Elfter Abschnitt. - Wenn nun aber dies Wohlleben mit meinem Stande nicht verträglich ist! ...

Wenn nun aber dies Wohlleben mit meinem Stande nicht verträglich ist! entgegnete Reinhard. Wenn Sie wüßten, lieber Vater! fügte er hinzu, wie sehr ich die Opfer fühle, die Jenny mir bringen muß; wie sie mich oft drücken, Sie würden anders über mich urtheilen. Lassen Sie mich offen sein, wie ich es gegen den Vater meiner Braut zu sein verpflichtet bin. Ich habe mit aller Kraft meines Willens gegen die Liebe gekämpft, die ich für Jenny fühle, weil ich wußte, daß unsere Wege weit von einander lägen; daß es Thorheit sei, zu wähnen, ich würde ihr jemals eine Sorgenfreiheit bereiten können, welche dem Leben gleich käme, an das sie gewöhnt ist. Meine Liebe zu Jenny, und mein Vertrauen zu ihr, waren stärker, als alle Einwendungen der Vernunft. Ich täuschte mich selbst mit dem Glauben, daß Liebe jede Entbehrung nicht nur leicht, sondern unfühlbar mache. Tadeln Sie mich deshalb nicht zu strenge.

Der Vater drückte ihm die Hand und fragte: Und jetzt?


Jetzt, antwortete er, sehe ich, daß die Wirklichkeit auch gegen die tiefsten, zärtlichsten Gefühle ihre Rechte geltend macht. Ich sehe ein, daß Jenny nicht in der Lage leben kann, die meine Einnahme allein ermöglicht, und bin sehr unglücklich darüber, mich mit einem Luxus umgeben zu sollen, der für mich nicht paßlich ist.

Davon ist nicht die Rede, sagte der Vater begütigend. Es kann meine Absicht nicht sein, Sie in Verhältnisse zu bringen, die unpassend für Ihren Beruf sind. Nur das sollen Sie annehmen, daß ich Jenny eine Mitgift gebe, die Ihrer Einnahme so viel hinzufügt, als nöthig ist, um sie dem besten Pfarrergehalte im Lande gleich zu machen. Dagegen können Sie nichts einwenden. Ich achte den Stolz, den Sie in sich zu bekämpfen haben; aber zu sehr ins Ideale müssen Sie sich nicht verlieren. Sie haben mich zu Ihrem Vater angenommen, lassen Sie mich auch Ihren König sein, der Ihnen ein Gehalt gibt, wie Ihre Kenntnisse es verdienen.

Reinhard erkannte mit Achtung das Ehrenwerthe in dem Betragen des vortrefflichen Mannes und dankte ihm für die Zartheit, mit welcher er ihn behandelte. Er fühlte, daß er das Anerbieten annehmen müsse, so schwer es ihm auch sei, und erklärte sich dazu bereit.

Sie haben recht, mein theurer Vater, sagte er, aber es kostet mich das Opfer eines Glückes, des erhebenden Gefühles, meinem Weibe nicht nur ihr Gatte und Beschützer, sondern auch ihr Ernährer zu sein – und es wird mir schwer fallen, auf dieses Anrecht zu verzichten.

Da klopfte der Vater ihm auf die Schulter und schalt ihn einen Schwärmer, der sich wohl noch bessern werde; er hatte aber die Besorgniß, daß Dem nicht so sein möchte.

Von dieser Stunde an war Reinhard mit sich selbst zerfallen. Er warf es sich vor, sich aus Liebe für seine Braut in die Lage gebracht zu haben, Unterstützungen anzunehmen, er, der es gebilligt hatte, daß seine Mutter lange Zeit sich auf das Kümmerlichste beholfen hatte, um dieser verhaßten Abhängigkeit zu entgehen. Nur gegen seine Mutter hatte er sich über seine Unterredung mit Jenny’s Vater ausgesprochen. Sie hatte dem verständigen Manne vollkommen beigestimmt und ihrem Sohne versichert, daß keinem Andern als ihm ein Kummer daraus erwachse, mit der Hand eines geliebten, reichen Mädchens ein angemessenes Jahrgeld anzunehmen, oder wie es hier der Fall wäre, eine Mitgift, die im Verhältniß zu Jenny’s einstigem Reichthum unbedeutend blieb. Sie machte ihn darauf aufmerksam, wie Jenny trotzdem noch Vieles entbehren würde, woran sie in ihrem väterlichen Hause gewöhnt worden, und wie sie durch die Freudigkeit, mit welcher sie der Zukunft gedächte, einen sicheren Beweis dafür gebe, daß ihr Reinhard’s Liebe höher gelte als jener Reichthum, den nur Reinhard selbst so hoch anschlage, um sich damit zu quälen. Für einige Tage hielten diese Vorstellungen vor, dann aber bedurfte es nur eines Wortes, das irgend Jemand arglos aussprach, und das eine andere Deutung zuließ, um ihn aufs Neue mit dem finstersten Unmuth zu erfüllen. Es bewährte sich auch an ihm, daß Niemand uns so tödtlich zu verletzen, so unablässig zu peinigen vermag, als wir selbst, weil Niemand so genau die wunde Stelle unserer Seele kennt und sie in jedem Augenblick so tief und sicher zu treffen weiß als eben wir. Darum sollte man sich vor keinem Feinde so sehr hüten, als vor seinen eigenen Schwächen und Phantasien, mögen sie noch so nahe mit der Tugend verwandt sein! Jedem Feinde tritt man mit Härte, mit aller Macht des Geistes entgegen, und eine Art von Schadenfreude nebst der Lust am Siege sind uns vortreffliche Hülfstruppen gegen den Feind außer uns. Wer hat aber Selbstbeherrschung genug, mit offenen ehrlichen Waffen gegen sich selbst zu kämpfen? Wen freut es, über ein verhätscheltes Kind des eigenen Wesens zu siegen, das wir doch immer lieben, eben wie ein Vater sein Kind, wenngleich er nicht blind für dessen Fehler ist?

