Sechster Abschnitt. - Reinhard wollte eben eine heftige Entgegnung machen, denn seine Eifersucht raubte ihm die Besinnung; ...

Reinhard wollte eben eine heftige Entgegnung machen, denn seine Eifersucht raubte ihm die Besinnung; doch bezwang er sich gewaltsam, und mit erkünstelter Ruhe sagte er: Ich muß es darauf ankommen lassen, wie Sie über mich in diesem Augenblicke urtheilen mögen. Vielleicht gelingt es mir bald, Ihnen in günstigerem Lichte zu erscheinen, und mein Betragen vor Ihnen zu rechtfertigen. – Mit den Worten verließ er Joseph, der gedankenschwer im Zimmer auf und ab ging, bis sein Oheim mit seiner Frau nach Hause kam, denen bald darauf Eduard in der besten Laune folgte.

Der Doctor kam aus dem Horn’schen Hause. Man hatte dort von einem Treibhause gesprochen, in dem eine Menge der schönsten Blumen gerade jetzt in voller Blüthe ständen, und Hughes hatte dabei die Bemerkung gemacht, er halte das Treibhaus von Eduard’s Vater für eines der reichsten und schönsten, die er jemals gesehen habe. Er erzählte von alle den verschiedenen Camelien, Azalien und Hyazinthen. Clara schien sich dafür lebhaft zu interessiren, und Eduard wagte endlich den Vorschlag, sie möge seinen Eltern die Freude machen, sich selbst durch den Augenschein davon zu überzeugen. Hughes fand die Idee vortrefflich; er war gleich bereit, seine Cousine zu begleiten, und erhielt dazu nach einigen Einwendungen die Erlaubniß seiner Tante.


Die Commerzienräthin nämlich, die ihren Plan niemals aus dem Gesichte verlor, fingen William’s häufige Besuche im Meierschen Hause zu beunruhigen an. Es bangte ihr vor der Möglichkeit, Jenny könne der Magnet sein, der ihn dort hinziehe, und sie wünschte lebhaft, die Verlobung Clara’s mit William, die ihr sehr am Herzen lag, so schnell als möglich geschlossen zu sehen. Darum war ihr jede Veranlassung willkommen, die Clara und Hughes zusammenführte, besonders diese, bei welcher der junge Mann als Beschützer des Mädchens auftrat; und es war ihr lieb, wenn sich die Leute gewöhnten, das Paar als verlobt zu betrachten, weil nur zu häufig das Urtheil der Welt uns erst zu Entschlüssen bestimmt, die wir sonst vielleicht gar nicht oder doch viel später fassen würden.

Eine größere Freude hätte die Commerzienräthin aber weder ihrer Tochter noch Eduard bereiten können. Beide erglühten vor Lust, als ihre Blicke sich begegneten. Die Verabredung wurde für den nächsten Morgen getroffen, und Eduard eilte nach Hause, um seine Eltern davon in Kenntniß zu setzen.

Auch Reinhard war, als er sich von Joseph trennte, nach seiner Wohnung gegangen, und so stürmisch in das friedliche Zimmer der Pfarrerin getreten, daß diese, Brille und Strickzeug bei Seite legend, verwundert zu dem Sohne empor sah, denn sie war dergleichen Ausbrüche in ihrer Nähe, die er wie geheiligten Boden ehrte, nicht gewöhnt.

Was ist geschehen, Gustav? sprich mein Sohn! fragte sie endlich, als Reinhard, der offenbar keinen Anfang zu dieser Unterhaltung zu machen vermochte, sich schweigend neben sie auf das Sopha warf, und tief aufathmend sein Gesicht in den Händen barg. Was ist geschehen? Um Gotteswillen! fragte die Mutter noch einmal, so rede doch.

Und des starken Mannes Lippen bebten, und aus beklommener Brust stieß er die Worte heraus: Ich liebe Jenny, und ich sah sie an ihres Vetters Brust!

Auch die Pfarrerin fuhr zusammen. Armer Sohn, sprach sie, also ist sie Joseph’s Braut? Und ich glaubte, sie theile Deine Liebe, die ich lang schon kannte.

Sieh Mutter, das ist es! Auch ich habe an ihre Liebe geglaubt. Ich bete sie an, sie ist der Gedanke meiner Tage, der ewige Traum meiner Nächte gewesen, und nun!

