Jamund bei Köslin - Mit Berücksichtigung der Sammlungen des Museums für deutsche Volkstrachten und Erzeugnisse des Hausgewerbes zu Berlin.

Aus: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 1890. 1. Jahrgang
Autor: Von Ulrich Jahn und Alexander Meyer Cohn., Erscheinungsjahr: 1890

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Pommern, Jamund, Köslin, Cöslin, Volkstrachten, Volkskunst, Ostsee, Hinterpommern, Fischer, Bauern, Dörfer, Höfe, Bauernhöfe, Sagen und Märchen, Jagd, Seejungfern, Juelkes, Volksglauben, Aberglauben, Glauben, Hexenwesen, Spuk, Landvolk, Sitten und Gebräuche, Tradition, Lebensweise, Zwerge, Unterirdische, Friesen, Mönkgut, Rügen
Das im Herbst des Jahres 1889 in Berlin unter dem Vorsitz Rudolf Virchows eröffnete Museum für deutsche Volkstrachten und Erzeugnisse des Hausgewerbes (C, Klosterstraße 36) birgt unter sonstigen Schätzen auch eine komplette Sammlung von Bauernaltertümern aus zwei hinterpommerschen Ortschaften, dem schon in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts urkundlich erwähnten Kirchdorfe Jamund und der Nachbargemeinde Labus. Beide Ortschaften sind infolge ihrer geographischen Lage seit alten Zeiten durchaus auf einander angewiesen. Ihre Feldmarken stoßen zusammen, und das beiderseitige Gebiet wird im Norden von dem großen, durch das sogenannte Deep mit der Ostsee verbundenen Jamunder See bespült. Im Osten bildet die Grenze der Labuser Feldmark der Nestbach, welcher bei dem Dorfe Seidel entspringt, bei dem Städtchen Zanow die Polnitz und den Horstbach aufnimmt und dann in den Jamunder See fällt. Ebendahin ergießt sich im Westen des Jamunder Gebietes der Köslinische Mühlenbach, der aus dem See bei dem Dorfe Bonin kommt und durch die Stadt Köslin fließt. Auf diese Weise von drei Seiten durch einen großen See und die brüchigen Ufer zweier Küstenflüsse von dem Verkehr mit der übrigen Welt abgeschnitten, blieb den Jamundern *) nur der Zugang nach dem Süden, nach Köslin zu; und auch da gab es nur eine Straße, die obendrein, nach Versicherung alter Einwohner, ehemals durch Wald und Bruch führte und nur in trockenen Sommern oder bei Frostwetter ohne Beschwerlichkeit zu benutzen war. Bei solcher Lage der Dinge erscheint es natürlich, dass die Jamunder nur mit einander verkehrten, nur in einander heirateten und dass sich in diesem vergessenen Winkel trotz der geringen Anzahl von 568 Einwohnern, welche noch in den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts in nur 106 Häusern darin wohnten, alte Art und Sitte in hervorragendem Masse erhalten haben.

Am wenigsten ist dies noch an dem Volksglauben und der Sage zu merken, welche in Jamund mehr in den Hintergrund zu treten scheinen, als sonst auf dem Lande in Hinterpommern. Immerhin sind dieselben auch dort noch nicht erloschen. Die alten Leute wissen von ihren Eltern her, oder wollen gar selbst in ihrer Jugend erlebt haben, dass die wilde Jagd über den Jamunder See durch die Lüfte zog, wenn die Fischer in der Nacht bei den Reusen beschäftigt waren. Fürchterlich ließ sich das Heulen der 4 Hunde vernehmen, und deutlich sah man, wie ihnen die Flammen aus dem Rachen schlugen. Als Richtung, in welcher die wilde Jagd zog, gilt auch hier die Milchstraße, die deshalb den Namen „Wildbån“ erhalten haben soll.

Ebenfalls verblasst hat sich die Erinnerung an die Bewohner des Meeres (Seejumfre) und die Zwerge erhalten. Letztere werden, abweichend von den Dörfern umher, nicht Unnerêrdschen, sondern Juelkes genannt, eine Namensform, die sich den Ulken, Umken, Öllerken, Üllerken, Öllekes, Üllekes vergleicht, wie die Zwerge im Kreise Grimmen, einem Teil des Randower und Greifenhagener Kreises, im Weizacker, im Saatziger und z. T. auch im Regenwalder Kreise heißen **). In Jamund bezeichnet man als ehemaligen Wohnort der Juelkes einen jetzt abgetragenen vorgeschichtlichen Grabhügel, den Juelkesbârch. Dabei lag früher ein Teich, der Juelkesdîk. Es sollen freundliche Leutchen gewesen sein diese Juelkes. Ihre Nahrungsmittel besorgten sie sich in dem letzten Jamunder Bauerhofe auf dem Wege nach Labus zu.