Dennoch hatte sich äußerlich nach jener Unterredung des Vaters mit Reinhard das gute Vernehmen zwischen allen Theilen wieder hergestellt, und Herr Meier konnte seiner Frau die Versicherung geben, daß für Jenny’s Zukunft in Bezug auf die gewohnten Annehmlichkeiten des Lebens nichts zu befürchten sei.

Eine andere Angelegenheit aber verursachte ihm immer lebhaftere Besorgniß: Eduard’s tiefer Kummer nämlich, den dieser vergebens unter der Maske ruhigen Ernstes zu verbergen strebte und dessen Grund der Vater nicht erst zu errathen brauchte. Nachdem er also mit Reinhard geordnet hatte, was ihm für Jenny’s Zukunft unerläßlich schien, ließ er Eduard eines Tages zu sich rufen.

Der Verkehr zwischen Vater und Sohn war immer einfach gewesen, und auch jetzt machte der Vater keine besondere Einleitung. Ich habe ein ernstes Wort mit Dir zu reden, sagte er, als sie allein beisammen waren, und ich habe nicht erst nöthig, Dir den Gegenstand zu nennen. Ich glaubte mit Recht erwarten zu dürfen, daß Du mir aus einem Verhältniß kein Geheimniß machen würdest, welches Dich seit lange schon beschäftigt. Du kannst nicht leugnen, daß Du eine Liebe für Fräulein Horn empfindest.

Auch möchte ich das nimmer, fiel Eduard lebhaft ein.

So beantworte mir ehrlich die Eine Frage, wohin soll das führen? – Bist Du entschlossen, Christ zu werden? fragte er, da Eduard schwieg.

Um keinen Preis, erwiderte Eduard fest, selbst um den Besitz des Mädchens nicht! Er war bewegt und kämpfte die Bewegung nieder. Dann sagte er nach einer Weile: Es ist wahr, ich liebe sie, und um sie zu erlangen, sie mein zu nennen, soll kein Mittel unversucht bleiben. Ihres Herzens bin ich gewiß, obgleich nie ein Wort von Liebe unsere Lippen berührt hat; und nicht aus Mißtrauen schwieg ich gegen Dich, sondern weil an dem Tage, an dem ich Dir Clara als meine Braut vorzustellen hoffte, ich Dir einen doppelten Sieg zu verkünden wünschte.

Der wäre? fragte der Vater.

In keinem Gesetz des Landes ist die Ehe zwischen Christen und Juden verboten, obgleich sie nicht gebräuchlich bei uns ist. Ich habe um die Erlaubniß zu solcher Ehe nachgesucht, mich darauf stützend, daß in Dänemark und Holland, die ebenfalls streng protestantische Länder sind, solche Verbindung statthaft ist. Wenn es mir nun gelingt, diese Erlaubniß zu erlangen, wenn ich, indem ich mir die Geliebte gewinne, zugleich einen Schritt vorwärts gegen das Ziel mache, das wir erstreben, dann wollte ich vor Dich hintreten und Dir die erkämpfte Braut als Tochter zuführen.

Und wenn Du diese Erlaubniß nicht erhältst? fragte der Vater; und da der Sohn darauf nicht antwortete, fügte Jener mit gerechtem Bedenken hinzu: Dann hast Du, auf eine höchst zweifelhafte Aussicht hin, die Ruhe, vielleicht das Glück eines Mädchens zerstört, das zu edel von Dir dachte, um zu glauben, Du würdest unvorsichtig Hoffnungen in ihr erregen, die zu erfüllen Dir unmöglich ist. Sage mir nicht, Du hättest Clara Deine Liebe nicht gestanden. Das sind Entschuldigungen, die kein ehrlicher Mann sich machen darf. Sie kennt Deine Liebe; sie erwiedert sie; das wissen wir Alle, Clara’s Eltern vielleicht ausgenommen. Daß Du um Clara’s Liebe geworben, und das hast Du; verzeih mir, mein Sohn, das war keine gute That, das war ein schweres Unrecht, sobald Du entschlossen warst, nicht Christ zu werden.

Eduard fuhr auf, nahm sich aber zusammen und sagte ruhig: Unrecht wäre es vielleicht gewesen, wenn ich nicht mit aller Kraft gegen diese Neigung gerungen hätte; wenn ich sie nicht auf jede Weise vor Clara zu verbergen gesucht und nicht ihr selbst immer die Hindernisse, die uns trennen, vorgehalten hätte. Clara weiß, daß wir nicht viel zu hoffen haben.