Die Mutter drang in ihn, ihr genau zu berichten, was vorgefallen sei. Reinhard’s Erzählung, von den leidenschaftlichsten Klagen unterbrochen, ließ sie einsehen, daß ihres Sohnes Eifersucht der Geliebten Unrecht gethan haben möchte. Sie fragte ihn, ob er Jenny seine Liebe bekannt habe?

Niemals! antwortete er. Ein mir sonst unbekanntes Bangen hielt mich davon zurück. Wenn ich es zu sagen vermöchte, wie ich Jenny liebe, das schöne, schöne Geschöpf, dessen Lehrer ich gewesen bin, dessen Geist ich gebildet habe, dessen Herz so warm, an dessen Seite zu leben das heißeste Verlangen meines Lebens ist! Aber in Jenny ist noch ein zweites, fremdes Wesen, das mich kalt zurückstößt, wenn mein Herz ihr offen und warm entgegenwallt. – Hast Du Jenny gesehen, wenn sie den schalen Witzen des albernen Steinheim Beifall lächelt? wenn sie mit Wonne die Huldigungen von Alt und Jung duldet, und kein höheres Glück zu kennen scheint, als die Pracht und den Luxus, die sie umgeben, keine andere Freude, als Allem Hohn zu sprechen, was es Großes und Heiliges gibt? Ich habe sie am Morgen Thränen der Rührung vergießen sehen über Empfindungen, die sie am Abend spottend verlachte; und oft, wenn Ihr schönes Auge mich zu den schönsten Hoffnungen berechtigte, verletzte mich im nächsten Augenblick ihr kaltes Wort so schwer, daß ich schon tausendmal entschlossen war, sie für immerdar zu fliehen. Und sie zu fliehen, sie nicht zu sehen, Mutter! von Jenny zu scheiden, vermag ich doch nicht mehr. – Beide schwiegen, und die Pfarrerin weinte still.

Neulich, fuhr er nach einer Weile fort, hörte sie von dem Unglück einer armen Familie sprechen; sie war sehr bewegt und doch so klug und ruhig in den Hülfsleistungen, die sie anbot. Sie war gerührt wie ein Weib, und klar und verständig wie ein Mann. Hoch erfreut betrachtete ich sie, wie sie geschäftig alles Nöthige ordnete und aus Kisten und Schränken zusammentrug, was irgend der augenblicklichen Noth zu steuern vermochte. Und nach einer Stunde, als vielleicht auf ihr junges Haupt der beste Segen des Himmels von den Armen erfleht wurde, hörte ich selbst aus ihrem Munde die Worte: Die Dürftigkeit ist nicht poetisch, ich habe nie an die glückliche Armuth geglaubt, sie ist nur niederziehend, ist nur kläglich. – Und ich sollte daran denken, sie in ein kleines Pfarrhaus einzuführen, das ihr niederziehend und kläglich scheinen könnte? – Nein! niemals, niemals!

Und wieder entstand eine lange und traurige Pause, bis die Pfarrerin endlich sagte, indem sie ihren Arm um ihren Sohn schlang: Mein armer Sohn! leider ist manches wahr in Deinen Klagen. Aber bist Du sicher, daß Du Jenny nicht Unrecht thust mit Deinem Urtheil? Ihr Herz ist gut, sie liebt Dich, und viele ihrer Fehler, die ich nicht verkenne, würden sich verlieren, wenn sie in der Ehe höhere und reinere Freuden kennen lernte, als den Luxus ihres Vaterhauses.

O! das ist es auch nicht, rief Reinhard, innerlichst erfreut, sich widersprochen und die Geliebte gelobt zu sehen. Das ist es nicht! Gönne ich ihr nicht die Perlenschnur in ihren schönen Locken? Freue ich mich nicht selbst, wenn der weiche Caschmirshawl sich um die kleine, feine Gestalt legt, und die Schultern blendend weiß daraus hervorschimmern? Sie ist geboren für diesen Schmuck! aber, sie kann ihn nicht entbehren; ich vermag ihn ihr nicht zu geben und würde doch erröthen, mein Weib in einer Pracht zu sehen, die sie nicht mir allein verdankte, die ich nicht mit ihr theilen könnte, ohne von den Wohlthaten eines Dritten zu leben. Und wenn Jenny in einem jener Anfälle rücksichtslosen Witzes jemals ein Wort sagte, das mich daran erinnerte, sie sei die Reiche mir gegenüber – gerade, weil ich sie liebe – bei Gott! ich glaube, ich könnte sie hassen!

