Fünfzehnter Abschnitt. - So liebst Du einen Andern? fragte William heftig und stand auf...

So liebst Du einen Andern? fragte William heftig und stand auf.

Ein leises, kaum hörbares Ja von Clara’s Lippen gab ihm darauf Antwort. Er trat erschreckt zurück. Dann blieb er lange schweigend vor Clara stehen und fragte endlich, mühsam seinen Schmerz bekämpfend: Und weiß der Glückliche, daß Du ihn liebst? Verdient er das Glück, das er mir raubte?


Er weiß es, antwortete Clara, aber glücklich ist er nicht und bin ich nicht, und können wir nie werden.

Jetzt verstand er sie; und im Tone des Vorwurfs fragte er: Und das erfahre ich erst jetzt, nachdem ich seit lange an Deine Liebe geglaubt, auf Deine Hand gerechnet hatte? Wie durftest Du so an mir handeln? Wie konnte Deine Mutter mir so zuversichtlich ihr Wort für Dich geben?

Vergib mir, William, bat Clara, wenn ich Dir verschwieg, was wir einander nur gestanden, um es für ewig zu vergessen. Niemand weiß davon, und von Dir, von Deiner Großmuth erflehe ich es als die höchste Gunst, daß Du selbst dem Anspruche an meine Hand entsagst und mir beistehst, die Verzeihung meiner Mutter zu erlangen. Sie wird unerbittlich darauf dringen, daß ich ihr Wort löse und Dir meine Hand gebe, die Du nicht begehren wirst, da Du jetzt Alles weißt.

William hatte sich niedergesetzt und sah düster sinnend vor sich nieder. Die widersprechendsten Gefühle wogten in seiner Brust. Ein paarmal war es, als ob er seinen Gedanken Worte geben wolle, dann aber unterdrückte er sie wieder, wie wenn er das rechte Wort noch nicht gefunden hätte, bis er endlich aufstand, Clara die Hand reichte und sagte: Du siehst wohl, daß ich darauf nicht vorbereitet war, mich nicht darein finden kann; denn es fällt schwer, so plötzlich von seinen liebsten Hoffnungen zu scheiden. Darum fordere heute keinen Entschluß, kein Versprechen von mir; nur darauf nimm mein Wort, Niemand, auch Deine Mutter nicht, soll Dich zu einem Schritte zwingen, der mich nicht glücklich machen kann, wenn Du ihn nicht freiwillig thust.

Guter, edler Mann! rief Clara dem Enteilenden nach, der sie nach seinen letzten Worten verlassen hatte, um Eduard aufzusuchen und sich mit diesem zu erklären.

Er traf den Doctor glücklicherweise in der Stadt und zu Hause, wo er in den jetzt einsamen Gängen des Gartens umherging und schnell William entgegeneilte. Sie reichten sich die Hände zum gewohnten Gruß, aber plötzlich zog Hughes seine Hand zurück und Eduard, die Absichtlichkeit dieser Handlung bemerkend, sagte: Sie kommen von Ihrer Cousine!

Ich komme von ihr und weiß Alles, antwortete der Andere. Was haben Sie mir darauf zu sagen?

Einen Augenblick bedurfte Eduard, um sich zu sammeln, dann sprach er mit sicherer Stimme: Wir Beide, denke ich, können auch in dieser Angelegenheit, die uns gleich nahe berührt, offen zu Werke gehen, weil sie dem Einen so heilig ist, wie dem Andern. Es wäre unwahr, wenn ich mich einer Großmuth rühmen wollte, die ich nicht in mir fühlte. Ich liebe Clara, das wissen Sie, und würde Alles daran gesetzt haben, sie zu besitzen, wäre es möglich für mich gewesen, ohne meine Ehre zu opfern. Nur nachdem ich alles Mögliche versucht, vergeblich versucht habe, fügte ich mich widerstrebend in den Gedanken, Clara zu entsagen.

Und das erzählen Sie mir? mir, dessen Ansprüche an Clara Sie kannten, mir, der Sie für seinen Freund hielt?