Wozu nützt ihr dieses Wissen? fragte der Vater. Rechnet sie darum weniger auf die Erfüllung Eurer gemeinschaftlichen Wünsche? Und geschah es auch, um ihr jede Hoffnung zu rauben, daß Du sie in unser Haus geführt hast? Glaubst Du, Jenny’s bevorstehende Taufe werde ihr nicht den Muth geben, auch von Dir das Nämliche zu erwarten? Was soll Clara’s Vater von mir denken, daß ich seine Tochter in mein Haus aufgenommen und mich dadurch zum Förderer und Schützer einer Liebe hergegeben habe, durch die das Mädchen unglücklich wird?

Vater, Du gehst zu weit! sagte Eduard in heftiger Bewegung. Der Vater aber, der bis dahin mit kalter Ruhe, fast streng mit dem Sohne gesprochen hatte, nahm plötzlich seine Hand, die er herzlich drückte, und sagte mild: So, Eduard, urtheilt der Mann, und Du verdienst den Tadel. Der Vater bedauert Dich, und wollte Gott! ich könnte Dir helfen. Mein Herz ist nicht so kalt geworden, daß ich Dein Leiden nicht verstehen könnte; aber weil ich Dich, mein Sohn, vor Reue, und das Mädchen, das ich schätze, vor Kummer wahren möchte, darum ist es meine Pflicht, Dir zu sagen: halte inne. Thue keinen Schritt vorwärts; vermeide Alles, was Euch einander näher bringen, Clara’s Erwartungen erhöhen könnte, bis Du weißt, ob Du auf sie hoffen darfst. Denn wenn selbst, was ich bezweifle, der Staat eine solche Verbindung zugäbe, stände Dir mit Clara’s Eltern noch ein schwerer Kampf bevor. Und doch wollte ich, sie allein wären es, die Du gegen Dich hast! schloß er, und sah bekümmert auf das verdüsterte Antlitz des Sohnes.

Dieser schwieg lange, dann sagte er: Ich bin mir bewußt, daß der Gedanke an Clara’s Ruhe ebenso wenig aus meiner Seele gekommen ist, als das Gefühl meiner Liebe! Der Schwäche bin ich freilich schuldig, daß ich mein Herz nicht fest zusammen nahm, daß ich mich dem beglückenden Reiz des Augenblicks mehr als ich sollte, überließ, daß ich hoffte, weil ich wünschte; aber falle mein Loos, wie es wolle, Du sollst mich Deiner würdig finden.

Das genügt, mein Sohn! sprach der Vater. Ich traue Dir, und wollte nichts, als Dich warnen vor Dir selber.

Damit trennten sie sich, Beide tief ergriffen und besorgt, aber ruhig im Aeußern, wie sie es immer waren, obgleich Eduard nun mit doppelter Ungeduld die Entscheidung seines Schicksals ersehnte.

Je länger er diese Liebe zu Clara in stiller Brust genährt, um so tiefer war sie in sein Herz gedrungen. Er konnte zwar sein Leben ohne Clara’s Besitz denken, aber kein Glück ohne sie. Sie zu erkämpfen und seinem Volke zugleich damit zu nützen, das war der belebende Gedanke in seiner Seele geworden; und mit der Energie, die ihm eigen war, hatte er rasch die nöthigen Schritte dazu gethan, ohne mit irgend Jemandem darüber zu sprechen. Anfangs hatte er mit Zuversicht auf einen günstigen Bescheid gerechnet und sich mit einer Art von stolzer Sorglosigkeit der Leidenschaft hingegeben, die ihn beherrschte; nun aber, als die Antwort, die er erwartete, von Tag zu Tag ausblieb, als die Erkundigungen, welche er einzog, auf eine abschlägige Bescheidung hinzudeuten schienen, mußten die Ermahnungen seines Vaters einen um so tiefern Eindruck auf ihn machen. Zerstreut war er zu seinen Kranken gekommen und hatte kaum die nöthige Aufmerksamkeit für ihre Klagen in sich erzwingen können. Das machte ihn noch trüber und unzufriedener mit sich. Er zog sich in den Stunden, welche ihm seine Praxis frei ließ, ganz in seine Wohnung zurück und kam auch nur des Mittags zu den Seinen, weil in dieser Stimmung ihm selbst der Umgang mit seiner Familie keine Freude machte.

So mochten etwa acht Tage vergangen sein. Er saß Abends an den geöffneten Fenstern seines Zimmers und sah, in tiefe Gedanken versunken, nichts von der Pracht des Frühlings, dessen lieblichste Blumen in dem Garten, der das Haus nach dem Hafen hin begrenzte, sich zu entfalten anfingen. Lebhaft erinnerte er sich jener Winternacht, in der dieselbe hoffnungslose Liebe ihn in Sturm und Wetter hinausgetrieben hatte, und der leidenschaftlich erregte Zustand jener Stunde schien ihm beneidenswerth gegen die Muthlosigkeit, welche er jetzt empfand, und aus der ihn, wie er wähnte, nichts empor zu rütteln vermochte. Da pochte es an seine Thüre, und es trat der Postbote herein, der ihm einen großen, mit amtlichem Siegel geschlossenen Brief aushändigte. Eduard wußte, was er ihm bringen konnte. Mit hastiger Hand erbrach er ihn. Er näherte sich dem Fenster, um bei den letzten Strahlen des Tages die feste, deutliche Schrift zu lesen – dann legte er das Blatt zur Seite, und blieb gedankenvoll, den Kopf gegen die Scheiben gelehnt, am Fenster stehen.