Das wird Jenny nie, begütigte die Pfarrerin, und in der Beziehung würde ich sie ruhig an Deiner Seite sehen. Was mir an ihr mißfällt, ist das jüdische Element in ihr. Der Witz dieses Volkes ist eigenthümlich und fürchterlich, er hat mich oft erschreckt, gepeinigt, wenn es mir in ihrem Vaterhause wohl war, wie es Einem bei so braven, gebildeten Menschen wol werden muß. Der Witz der Juden hat etwas von dem Stilet des Banditen, der aus dem Verborgenen hervorstürzt, den Wehrlosen um so sicherer damit zu treffen. Er ist die letzte Waffe des Sklaven, dem man jede andere Waffe gegen seinen Unterdrücker genommen hat, die feige Rache für erduldete tiefempfundene Schmach.

Mutter! Jenny’s Witz ist nicht so schlimm; er ist kindisch, schnell und treffend. Aber wenn ich, in thörichter Eifersucht aufgeregt, hart über Jenny urtheilte – vergiß es, liebe Mutter! bat der Sohn, denn ich habe Jenny Unrecht, sehr Unrecht gethan. Ich selbst glaube nicht, was ich sagte; es war Leidenschaft, Zorn, was aus mir sprach, nicht meine Ueberzeugung, nicht mein Herz, das Jenny liebt – und nicht wahr? auch Du hast Jenny lieb? fragte Reinhard, und die Pfarrerin schwankte, was sie beginnen sollte. Sie sah, daß ihr Sohn zu sehr an der Geliebten hing, um selbst aus dem Munde seiner Mutter ein Wort des Tadels gegen sie ertragen zu können. Lieber wollte er seine Ueberzeugung, seine eigene Erfahrung in der Beziehung Lügen strafen, als Jenny tadeln hören, die er gerade jetzt, wo die Eifersucht ihm die Gefahr, sie zu verlieren, vorspiegelte, um so leidenschaftlicher liebte. Doch siegte die Pflicht, ihren Sohn an Jenny’s Eigenthümlichkeit zu mahnen, in ihr über die Scheu, ihm augenblicklich wehe zu thun.

Ich habe Jenny sehr lieb, sagte sie, und die kindliche Freundlichkeit, die Hingebung, die sie mir immer zeigt, verdienen meinen wärmsten Dank. Klug, schön und gut wie sie ist, darf jede Mutter stolz auf solche Tochter sein. – Reinhard’s Gesicht leuchtete vor Freude und ein feuriger Händedruck lohnte seiner Mutter diese Anerkennung. Doch, fuhr die Pfarrerin fort, täusche Dich nicht, mein Sohn! Jenny hat Fehler, für die sie nicht verantwortlich ist, weil sie gewissermaßen nationell sind, und weil die Mehrzahl der Jüdinnen sie mehr oder weniger mit ihr theilen. Die Lebhaftigkeit, die Rührigkeit der Juden wird bei der großen Masse zur unerträglichen Manier. Ihr Sprechen, ihre Geberden sind carrikirt. Davon ist der Gebildete bis zu einem gewissen Grade frei, die unruhige Lebhaftigkeit indessen bleibt ein hervorstechender Zug der Juden. Sie mag vortreffliche Geschäftsmänner hervorbringen, der Weiblichkeit aber tritt sie zu nahe. Jenny belebt eine ganze Gesellschaft; sie ist täglich neu; man hat Freude an der Unterhaltung mit ihr, nur Ruhe findet man nicht bei ihr. Sie hat Muth und Geist; sie bewegt sich frei und keck; und doch muß ich, wie zur Erholung, auf Therese sehen, die in ihrer Bescheidenheit neben Jenny einen gar wohlthuenden Eindruck auf mich macht.

