lag an seiner Brust.

So vergingen selige Minuten. Dann war es Jenny zuerst, die ängstlich nach den Eltern, nach Eduard verlangte, und Reinhard bat, mit Theresen hinunter zu gehen und die Ihrigen wegen ihres Unwohlseins zu beruhigen, durch welches die Fremden veranlaßt worden waren, sich früher als gewöhnlich zu entfernen. Auch Therese zog es vor, mit dem sie erwartenden Mädchen gleich nach Hause zu gehen, und Reinhard blieb mit Jenny’s Eltern in dem leeren Saal allein.

Die Diener eilten mit gebrauchten Gläsern hin und her, die Thüren der entferntern Zimmer wurden geschlossen, die Lampen ausgelöscht. Die Mutter saß ein wenig ermüdet auf dem Sopha, ihr Mann ging, seine Cigarre rauchend, im Zimmer umher. Die ganze Scene hatte etwas Unbehagliches, das sich auch dem eintretenden Reinhard mittheilte.

Er hatte, als er Jenny verließ, nur an ihre Liebe gedacht, die ihn berechtigte, um sie zu werben. Nun er die Bitte bei den Eltern beginnen wollte, überkam ihn wieder ein Gefühl von Demüthigung bei dem Gedanken, daß er ihnen für ihre Tochter nichts bieten könne, als seine Liebe, die denselben vielleicht weniger ausreichend zum Glück des Lebens scheinen dürfte, als ihm und Jenny. Doch zögerte er keinen Augenblick, sich offen und frei auszusprechen, und seine Befangenheit, jedes Gefühl von Ungleichheit verschwand, als er mit schöner Wärme von seiner Liebe und von dem Glücke sprach, das in derselben läge. Die Eltern hörten bewegt und mit Wohlgefallen die feurigen Worte des jungen Mannes, der ihnen werth geworden war und dem sie ihre volle Achtung nicht versagen konnten. Reinhard war ein Mann, wie zärtliche Eltern ihn ihrem Kinde wünschen mußten: offenen Herzens, klaren Geistes und von den reinsten Sitten. Aber die Zerstörung der Hoffnung, Jenny mit Joseph verbunden und das Bestehen seiner Handlung auf diese Weise gesichert zu sehen, schmerzte den alten Herrn, dem freilich das Glück der einzigen Tochter höher stand, als die Erfüllung seiner Lieblingswünsche.

In diesem Sinne war seine Antwort anerkennend und ehrenvoll für Reinhard. Er bat ihn, ihm bis zum nächsten Tage Zeit zu gönnen, ehe er sein bindendes Wort zu dieser Heirath ausspräche; er müsse erst mit sich, mit Jenny und den Seinen einig werden, da ihm persönlich der Antrag ganz unerwartet gekommen sei. Mehr konnte Reinhard eigentlich nicht verlangen. Er hatte es so voraussehen können, und doch war er unzufrieden mit sich, mit Allem. Er wünschte Jenny noch einmal zu sehen; aber das verweigerte die Mutter, besorgt, die neue Aufregung könne der Tochter schädlich sein; doch versprach sie ihm, gleich zu Jenny zu gehen, ihr das Ergebniß der Unterredung mitzutheilen, und entließ Reinhard mit den Worten: Gehen Sie, Lieber, und grüßen Sie Ihre Mutter; ich hoffe, wir sehen uns morgen Alle, und zwar recht glücklich wieder.

Je gespannter die Pfarrerin der Rückkehr ihres Sohnes geharrt hatte, um so mehr erschreckte sie der Ernst in seinen Zügen. Er erzählte ihr, wie Alles gekommen war, wie er glaube, am Ziele seiner Hoffnungen zu stehen; er pries sich glücklich, Jenny nun die Seine zu nennen, und doch fühlte seine Mutter, die ihn kannte wie sich selbst, daß irgend Etwas sein Glück störe. Und so war es wirklich. Reinhard war durch Jenny’s Betragen bei seiner Ankunft auf eine Weise verletzt worden, die er so leicht nicht verschmerzen konnte. Zu einer versöhnenden Erklärung hatte der flüchtige Augenblick nicht hingereicht, den Jenny an seiner Brust gelegen: ein Glück, das er sich und der ruhigen Neigung der Geliebten allein verdanken wollte, war ihm vom Zufall unerwartet zugeworfen, in einem Augenblick, in dem er kaum in der Stimmung gewesen war, es zu empfangen oder zu begehren. Nach der leidenschaftlichen kurzen Minute in Jenny’s Armen schien ihm das Betragen ihrer Aeltern kalt, und obgleich er sich fortwährend wiederholte, daß er Jenny’s Liebe besitze, daß er seinen heißesten Wunsch erfüllt sähe, kam keine rechte Freude in seine Seele. – Tadeln wir ihn deshalb nicht! Es genügt nicht immer, daß wir an unser Ziel gelangen; es kommt wesentlich darauf an, wie wir es erreichen.

Der morgende Tag wird für das Seinige sorgen! mit den Worten verließ der alte Meier am Abend seine Frau und Jenny, die noch lange beisammenblieben und, der Vergangenheit gedenkend, tausend Entwürfe machten, wie es möglich zu machen sei, daß Mutter und Tochter nicht getrennt würden, was bei Reinhard’s Beruf leicht der Fall sein konnte. Denn daß der Vater seine Einwilligung geben würde, da Jenny ihm versichert, sie könne nicht glücklich sein, nicht leben, ohne Reinhard, daran glaubten die Frauen nicht zweifeln zu dürfen.