Sie irren! entgegnete der Doctor. Ich kannte Ihre Ansprüche nicht, aber ich ahnte, daß Clara Ihnen bestimmt und theuer sei, ich wußte fast gewiß, daß meine Hoffnung sich nur von meinen Wünschen täuschen ließ, und dennoch kämpfte ich vergebens gegen eine Neigung an, die Clara errieth und theilte, so sehr ich sie ihr zu verbergen strebte. Der Kampf um Liebe, um ein Weib ist ein unerbittlicher Kampf, ein Kampf auf Leben und Tod. Es gibt kein Drittes. Und wenn zwei Unglückliche auf dem Meere schiffbrüchig umhergetrieben werden, wenn ein letztes Brett Beide von sicherm Verderben trennt, wenn Einer untergehen muß; werden Sie Den verdammen, der, um sich zu retten, den Andern im unwillkürlichen Trieb der Selbsterhaltung hinunterstößt, auf die Gefahr hin, ihn sinken zu sehen?

Ihr Gleichniß mag richtig sein, versetzte William bitter; ich bin nur leider nicht in der Stimmung, mich mit Gleichnissen abzufinden, und muß Sie deshalb bitten, mir unumwunden zu erklären, wie Sie in Betreff meiner Cousine jetzt zu handeln denken. Eduard wollte heftig werden, aber er bezwang sich und antwortete mit möglichster Ruhe: Ich handle, wie Clara es von mir gefordert, wie ich es vor mir selbst verantworten kann, und ich bitte Sie, zu bemerken, daß nur die Rücksicht auf Ihr gekränktes Gefühl und auf die Ansprüche, welche Sie an Clara zu haben glauben, mich zu irgend einer Erklärung veranlaßt, die Sie in diesem Tone von mir zu fordern nicht berechtigt sind. Nachdem ich jede Hoffnung verloren hatte, mir Clara zu gewinnen, und ihr im ersten Schmerz darüber meine Liebe gestand, wollte ich für immer von ihr scheiden; und ich sagte ihr das schriftlich. Sie selbst befahl mir zu bleiben, obgleich auch sie von der Hoffnungslosigkeit unserer Liebe vollkommen überzeugt war. Ich blieb, weil sie es wünschte, weil sie die Entsagung, zu der wir verdammt sind, leichter zu tragen hoffte, wenn wir uns nicht plötzlich und gewaltsam trennten. Seitdem habe ich sie nur selten und niemals allein gesprochen; ich habe mir keine Annäherung erlaubt, ich wage auch nicht, den kleinsten Anspruch an Clara zu machen, weil ich leider ihr nichts bieten, nichts sein darf, was mich dazu ermächtigte. Ich weiß, man wird darauf dringen, daß Clara sich verheirathet. Schwer wird mir der Gedanke, sagte er, und seine Festigkeit wankte so sehr, daß seine Stimme zitterte, es wird mir schwer werden, die Geliebte als das Weib eines Andern mir vorzustellen, sehr schwer! Dann sammelte er sich wieder, reichte William die Hand und sagte: Aber meine Hand darauf, ich werde sie ruhiger und lieber in Ihren Armen, als in denen jedes andern Mannes sehen, denn auch Sie sind mir werth und Sie verdienen ein Mädchen wie Clara, weil Sie es zu würdigen wissen.

William war von des Doctors sichtbarem Schmerz und seiner Offenheit überwunden. Er schlug in die dargebotene Rechte und sagte: Sie wissen es nicht, wie sehr ich Clara liebe, aber gerade darum möchte ich nicht, daß sie mir mit Widerstreben folgt, ich will nicht, daß der Gedanke, sie hätte doch vielleicht die Ihre und mit Ihnen glücklicher werden können, wenn ich nicht dazwischen getreten wäre, jemals von meiner Frau gedacht werden soll. Darum überlegen Sie selbst: Gibt es eine Möglichkeit, ein Mittel, durch das Sie Clara’s Hand erlangen können, so trete ich zurück.

Ich habe keine Aussicht, keine, antwortete Eduard schmerzlich, aber bestimmt, als die Emancipation unsers Volkes, die noch in weiter Ferne liegt, und auch dann stehen mir die Ansichten von Clara’s Eltern entgegen. Clara selbst hat mir jede Hoffnung genommen und glaubt an keine.