Es war entschieden. Der Jude durfte nicht auf dasGlück hoffen, die Geliebte zu besitzen. Was war nun zu beginnen?

Er hörte über seinem Haupte, in den obern Zimmern, Stühle hin und wieder rücken; er sah empor, es war Nacht geworden. Man stand vermuthlich bei seinen Eltern von der Abendmahlzeit auf. Er hatte also mehrere Stunden in dumpfem Brüten verbracht und kein kräftigender Gedanke war erleuchtend in die Nacht seines Schmerzes gedrungen. Flüsternd berührten Jenny’s und Gustav’s Stimmen sein Ohr. Der milde Abend hatte sie ins Freie gelockt und Eduard erblickte sie bald darauf in den breiten Gängen des Gartens. Aber! trog ihn sein Auge? noch eine dritte Gestalt ging mit ihnen. Therese konnte das nicht sein; sie war wenig größer, als Jenny, während diese schlanke, hohe Figur Jenny bedeutend überragte. Sie war es! Noch ahnte sie nichts von dem Schmerz, den er bekämpfte, den der nächste Tag auch ihr bringen mußte. Nur noch dies Eine Mal wollte er sie glücklich sehen. Es schien ihm, als hätte sie im Vorübergehen, trotz der Dunkelheit, nach seinen Fenstern geblickt – im nächsten Moment war er an ihrer Seite.

Wo kommst Du her, Nachtwandler? fragte Jenny scherzend. Du hast mich förmlich erschreckt, als Du so plötzlich hervortratest; und auch die arme Clara fuhr zusammen. Wo warst Du denn bis jetzt?

In meinem Zimmer, antwortete er.

Da war es dunkel, als wir vorübergingen, bemerkte Reinhard verwundert, und Deine Eltern wähnten Dich außer dem Hause.

Das war ein Irrthum! erwiderte er, ebenso zerstreut und tonlos, als er die erste Antwort gegeben.

Höre, Eduard! rief Jenny, um nur irgend etwas zu sagen, weil sie nicht wußte, was die Stimmung ihres Bruders, die sie beunruhigte, bedeute, wenn Du nur gekommen bist, uns zu erschrecken, so hättest Du fortbleiben sollen. Gustav war so gut, so lieb; Du hast uns um die schönste Erzählung aus seinen frühern Jahren gebracht, die ich nicht aufgeben will, und ich gehe mit Gustav fort, wenn Du nicht heiterer sein kannst.

So geht, ihr Lieben! sagte er, und lehnte sich tiefaufathmend an den dicken Stamm einer mächtigen Kastanie, deren junge Blätter leise unter der Berührung der Nachtluft zitterten.

Unentschlossen standen Alle einen Augenblick einander gegenüber; dann führte Reinhard Jenny einen Augenblick mit sich fort und bot Clara den andern Arm. War es nur Täuschung, oder hatte Eduard wirklich seine Hand bittend gegen Clara bewegt? – aber das Brautpaar war bereits einige Schritte fort, und Clara stand noch in scheuer Entfernung allein vor Eduard. Sie hatte die Hände ängstlich über die Brust gefaltet, trat ihm näher und fragte mit sanfter Bitte: Sie kommen nicht mit uns?

Der Ton dieser süßen Stimme, das war mehr, als Eduard ertragen konnte. Clara! Clara! rief er mit einer Leidenschaftlichkeit, in der das ganze Leiden der letzten Stunden sich zusammendrängte, und riß das junge Mädchen gewaltsam an seine Brust, das sich an ihn lehnte, als ob sie an seinem Herzen Schutz gegen ihn selbst erwartete. Wie nach langer drückender Hitze die schwarzen Wolken sich in großen einzelnen Tropfen entladen, so fielen aus Eduard’s Augen heiße schwere Thränen auf die Stirn Clara’s und auch sie weinte still.

Warum weinen wir denn, fragte sie endlich, wenn ich mit Ihnen bin?

Weil ich Dich verloren habe, antwortete er gepreßt, weil ich über Dein geliebtes Haupt den Fluch herauf beschworen, der mich verfolgt. Auf dies geliebte Haupt, sagte er, es in seinen Händen haltend und mit der Zärtlichkeit eines Vaters küssend, auf das ich alles höchste Glück herab zu rufen dachte.

Sie hing sich fester an seine Brust, und er fühlte, wie sie zitterte; aber kein selbstsüchtiger Gedanke kam in ihre reine Seele, nur der Kummer des Geliebten war es, den sie zuerst empfand. Armer Eduard! seufzte sie, und ich wagte, fröhlich zu hoffen, während Sie litten, ich hoffte ......

Liebste! Dein Wagen ist da! rief Jenny’s Stimme und schreckte Clara empor von Eduard’s Brust, der ihr seinen Arm reichte; und sie hatte dieses Beistandes nöthig, um sich aufrecht zu erhalten. Ohne ein Wort der Entschuldigung oder des Abschiedes, geleitete Eduard sie an Reinhard und an der Schwester vorüber zu ihrem Wagen, drückte einen langen Kuß auf ihre Hand, und ging dann schnell in sein Zimmer zurück, dessen Fenster er verschloß.

