Plastik

Wesen der Plastik ist Gefühl in der Raumtiefe. Im körperhaften, dem geistigen Tastsinn antwortenden Reiz des Gegenständlichen wird der Zustand geboren, der die Beziehungen schafft zwischen Werk und Welt. Zwang, Notwendigkeit, Überzeugung muss in der Seele des Menschen aufwachen, dem es um ein Verstehen ist. Das Werk muss sprechen, nicht Schöpfer und Umwelt. Also Ausdruck, Kraft, Wille und — wenn es nicht anders sein kann — Gewalt. Von Anmut soll man erst reden jenseits dieser Grenze. Die Schönheit ist keine Spezialität bestimmter Möglichkeiten. Sie gehört dem Mutigen, dem Freien von der Kleinheit der Verbindlichkeiten, dem, der Herz und Stirn hat für ein Gefühl. Sie gehört wahrhaft dem, für den die List des geschickten, gedankenarmen Artisten nichts gilt.

Am Werdenden wird die Stärke gemessen, die einer künstlerischen Gemeinschaft eignet; denn das Große, Vollendete steht allezeit für sich. Es verleiht dem Boden, auf dem es wächst, die Unvergänglichkeit. Aber es wird höchstens geahnt an dem Kreise seiner Umwelt.


So nennen wir den Namen Hildebrand, wenn von der Münchener Bildnerei der Gegenwart die Rede ist. Als Maßstab für den losgelösten Wert der Münchener Kunst. Nicht als Maßstab für die Wertung der Künstler. Ihnen, den Starken, die den eigentlichen Boden der Münchener Plastik schufen und schaffen, soll darum nicht Unrecht geschehen. Aber Hildebrands Kunst ist die Einheit in der Vielheit, das Schwergewicht der flüchtigen Vielgestalt, das Maß und der Weg im Wollen und Vollbringen der großen Münchener Bildnerei überall, wo diese auf ihrem Boden steht. Das Antlitz der Hildebrandschen Muse schaut aus dem statuarischen München der Gegenwart. Darum, weil Hildebrands Kunst fortwährend eine neue Wirklichkeit zeugt, weil sie stark ist und vertraut zugleich. Wir lieben seine Kunst zuletzt nicht als ein Persönliches, wir lieben sie als Wert. Nicht die Werke, die er für das Monumentalbild Münchens schuf, bedingen seine Stelle in dem Werdegang und dem Gepräge der Münchener Plastik von heute; das tut das Wesen seiner Kunst.

Das plastische München der letzten hundert Jahre ist ein eigen Bild. Keiner von den Erfolgen, den Architektur, Malerei, Kunstgewerbe innerhalb dieser Zeit andauernder oder vorübergehender für sich beanspruchen durften, ist der Plastik beschert. Ein überreiches Leben, getragen von den Namen Cuvilliés, Günther, Straub und Boos, liegt voraus. Haus- und Kirchenfassade, Altar und Grabmal zeugen von einer hochentwickelten einheitlichen Kunst, die neben der Architektur und Malerei des Münchener Rokoko ebenbürtig, in manchem überragend auftritt. Dass diese frohe, festgewurzelte und temperamentreiche Art versiegen musste!

Der Architektur der Ludovicianischen Periode die Schuld daran zuzuschreiben, liegt nahe, ist aber nicht begründet. Der straffe Wille Klenzescher Genialität schenkt wohl den Aufgaben plastischer Kunst nicht mehr den breiten Raum schmuckhafter Freundlichkeit, den Rokoko und Frühklassizismus übrig hatten. Aber sonst liegt in dem künstlerischen Wesen der Frühzeit des 19. Jahrhunderts durchaus keine Absicht, die plastische Darstellung fernzuhalten. In Norddeutschland, namentlich Berlin, hat die plastische Kunst zur gleichen Zeit neben einer starken Architektur mit Schadow, Rauch und Rietschel sich als die noch stärkere Ausdrucksform der Zeitkunst bewiesen, in München ist Rauchs Denkmal des Königs Max Joseph neben der Flut Schwanthalerscher Statuen nicht gesehen worden. Ludwig Schwanthalers (1802 — 1848) mehr kräftige als glückliche Alleinherrschaft bleibt die Signatur für die stilistische Ausdrucksform der Münchener Plastik bis in die sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts. Neben ihm, Monumentalbildhauer der Ludovicianischen Zeit, kommen die wenigen und im allgemeinen nicht starken zeitgenössischen Kräfte — der einzige Konrad Eberhard (1768 — 1859) verliert sich nach großen Anfängen in der Theorie der Nazarener — nicht zur Geltung. Groß angelegt, wie sein Hauptwerk, die Bavaria, bleibt Schwanthalers Schaffen ein Mittelding zwischen lebhaftem und weitgehendem Wollen und nicht zureichender Kraft. Das positivste Ergebnis seiner Zeit für die kommende Plastik wurde die Entstehung der Münchener Erzgießerei, die unter Ferdinand von Miller (1813 — 1887) zum internationalen Betrieb aufwuchs.