Das genügt mir! rief William mit einer Freude, welche deutlich hervorbrach, obgleich er sie aus Zartgefühl vor dem Freunde zu verbergen trachtete.

Eduard saß in sich gekehrt und wortlos, und sein Freund ehrte, ebenfalls schweigend, diese Todtenfeier seines Herzens. So verging eine lange Zeit, bis William sich erhob und, indem er sich zum Fortgehen anschickte, Eduard Lebewohl sagte.

Sie gehen schon? fragte dieser, wie aus schwerem Traum erwachend, und sah, nachdem sie sich mit einem Händedruck getrennt, dem rasch Dahineilenden lange nach. Dann, als er ihn aus dem Gesichte verloren hatte, rief er: Er geht zu seiner Braut! und wie ein Dolchstoß zuckte die Gewißheit durch sein Herz. Schwere Tropfen fielen aus seinen Augen nieder. Sie galten der verlornen Geliebten.

Die Commerzienräthin war von der Sorge um ihren Sohn völlig hingenommen. Sie schrieb ihm, daß sie durch ihren Schwager und durch William von dem Grunde unterrichtet sei, der ihn abhalte, nach Deutschland zurückzukehren. Sie beschwor ihn, sich loszureißen, kein Opfer an Geld zu achten, um sich von einer Frau zu befreien, deren wahre Absicht ihm nicht verborgen sein könne, und war unvorsichtig genug, ihm zu diesem Zweck eine immerhin beträchtliche Summe aus ihrem Privatvermögen anzuweisen, damit sein Vater gar nichts von diesem Verhältniß zu erfahren brauche. Was die aufrichtige Besorgniß einer Mutter, die Furcht vor üblem Aufsehen, einer so stolzen Frau nur einzugeben vermochten, das stellte sie ihm in den beredtesten Worten vor, und harrte angstvoll und ungeduldig seiner Antwort. Doch der erste Termin, der sie bringen konnte, verging und kein Brief von Ferdinand erschien. In dieser peinlichen Ungewißheit traten alle übrigen Angelegenheiten in ihren Augen zurück und selbst von Clara’s Verlobung war die Rede nicht. Die Commerzienräthin nahm dies Verhältniß als längst entschieden an; sie sah William und Clara oft und freundlich beisammen, das genügte ihr, und jetzt an irgend eine gesellschaftliche Rücksicht wie die Bekanntmachung dieser Verbindung zu denken, war sie nicht gestimmt.

Für William und Clara war das eine Erleichterung. Er hätte Clara dem Freunde abzutreten vermocht, wenn sie dadurch glücklich geworden wäre. Da dies nicht möglich war, dachte er nur daran, sie für sich zu gewinnen, denn er war sicher, daß ihr Herz endlich seiner warmen Liebe und seinem festen Willen, sie zu beglücken, nicht widerstehen werde. Er wollte sie durch keinen raschen Schritt drängen; er sprach ihr nicht von seiner Liebe, aber sein schonendes Betragen, seine zarten Rücksichten thaten das um so deutlicher. Unbefangen brauchte er das Recht, welches sein doppeltes Verhältniß zu ihr ihm gab, fast unausgesetzt in ihrer Nähe zu sein. Er las mit ihr, er begleitete sie auf ihren Spaziergängen, und sie konnte es sich nicht verhehlen, daß William’s Unterhaltung in ihrer jetzigen Verfassung eine Zerstreuung für sie sei und sie abhalte, gänzlich in den Gram über Eduard’s Verlust zu versinken. Eduard hatte sie fast täglich, aber nur flüchtig in dem Zimmer ihrer Mutter gesehen, deren Zustand seine Behandlung nöthig machte. Außerdem hatte er es vermieden, sie zu besuchen. Er brachte die Abende, wenn er konnte, auf dem Landsitz seiner Eltern zu; das Unwohlsein der Commerzienräthin hielt Clara viel zu Hause und beschränkte sie auf die kleinen Ausfahrten und Spaziergänge in Begleitung ihres Vetters.