Therese ist kälter; hat nicht so viel Geist, wandte Reinhard ein, und was Du von den Jüdinnen sagst, trifft auch nicht immer zu. Ist Jenny’s Mutter nicht die liebenswürdigste, vortrefflichste Frau? Auch Jenny wird so werden, wenn sie älter sein wird. Und diese beständige Lebhaftigkeit, die Du tadelst, wie viel Freude muß sie dem Manne gewähren! Jenny’s Geist ....

Das ist es, was ich fürchte! sagte die Pfarrerin. Jenny’s Geist ist unerbittlich klar; er läßt sich nie von ihrem Herzen täuschen. Das ist es, was mich besorgt macht. Diesen geistreichen Mädchen aus den jüdischen Familien, die gleich Jenny erzogen werden, fehlt es fast immer an gutem weiblichen Umgange: mehr unterrichtet, als die Frauen ihrer nächsten Umgebung, überschätzen sie sich zu leicht; das Beisammensein mit Mädchen, die Sorge für die täglichen Bedürfnisse des Hauses hört auf ihnen Freude zu machen; sie ziehen die Unterhaltung der Männer vor, welche mit Vergnügen solche einen kleinen Ueberläufer empfangen. Im Kreise der Männer machen ihr Geist und ihre Aufklärung rasche Fortschritte; die neuen Begriffe, der große Maßstab der Männer werden an Alles gelegt; das Mädchen schämt sich der engen Verhältnisse, die ihm bis dahin genügten; eilig werden die alten Vorurtheile niedergerissen, die beschränkten Ansichten verworfen; das Haus, in dessen friedlichen alten Mauern das junge Mädchen heimisch ist und am liebenswürdigsten erscheint, wird zerstört, und ein neuer spiegelblanker Palast errichtet. Durch die großen Scheiben dringt strahlend hell das Sonnenlicht, und glänzt von den glatten Marmorwänden wieder. Alles ist Licht! kein Halbdunkel, kein düsterer Schatten; aber auch kein stiller Raum, um dem Schöpfer einen Altar zu bauen, kein traulich Plätzchen für schüchterne Liebe. – Sie hielt inne, ergriff des Sohnes Hand, und sagte mit Bewegung: Ich habe Dir, als Du noch auf meinen Knieen spieltest, oft in Märchen und Bildern die Wahrheit mitzutheilen versucht, die ich Deinem Herzen einprägen wollte; die alte Gewohnheit ist mir geblieben, wie Du siehst. Jenny, von den Ihrigen im Zweifel erzogen, ist ein weiblicher Freigeist geworden. Wird sie, die Glaubenslose, Dich dauernd glücklich machen können?

Reinhard sah brütend vor sich nieder, ohne zu antworten; auch seine Mutter verlor sich in Gedanken. So saßen sie eine Weile still beisammen. Bei den Männern, hub die Mutter dann aufs Neue an, ihrer Gedankenreihe Ausdruck gebend, bei den Männern, bei Jenny’s Vater, bei Eduard, fällt der Unglaube nicht so störend auf, weil philosophische Erkenntniß ihnen eine feste Ueberzeugung gegeben hat. Aber Madame Meier selbst bedauert die Richtung, welche ihre Tochter genommen hat, denn die Mutter ist ein frommes, echt weibliches Gemüth; und sage mir ehrlich, mein Sohn! glaubst Du, Jenny werde jemals von Herzen Christin sein? Wenn Du nun dastehst und mit inniger Erhebung Deiner Gemeinde das Abendmahl ertheilst im Namen unsers Heilandes, der für uns gestorben ist, wird Dein Herz nicht bluten bei dem Gedanken, daß Deine Frau, Dein anderes Ich, der heiligen Handlung kalt und zweifelnd zusieht und innerlich Dich und die Gemeinde bemitleidet, die Erbauung findet, wo sie ein leeres Formenwesen sieht? Hast Du Dir Jenny als die Mutter Deiner Töchter gedacht? – Sie könnte einem Manne unter anderen Verhältnissen gewiß viel, sehr viel sein, aber keinem Christen, keinem Geistlichen, der aus innerer Ueberzeugung seinen Beruf heilig hält.