Die Neugotik der vierziger und fünfziger Jahre fand in dem Tiroler Josef Knabl (1819-1881) einen mehr liebenswürdigen als begabten Künstler, der — bezeichnend für die Zeit — auf die Dauer seine eigene, nicht unbedeutende Kraft nicht von der Industrie hat freihalten können. Das erfreulichste Denkmal seiner Generation, in der die Stilretrospektive ihre verwirrenden Netze über Kunst und Meinung stärker und stärker legt, ist der Fischbrunnen Konrad Knolls auf dem Münchener Marienplatz (1865), der zwar sein bestes den Renaissancebrunnen Augsburgs oder Nürnbergs entlehnt, aber immerhin in seiner leichten, maßvollen Komposition als Monument im Platzbild seine Stelle gut ausfüllt.

Mit der bedeutenden Liebigstatue von Michael Wagmüller (1829 — 1881) ist die Wendung zum modernen Programm der Münchener Plastik zum erstenmal eindeutig vorausgesagt. Dem Schaffen seiner Umgebung weit vorgreifend bahnt dieses letzte Werk eines stark begabten Talentes wieder den Weg zur tektonischen Selbständigkeit des Standbildes an — ein Versuch, der zu seiner Zeit über dem allgemeinen Trieb zum Malerischen eine Tat bedeutet. Was das Zeitalter König Ludwigs II. an plastischen Aufgaben der Münchener Kunst sonst zu geben vermochte, war dem Umfang nach reich genug, nicht aber in seinem Wert. Durch die Wiederbelebung barocker Formanschauungen erwuchs der im Malerischen reichlich gesättigten Generation der Bildhauer noch eine weitere Gefahr zum Aufgehen im dekorativ Wirkungsvollen. Das Dekorative war von jeher eine Versuchung auf dem Münchener Boden. In den achtziger und neunziger Jahren drohte das malerische Element die Gewaltherrschaft an sich zu reißen. Hildebrand ist die Rückkehr zur Tektonik.

Hildebrands Kunst ist von Anfang beständiger als der Tag. Denn wir finden in seinem Schaffen keine Entwicklung. Ich meine Entwicklung in dem Sinne, der eine zusammenzählende Vermehrung von Eigenschaften begreift. Man bedenke: der Schöpfer der Lunette (Familienrelief) — der Zeitgenosse von Böcklin und Hans v. Marées — und der Meister des Reliefs der Gertrud Schuster-Woldan. Lange Jahre liegen zwischen beiden Werken. Ungezählte Möglichkeiten hat die bildende Kunst inzwischen erlebt. Nur hier unverrückt ein Ausdruck, eine Form, ein Wille. Eine Form, die vielleicht noch mehr ins Reich des Geistigen hinabtauchte.

Man sagt, der Wert der Kunst liege in der verklärten Abspiegelung des Lebensgefühls der Zeit. Fragt sich nur: Was eignet der Zeit? Wirklichkeit, selbst bis zur Aktualität gesteigerte, braucht darum nicht auszuscheiden aus dem Kreis dessen, was erstrebt und gewünscht werden kann und darf. Künstlertum heißt auch Mittler sein für Verbindlichkeiten, die über heute und gestern gelten. Temperamentvolle Gestalter haben zu jeder Zeit ihr Eigenstes gegeben durch die Sprache des Tages. Ein Beispiel: erinnern wir uns des Bildschnitzers Hans Leinberger von Landshut, des stärksten Bändigers des pathetischen Faltenstils in der altbayerischen Spätgotik. Weder hat Leinberger solche Zeitform erfunden, noch ging er ihr aus dem Wege; gerade er holte aus dem Wortschatz seiner künstlerischen Umwelt den Wohllaut und die stürmische Kraft seiner Formsprache.