*) Wenn von „Jamundern" schlechthin gesprochen wird, sind die Labuser stets mit einbegriffen.
**) Vgl. Näheres darüber bei Jahn, Volkssagen aus Pommern und Rügen. 2. Aufl. Berlin. 1890. S. 49 ff.


Noch klarer erinnert man sich des Kobolds, der in Übereinstimmung mit dem Volksglauben in dem übrigen Hinterpommern die Namen Dråk, Alf und Rôdjackte führt und wie ein feuriger Wiesbaum durch die Lüfte fährt, schwer mit Korn oder Geld beladen, das er für seinen Herrn stiehlt. Auch in Jamund selbst hat der Alf vor Zeiten Unheil gestiftet. Zwei Höfe lagen einander gegenüber. Der eine Besitzer war reich, der andere arm, und schuld an diesem Missverhältnis war niemand anders, als der Alf. Das wollte der reiche freilich nicht Wort haben; aber der arme hat es ihm klipp und klar bewiesen. Anstatt des Kornes legte er seinen Pferden eines Abends Disteln vor; und richtig, ehe eine Stunde verging, waren die Krippen leer. Geschwind eilte er mit guten Freunden auf die Hoflage des Reichen, hinein in den Pferdestall, und siehe, da standen die fetten Tiere allesamt da und Hessen den Kopf hängen; denn in den Krippen lagen Disteln, nichts als Disteln.

Während wilde Jagd, Seejungfern, Juelkes, Alfe von den Jamundern selbst in das Reich der Sage verlegt werden, so ist der Glaube an die Nachtmahr (Mårt) auch bei gar manchem von ihnen noch lebendig. Die Mårt ist nach ihrer Meinung ein Mensch, meist ein Mann, seltener eine Frau, der von Geburt an oder durch ein Versehen bei der Taufhandlung dazu verdammt ist, bei Nachtzeit seinen Körper zu verlassen und in einem Siebrand auf Reisen zu gehen, um jemand zu quälen. Es gibt verschiedene Mårten: die einen quälen einen Mitmenschen, die andern ein Pferd; diese drücken einen Eichbaum, jene einen Dornbusch; wieder andere legen sich auf das Wasser oder auf einen Stein. Gegen die Menschenmåhrt wird auch in Jamund das Mittel empfohlen, die Pantoffeln verkehrt, d. h. mit den Spitzen nach der Wand zu, vor das Bett zu stellen. Der Spuk soll dann denken, sein Opfer habe schon das Bett verlassen, und unverrichteter Dinge heimkehren. Grausamer gedacht ist ein in Jamund bräuchlicher Zauber gegen die Pferdemårt. Wenn das Fell des Tieres sich mit Schweiß bedeckt und die Haare der Mähne sich zu verflechten beginnen, so nimmt man stillschweigend einen Feldstein, legt einen der schweißigen, verwirrten Haarstränge darauf und klopft ihn mit einem zweiten Feldsteine stillschweigend ab. Nach dem Glauben der Leute ist es unmöglich, dass der Quälgeist je wieder das Pferd plagen kann; die Mårt ist eben durch das Klopfen getötet.

Auch sonst findet sich Zauberglaube genug, aber kaum etwas, das sich von dem Hexenwesen im übrigen Pommern wesentlich unterschiede. Nur ein paar Besprechungsformeln mögen hier nachgetragen werden, welche in dieser Gestalt für Pommern bisher noch nicht veröffentlicht sind:

Gegen die Rose:

            Dit is våer de Råus,
            Våer de grîs, våer de gråuw,
            Våer 't Hellen,
            Våer 't Schwellen,
            Våer 't Rîten,
            Våer 't Splîten.

Im Namen Gottes, des Vaters †, des Sohnes †
und des heiligen Geistes †.

Gegen das Heilige *):

            Alle Glocken werden gezogen,
            Alle Lieder werden gesungen,
            Das Heilige soll zergehen und verwesen.

Im Namen Gottes, des Vaters †, des Sohnes †
und des heiligen Geistes †.

Blut stillen **):

            Frisch ist die Wunde,
            Heilig ist die Stunde,
            Heilig ist der Tag,
            Wo die Wunde wird heil gemacht.

Im Namen Gottes, des Vaters †, des Sohnes †
und des heiligen Geistes †.

*) Vgl. Jahn, Hexenwesen und Zauberei in Pommern. S. 105, Nr 240
**) Ebenda. S. 65, Nr. 40; S. 67, Nr. 49 und 50.