Nein! rief Reinhard plötzlich aus, nein! Du irrst Dich Mutter! Es wird anders werden, anders sein! Das Licht göttlicher Wahrheit wird auch in Jenny’s Geist leuchten, sie wird einsehen und fühlen, daß im Christenthum der Quell ewiger Seligkeit rein und lauter strömt. Ein starker Glaube, wie meiner, muß sie davon überzeugen, und ist sie nicht schon dem Herzen nach Christin? Alles, was Du an ihr tadelst, liebe Mutter, wird schwinden; Du hast es selbst vorhin gesagt, wenn ihr Gemüth die ewig wahre Lehre in sich aufgenommen haben wird, wenn eine edlere Freude, eine selige Ruhe sie beleben werden. Denke Dir, welch ein Glück, die Seele seiner Frau gebildet zu haben, sie gewonnen zu haben für die Wahrheit! – Und werde ich ihr nicht Schätze bieten, edler und unschätzbarer, als ihre Reichthümer, die mich ängstigten? Morgen noch sage ich ihr, daß ich sie liebe, und ich hoffe, Dir morgen eine Tochter zuzuführen, die würdig ist, einen Platz an Deinem Herzen zu finden! O theure Mutter! glaube mir! wir werden sehr glücklich sein. Ich allein weiß, welch eine Welt von Liebe, von Großmuth in Jenny lebt, ihre Seele entspricht dem holden, süßen Antlitz – und Beides mein! Jenny ganz mein, mein Eigen! Es ist fast zu viel Glück! – sagte er lächelnd, und fing an, der Pfarrerin ein Bild ihres künftigen Lebens in ländlicher Stille zu entwerfen, das der armen Frau Thränen entlockte, eben weil sie ihrem Sohne ein solches Loos wünschte, und doch zweifelte, ob es jemals Jenny zusagen würde. Nur mit Ueberwindung wagte sie, ihrem Sohne den Vorschlag zu machen, noch ein paar Tage mit seiner Werbung zu zögern, nochmals reiflich zu überlegen – denn zu harren, bis er eine Anstellung gefunden, dazu war er nicht zu überreden.

Die Warnungen seiner Mutter, ihre Mißbilligung hatten nur dazu gedient, ihn an Jenny’s Vorzüge zu erinnern, und widerstrebend versprach er, das Meiersche Haus ein paar Tage zu meiden, und Jenny nicht zu sehen.

Der nächste Morgen, ein Sonntag, brachte nach trüben Tagen mit Wind und Schneegestöber, wie der Dezember sie bietet, einen klaren, frischen Frost. Die Straßen waren trocken, und sahen in der Sonntagsstille, die in großen geräuschvollen Handelsstädten um so friedlicher erscheint, gar reinlich und festlich aus.

Mit der eitlen Sorgsamkeit einer Hausfrau musterte Madame Meier die Zimmer, ließ nochmals jedes Stäubchen fortkehren, und wollte es doch nicht wahr haben, daß sie heute noch mehr darauf halte, als sonst, weil sie Clara zum Frühstück erwartete. Eduard hatte die erste Morgenstunde dazu benutzt, mit dem Gärtner das Treibhaus zu durchwandern. Er selbst hatte die seltensten Exemplare in das rechte Licht gestellt, den Frühstückstisch unter die Orangen setzen lassen, deren Blüthen am üppigsten dufteten, und dem Gärtner aufgetragen, ein Bouquet zu arrangiren, das für diese Jahreszeit als ein wahres Wunder erscheinen mußte. Dann hatte er in fast knabenhafter Fröhlichkeit mit Jenny gescherzt, mit ihr herumgewalzt, als eine Truppe Musikanten auf der Straße spielte, und sie zuletzt gebeten, doch zuzusehen, daß es Clara in seinem elterlichen Hause recht gefallen möge.

Joseph sah theilnahmlos dem fröhlichen Treiben der Geschwister zu. Er wurde wehmüthig gestimmt, als Jenny nach Eduard’s Entfernung zu ihm kam, ihm die Hand reichte und mit ungewohnter Feierlichkeit zu ihm sagte: Joseph! ich habe Dich bis jetzt verkannt, Dich nicht genug geliebt. Was mir die Zukunft auch bringen wird, Du sollst mein geliebter Bruder, mein zweiter Eduard sein. Willst Du das? und Du kannst mir vertrauen, wie einem Manne, wie ich Dir! – Er antwortete ihr nicht gleich, sie hatte sein Urtheil ausgesprochen, über sich und ihn entschieden. So sei es, war Alles, was er ihr endlich zu erwidern vermochte, weil er alle Art von Aufregungen eben so ängstlich mied, als Jenny sie suchte; und sie besaß nicht Beobachtung genug, in Joseph’s stillem, ruhigem Gesicht den wahren Schmerz zu lesen, den ihre Entscheidung ihm verursachte. Sie war unzufrieden mit ihm, als sie ihn verließ.