So waren einige Wochen vergangen, als William, der Clara in ziemlich heiterer Stimmung sah, sich endlich das Herz faßte, mit ihr von seiner Unterredung mit Eduard zu sprechen. Ich bin Dir noch Aufklärung über mein Verhältniß zu Dir und zu Eduard schuldig, sagte er. Daß man sich nicht ohne Kampf entschließt, ein Glück, wie Deine Liebe, hinzugeben, oder auf Deinen Besitz zu verzichten, das glaubst Du mir, denn jetzt am wenigsten würde ich Dir schmeicheln dürfen. Doch hätte ich zu entsagen vermocht, um Dich glücklich mit Eduard zu wissen, den Du liebst, und ich habe das Eduard gesagt.

Clara reichte ihm bewegt die Hand und klagte: Du kannst mir doch nicht helfen, so edel Du auch bist.

Aber lindern kann ich, trösten, fiel er ihr ins Wort, und das vergönne mir. Eduard fühlt wie ich, daß Deine Mutter nicht darein willigen würde, Dich unvermählt zu lassen, auch wenn ich ganz auf Deine Hand verzichtet hätte. Und glaube mir, kein Mann, den man für Dich wählen könnte, wird Dich mehr lieben, als ich, Niemand mit größerm Vertrauen die Zeit abwarten, bis Dein gerechter Schmerz sich gemildert haben und Du im Stande sein wirst, wieder an ein Glück zu glauben, das Dir jetzt unmöglich scheint.

Clara schüttelte schweigend den Kopf, er that, als ob er es nicht bemerke, und fuhr nur noch freundlicher fort: Ich komme Dir vielleicht kalt vor und Du fürchtest Dich vor dieser Ruhe; aber sie kommt aus der Zuversicht, daß Du Dich in die unabwendbare Trennung von Eduard fügen und daß es meiner treuen Liebe gelingen müsse, Dich wieder zu erheitern, Dich froh zu sehen in dem Bewußtsein, einem redlichen Manne das höchste Gut zu sein. Er schilderte ihr, wie sehnsüchtig seine Mutter in ihr die Tochter erwarte, die der Himmel ihr selbst verweigert habe; wie man sie lieben und mit offenen Armen im Hause seiner Eltern empfangen werde, und seine tiefe Rührung zu verbergen, schloß er mit der scherzenden Bemerkung: Du kannst doch vielleicht nicht verlangen, Clärchen! daß ich jetzt, nachdem ich den Eltern die Versicherung gegeben habe, in Dir den größten Schatz des Continents mit nach Hause zu bringen, allein zu ihnen wiederkehren und ihnen sagen soll: Ich war ein eitler Thor, als ich von ihrer Liebe sprach, sie hat mich nicht gemocht.

Unwillkürlich lächelte Clara; da konnte William sich nicht länger halten und, mit aller Fröhlichkeit eines Liebenden aufspringend, nahm er sie in seine Arme, küßte sie und rief: Mag nun daraus entstehen, was da will, das ertrage ein Anderer, wenn man sich Monate lang für den glücklichsten Bräutigam gehalten hat, mit einemmal wieder zum Cousin zu werden. Einen Kuß habe ich glücklich gestohlen, gleichviel, ob als Verlobter oder als Cousin; nun will ich wieder geduldig warten und ruhig Deinen Zorn ertragen.

Und zornig war Clara wirklich über einen Ausbruch, der in so grellem Widerspruch zu seinen Worten stand, daß sie ihn schnell und offenbar gekränkt verließ. Indessen, diese Unterredung blieb doch nicht ohne Wirkung. Gewohnt an verständige Ueberlegung, konnte Clara es sich nicht verbergen, daß William Recht hatte, als er behauptete, ihre Mutter werde auf eine andere Heirath bestehen, wenn es ihr selbst gelänge, sich jetzt von der Verbindung mit ihrem Cousin zu befreien, dessen Betragen ihren aufrichtigen Dank verdiente. Sie sah ein, daß sie und Eduard keine Hoffnung hätten; aber daß Eduard ihrem Vetter das zugestanden hatte, verletzte sie, ohne daß sie ihn anzuklagen vermochte. Sie konnte an Eduard’s Liebe, an seinem Schmerz über ihre Trennung nicht zweifeln; sie nannte es recht, daß er sie jetzt vermeide, und doch war sie unzufrieden mit ihm, mit William und mit sich, obgleich sie fühlte, daß Keiner von Allen anders handeln konnte, als er’s that. Der Gedanke, von Eduard getrennt zu sein, faßte auf die Weise in ihr Wurzel, ohne daß dadurch William ihr näher rückte, der sich in seiner herzlichen Bewerbung immer gleich blieb und sein Ziel keinen Augenblick aus dem Gesichte verlor, die Neigung der Geliebten zu gewinnen. Er hatte daneben die schwere Pflicht, seine Tante über sein eigenthümliches Verhältniß zu Clara zu täuschen, was um so nöthiger war, als die Commerzienräthin noch immer vergebens auf Antwort von Ferdinand harrte und deshalb gereizt und leicht verletzlich war.

