Jamunder Hausindustrien

Mit Hausbau und Tracht, zumal der hochzeitlichen, scheinen dem oberflächlichen Besucher die Besonderheiten der Jamunder erschöpft; wir dringen tiefer, durchkramen Kisten und Kasten, selbst der oberste Boden ist nicht vor uns sicher, und da zeigt sich nun, dass sich die Eigenart der Bewohner dieses vergessenen Winkels noch weit mehr in den bei ihnen üblichen Hausgewerben ausspricht. Die Frauen verstanden sich nicht nur darauf, das aus dem selbst gezogenen Flachs gesponnene Garn, die von den selbst gezüchteten Schafen gewonnene Wolle auf dem Webstuhl und dem Webebrettchen zu kunstvollen Geweben zu verarbeiten, sowie geschmackvolle Stickereien, Näh- und Strickarbeiten zu verfertigen; wir begegnen auch Spitzen, Filet guipure und Point lace von Hausmacher-Arbeit. Die Jamunder Männer entwickelten nicht minderen Geschmack in der Herstellung von Flechtwerk und Schnitzereien, selbst im Kunstguss versuchten sie sich: ihre Leistungen im Farbenmischen und Malen endlich sind noch heute für bäuerliche Verhältnisse geradezu erstaunlich.

Es versteht sich von selbst, dass es bei den angeführten Hausgewerben weniger die Herstellungsweise sein kann, welche sie im Gegensatz zu dem übrigen Pommern als spezifisch jamundisch erscheinen lässt. Nicht auf die Technik kommt es hier an, sondern auf die Ornamentik, deren Wert für die Bestimmung der Stammesunterschiede der einzelnen deutschen Stämme überhaupt bisher viel zu wenig gewürdigt worden ist. Wir gehen im folgenden auf die Ornamente in den oben angeführten Jamunder Hausindustrien über. Dass dabei der bildlichen Darstellung ein größerer Spielraum gelassen werden muss, wird, hoffen wir. dem Leser und noch mehr den freundlichen Leserinnen nicht leid sein ; denn die große Mehrzahl der gebotenen Proben weist so geschmackvolle Muster auf, dass sie sicherlich selbst dessen Herz und Auge erfreuen werden, der sonst nicht volkskundlich zu empfinden und zu sehen gewohnt ist.


Gewebe. Wenn wir mit den Geweben beginnen, so stellen wir dasjenige unter den Jamunder Hausgewerben voran, welches am wenigsten besonders charakteristische Merkmale anderen Gegenden gegenüber aufweist. Die bei der Beschreibung der einzelnen Trachten genannten Kleidungsstücke zeigen als Muster im besten Falle mehr oder minder breite, verschieden gefärbte Streifen, wie sie auch sonst bei der bäuerlichen Bevölkerung Deutschlands gefunden werden. Die auf dem Webebrettchen (siehe die Abbildung Fig. 12 a und b) mit der Nadel gewirkten Borten sind zu schmal, als dass sich auf ihre Ornamentierung, wie das z. B. in Litauen, Mönkgut und Nordfriesland der Fall ist besondere Sorgfalt hätte verwenden lassen. Von einigem Interesse ist es, dass ein in dem Besitz des Museums für Volkstrachten befindlicher Bettvorhang von unzweifelhaft echt jamundischem Ursprung Zeugnis dafür ablegt, dass die Bäuerinnen ihrer Zeit Bedeutendes in der Kunstweberei geleistet haben müssen. In weißer Farbe sind auf blauem Grunde die fünf Sinne kunstvoll eingewirkt. Dieselben werden folgendermaßen dargestellt:

Das Fühlen: Eine Frau in vornehmer Kleidung hält auf der erhobenen Linken ihr Federspiel (Falken oder Papagei), während die Rechte den mit Speichen versehenen Reifen trägt. Im Hintergrunde ein Schloss.

Das Riechen: Dieselbe Dame steht in einem Blumengarten und erquickt sich an dem Geruch einer abgebrochenen Blume.

Das Schmecken: Die Dame befindet sich inmitten reich mit Früchten beladener Obstbäume und verspeist einen Apfel.

Das Sehen: Die Dame hat in der Linken einen Spiegel und schaut hinein; in der Rechten ruht ein Fernrohr. Im Hintergrunde eine Stadt.