Die Verlobten sahen ihnen erschrocken und verstehend nach. Auch sie schritten dem Hause zu. Die Armen, klagte Jenny, und Reinhard zog sie näher an sich, wie wenn er sich vor ähnlichem Scheiden bewahren wollte. Arm in Arm langten sie bei Jenny’s Eltern an. Sie entschuldigten mit einem Vorgeben Clara’s Fortfahren ohne Abschied; Eduard’s wurde gar nicht erwähnt. Bald darauf trennten sich auch die Uebrigen, Reinhard und Jenny mit schwerem Herzen, und erst, nachdem sie sich durch einen nochmaligen Gang nach dem Garten überzeugt hatten, daß Eduard zu Hause sei. Sie sahen ihn durch die Vorhänge an seinem Schreibtisch sitzen.

Er schrieb an Clara. Sein Brief an die Geliebte lautete also:

Jene Stunde, die ich mit aller Wonne der Liebe erwartet hatte, ist herangekommen und zur Trennungsstunde für uns geworden – das höchste Glück, das Bewußtsein, Ihre Liebe zu besitzen, wird zum Schmerz, denn auch auf Sie fällt die Pein des Scheidens. – Zürnen Sie mir um deshalb nicht. Mehr, als mein eigener Schmerz, peinigt mich der Gedanke, daß Sie mit mir leiden, daß meine Liebe Sie nicht zuschützen, nicht zu beglücken vermag. Ich könnte eine Welt hassen, in der Herzen, die zusammen gehören, getrennt werden, weil das Eine so, das Andere anders zu seinem Schöpfer betet, der Beide für einander erschuf, der sie, wie uns, zusammenführte. Jahrtausende hat der Fluch über meinem Volke geschwebt, nun hat er auch mich getroffen. Ich wähnte, es sei an der Zeit frei zu werden von jenen Fesseln, die blinder Pfaffenglaube der ganzen Menschheit angelegt. Ich hatte Dich gesehen, ich liebte Dich, und ich hoffte, Du solltest die Aurora werden, welche ein neues Morgenroth der Aufklärung für unser ganzes Land verkündete. Denn nicht allein den Juden trifft der Wahnwitz dieses Hasses, er schlägt in gerechtem Undank selbst die Mutter, die ihn erzeugt. Auch Du! die Christin! leidest unter ihm. Aber wer hieß Dich, einen Juden lieben? Warum wolltest Du lieben, was die Deinen hassen? Die Deinen, welche sich zu einer Religion der Liebe bekennen! – O! Christus wußte, wie der Haß zerfleischt, entmenscht, darum predigte er Liebe, und die Unwürdigen begriffen nur den Haß, vor dem er sie gewarnt.

Aber ich wollte ruhig sein und nicht auch in Deine Seele den Widerschein des Zornes leuchten lassen, der in mir lodert! Ruhig denn! – Seit ich Dich kenne, seit ich Dich liebe, habe ich keine Stunde ruhigen Glückes gekannt als in Deiner Nähe. Nur der Zauber Deiner Gegenwart konnte mich trösten, mich vergessen machen, daß ich Dich nicht besitzen würde. Ich fühlte es, wie Dein Herz sich zu mir neigte, und wollte Dich und mich vor jeder Hoffnung bewahren, indem ich Dir sagte, mit wie unauflöslichen Banden ich an mein Volk gekettet sei. Es ist nicht der Glaube, der mich an das Judenthum bindet: ich bin weder Jude noch Christ in dem Sinne der Menge – ich bin ein Mensch, den Gott geschaffen, der seinem Schöpfer dafür dankt und der seine Mitgeschöpfe liebt. Aber meine Ehre fesselt mich an mein Volk, das gleich mir in Unterdrückung seufzt. Was dem verbannten Polen sein Vaterland, das ist dem Juden die Gemeinde; nur der Verräther sagt sich von ihr los. Denkst Du jener Polenhelden, die wir jüngst gesehen, und der Wunden auf ihren gramdurchfurchten Stirnen? Diese Wunden können heilen; aber der Schmerz ihrer gebrochenen Herzen nimmer! Geschieden von Bräuten, Weibern und Kindern, kamen sie in unser Land, Alles war ihnen geraubt, und sie hatten nichts als die Ehre und den heiligen Gram um ihr gesunkenes Vaterland. Nach langem Elend war das Volk der Polen erstanden, um mit Männerkraft seine Ketten zu zerreißen. Es mißlang und die Unterdrücker trugen wieder den Sieg davon.

So ist es mir ergangen. Ich wollte versuchen, auf Deinen Besitz zu verzichten, zu entsagen; aber Entsagen ist Feigheit, so lange noch eine Möglichkeit da ist, das Glück zu erreichen. Ich verlangte vom Staate die Erlaubniß, Dich mein zu nennen, ohne Christ werden zu müssen. An Deiner Zustimmung, an Dir zweifelte ich nicht, und mit Dir hoffte ich die Einwendungen der Deinen leicht zu besiegen. Ich hoffte, glücklich zu sein mit Dir, und Tausenden, die gleich uns gelitten, ein Befreier von bejammernswerthem Vorurtheil zu werden. Es ist anders gekommen.