Eduard kehrte schon gegen Mittag von seiner Praxis zurück und versuchte umsonst, die Ungeduld zu verbergen, mit der er nach dem Zeiger der Uhr und auf die Straße hinaussah, von welcher die Ersehnte in Begleitung ihres Vetters kommen sollte. Da rollte endlich ein leichtes Fuhrwerk über das Pflaster, hielt vor dem Meierschen hause still, die Thorflügel öffneten sich, der Portier zog die Glocke, und Eduard flog die Treppe hinunter, um die Geliebte selbst zu seiner Familie zu geleiten.

Jenny ging ihr bis in das Vorzimmer entgegen, die Mädchen umarmten sich auf Mädchenart mit zärtlichen Küssen, das alte, trauliche „Du“ der längst verflossenen Schulzeit wurde hervorgesucht, und es vergingen mehrere Minuten, ehe Clara in das Wohnzimmer zu Madame Meier kam. Sie sah schön aus an dem Tage. Das enganliegende Kleid von heller Seide zeigte ihre stattliche Gestalt; ein kleiner schwarzer Sammethut hob die frische Farbe des Gesichtes schön hervor, das die langen, blonden Locken reich umgaben. Die Freude, welche ihr dieser Besuch einflößte, der Wunsch, den Eltern des Geliebten zu gefallen, verursachten ihr eine lebhafte Bewegung, die sehr anmuthig an ihr erschien. Jenny konnte nicht aufhören, sie zu betrachten, und Eduard’s Mutter empfing sie mit der Freude, mit welcher eine zärtliche Mutter die Auserwählte ihres Sohnes begrüßt. Sie fand Clara noch schöner und liebenswürdiger, als sie sich dieselbe gedacht hatte. Der Ton von Demuth in ihrer Stimme, das Weiche, Milde in ihrer Erscheinung, welches sich Eduard gegenüber zu verdoppeln schien, nahmen augenblicklich für sie ein. Die ungeheuchelte Freude, mit der sie die Schätze des Treibhauses bewunderte, das an den Tanzsaal grenzte, die Kindlichkeit, mit der sie Eduard und Jenny glücklich pries, in diesem Hause zu wohnen, machte die Andern mit ihr froh, und selbst Joseph’s Stimmung wurde freundlicher vor so viel Liebenswürdigkeit.

Clara fühlte sich bereits ganz heimisch in dem Kreise, als der Vater hinzukam und man sich zu dem reich versehenen Frühstück niedersetzte, während dessen die Unterhaltung in zwei Theile zerfiel. Hughes hatte Briefe aus London erhalten, theilte manches Neue daraus mit, und es ergab sich in Folge dessen unter den Herren eine Unterhaltung, die zwischen geschäftlichen und politischen Interessen sich hin und her bewegte, und an der auch Eduard Antheil zu nehmen gezwungen war, obgleich er neben Clara saß und mehr auf ihr Gespräch mit den Damen achtete, als er zugestehen wollte. Sie mußte erzählen, wie sich der Unfall zugetragen, der sie so lange an ihr Zimmer gefesselt hatte; sie konnte nicht genug ausdrücken, wie dankbar sie dem Doctor für seine große Sorgfalt sei, wie seine Freundlichkeit, sein Trost ihr die Stunden des Schmerzes verkürzt hätten. Die Mutter und Jenny waren hoch erfreut über diese Aeußerungen. Aber den Vater machte die Wärme nachdenklich, mit welcher Clara von seinem Sohne sprach.

Plötzlich klopfte es an die Thüre. Man rief „herein“, mußte aber den Ruf zum zweiten und dritten Male wiederholen, ehe Steinheim mit Mephisto’s Worten: „So recht! Du mußt es dreimal sagen“, seine Mutter am Arme, in das Zimmer trat. Man stand auf, die alte Frau Steinheim zu bewillkommnen. Sie wollte aber durchaus nicht leiden, daß man sich ihretwegen derangire, und bat mit schnarrender Stimme und jüdischem Jargon, gar keine Notiz von ihr zu nehmen, da sie nur auf wenig Augenblicke gekommen sei.