Sie hatte ihrem Sohne zu wiederholten Malen geschrieben, sich endlich an ihren Schwager gewendet und von ihm erfahren, wie Ferdinand gleich nach Empfang ihres Briefes mit seiner Geliebten verreist sei, ohne irgend eine Nachricht zu hinterlassen, wohin er gehe oder wohin man ihm die Briefe von Hause nachsenden solle. Es scheint, bemerkte ihr Schwager schließlich, als ob er aufs Neue in den Besitz einer größern Summe gekommen sei, welche ihm diese Reise möglich macht. Es blieb jetzt der Commerzienräthin keine Wahl, sie mußte sich entschließen, ihrem Manne das Geheimniß zu enthüllen, und die unangenehme Scene, welche die Heftigkeit beider Theile hervorrief, warf die Mutter aufs Neue nieder. Da langte endlich ein Brief von Ferdinand an, aber er war nicht an die Eltern, sondern an William gerichtet und lautete wie folgt:

„Du hast Dich der Mühe unterzogen, ohne daß ich darum bat, meiner Mutter eine Mittheilung zu machen, die ich noch geheim zu halten wünschte. Es scheint, daß dergleichen Vermittlungen Dir Vergnügen machen, und Du wirst es deshalb in der Ordnung finden, wenn ich Dich jetzt ersuche, meine Eltern gefälligst davon zu unterrichten, daß ich mich in der vorigen Woche verheirathet habe und mit meiner Frau nach Paris gegangen bin. Ich werde dort bleiben, so lange die Summe, welche meine Mutter mir geschickt hat, ausreicht, in Paris in der Weise zu leben, an welche meine Frau gewöhnt ist. Danke meiner Mutter, daß sie, wie immer meine Wünsche errathend, auch jetzt meiner Bitte zuvorkam und mir die Mittel gab, schneller zur Ausführung eines Entschlusses zu schreiten, der unwiderruflich war, weil er mein Glück sichert und zugleich die Erfüllung einer Pflicht ist gegen eine Frau, die aus Liebe für mich eine glänzende Zukunft aufgegeben hat. Jeder Versuch, diese Verbindung zu lösen, würde vergebens sein, da sie durchaus nach allen Gesetzen gültig vollzogen ist, und würde nur die Folge haben, daß ich mit meiner Frau früher nach Hause käme, um die nöthigen Schritte dagegen zu thun, obgleich, wie meine Mutter zu schreiben beliebt, die Anwesenheit meiner Frau, welche doch ein Lord D. zu seiner Gemahlin erkoren hatte, ein Schimpf für unsere Familie sein würde. Darüber will ich nicht streiten, da Vorurtheile nicht auf mich wirken, ich ersuche Dich also nur, meinen Auftrag auszurichten. Meinen nähern Freunden habe ich meine Heirath selbst gemeldet. Meine Frau und ich wünschen Dir und Clara bald ein Glück, wie wir es genießen.“

William war erschrocken, obgleich der thörichte Entschluß ihm nicht unerwartet kam. Er wußte, welchen Eindruck diese Neuigkeit auf seine Tante hervorbringen mußte, aber es war nicht möglich, sie ihr zu verheimlichen, da Ferdinand zugleich an seine Freunde geschrieben und damit dies Verhältniß zum Stadtgespräch gemacht hatte.