Der Staat, der es erlaubt, daß Menschen, ohne alle innere Zusammengehörigkeit, einander den Eid der Treue vor dem Altare schwören, der es duldet, daß die Jungfrau mit gebrochenem Herzen in die Arme eines Mannes geführt wird, welcher vielleicht noch gestern an der Brust einer Buhlerin des Bundes lachte, den er heute beschwört, der Gesetze gibt, diese fluchenswerthen Ehen zu schützen – derselbe Staat will es nicht dulden, daß zwei Herzen, die in reinstem Einklang schlagen, sich verbinden, weil sie auf verschiedene Weise Gott für das Glück danken würden, das er ihnen durch ihre Liebe gewährt. – Das sind die Gesetze, vor denen man Achtung verlangt!

Nur Eine Zuflucht bietet sich uns dar, wenn Du es vermöchtest, Dich von allen Vorurtheilen zu befreien, wenn Du Dich entschließen könntest, mir unter dem Schutze der Meinen in ein Land zu folgen, das unsere Ehe zuläßt, und dort die Meine zu werden; wenn ich Dich im Triumphe zurückführen dürfte und den Verblendeten zeigen könnte, wie die Liebe frei ist vor dem Urtheil eines weisern Staates; wenn Du durch Ein Wort uns den versagten Himmel zu öffnen bereit wärest – ein Leben voll der wärmsten, ergebensten Liebe sollte es Dir lohnen; Dir, aus deren Hand mir Liebe und Freiheit zugleich gegeben würden.

Mitten im Fluge solchen Hoffens fühle ich aber bereits das Unrecht, das ich an Dir begehe, indem ich Dich zum Richter über unsere Zukunft mache. Das hätte ich Dir ersparen sollen, und doch kann ich es nicht. So nimm denn wenigstens das heilige Versprechen, Du Geliebte, daß ich mit keinem Worte versuchen werde, das Urtheil, wie Du’s auch fällst, zu ändern. Was Dein liebendes Herz vermag oder nicht vermag, was Dein gerader Sinn Dir zu thun gebietet, das soll auch meine Richtschnur sein. Nur versage mir die Gunst nicht, Dich noch einmal zu sehen. Und somit Lebewohl!

Vergebens würde es sein, ein Bild des Schmerzes zu geben, mit welchem Eduard diesen Brief geschrieben, oder der Gefühle, die er in Clara hervorrief. Wer es je erfahren hat, plötzlich eines Glückes beraubt zu werden, auf das er eben ein volles Anrecht erworben zu haben glaubte, der mag ahnen, was Eduard und Clara bei dem Gedanken an ihre Trennung litten, nachdem sie durch das gegenseitige Geständniß ihrer Liebe sich an einander gebunden. Von Minute zu Minute zögerte Clara, eine Antwort zu geben, die, so innig sie Eduard liebte, niemals eine günstige sein konnte. Immer hoffte sie, es werde sich ihr ein Ausweg aus dem Labyrinthe zeigen; sie fürchtete Eduard’s Leiden zu vergrößern durch die Schilderung ihres Schmerzes; sie wollte ruhig werden, um ihn zu beruhigen; und das war der Brief, den sie endlich an ihn schrieb:

Gott hat es mir auferlegt, daß ich mit den ersten Worten, die ich Ihnen schreibe, Ihnen und mir den tiefsten Schmerz bereite, den eine Menschenbrust empfinden kann. Er wird uns Kraft geben, ihn zu ertragen. Liebte ich Sie weniger, oder wäre ich nicht vollkommen gewiß, es könne kein Zweifel an meiner Liebe Raum in Ihrer Seele finden, ich würde nicht den Muth haben, Ihnen zu sagen, daß ich nicht die Ihre werden, daß die schönste Hoffnung meines Lebens nicht erfüllt werden dürfe. Ach, lieber Eduard! als ich Jenny und Reinhard verbunden sah, da wagte ich mir zu gestehen, daß ich ein ähnliches Glück begehrte und erhoffte, obgleich ich wußte, was Sie von Jenny’s Uebertritt zum Christenthume dachten; wie Sie bei Jenny billigten, was Sie selbst niemals zu thun vermöchten. Ich täuschte mich gern, weil ich Sie liebte und kein höheres Glück kannte, als Ihnen in jeder Stunde meines Daseins, mit jedem Gedanken, mit jedem Gefühl meiner Seele zu eigen zu sein. Ein Familienleben hatte ich erst in dem Hause Ihrer Eltern in seiner heiligen Schönheit kennen gelernt, und ich wünschte sehnlichst, mit Ihnen zu den Kindern dieses glücklichen Hauses zu gehören, das mich mit so viel Güte empfing, in dem ich die schönsten Stunden meines Lebens genossen habe.

Glauben Sie mir, ich verlange nichts als Ihre Liebe, nichts als Sie, Eduard! und jedes Band, das uns vereinigte, wäre mir heilig. Ich möchte Ihr treues Weib sein, gleichviel, welch ein Priester den Segen über uns gesprochen; jedes Land, jedes Verhältniß wäre mir gleich. Ich könnte ruhig den Tadel der Menge ertragen – aber den Segen meiner Eltern kann ich nicht entbehren. Ohne diesen Segen, den ich nie zu erhalten hoffen darf, so lange Sie nicht Christ geworden sind, gäbe es, selbst mit Ihnen, kein Glück für mich.