Und doch war der alte Herr der Heirath lange nicht so geneigt, als die Beiden glaubten; und die Morgenstunde fand ihn mit Eduard und Joseph, die er zu sich beschieden hatte, in ernster Berathung. Er theilte ihnen die Vorgänge des letzten Abends mit und fand zu seiner Verwunderung, daß man sie gewissermaßen erwartet hatte. Eduard bekannte, er habe seit längerer Zeit eine Neigung Jenny’s und Reinhard’s zu einander vermuthet, habe aber absichtlich geschwiegen, weil dergleichen Verhältnisse wie eine Aeols-Harfe wären, die man bei der leisesten Berührung hell erklingen mache; und er habe andrerseits die Ueberzeugung gehegt, daß die Aeltern keinen Grund irgend einer Art haben könnten, dieser Neigung entgegen zu sein, da ihnen Allen Reinhard als einer der tüchtigsten Menschen bekannt sei.

Was Du da sagst, mein Sohn, sprach der Vater, ist größtentheils wahr. Ich finde es auch begreiflich, wie gerade Dir – Eduard wurde verwirrt, – eine Heirath aus Neigung so unerläßlich scheint, daß alle andern Rücksichten davor schweigen. Anders aber urtheilt man in meinen Jahren, als in den Euren.

Und doch, wandte Eduard ein, hast Du, lieber Vater! bei der Wahl Deiner Gattin nur Dein Herz gefragt.

Das, glücklicherweise, ergänzte der Vater, nirgend gegen Bestehendes zu kämpfen hatte. Doch das gehört nicht hierher. In einer Stunde, wie diese, müssen falsche Rücksichten nicht beachtet werden: ich sage es daher offen, wir Alle wissen, daß Joseph Jenny liebt. Mir war das sehr erwünscht, denn es war mein fester Wille, sie ihm zur Frau zu geben, und Dich, Joseph, den ich wie einen Sohn liebe, wirklich zu mei nem Sohne zu machen.

Ich weiß das, lieber Onkel! aber Jenny hat keine Neigung für mich, und sie würde vielleicht mit mir, wie ich nun einmal bin, auch ohne Reinhard’s Dazwischentreten nicht glücklich geworden sein! sagte Joseph, seine innere Bewegung mit Gelassenheit bekämpfend.

Wollte Gott, ich könnte sie Reinhard mit solcher Zuversicht anvertrauen, als Dir, entgegnete der Vater und drückte ihm die Hand.

Es entstand eine peinliche Pause. Eduard, der hier zwischen seinen besten Freunden entscheiden sollte, fühlte für Beide lebhafte Theilnahme. Er gönnte Reinhard und Jenny ein Glück, das ihn seine Liebe in voller Größe erkennen ließ, und er empfand in Joseph’s Seele, was Entsagung zu bedeuten habe. Das Mißtrauen seines Vaters gegen Reinhard aber bewog ihn endlich, das Schweigen mit der Bemerkung zu unterbrechen, wie ihm, der Reinhard seit Jahren kenne, dessen Charakter ein sicherer Bürge für Jenny’s Zukunft sei.

Da irrst Du! entgegnete der Vater. Ich achte Reinhard und erkenne seine Vorzüge an, aber er lebt in einer Ideenwelt. Solche Menschen sind mir bedenklich und taugen nicht für die Ehe. Weil er mit der höchsten Anstrengung und allem Ernste daran arbeitet, die Vollkommenheit, die er im Auge hat, sein Ideal eines Menschen, zu erreichen, darum glaubt er sich berechtigt, auch an Andere die gleichen Ansprüche zu machen. So wie er das Leben, die Liebe auffaßt, sind sie nicht, und die Ehe, die sittliche Feststellung der Verbindung der beiden Geschlechter, bleibt trotz der höchsten Liebe, die zwei treffliche Menschen verbindet, immerdar hinter Dem zurück, was einem jungen Manne oder Weibe als Ideal vorschweben mag! Der Ruhige, der Besonnene findet sich darin und tröstet sich mit dem Guten, das sich ihm in der Ehe offenbart, über Das, was nicht zu erreichen ist – das aber, fürchte ich, will und kann Reinhard nicht. Weil er Jenny liebt, erscheint sie ihm geeignet, das Ideal einer Hausfrau, einer Gattin zu werden, wie er sie sich träumt; er wird es deshalb auch verlangen, daß sie sein Ideal verwirklicht, und, wie ich ihn beurtheile, nur zu geneigt sein, ihr aus den Unvollkommenheiten des Menschen überhaupt, einen persönlichen Fehler zu machen. Mit einem Worte, Reinhard hat eine Art Ueberspannung in seinen Gefühlen, die mich für Jenny’s Glück besorgt macht.

Eduard konnte nicht leugnen, daß die Bemerkung seines Vaters Wahrheit enthalte, vertheidigte den Freund aber lebhaft und meinte, sein Vater verfalle selber in den Fehler, den er an Reinhard rüge; er verlange, daß Reinhard vollkommen sein solle.

Nein! sagte der Vater, aber daß ich es Euch gerade herausgestehe, mir ist eigentlich nichts genehm bei diesem Antrage. Jenny soll Christin werden, auch das steht mir nicht an.

Und doch wünscht sie eben das! bemerkte Joseph.

Nicht doch, mein Sohn! Sie wünscht Nichts als Reinhard’s Frau zu werden; das Christenthum ist ihr ein Mittel für den Zweck, das glaube mir. Und gerade auch das macht mich besorgt. Reinhard ist zu strenggläubig, um duldsam sein zu können, und Jenny hat zum Glauben viel zu viel Verstand.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Jenny