Die Familie war in der höchsten Aufregung. Der Commerzienrath eiferte und zürnte gegen seine Frau, deren unglückliche Verblendung den Sohn verzogen und, wie diese jetzt selbst gestand, ihm die Mittel zur Ausführung dieser thörichten Heirath gegeben hatte. Clara weinte über das Loos, das ihr Bruder sich bereitet, und mußte doch ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihre Mutter wenden, die dieser Brief vollkommen vernichtet hatte. Die Commerzienräthin versicherte, diesen Schimpf nicht überleben zu können; sie gab sich einer so fassungslosen Entmuthigung hin, daß Eduard selbst unruhig über ihren Zustand wurde. Er bat deshalb William und Clara, die Mutter auf irgend eine Weise zu besänftigen, da bei einer Frau ihres Alters und ihrer Constitution die Nervenzufälle, welche sich seit einiger Zeit immer wiederholten und jetzt bedeutend zugenommen hatten, leicht einen traurigen Ausgang nehmen könnten. Anfänglich war jede Vorstellung, jeder Einwand verloren, und erst nach einigen Tagen gelang es William, der leidenschaftlichen Frau einen Trost zu geben, mit der Hindeutung, wie Clara’s Liebe und Sorgfalt, die sich jetzt im schönsten Lichte zeige, wohl ein Glück sei, das die Mutter nicht verkennen dürfe. Dadurch bekamen die Ideen der Commerzienräthin plötzlich eine andere Wendung.

Ja, Du hast Recht, mein Sohn, sagte sie, an Clara habe ich mich schwer versündigt, sie habe ich lange nicht genug geliebt. Aber jetzt werde ich vergelten; sie soll jetzt mein Stolz, mein Alles sein, und jetzt gleich soll Eure Verlobung gefeiert werden, damit die Leute nicht glauben, die Schande, die mein Sohn über mich bringt, habe mich ganz niedergebeugt. Sie sollen sehen, daß mir in Clara und in Dir noch große Freude geblieben ist, und daß ich weder so schwach, noch so alt bin, mich von einem Unglück niederwerfen zu lassen. Hole mir Clara herbei, wir wollen die nöthigen Schritte noch heute thun.

Das hatte William nicht beabsichtigt und es setzte ihn in Verlegenheit, um so mehr, als Clara es leicht für ein planmäßiges Werk von seiner Seite halten konnte. Er versuchte also der Tante zu beweisen, wie ein zu gleichgültiges Verhalten bei der Nachricht von Ferdinand’s unerwarteter Vermählung mißdeutet werden könne, und beredete sie, nicht jetzt, während sie noch leidend und Clara so betrübt über ihren Bruder sei, ein Fest zu feiern, das mit voller Freudigkeit begangen werden müsse. Dadurch erlangte er einen kurzen Aufschub. Offenbar hatte aber die Aussicht, welche ihr William in Clara’s Glück eröffnete, eine günstige Wirkung auf seine Tante gehabt. Sie erklärte, sich wohler zu fühlen, erstand von ihrem Lager und söhnte sich mit ihrem Manne aus, um sich mit ihm über Clara’s Mitgift zu verständigen, die sie jetzt ebenso sehr zu erhöhen wünschte, als sie früher auf Beschränkung derselben zu Ferdinand’s Gunsten gedrungen hatte. Dies Alles entging Clara nicht. In ängstlicher Erwartung sah sie der Stunde entgegen, in welcher dieser Gegenstand endlich zwischen ihr und ihrer Mutter zur Sprache kommen mußte, und diese Stunde ließ nicht auf sich warten.

Eines Morgens ließ die Commerzienräthin Clara früher als gewöhnlich rufen. Sie hatte ihre Krankenstube verlassen und saß mit einer gewissen Feierlichkeit in ihrem Lehnsessel. Als die Tochter bei ihr eintrat, reichte sie derselben freundlich die Hand, nöthigte sie, sich zu ihr zu setzen, und sagte, nachdem sie einen Augenblick über den Anfang der Unterhaltung nachgedacht hatte: Mein Kind, es ist zwischen uns nicht immer so gewesen, wie es hätte sein sollen; und ich will Dir es gestehen, ich habe Dich verkannt. Ich habe Deine Sanftmuth für Schwäche gehalten, habe Dir auch sonst in meinem Herzen Unrecht gethan, weil ich alle Plane für das Ansehen unsers Hauses nur auf Ferdinand basirte. Er hat meine Hoffnungen betrogen – ich habe keinen Sohn mehr.