An der Schwelle zwischen Impressionismus und Ausdruckskunst fällt es allerdings schwer, von Zeitstil reden zu wollen. Wer auf der Erde steht, kann nicht ihren Glanz am gestirnten Himmel schauen. Die Zusammenhänge zwischen gestern und morgen werden erlebt, nicht betrachtet.

In Hildebrands Werken liegt ein starkes Sich-Besinnen, ein ruhend Maß ewig gleicher Form, wie es nur jenseits des Talentes geboren wird.

Eine Zusammenfassung der Münchener Plastik der jüngsten Vergangenheit will in diesem Rahmen weder Prüfung sein noch Nachruf. Eher ein Eindruck, wie man ihn empfangt, wenn man zum erstenmal eine Kunstausstellung betritt. Man fragt nicht, was der eine oder der andere Künstler bedeuten wird, sondern was anreizend ist an dieser Kunst überhaupt. Welches die treibenden Kräfte sind und welches der Weg durch die Vielheit der Einzelerscheinungen. Dass es sich im ganzen um eine organische Einheit handelt, ist eine selbstverständliche Voraussetzung, die nicht gesagt werden sollte.

Mit dem letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts stellt sich die Münchener Plastik auf neue Ziele ein. Ein starkes Lernen an alter Kunst, das im Kreise um Gedon zu Hause ist, tritt mit der alten Aufgabe plastischen Sehens wieder in engeres Verhältnis: Relief und Einbildigkeit heißt die Note, die dem Rokoko und Frühklassizismus seine sichere Stellung in der Bildnerei anwies. Dementsprechend wird die Zahl an Standbildern geringer, das Schaffensbereich der Schmuckplastik größer. Mit Pruska führt der Weg zur modernen dekorativen Plastik Münchens, wie sie heute Seidler am stärksten pflegt. Diese Richtung verdient besonderer Beachtung, weil mit ihr ein stark eigenes und bodenständiges Talent vorbildlich für weite Kreise über München hinaus geworden ist. Der Aufstieg zur plastischen Schmuckform in der Architektur, in der angewandten Kunst, wie ihn die letzten zehn Jahre zeigen, ist kein müheloser; mit ihm wurde ein vielversprechendes Stück Arbeit geleistet. Das zeigt ein Vergleich zwischen der Architekturplastik des Maximilianstils und den Figuren Wrbas. Das zeigt endlich eine so in sich abgeglichene und bis in die Spitzen ihrer Oberfläche empfundene Kunst wie die Wackerles. Mit Wackerle hat die artige Schmuckfreudigkeit dekorativer Auffassung eine Höhe der Richtung bestiegen, wie sie nur ein sicherer Gestalter beschreiten kann und darf.

Das alles möchte den Eindruck erwecken, als ob die Münchener Plastik von dem Mittelpunkt bildnerischer Notwendigkeit, der Monumentalplastik, abgerückt sei. Wenn der Begriff monumentaler Kunst mit Dimensionen zu umschreiben wäre, dann müsste die Frage vielleicht bejaht werden. Einer durchaus in intimen Anschauungen aufgewachsenen Kunst ist die Kraft der verallgemeinernden Abstraktion nicht gegeben. Insoweit ist ein Weniger an monumentalen Eigenschaften an der modernen Plastik Münchens zuzugestehen. Nicht zu vergessen, dass hier ein Mangel der Zeit überhaupt vorliegt, die das Problem rein plastischer Auswertung des Begriffes vom Helden kaum einmal in Erwägung zieht. Aber es bleibt abzuwarten, was sich vorbereitet.

Erste und letzte Aufgabe der Figuralplastik von heute ist das Porträt, Porträt im weitesten Sinne vom Standbild bis zum Bildnisrelief der Medaille. Das Porträt bedeutet dem Bildhauer etwa das, was der zentrale Innenraum dem Architekten. In Kulturen, wo der Raum keine greifbare Gestalt annimmt, wird das Porträt kein Problem. Etwa in der Gotik. Das Porträt zwingt den Künstler zum Persönlichen. Je mehr das Menschliche, Erdengeborene zum Maß der Dinge wird im Ethos einer Zeit, umso höher steigt die Kunst des Porträts. Sie entwickelt sich in Zeiten der Ruhe. Der Gegensatz dazu ist der Typus. Das Typische wird geboren in den Zeiten der Unruhe, in den Zeiten der Rassenmischungen von Gedanken und Menschen. Persönlichkeit heißt: Ausdehnung, Fläche, Raum — , Typus: Richtung, Tiefe, Zeit.