Meine Mutter hat mich William verlobt, ohne mich darum zu befragen, und ich habe mich dadurch keinen Augenblick für gebunden gehalten. William selbst würde meine Hand nicht begehrt haben, hätte er meine Liebe zu Ihnen gekannt. Ich vermag, so leid es mir thut, den Wunsch meiner Mutter nicht zu erfüllen, ich kann William’s Frau nicht werden. Aber auch die Ihre nicht, Eduard! Sie bindet die Ehre an Ihr Volk, mich die Pflicht an meine Eltern, und ich darf an eine Verbindung nicht denken, die auch einer minder stolzen Frau als meiner Mutter verwerflich scheinen müßte durch die befremdlichen Schritte, welche eine Trauung im Auslande erfordert. Ich wähnte, Liebe sei allmächtig, nun sehe ich, daß sie vor Pflicht und Ehre sich beugen muß. Ich bin bereit, das Opfer zu bringen – aber es ist ein schweres, furchtbares Opfer, ich bringe es mit blutendem Herzen, und weiß kaum, wie ich das Unvermeidliche ertragen werde.

Sie nehmen Abschied von mir, Eduard! Sie sagen mir Lebewohl! das begreife ich nicht! Ist es nicht hart genug, daß wir einander nicht gehören sollen? Wollen wir uns selbst um das Glück bringen, uns zu sehen, uns zu sprechen und Trost für unser Leid in dem Beisammensein zu suchen, das uns vergönnt ist? Ich kann den Gedanken nicht fassen, Sie nicht mehr zu sehen; ich möchte den Trost nicht entbehren, Ihrer treuen Brust anzuvertrauen, was mich bewegt, und zu erstarken an den großen Gedanken Ihres Geistes. Waren wir nicht glücklich bis jetzt, auch ehe das Wort Liebe ausgesprochen wurde? Hatten wir uns nicht verstanden? So kann und soll es wieder werden! Man sagt, der Strom, der die Dämme durchbrach, könne niemals wieder von selbst in jene Schranken zurückkehren; das mag sein. Wo aber die Schranke allein Zuflucht vor gänzlichem Verarmen zu geben vermag, da muß man sie aufs Neue erbauen, sich hinter sie flüchten, um das einzige Gut zu behalten, das uns geblieben ist.

Schreiben Sie mir nicht mehr, das kann nicht sein. Lassen Sie uns versuchen, die Ereignisse des gestrigen Tages im tiefsten Grunde des Herzens zu bergen. So allein – und ich rechne auf Sie, als ob Sie es mir mit dem heiligsten Eide gelobt hätten – dürfen wir uns wiedersehen. Sie, Eduard, sollen mich schützen vor der Gewalt unserer Liebe; Ihrem starken Willen vertraue ich mich an. Nur ein paar Tage der Einsamkeit gönnen Sie mir, mich zu gewöhnen an das schwere Loos, das uns geworden ist. Doch was klage ich? Ich begehrte Glück und Leid mit Ihnen zu tragen, und sollte muthlos werden, nun die Prüfung naht? Nein, Eduard! Sie sollen sehen, daß Sie sich nicht in mir geirrt haben, daß ich würdig gewesen wäre, die Ihre zu sein, weil jedes Schicksal, das ich mit Ihnen theile, mir erträglich scheint. Um mich sorgen Sie nicht, ich weiß, daß Sie mich lieben! Mit dem Bewußtsein kann ich Alles tragen; denn Liebe, selbst hoffnungslose Liebe ist Glück! Daran halten Sie fest, Eduard! wenn wir uns wiedersehen.