In der Anschauung von der menschlichen Seele, ihrem Verhältnis zum Körper und ihrem Leben nach dem Tode weichen die abergläubischen Jamunder ebenfalls nicht ab von ihren Nachbarn. Wie diese glauben sie an Spukgeschichten, an Ahnungen, an das sogenannte zweite Gesicht, an Doppelgänger und dergleichen. Es tritt also (abgesehen etwa von den Juelkes — und da beschränkt sich die Abweichung auch nur auf die Namensform) im ganzen Volksglauben der Jamunder nichts spezifisch Jamundisches hervor. Desto bemerkenswerter erscheint es, dass die Leute, was Sitte und Brauch anbelangt, in vielen Punkten so hervorragende Eigentümlichkeiten zeigen, dass sie nicht nur für den aufmerksamen Forscher eine Ausnahmestellung einnehmen, sondern auch all ihren Nachbarn rings umher für einen besonderen Volksstamm gelten.

Gleich der erste Eindruck, den der Anblick von Jamund und Labus macht, ist ein auffälliger. Dicht an einander reiht sich Gehöft an Gehöft, und zwar mit einer so ausgesprochenen Hofanlage, wie kaum anderswo in Pommern; und doch trägt das Ganze nicht, wie man vermuten sollte, den fränkischen, sondern den niedersächsischen Typus. Der alte Jamunder Bauernhof bildet nämlich ein großes Viereck. Nach der Straße zu liegt eine Scheune, verbunden mit dem Durchfahrtshäuschen.

Fig. 1. Jamunder Bauernhof (Durchfahrt und Scheune).
(Nach einer photographischen Aufnahme von J. E. Stybalkowski in Köslin.)
Zu beiden Seiten schließen sich Wirtschaftsgebäude an. Dazwischen befindet sich der Düngerhof und hinter demselben, mit dem Giebel gegen den Torweg gerichtet, das rein niedersächsisch gehaltene Wohnhaus.

Fig. 2. Jamunder Bauernhof (Quergebäude und Haupthaus).
(Nach einer photographischen Aufnahme von J. E. Stybalkowski in Köslin.)

Durch ein großes Einfahrtstor, welches den Tag über durch eine niedrige Vortür, das Heck, ersetzt wird, um den Schweinen und dem Hühnervolk den Eintritt zu verwehren, gelangt der Besucher auf die Diele, deren Fußboden aus gestampftem Lehm hergestellt ist. Zur Rechten und zur Linken hat das Vieh seinen Stand; doch ist der Platz auf der einen Seite etwas verkürzt und der gewonnene Raum zur Schlafstätte für das Gesinde hergerichtet. Die Betten für dasselbe liegen in kojenartigen Verschlägen, und man gelangt zu ihnen durch die Bettlöcher, welche so hoch angebracht sind, dass eine große eichene Truhe vor ihnen Platz hat, die dann beim Zubettgehen und Aufstehen als Tritt benutzt wird. Am Ende der Diele liegt der niedrige, überwölbte Herd, von dem aus der Rauch in dichten Schwaden durch das Balkenwerk zieht, um die dort aufgehängten Schinken und Würste und Speckseiten zu räuchern und endlich im Rauchloch oder sonst wo einen Ausweg zu finden. Hinter dem Herd zieht sich eine Wand quer durch das ganze Haus und scheidet Stube und Kammer von der Diele. Der eigentliche Aufenthalt für die Familie war aber nicht da, sondern am Herd. — Vor demselben läuft quer über die Diele ein breiter starker Balken, der „Katzenbalken“; auf ihm hat allerhand Hausrat seinen Platz. — An Bodenräumen sind außer dem Hauptboden noch drei Nebenboden vorhanden. Zwei davon werden durch die Decken der Ställe, der dritte durch die Decke von Stube und Kammer gebildet. Letzterer heißt auch der Malzboden, weil man das Malz zum Brauen dort zu trocknen pflegte. — Bemerkenswert für den alten Jamunder Hof ist endlich noch, dass sich durchweg an der einen Giebelseite neben dem Einfahrtstor ein kleiner Ausbau findet, der aber von demselben Dach, wie das Hauptgebäude gedeckt wird (siehe das Bild). Darin haben die Kälber oder die Schweine ihre Stallung.

Im Laufe der Jahre sind naturgemäß an vielen Stellen Änderungen in der Hofanlage, sowie im Aufbau und der inneren Einrichtung des Hauses eingetreten; trotzdem gibt es auch heute noch in Jamund und Labus Gehöfte genug, welche die ursprüngliche Art deutlich erkennen lassen.

00 Jamund bei Cöslin

00 Jamund bei Cöslin

001 Jamunder Bauernhof (Durchfahrt und Scheune)

001 Jamunder Bauernhof (Durchfahrt und Scheune)

Landstraße bei Jamund

Landstraße bei Jamund

002 Jamunder Bauernhof (Quergebäude und Haupthaus)

002 Jamunder Bauernhof (Quergebäude und Haupthaus)

Jamund, Dorfkirche

Jamund, Dorfkirche

001 Jamunder Bauernhof (Durchfahrt und Scheune)_

001 Jamunder Bauernhof (Durchfahrt und Scheune)_

002 Jamunder Bauernhof (Quergebäude und Haupthaus)_

002 Jamunder Bauernhof (Quergebäude und Haupthaus)_