Auch im Bereich des Porträtartigen selbst ist der Dualismus zu verfolgen. Pole heißen hier: Monument und Büste oder weiter gefasst: Rundbild und Relief. Letzten Endes sind es die Gegensätze: tektonische oder zeichnende Gestaltung. Eine Epoche der Malerei wird in der Plastik notwendig eine Epoche des Reliefs, der Büste. Das gilt von der Gegenwart, jedenfalls von der jüngst vergangenen.

Wir legen nicht umsonst heute so großen Wert auf Silhouette und Flächenwirkung, so besonderen Nachdruck auf die Form und auf den letzten Reiz beruhigter und bewegter Flächen in einem Wechselspiel, dessen Zusammenhänge dem ausgeglichenen Empfinden entgegenkommen. Starke, gefühlsmäßig empfundene Kontrapunktistik bedeutet die andere Hälfte dieser Art künstlerischen Sehens. Ich denke, um ein Gleichnis zu gebrauchen, an den Wittelsbacher Brunnen Hildebrands und die Pylonen mit den Löwen Bleekers vor dem Polizeigebäude Fischers. Unser Empfinden ist, wie der Impressionismus überhaupt, im Grunde ein Vorgang, der zu den Verkörperungen klassizistischer Auffassung zählt, vielleicht die letzte.

Wer die Summe aus den gegensätzlichen Werten dieser Plastik finden will, der stelle Künstler wie Hermann Hahn und Bernhard Bleeker nebeneinander. Bilder der Ruhe und Bilder des Temperaments, aber beide eingespannt in den einheitlichen Rahmen einer strengen Formgerechtigkeit. Bei Hahn der gleichzeitig klare und verblüffende Vortrag vom Schlag des geistvollen Journalisten, bei Bleeker das aufwühlende gespannte Gestalten des Dichters. Die Parallelen dieses Dualismus von Form und Bewegtheit ließen sich noch weiter ziehen durch das ganze Gefüge figürlicher Bildnerei. Und lediglich das will mit den genannten Namen gesagt werden.

Dass die Schmuckplastik die selbständigsten Eigenschaften besitzt neben den zwei Schwestern Figuralplastik und Kleinkunst, erklärt sich aus dem Wesen unserer Architektur. Der Schmuckplastik kommt am stärksten zu gut, dass die Münchener Architektur zuerst von allen Ausdrucksformen künstlerischer Betätigung ihren eigenen Boden gefunden und erobert hat. Das, was Hildebrand als erster wieder von der Plastik forderte: das Besinnen auf die Einheit der Grenzen ihres Wesens. Die Irrwege einer unklaren Sensation vom Malerischen wurden in der Architektur rascher auf die gerade Bahn des Werkhaften, Tektonisch-Wahren zurückgelenkt. Der gesunde und gerade Sinn und der frische, heiterlaunische Zug an der Schmuckplastik gibt den besten Beweis dafür, dass sie von guter Heimat ist. Man darf nur überschauen, was Floßmann, Kurz, Düll-Pezold, Bradl, Heilmaier u. a. im letzten Jahrzehnt für unsere Brücken und Brunnen arbeiteten, man braucht sich nur der Namen Killer, Resch, Römer, Albertshofer, Seidler zu erinnern an unseren öffentlichen Gebäuden und Wohnhäusern.

Ornamentale Vielseitigkeit gehört zu den negativen Eigenschaften impressionistischer Kultur. In diesem Märchenreichtum der Schmuckformen liegt gleichzeitig das verlockend Gefällige und betörend Einleuchtende stetiger Neuheit. Eine vergängliche Welt des Geschmacks für den Tag. Das ist nicht zu vergessen. Aber, dass daran gegenüber der Münchener Schmuckplastik erinnert werden darf, halte ich für den besten Beweis ihrer Kraft. Sie ist keine Festdekoration, obwohl München die Stadt der Festdekorationen ist. Und das dankt sie ganz der Tektonik.

Zur Beurteilung des inneren Wesens der Schmuckplastik muss auf den lang geforderten Lehrsatz neuzeitlicher Tektonik von der Gegensätzlichkeit architektonischer Masse und plastischer Zierform zurückgegriffen werden. Die Aufgabe des Bildhauers ist damit wieder auf ihre eigensten Füße gestellt worden. Verinnerlichung, Stärke persönlicher Formsprache, Vertiefung bildnerischer Symbolik wurden kraftvoll und lebendig heraufgehoben. Aber — was gleichfalls gesagt sein will — auf der anderen Seite dieser Lehre steht die blutlose Gefälligkeit, die — sehr zu Unrecht für das Kunstgewerbe, aber bezeichnend für unsere Zeit — sogenannte „kunstgewerbliche“ Dekoration. Das richtige Maß und Verhältnis von Bau und bildnerischem Schmuck moderner Prägung im Sinn der dargelegten Meinung zeigt etwa der Neubau des Polizeigebäudes.