Ein nervöses Zittern fuhr trotz der Mühe, mit der sie es verbergen wollte, sichtbar durch ihre Glieder. Clara bat sie, sich zu schonen; sie versuchte ein Wort zu Gunsten ihres Bruders einzulegen und der Mutter vorzustellen, wie seine unbesonnene Handlung vielleicht weniger traurig in ihren Folgen sein würde, als man glaube.

Die Commerzienräthin ließ sie nicht vollenden. Das verstehst Du nicht, sagte sie heftig. Kann denn irgend Etwas die Schmach vertilgen, daß ein Weib wie jenes den Namen unserer Familie, meinen Namen trägt? Fürchte nicht, daß Ferdinand Mangel leiden, daß Dein Vater ihn enterben könne, wie er neulich gedroht. Er soll mehr haben, als er bedarf, mehr, als Lord D. der Person geboten hätte, unter der einzigen Bedingung, daß er unsern Namen ablegt, daß er nie nach Deutschland kommt, daß ich nie wieder von ihm und von dem Frauenzimmer Etwas höre. Für mich ist Ferdinand todt, ich habe keinen Sohn mehr, wiederholte sie noch einmal.

Während dieser Rede war sie immer heftiger geworden und brach zuletzt in krampfhaftes Weinen aus, das sie zu erleichtern schien. Auf Dich allein ist nun meine Zukunft angewiesen, sagte sie. Deine Söhne sollen die Erben dieses Hauses werden und William hat mir versprechen müssen, daß sie unsern Namen neben dem Euren führen sollen. Morgen muß der Ehecontract aufgenommen werden und sehr bald soll Eure Hochzeit sein. Ich würde nicht Ruhe haben, ehe ich nicht die einzige Angelegenheit beendet habe, die mir auf Erden noch Freude machen kann, und daß Du mir diese letzte Freude machst, das wird Dir Segen bringen. Gott gebe, Du würdest eine glücklichere Mutter, als ich.

Sie fiel ganz erschöpft in die Kissen des Sophas zurück, Clara stand sprachlos an ihrer Seite, bemüht, sie durch den Geruch stärkender Essenzen zu beleben. Sie hatte sich vorgenommen, ihrer Mutter zu sagen, daß sie William nicht liebe und ihn nicht heirathen könne, und hatte sich gefaßt gemacht, den heftigen Zorn derselben mit Ergebung zu tragen. Jetzt aber, als die Mutter vor ihr lag, die stolzen Züge ganz gebrochen von der Macht des Leidens, fehlte ihr der Muth, sie durch eine entschiedene Weigerung noch mehr zu betrüben. Nur um Aufschub wollte sie fürs Erste bitten und that es, indem sie der Commerzienräthin vorstellte, wie ihr leidender Zustand keine Aufregung gestatte und wie William gern bereit sein würde, zu warten, bis die Mutter wieder ganz wohl und kräftig sei. Aber auch davon wollte diese nichts hören, und als in diesem Moment Eduard in das Zimmer trat, um seinen täglichen Morgenbesuch zu machen, richtete die Commerzienräthin sich lebhaft mit der Frage empor: Sagen Sie, lieber Doctor, glauben Sie, daß Freude meinen Nerven schaden könne?

Im Geringsten nicht, antwortete er unbefangen; ich glaube vielmehr, daß Erheiterung Ihres Gemüths mehr zu Ihrer Genesung beitragen würde, als irgend eine Arzenei.

Also haben Sie nichts dagegen, wenn wir morgen die Verlobung meiner Tochter feiern?

Eduard schwieg betroffen; Clara sah ihn mit flehenden Blicken an, ihr Athem stockte; denn von dieser Antwort hing ihre Zukunft ab. Die Commerzienräthin schien aber zu glauben, ihr Arzt überlege, ob ihre Anwesenheit in größerer Gesellschaft zulässig sei, und sagte: Ich spreche ja von keinem großen Feste, nur im engsten Kreise wollen wir die Verlobung vor sich gehen lassen. An solche Feste, wie Ihre Eltern bei Jenny’s Verlobung veranstalteten, darf ich jetzt freilich nicht denken, auch wird Clara zur Entschädigung in dem Hause ihrer Schwiegereltern Glanz und Feste in Ueberfluß finden – deshalb soll Alles morgen in Stille vor sich gehen und dagegen dürfen Sie keine Einwendungen machen.

