Jahrbuch der Münchner Kunst – 1. Jahrgang

Begründet von Hanfstaengl, Edgar (1842-1910) deutscher Handelskaufmann und Verleger
Autor: Dörnhöffer - Halm - Karlinger - Oldenbourg - Weinmayer - Wolf, Erscheinungsjahr: 1918
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Münchner Kunst, Malerei, Grafik, Plastik, Achitektur, Kunstgewerbe
Bearbeitet von
Dörnhöffer, Friedrich Dr. (1865-1934) deutscher Kunsthistoriker
Halm, Philipp Maria Dr. (1866-1933) deutscher Kunsthistoriker
Karlinger, Hans Dr. (1882-1944) deutscher Kunsthistoriker
Oldenbourg, Rudolf Dr. (1811-1903) deutscher Buchhändler und Verleger
Weinmayer, Konrad Dr. (?)
Wolf, Georg Jacob Dr. (1882-1936) deutscher Kunst- und Kulturhistoriker
Einband-, Titelzeichnung- und Ausstattung besorgte Jost, Heinrich
Geleitwort

Wie immer die gegenwärtige Lage im Wettkampf um die künstlerische Vorherrschaft in Deutschland beurteilt werden mag, zweifellos ist es, dass der Norden in seiner Publizistik einen wesentlich rührigeren und erfolgreicheren Sekundanten besitzt, als es bei uns der Fall ist, und ebenso unverkennbar, dass die Berliner Kritik auf dem besten Wege ist, ihren maßgebenden Einfluss immer mehr auf die Beurteilung der gesamten deutschen Kunstangelegenheiten auszudehnen. Demgegenüber die süddeutschen Gesichtspunkte nachdrücklicher zur Geltung zu bringen, besteht seit Jahren ein immer dringender gefühltes Bedürfnis. Vor nicht langer Zeit ist Osterreich mit der Gründung einer neuen Kunstzeitschrift vorangegangen, die sich die Aufgabe gestellt hat, auch die Münchner und übrigen süddeutschen Verhältnisse ständig im Auge zu behalten. In die Reihe solcher Bestrebungen tritt nun mit einem neuen Gedanken das „Jahrbuch der Münchner Kunst“, nach Plan und Ausführung das Werk des Verlegers Edgar Hanfstaengl. Seine an mich gerichtete Aufforderung, dem ersten Band einige einleitende Worte voranzuschicken, komme ich umso bereitwilliger nach, als ich den Glauben an die Lebenskraft und die fortdauernde Bedeutung Münchens für die deutsche Kunst, auf den sich das neue Unternehmen aufbaut, durchaus für begründet halte.

Der augenblickliche Zustand unserer Kunstverhältnisse darf den Blick nicht allzu ausschließlich gefangen nehmen. Dass sich vielfach Erscheinungen der Ermüdung und Verflachung aufdrängen, denen ein noch problematisches Neues gegenübersteht, kann nicht geleugnet werden, gilt aber mit kaum merklichen Unterschieden auch für das übrige Deutschland, so dass es eine offene Frage bliebe, wer das Erbe Münchens zu übernehmen und erfolgreich weiterzuführen berufen wäre. Dass München fast das ganze 19. Jahrhundert hindurch eine Ausnahmestellung behaupten konnte, war in dem glücklichen Zusammenwirken mannigfacher Bedingungen, physischer und geistiger, geographischer und sozialer Art begründet, und diese Bedingungen wirken noch — wenn auch nicht ungemindert und ungeschwächt — weiter fort. Was dabei der Boden selbst an künstlerischen Kräften hervorbrachte, ist gewiss nicht gering, jedoch nicht als entscheidend anzuschlagen. Das Ausschlaggebende lag in seiner erstaunlichen Kraft der Aufsaugung und Angleichung. Rückhaltlos konnte sich diese Stadt dem Zuströmen fremder Kräfte offen halten; es dauerte nicht lange und das Zugewanderte, waren es nun Menschen oder Gedanken, hatte durch die bildsame Kraft dieser physischen und geistigen Atmosphäre eine allmähliche Veränderung erfahren, war Teil eines neuen geistigen Komplexes, eines lebendigen, individuellen Gesamtwesens geworden, dessen Wirkungskraft sich über ganz Deutschland hin fühlbar machte, anziehend für fast Alle, Viele festhaltend. Manchem als Ausgangs- oder Übergangspunkt dienend. Andere abstoßend. Kurz, es zeigte sich hier einmal — und das macht diese Münchener Epoche zu einem Ereignis in der deutschen Kunstentwicklung — die Möglichkeit einer sich durch Generationen aufbauenden deutschen Tradition.