Das Geltungsbereich unserer Schmuckplastik wäre nur unvollkommen umschrieben, wollte man von der Christlichen Kunst schweigen. Schließlich ist gerade letztere, die notwendig mit Umschränkungen hart an der Sphäre des absichtlich Bestimmten arbeitet, ein Wertmesser objektiver Schätzung. Ornamentale Auffassung und traditionelle Bindung sind auf diesem Boden mehr als eine eigenwillige Laune Um streng wahr zu sein: die konventionelle Furcht und Scham vor dem Gefühl ist Zeitkrankheit, nicht gelegentliche Erscheinung Christlicher Kunst. Wo diese auf mehr neutralen Boden steht, wie bei der Grabmalskunst, hat sie sich mit gutem Recht den Ruf vorbildlicher Geltung errungen.

Gemessen am Verhältnis zwischen Werk und Betrachter kommt der plastischen Kleinkunst die günstigste Stellung zu. Nicht wegen ihrer größten Verbreitung. Diese bewirkte nur letzten Endes eine schon fast ungesunde Fruchtbarkeit. Die Kleinplastik Münchens, vorab die Medaillenkunst, ist zum reinen und eigenen künstlerischen Ausdruck durchgedrungen, das ist der Grund. Das Ringen um eine neue plastische Form hat in der Kleinkunst den Erfolg der klaren Bildmäßigkeit am unzweideutigsten gezeitigt. Vielleicht müsste man das Ergebnis dem süddeutschen Temperament zu gut schreiben, dem schließlich ein besonderer Sinn für jeden echt volkstümlichen Reiz gegeben ist. So würde sich die Art des verstorbenen Ignaz Taschner erklären. Aber das Gesicht der Medaille von heute will mehr bedeuten. Auf ihm liegt ein starker Abglanz wirklich empfundener Monumentalität: Georgii oder Gies.

Gewissermaßen kommt auch an der Kleinkunst der geschulte kunstgewerbliche Sinn des Süddeutschen zum Wort. Man möchte daran denken bei Betrachtung von Statuetten in der Art, wie sie Georg Müller oder Hans Schwegerle bilden. Ich wüsste für diese durch ein bedachtsames Haushalten so sprechende Ausdrucksweise keine bessere Erklärung als den Hinweis auf die hohe Entwicklung der Silhouette — oder soll man sagen Licht- und Schattenkunst — der letzten zehn Jahre. Jedenfalls liegt in dem eigenen Sich Beschränken auf die Form ein Bewusstsein neuen Ausdrucks.

Endlich ein Wort von Kriegsdokumenten. Der Weltkrieg ist ein Volkskrieg. Just an der Kunst gemessen. Da, wo künstlerische Bestrebungen dem großen Kriegsgeschehen von der hohen Warte der Unpersönlichkeit sich nähern, bleiben Wirklichkeit und Dichter merkwürdig stumm. Wir haben das an jüngsten Werken hoher Lyrik erlebt. Wir haben dagegen ab und zu Kriegslieder gelesen, die aus ungeübtestem Munde stammen. Und sie bestehen, bestehen wie ein Volkslied aus dem dreißigjährigen Krieg. Nicht das Gedankliche, Allgemeine hat die guten Schöpfungen auf seiner Seite, vielmehr das Persönliche. So etwa die Medaillen von Ludwig Gies. Da gilt die Kraft und die Tat.

Man hat wohl da und dort davon gesprochen, dass in der modernen Plastik Krisenstimmung herrscht. Der Zug zum Monumentalen ist während der Kriegsjahre voller und sehnsüchtiger gewachsen. Noch ist keineswegs zu sehen, wie das Kommende werden will. Heute liegen die Aufgaben der Plastik noch überwiegend auf dem Gebiet des Zeitgeschehens. Monumentalkunst kann einer tiefen Symbolik nicht entraten. Wird diese kommen, so ist der Weg wohl bereit. Die Kräfte sind gespannt, die Erwartungen gesammelt. Das ist der Eindruck der Münchener Bildnerei von heute.

Hans Karlinger


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Jahrbuch der Münchner Kunst – 1. Jahrgang