Dieser Brief brachte auf Eduard die doppelte Wirkung hervor, ihm Clara im vollsten Lichte ihres ruhig milden Wesens zu zeigen, und ihn zu ermannen, obgleich er ihn die ganze Größe seines Verlustes fühlen ließ. Er durfte nicht kleiner sein als sie, die ein unabwendbares Geschick mit Ergebung trug und mit ängstlicher Sorgfalt das geringe Glück, auf das sie Anspruch hatte, sich und dem Geliebten zu erhalten strebte. Doch nur schwer und allmälig gelangte er zu der Fassung, welche Clara gleich in sich gefunden hatte, um ihn damit zu beruhigen. Auch ihm drängte sich dadurch unwillkürlich die Frage auf, ob in der Frauen-Natur wirklich eine höhere Leidensfähigkeit liege, als in der des Mannes. Er bewunderte Clara, aber er konnte ihre Entsagung kaum begreifen. Ja, einen Augenblick lang wagte er zu glauben, Clara’s Gefühl könne an Stärke dem seinigen nicht gleich sein; sie müsse ihn weniger lieben, als er sie. Das ist eine Ungerechtigkeit, deren man sich nur zu oft schuldig macht. Weil das Weib besser liebt, weil es nur an den Schmerz des Geliebten, nicht an sich selbst denkt und sich in dem Glück des Andern vollkommen vergessen kann, schilt man es kalt und tröstet sich über den Gram, den man verursacht, mit dem alten Gemeinplatz, das Weib sei leidensfähiger als der Mann. Die Schmach fühlt man gar nicht mehr, den Frauen, dem sogenannten schwachen Geschlecht, eine Stellung im Leben angewiesen zu haben, die sie von Jugend auf an Leiden und Entsagungen gewöhnt; man denkt nicht an jene schweren Stunden, in denen sie genöthigt sind, sich zu beherrschen, wenn ihr Herz gepeinigt wird. Wer sieht die Thränen, die oft aus der innersten Seele hervorbrechen möchten, während ein Männerarm die schöne Gestalt umschlingt und mit ihr durch die fröhlichen Reihen des Walzers dahinfliegt? Ihr seht nur die schimmernden Thautropfen auf dem Rosenkranz in ihren Locken, nur die Perlen, die den schönen Nacken zieren, und ahnet nicht, daß hinter dem feuchten Blau des Auges, das Euch entzückt, Perlen und Thautropfen glänzen, viel kostbarer und reiner, als der Tand, den Ihr bewundert. Ihr preiset das süße Lächeln des holden Mundes, der nur zu oft traurig lächelt über ein Dasein, das so grelle Gegensätze in sich schließt. Kommt dann Einer einmal zu der Erkenntniß des Schmerzes, den solch ein heiteres Frauenantlitz birgt, dann schreit er über die Verstellung, die Unwahrheit des Geschlechts, und vergißt, daß Jeder, der ein Mädchen traurig sieht, ohne sich zu bedenken, auf eine unglückliche Liebe schließt und mit roher Hand das stille Geheimniß an das Licht ziehen möchte. Ein Frauenherz, in dem einmal der Strahl wahrer Liebe gezündet, erkennt seinen Besieger in dem Manne, fühlt sich ihm unterthan, als Sklavin seines Willens, und möchte doch aus angebornem Schamgefühl nicht dem Auge jedes Ungeweihten die Fessel zeigen, durch die es gebunden wird, die oft blutig drückt, und selbst zerbrochen, unvertilgbare Narben zurückläßt. Geliebt werden ist das Ziel der Frauen. Ihr Ehrgeiz ist Liebe erwerben; ihr Glück Lieben, und die Liebe, nach der sie gestrebt, nicht erlangen zu können, unglücklich lieben, eine Kränkung, welche nur die edelsten Frauennaturen ohne Schädigung zu tragen vermögen. So beruht die ganze Entwickelung der weiblichen Seele auf dem Verhältniß zum Manne; und man darf das Weib nicht der Falschheit anklagen, wenn es den geheimnißvollen Proceß seines geistigen Werdens schamhaft der Welt verbergen möchte. In der ganzen Natur schreitet die Entwickelung so mystisch verhüllt vor, daß wir fast überall nur das Fertige erblicken, ohne uns über das Werden Rechenschaft geben zu können. Warum verlangt man es denn anders von den Frauen? Es mag den Mann stolz machen, die sichtbare Vorsehung des Weibes zu sein; zu fühlen, daß Glück und Unglück ihm aus seiner Hand kommt; aber es sollte ihn auch Mitleid und Schonung für die Armen lehren, die echt biblisch die Hand küssen, welche sie schlägt. Man hat sich nicht zu wundern, wenn einst die Stunde kommt, in der das Weib gleichen Schmerz mit dem Manne zu tragen berufen ist, es ruhig in liebender Ergebung zu finden, wo der Mann gegen das Schicksal tobt, so lange er die Möglichkeit begreift, ein besseres Loos zu ertrotzen.

Das Letztere war denn auch Eduard’s Fall, der nicht allein die Geliebte verlor, sondern der aufs Neue glaubte eine Unbill rächen zu müssen, die man an ihm, an seinem Volk begangen. Er haßte in der ersten Leidenschaft des Schmerzes die Welt, die noch immer in stumpfer Gefühllosigkeit Recht und Wahrheit verhöhnte. Seine Phantasie erschrak vor keiner noch so gewaltsamen Maßregel, welche ihn zum Besitz der Geliebten, zur Erlangung seines guten Rechtes führen konnte. Dann, als der erste Sturm vorüber war, las er Clara’s Brief aufs Neue und verstand die Schönheit einer Seele, die so zu entsagen vermochte. Er konnte die Zeit nicht erwarten, in der es ihm vergönnt sein würde, sie wiederzusehen, und durfte doch nicht wagen, den ersehnten Augenblick herbeizuführen, ehe sie ihn dazu berechtigte. Sein Herz war noch tief erschüttert, als sein Geist schon wieder zu seiner Klarheit gelangte und sich an einem Gedanken mächtig emporrankte. Um sein Glück war es geschehen, sein Leben hatte man der reinsten Freuden beraubt; darum fühlte er den Muth, Alles von sich zu werfen, sein Vaterland, seine Aussichten für die Zukunft, selbst seine Freiheit, wenn es sein mußte, um damit das Einzige zu erkaufen, das noch Werth für ihn hatte: die bürgerliche Gleichstellung seines Volkes. Diese Idee gab ihm die nöthige Kraft, noch an demselben Tage vor seinem Vater zu erscheinen und ihm zu verkünden, er habe das Spiel verloren, auf das er alle seine Hoffnungen gesetzt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Jenny