Nein, gewiß nicht! Ich darf keine Einwendungen dagegen machen! antwortete er mit einem Seufzer und blickte auf Clara, die sich, unfähig seinem Blicke zu begegnen, an einen Stuhl lehnte, um nicht ihrer Bewegung zu unterliegen.

Kaum aber hatte die Commerzienräthin Eduard’s Erlaubniß erhalten, als sie die Klingel zog und dem Diener befahl, William zu ihr zu bitten. Eduard hielt die Hand der alten Dame noch in der seinen, und richtete eine Frage über ihren Zustand an sie, als William schon dem Ruf der Tante Folge leistete.

Gleich, gleich, Doctor! unterbrach sie ihn, seien Sie nicht böse. Aber Sie selbst gestanden mir, Freude sei meine beste Arznei, darum muß ich William sagen, daß Sie mir die Erlaubniß gegeben haben, morgen die Verlobung der beiden Lieben feiern zu dürfen.

Eduard! rief William. Doch ehe er noch ein Wort hinzufügen konnte, sprang Eduard auf und wollte Clara zu Hülfe eilen, die, unfähig sich länger zu beherrschen, bleich und matt der Thür zuwankte. Plötzlich blieb er stehen und sagte rasch, aber mit einer Selbstbeherrschung, die Jeden täuschen mußte, der die Verhältnisse nicht kannte: Ihre Braut ist unwohl, William, begleiten Sie sie.

In demselben Augenblick war William auch an Clara’s Seite, ihre letzte Kraft verließ sie, er umfing sie stützend mit seinen Armen, und in Eduard’s und in ihrer Mutter Gegenwart weinte sie heiße Thränen über ihr verlorenes Liebesglück an ihres künftigen Gatten Brust.

Noch am Abende fuhr Eduard nach Berghoff hinaus. Clara ist mit William verlobt, sagte er, nachdem er sich mit den Seinen begrüßt hatte.

Das freut mich sehr, antwortete sein Vater und drückte Eduard die Hand, während die Frauen ihn um nähere Mittheilungen baten. Mehr wurde zwischen Vater und Sohn nie wieder über eine Angelegenheit gesprochen, welche früher zwischen ihnen der Gegenstand lebhafter Erörterungen, banger Besorgniß und schweren Kampfes gewesen war.

Eduard fuhr nach wie vor an jedem Morgen in das Haus der Commerzienräthin, so lange ihre Gesundheit seine Pflege erforderte; nur Zeuge von Clara’s Verlobung zu sein, hatte er unter einem Vorwande verweigert, und William und Clara wußten ihm dies Dank. Die ersten Tage, an denen er das neue Brautpaar sah, bedurfte es seiner ganzen Kraft, um äußerlich eine Fassung zu erzwingen, die ihm in seinem Geiste noch fehlte. Aber William stand ihm wie seiner Braut in edler Weise bei. Er selbst begleitete bald darauf Clara nach Berghoff und mit einer Gewandtheit, die aus dem feinsten Schicklichkeitsgefühl und einem wohlwollenden Herzen entsprang, wußte er Eduard und Clara vor jeder zu schmerzlichen Berührung zu bewahren.

Während die Damen sich mit einer Unterhaltung über die in beiden Häusern nöthig gewordenen Ausstattungen für die Bräute beschäftigten, zog William seinen Freund mit sich und sagte: Lieber Eduard! Clara hat gegen mich das Verlangen geäußert, Sie noch einmal allein zu sprechen, und ich hatte ihr zugesagt, ihr dazu Gelegenheit zu geben. Später bin ich anderer Meinung geworden, ich habe Clara gebeten, der Erfüllung dieses Wunsches zu entsagen. Sie werden mir zugeben müssen, daß es für uns Alle besser ist, wenn wir uns so schnell als möglich über eine Zeit fortzuhelfen versuchen, die an schmerzlichen Eindrücken nur zu reich ist. Deshalb habe ich meine Tante überredet, unsere Hochzeit zu beschleunigen. In vierzehn Tagen spätestens soll sie vollzogen werden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Jenny