Ich war bei der Bentheim, deren Mann krank ist und die außerdem Aerger mit den Dienstboten hat“, sagte sie zur Hausfrau. Denken Sie sich, die Hanne, die Person, welche früher bei der Rosenstiel diente, hat der Bentheim aus der Chiffonière zwei Ringe gestohlen. Da hat sie mich gebeten, bei der Rosenstiel nachzuhören, ob dort Aehnliches passirt sei, und ich will mit meinem Sohne gleich von hier dorthin fahren. Man hat meinen Sohn so gern bei der Rosenstiel; er amüsirt sich so mit den Mädchen, daß ich ihn leicht dazu bekam, mich zu begleiten. Haben Sie gehört, Jenny, sagte sie zu dieser, wie die älteste Rosenstiel das „Una voce“ singt? göttlich, sage ich Ihnen! – und ehe noch Jemand Zeit gewann, ihr Fräulein Horn vorzustellen, oder ein Wort zu sprechen; ehe Jenny ihre letzte Frage beantworten konnte, fuhr sie gegen Clara gewendet fort: Sie kennen doch die Rosenstiels?

Ich habe das Vergnügen nicht, antwortete Clara ganz verwundert über das sonderbare Betragen der alten Frau.

Was? Sie kennen die Rosenstiels nicht? – Denke Dir, mein Sohn, Fräulein Horn kennt die Rosenstiels nicht! Haben Sie denn nie von der Malerei der zweiten Tochter gehört? Ein enormes Talent! sage ich Ihnen; eben so viel Genie fürs Malen, wie die älteste für den Gesang. Rein merkwürdig! Die Mutter ist eine geborne Strahl, von den Strahl’s aus Frankfurt, abgerechnet, daß die Frau sich zu jugendlich kleidet, eine ganz charmante Frau. Wissen Sie noch, liebste Meier, wie der Doctor Herzheim ihr die Cour machte? Das kann sie noch nicht vergessen. Mein Sohn würde sagen: „Ewig jung bleibt nur die Phantasie“; aber wissen Sie, der junge Herzheim wird die älteste Tochter nehmen, sagt man. Ich glaube es nicht, die kann andere Partien machen, sage ich Ihnen!

Es war gut, daß der kleinen starken Frau der Athem zu versagen anfing, denn Clara hatte mit kaum verhehltem Erstaunen die Neuhinzugekommene betrachtet, deren Kleidung, aus Allem zusammengesetzt, was es Neues und Kostbares gab, auf ihrem runden, festgeschnürten Körper und zu dem sehr scharf geschnittenen, alternden Gesichte ebenso sonderbar erschien, als ihre Sprechlust und ihr unaufhörliches Gesticuliren. Um einem neuen Redestrome Schranken zu setzen, fragte Jenny Herrn Steinheim, ob er in den letzten Tagen Erlau nicht gesehen habe, auf den sie vergebens gewartet, um mit ihm das Nähere wegen der Proben zu den lebenden Bildern zu verabreden.

Erlau, der nie Anlage zu einem Fixsterne hatte, antwortete der Gefragte, ist jetzt vollkommen zum Planeten der Giovanolla geworden; er, der ein Stern erster Größe am Kunsthimmel sein könnte. Ich kenne ihn nicht mehr, ich begreife ihn nicht.

Was ist da zu begreifen? sagte der Vater. Er ist ein liebenswürdiger Wildfang, wie er es immer war, und wir wissen, wie ihm Schönheit den Kopf verdreht; junger Wein will gähren!

„Ich bin so sehr nicht aus der Art geschlagen, daß ich der Liebe Herrschaft sollte schmähen“, recitirte Steinheim, aber dies gänzliche Sichverlieren in solch eine Passion von acht Tagen ist zu komisch. Man sieht ihn gar nicht. Zudem ist er hinausgezogen an den Leuchtthurm, wo ein ewiger Orkan wüthet, und wo man ihn nicht besuchen kann, ohne sich vor Erkältung den Tod zu holen!

