Jean Paul in Coburg.

Die Gartenlaube, illustriertes Familienblatt.
Autor: Hofmann, Friedrich, Erscheinungsjahr: 1873
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Am 21. März dieses Jahres feiert ganz Deutschland das hundertjährige Geburtstagsfest eines seiner größten Dichter und Schriftsteller, Jean Paul Friedrich Richter’s. Wird die Dankbarkeit der Nation diese Feier überall hervorrufen, wo der Geist des unsterblichen Mannes seine Saat ausstreute, so werden zu einer ganz besondern Festlichkeit sich diejenigen Orte berufen fühlen, in welchen der Gefeierte selbst geweilt, und wo sich noch eine Erinnerungsstätte an ihn erhalten hat. Zu diesen Orten gehört auch Coburg.

Jean Paul siedelte im Frühjahr 1803 von Meiningen und Hildburghausen, dessen Herzog ihm den Legationsrats-Titel erteilt hatte, nach Coburg über. Hier verlebte er einen so schönen und glücklichen Sommer und Herbst, daß seine edle Gattin und er sich noch in späteren Jahren gern dieses Aufenthalts erinnerten, und für diese ganze Zeit hat ein freundliches Geschick mir den treusten Berichterstatter gegeben – in meiner Mutter. Sie war, damals fünfzehn Jahre alt, von Jean Paul’s Gattin als Dienstmädchen ins Haus genommen worden, und sie blieb bei der Familie bis zu deren Abreise nach Baireuth.

Einem Jean Paul gegenüber ist die Bemerkung wohl kaum erlaubt, daß seine Persönlichkeit und sein ganzes ungewöhnliches Wesen auch der einfachsten Auffassung als etwas Besonderes erscheinen mußte, das bis ins Einzelne sich zu unvergesslichen Erinnerungen einprägte. So erging es auch meiner Mutter. Kein Ereignis ihrer Jugend regte sie noch in den spätesten Jahren so freudig auf, als wenn sie von „Jean Pauls” erzählte und von den mancherlei „Wunderlichkeiten des guten Herrn”. Vermochte sie auch nie die eigentliche wahre Größe des Mannes zu würdigen, da ihrem Lebensgang, wie dem so vieler Millionen im armen Volke, der Blick zu den geistigen Schätzen des Lebens verschlossen blieb, so galt ihr doch der Mann als „etwas gar Seltsames unter den Menschen”, und was sie von ihm erzählte, zeugt ebenso für ihre richtige Auffassung und ihr rein natürliches Gefühl für das Große und selbst für das Dichterische, wie es auch Jean Paul’s vollkommen würdig ist. Davon möge nun hier nur das Folgende, als dem vorliegenden Zweck entsprechend, seine Stelle finden.

Jean Paul wohnte in Coburg in dem später sogenannten Prätorius’schen Hause in der Gymnasiumsgasse. Wie er aber stets für sein geistiges Schaffen während der schönen Jahreszeit auf eine freundliche Stätte in der freien Natur bedacht war, so hatte er mit seinem feinen Naturkennerauge bald auch in der reizenden Umgebung Coburgs das rechte Fleckchen für sich herausgefunden: das Gartenhaus auf der vordern Koppe des sogenannten Adamiberges. Wie später von Baireuth aus in die Rollwenzelei, so pilgerte er jeden Morgen von Coburg aus zu dieser Höhe. Im grauen Rock, eine Blume im Knopfloch, eine Mappe unterm Arm, den Stock in der Hand, auf dem Haupt die Mütze mit dem großen Schild , so sah man ihn den regelmäßigen Gang am Morgen dahin wandeln. Eine größere Mappe, einige Bücher und das Frühstück trug ihm, stets etwas später, meine Mutter nach. Bisweilen ließ er sich Mittags auch das Essen auf seinen Berg bringen. Erst gegen Abend stellte sich die Familie ein. Dann begann die Lust mit den Kindern, dann flossen ebenso schöne Lehren und Geschichten von seinen Lippen, als er in Scherz und Neckerei übersprudelte, da war er ein frommer sorglicher Vater und ein fröhlicher Mensch zugleich und glücklich in der herrlichen Fülle seines Herzens.

Als eines Morgens meine Mutter mit der vollen Mappe zu ihm ins Gartenhaus trat, wo er an seinem Schreibtische saß, rief er ihr entgegen: „Liesle! (bekanntlich unsere fränkische Abkürzung des Namens Elizabeth) Weißt Du, was Du jetzt unterm Arm getragen hast?” – Nein, Herr Legationsrath! – „Siehst Du, wenn Du’s gewusst hättest, wärst Du am End’ davor erschrocken.” I gar! Warum denn? – „Nu merk’ auf (Er öffnete die Mappe, in welcher viele große und kleine beschriebene Blätter und Papierschnitzel zum Vorschein kamen.) „Du hast ein ganzes Gewitter unterm Arm getragen. Siehst Du, die kleinen Blättle, das sind lauter Blitze, und die großen, das ist lauter Donner. Nu merk’ auf! Wenn Du die Mappe einmal fallen lassen solltest und der Wind jagt Dir die Blätter fort, so springe nur ja nach den kleinen, die raffe nur alle zusammen, die großen kannst Du fliegen lassen. Denn, siehst Du, den Donner, den mach’ ich selber und den kann ich immer machen, aber die Blitze kommen vom Himmel, und die kommen nicht wieder, wenn sie einmal fort sind!”

Das Gewitter, welches meine Mutter unterm Arm getragen, hat später mächtig über Deutschland gedonnert und in vielen Herzen eingeschlagen: es war das Manuskript zu den „Flegeljahren”, das Jean Paul zum größten Theil in dem Gartenhäuschen auf dem Adamiberg vollendet hat.

Noch heute steht das alte Gartenhaus unterm Schatten seiner nachbarlichen Bäume. Es wäre schön, wenn es erhalten würde und wenn der 21. März dieses Jahres Veranlassung böte, auch auf dieser Stätte des großen deutschen Geistes zu gedenken, der sie für alle Zeit geweiht hat. Eine Gedenktafel würde diese Geburtsstätte der „Flegeljahre“ am besten vor der Vernichtung schützen und sie zu einem lieben deutschen Wallfahrtsorte erheben, wie ein solcher aus so manchem einst unansehnlichen und stillen Dichterasyl geworden ist.