Dass sich die Welle in den letzten 20 Jahren merklich zum Niedergang wandte, kann die Bedeutung dieser Tatsache nicht vermindern. München entging eben nicht den Gefahren, die mit jeder gefestigten Tradition verbunden sind: der genügsamen Freude am bloßen Spiel des Könnens und einer ins Breite zerfließenden Produktion. So kam es zu manchem schmerzlichen Versagen, und an Stelle des früheren Zuflusses von außen wandten uns wertvollste eigene Kräfte den Rücken. Schon aber öffnen sich neue Gedankenwelten und Aufgaben, für die, wenn nicht alles trügt, den vielfach doktrinären und rationalistischen Bestrebungen der letzten Zeiten gegenüber gerade das, was der Süden zu bieten vermag: Wärme, Farbe, Phantasie wieder erhöhte Geltung erhalten und für die daher der ausgeruhte Boden Münchens sehr wohl seine nährende Kraft von neuem bewähren könnte.

Als Zeichen einer solchen hoffnungsvollen und vorwärtsschauenden Gesinnung möchte ich die vorliegende Publikation begrüßen. Dass sie nicht als Zeitschrift, sondern in der neuen Form eines „Jahrbuches“ in die Welt tritt, scheint wohl begründet. Den bestehenden Monatsschriften, die das künstlerische Leben auch in München in seinen einzelnen Zweigen verfolgen, soll dadurch nicht eine Konkurrenz erwachsen, sondern eine erwünschte Ergänzung geboten werden. Mit erschreckender Fülle tritt die künstlerische Produktion an die Öffentlichkeit; an die uferlosen großen Jahresausstellungen schließen sich ungezählte kleinere an, und wie sie selber unabsehbar, so bleiben auch die kritischen Zeugen in zahllosen einzelnen Berichten verstreut. Not tut hier vor allem der Überblick, die zusammenfassende Rechenschaft. Was dem neuen Unternehmen vorschwebt, geht aber noch weiter. Es will auch alles das erfassen, was die Ausstellungen überhaupt nicht zeigen, alles was, in privatem Auftrage entstanden, unmittelbar an seine Bestimmungsorte wandert, oder was sich sonst in der Verborgenheit der Werkstätten hält. Der Verleger dachte sich einen kleinen Kreis von berufenen Fachleuten am Werke, die in engster Fühlung mit der schaffenden Kunst, aber persönlich und geistig von allem Richtungs- und Cliquenwesen unabhängig, alles Entstehende — von Monumentalwerken bis zu den Erzeugnissen des Kunstgewerbes, Vollendetes und flüchtig Entworfenes mit liebevoller Aufmerksamkeit verfolgen, am Ende eines Arbeitsjahres aber das Gesammelte einer streng sichtenden Kritik unterziehen und das, was sich in dieser zeitlichen Perspektive als charakteristisch, bedeutend und mit eigenem Leben erfüllt erweist, zu einer Bilderschau zusammenstellen.

Die Ausführung dieses Gedankens begegnete allerdings Schwierigkeiten außerordentlicher Art, die zum Teil in der Natur der Sache liegen, zum Teil sich aus der besondern Not der Zeit ergeben. Es scheint mir dem Gedanken am besten gedient zu sein, wenn es offen ausgesprochen wird, dass der vorliegende erste Band das erstrebte Ziel noch nicht in allem erreicht hat. Noch fehlte es teilweise an der innigen Fühlung mit dem Gegenstand selbst und der Bearbeiter untereinander, wohl auch noch an einheitlichen Gesichtspunkten der Arbeit. So dürfte dieser erste Band wesentlich als Versuch zu werten sein, der seinen Zweck darin erfüllt, das Programm einmal in Umrissen darzulegen und weitere Kreise zur notwendigen geistigen Mitarbeit anzuregen. Von den folgenden Bänden unterscheidet er sich auch dadurch, dass er sein Arbeitsgebiet nicht auf ein einzelnes Jahr beschränkt, sondern bis zum Ausbruche des Krieges zurückgreift, und auch Bekanntes vielfach nicht beiseite lassen konnte, ferner durch die breite Fassung der begleitenden Texte, durch die eine historische Grundlage zugleich für alle weiteren Jahrgänge zu geben versucht wurde. Für späterhin soll der Schwerpunkt wesentlich auf die Abbildungen gelegt werden und der Text sich auf ein chronistisches Referat beschränken. Während für diesmal der Verleger selbst die Mitarbeiter berief und jeder von diesen seinen Teil selbständig und unter ausschließlicher Verantwortung bearbeitete, ist für die Zukunft eine einheitliche Leitung in Aussicht genommen.

Möge es dem jungen Unternehmen gegeben sein, sich zu einem getreuen Spiegel unseres Kunstwesens auszugestalten, und möge dieser Spiegel das Bild einer kraftvollen Erneuerung zeigen.

Dr. Friedrich Dörnhöffer

Hildebrand - Bavaria

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Karl J. Becker-Gundahl - Mäher

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R. von Hörschelmann – Selbstbildnis - Steinzeichnung

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