Haben Sie ihn in seinem neuen Atelier noch nicht aufgesucht? fragte Eduard. Das wird ihn gekränkt haben!

Hat er mich gefragt, wie er hinausgezogen ist, ob ich hinaus kommen werde? Morgen wird’s ihm einfallen, auf den Domthurm zu ziehen, und er wird es übel nehmen, wenn ich nicht hinauf klettere, um ihn da oben zu besuchen! Dabei fällt mir ein, liebe Mutter! daß wir jetzt unsern Besuch bei Madame Rosenstiel nicht länger verschieben dürfen, und ich möchte – obgleich dem Glücklichen keine Uhr schlägt, Dich daran erinnern, uns auf den Weg zu machen, weil es bereits ein Uhr ist.

Dieser Vorschlag brachte die alte Dame in die größte Rührigkeit. Sie stand auf, suchte eifrig nach Boa, Mantille und Handschuhen, die sie im Eifer des Gespräches allmälig abgelegt hatte, und empfahl sich mit vielen Complimenten den Anwesenden, nachdem Jenny noch mit Steinheim verabredet hatte, daß für den nächsten Abend die Probe zu den Bildern vor sich gehen sollte.

Der ganze kleine Kreis fühlte sich offenbar erleichtert, als die Beiden fortgegangen waren. Jenny schämte sich des unschönen Betragens, das Gäste ihres Hauses vor Clara an den Tag gelegt hatten. Steinheim’s Citate, seine gesuchten Witze kamen ihr unerträglich vor, und nur ihr angeborner Takt hielt sie zurück, Entschuldigungen deshalb zu machen. Wirklich schien es, als ob etwas Störendes in die vorhin so unbefangene Unterhaltung gekommen sei; man scherzte und plauderte noch ein Weilchen fort, dann aber brach auch Hughes auf, und mahnte Clara an die Rückkehr. Beim Abschiede händigte Jenny ihrem Gaste das schöne Bouquet ein, indem sie bat, es als einen Willkomm mitzunehmen. Clara dankte herzlich, und als nun die Mutter sie aufforderte, sie und ihr Treibhaus bald wieder zu besuchen, nahm Clara ein paar Immortellenzweige aus dem Bouquet und reichte sie Jenny und Eduard mit der Bemerkung: Die lasse ich zum Pfande hier, daß ich bald wiederkomme, wenn Ihre Mutter es erlaubt. Freundlich reichte sie dem alten Meier die Hand und ging mit Hughes und Eduard davon, um den Rückweg zu Fuß anzutreten und dadurch das köstliche Winterwetter ein wenig länger zu genießen.

Ich kenne fast nichts Reizenderes, bemerkte Clara gegen Eduard auf dem Wege, als ein Treibhaus, wie das Ihrer Eltern, in der Mitte des Winters. Diese Farbenpracht, der süße Duft erquicken doppelt zu einer Zeit, in der man Beides nicht erwartet; abgesehen davon, daß ich schon darum Treibhäuser liebe, weil in der Sorge des Menschen für die Pflanzen etwas Zutraueneinflößendes liegt.

Das Letztere, liebe Clara, sagte Hughes, kann doch nur da der Fall sein, wo nicht Prunksucht oder Speculation an der Pflege der Blumen Theil haben.

Gewiß nur da, antwortete sie. Aber ich kann es nicht genug sagen, wie ich mich freue, wenn ich finde, daß auch Andere die Blumen so lieb haben, als ich. Blumen sind eine von den Freuden, die Gott uns Allen bestimmt hat, und jene Blumenkasten, welche wir oft an den Fenstern der bescheidenen Armuth sehen, thun mir jedesmal sehr wohl.

Wohl? fragte Eduard verwundert. Mich machen sie fast immer traurig, und das ist ein Eindruck, der seit meiner ersten Kindheit sich gleich geblieben ist. Ich sehe darin immer den Wunsch nach versagten Genüssen, das Streben, sich ein kümmerliches Dasein zu verschönen, oder eine Entsagung, die mir wehe thut. Wo ich solche kleine Blumenkasten sehe, möchte ich von unserm Ueberflusse spenden – und gelegentlich hab’ ich’s gethan! fügte er halblaut hinzu.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Jenny