Das Hören: Die Dame spielt in einem Walde die Laute; ein Hirsch ruht zu ihren Füßen und lauscht dem Saitenspiel.

Stickereien. Näh- und Strickarbeiten. Hinsichtlich der Ornamentik der Stickereien muss zunächst auf das Blattmuster Fig. 4 verwiesen werden, mit dem die Brauttaschentücher geziert sind. Auch die mit farbiger Seide auf schwarzes Tuch gestickten Frauenhandschuhe (s. Tafel II) zeigen Blätter und Blumen. Die Darstellung ist aber eine so primitive, dass auf den ersten Blick hervorleuchtet, wie Blätter und Blumen, mit Ausnahme der Tulpen. Herz-, Stern- und Rad-Ornamenten ihren Ursprung verdanken. — Was die Näharbeiten betrifft, so kommen dabei der Frauenkragen mit dem Hühnerfuß (S. 86), der Hemdenpass (Fig. 3) und das sauber mit Schlangenlinien und Perlstäben (Hohlsäumen) ausgenähte Plünnerdauk (S. 86 und die Abbildung des Musters auf Tafel III) in Betracht. Bei allen dreien haben wir es mithin mit Linienornamenten zu tun. — Dasselbe ist bei den Strickarbeiten, den Strümpfen (S. 88) und Handschuhen (Fig. 5 und 6) der Männer, der Fall.

Spitzen, Filetguipure und Point lace. Selbst gearbeitete Spitzen sind, soweit sich das heutigen Tages feststellen lässt, in Jamund nur als Haubentücher (für die Hauben der Frauen und den Plünner der Konfirmandinnen) verwandt worden. Die Kunst des Klöppelns war nicht bekannt *); was von geklöppelten Spitzen in Jamund getragen wird, ist in der Stadt gekauft. Die echten Jamunder Spitzen gehören zu den sogenannten genähten Spitzen. Die Arbeit derselben ist von großer Feinheit und so mühselig herzustellen, dass die alten Jamunderinnen nicht oft genug versichern können, wie sie viele Wochen dazu gebraucht hätten, um nur ein einziges Stück anzufertigen. Die Ornamentik dieser Spitzen vergleicht sich ganz derjenigen der oben beschriebenen Handarbeiten; eine Probe davon bietet Fig. 7. — Die Jamunder Filet guipure- und Point lace-Arbeiten werden durchweg als Einsätze für die Büren (Bezüge) der Kopfkissen benutzt.

      Fig. 7. Muster einer Jamunder genähten Spitze, 1/3 natürl. Größe.

Um die Muster besser hervortreten zu lassen, legen die Bäuerinnen roten Stoff unter die Einsätze. Bei der Herrichtung des Brautbettes wird zu gleichem Zwecke ein blauer Untergrund geschaffen; um die Wirkung zu erhöhen sind in diesem Falle die Einsätze in zwei Farben, weiß und rot, gearbeitet, während die Muster für gewöhnlich auf weißem Filetgrund von ½ - 8/4 cm Quadrat-Größe mit weißem Garn in Durchzug-Arbeit und Phantasie Stich durchgeführt sind. Bei den Filetguipure-Einsätzen (siehe Tafel III die 6 Muster der oberen Hälfte) treten neben den scharf und klar ausgeführten geometrischen Ornamenten auch figürliche Darstellungen von Menschen und Vögeln (Tauben) hervor. Die Ausführung ist jedoch so eckig, dass sich unschwer die Mittelglieder finden lassen, welche den Übergang von der geometrischen Figur zum Menschen, zum Vogel bewirkt haben. — Der Point lace Einsatz, Fig. 8, zeigt ein formvollendetes Blumen- und Blattmuster und ist als eine Weiterentwicklung des Tafel II abgebildeten gestickten Handschuhmusters zu betrachten.

      Fig. 8. Jamunder Büreneinsatz in Point lace, 1/7 natürl. Größe.

*) S. 86, Zeile 23 steht irrtümlich „aus selbst geklöppelten Spitzen“; es muss heißen „aus selbst genähten Spitzen“.
007 Muster einer Jamunder genähten Spitze, eindrittel natürl. Große

007 Muster einer Jamunder genähten Spitze, eindrittel natürl. Große

008 Jamunder Büreneinsatz in Point lace, einsiebtel natürl. Größe

008 Jamunder Büreneinsatz in Point lace, einsiebtel natürl. Größe

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