Reisebilder aus aller Welt

Um diese Zeit war es, als er nach dem Tode seiner Eltern sein Erbteil, welches nach Abzug der Studienkosten in wenigen hundert Thalern bestand, in Empfang nahm. Der Umstand, dass sein jüngerer Bruder dreitausend Thaler erhielt, mag die Veranlassung zu dem Gerücht gegeben haben, er habe ein Erbschaftskapital von sieben bis acht tausend Thalern zu großartigen Reisen in mehrere Erdteile verwendet. Francke steckte nicht mehr als dreihundert Thaler ein, ging nach Hamburg und verließ das Vaterland, das ihn krank hatte werden lassen, um jenseits des Meeres zu gesunden. Über seinen Aufenthalt in Hamburg gibt sein Buch: „Reiseszenen aus zweien Welten, Güstrow 1836“ Auskunft und namentlich dessen erster, ganz im Ton der Heine'schen Reisebilder gehaltener Teil. So lange seine Schilderung in Europa weilt, ist sie unfrei, befangen, nachahmend; sobald sie sich auf dem Boden der neuen Welt bewegt, wird sie selbstständig und von kühner Originalität. Von seinen Schicksalen und Erlebnissen in Amerika spricht er nicht, er liefert zunächst nur eine Charakteristik des Landes und zeigt, wie auf einem solchen Boden ein solches Geschlecht von Tieren und Menschen habe werden müssen. Nach seiner mündlichen Mitteilung hielt er sich in den großen Städten nur wenige Tage auf. Er war im Ganzen etwa drei viertel Jahre in Amerika und trieb sich meist in Gesellschaft eines ehemaligen badischen Offiziers, dem es in seiner Mannheimer Garnison !zu eng geworden war, unter den Osage-Indianern umher. Ein Pferd, eine Schlafdecke, eine Büchse nebst Zubehör, war so zu sagen sein einziger Reichtum; Geld brauchte er nur wenig zum Schlussbedarf. Die beiden Gefährten waren stets zu Pferde, jagten in den Wäldern und schossen sich Wild, was ihre Nahrung ausmachte. Ihre Lebensweise war ganz die der Indianer, die jedoch keineswegs in völlig wildem Zustand sich befanden, da sie im Verkehr mit den Weißen standen, deren Kultur seit längeren Jahren schon der Demoralisation unter ihnen den Weg gebahnt hatte. Als unserm Francke das Geld auszugehen begann, entschloss er sich, weil er der Begierde, Land und Leute noch gründlicher kennen zu lernen, kaum widerstehen konnte, sich bei der Pelzjäger-Kompanie anwerben zu lassen. Wer da weiß, dass eigentlich nur der Auswurf der Menschheit in diesen Lebensberuf sich wirft, muss den Entschluss einen verzweifelten nennen. Francke begab sich nach dem bestimmten Sammelpunkte. Indessen trat er, obgleich er in seinem Leben manche verwilderte Gesellen gesehen und kennen gelernt hatte, schaudernd zurück, als er so viel Verworfenheit, so viel Verbrecherlust in den von den zügellosesten Leidenschaften gefurchten Antlitzen derer sah, die sich vor ihm schon eingefunden hatten. Das war ihm denn doch zu viel und zu arg!

Nicht lange darauf verfiel Francke dem gefährlichsten Feinde des Europäers — dem gelben Fieber. Es brachte ihn an den Rand des Grabes. Seine Genesung war ein halbes Wunder bei einer durchaus rohen medizinischen Behandlung. Sein Nervensystem war furchtbar zerrüttet, gedrückt, die Kräfte wollten nicht wiederkehren. Er blieb matt und war des Lebens in Amerika, des Lebens überhaupt, überdrüssig. Doch wollte er wenigstens in der Heimat sterben. Darum raffte er seine letzten Geldmittel und Körperkräfte zusammen und kehrte nach Deutschland zurück, nachdem er vom Frühling 1838 an so ziemlich ein Jahr lang abwesend gewesen war. Die Seereise wirkte im ganzen wohltätig auf seinen Gesundheitszustand, so dass er nach seiner Heimkehr daran denken konnte, die obenerwähnte Schrift über seinen Aufenthalt in der neuen Welt herauszugeben. Seine Schilderung der amerikanischen Zustände verrät den Unmut eines Kranken, durch die dortigen Erlebnisse ganz unbefriedigten Gemütes. Er hat sich später mündlich dahin darüber geäußert, dass er im Einzelnen Vieles, was er damals in zu schwarzem Lichte angesehen habe, zurücknehme. Dagegen sind andere Schilderungen von so unübertrefflicher Wahrheit, dass ich mir nicht versagen kann eine Stelle über den Mississippi dem Leser als Probe seiner charakterlichen Denk- und Anschauungsweise zu geben. „Der Grundzug der Mississippi-Landschaften ist eine wüst-chaotische Formlosigkeit. Man glaubt sich in einer Schöpfung, die noch im Werden begriffen ist, in welcher sich die Materie zu keiner Endgestaltung gerungen hat. Der Mississippi ist ein ungebändigt wütendes Raubtier, das noch nicht gefesselt ist an die Fanggrube eines festen Nettes, er ist wie eine vorsindflutliche Riesenbestie, die wild durch die Wälder bricht und Bäume abweidet. Wo heute Wald, ist übers Jahr Mississippi, und wo heute Mississippi, ist übers Jahr ein hölzerner Turm aus Treibholz auf angeschwemmter Lehmbank. Der Anblick ist für zaghafte Seelen ein schreckenbringender, für furchtlose ein unbehaglicher. Bei wüster Gestaltlosigkeit entbehren die Mississippibilder der erhabenen Ewigkeit, welche das Meer hat. Wenn der Blick über den Ocean fliegt und nirgends einen Baum findet, wo er sich setzen kann, nirgends einen Hügel mit grasigem Ruheplatz: so ist's ihm unverwehrt, weiter zu ziehen in die Ewigkeit — hier fängt er sich in wüstem Waldgestrüpp.“


Francke hat mit diesem Buche die schriftstellerische Laufbahn betreten, ohne Zweifel dasjenige Gebiet, wozu ihn seine tief philosophische Natur ganz vorzüglich befähigte. Er stand in seinem ein und dreißigsten Lebensjahr, also in einem Alter, welches in Verbindung mit dem Wechsel reicher Erfahrungen und einer freien Beobachtungsgabe nebst gründlichen Studien der Naturwissenschaften, und philosophisch-politischer Bildung ein reifes und gediegenes Urteil erwarten ließ. Diese Voraussetzungen werden in jeder Beziehung von seinen Schriften gerechtfertigt.

Indessen war die schriftstellerische Tätigkeit dem Gesundheitszustande Franckes nichts weniger als zuträglich gewesen. Noch hatte er die Folgen des gelben Fiebers nicht überwunden, dazu war eine beschwerliche Reise im Zwischendeck gekommen und in der Heimat selbst die Sorge wegen der Unsicherheit der Existenz. Neben der unzureichenden Einnahme, welche die ihm übertragenen Forsttaxationen gewährten, sah er sich auch auf Erwerb durch die Feder angewiesen. Um diese Zeit ließ Francke auch einen Roman: „Der Stern der Liebe“ erscheinen, welchen man, man mag von der etwas exzentrischen Auffassung halten was man will, immerhin als ein Prachtstück von glühender Phantasie, getragen von einer ungemein flüssigen Darstellung, bezeichnen muss. Diese Beschäftigungen steigerten seine Nerven- und Unterleibsleiden ins Unerträgliche. Bei abnorm starken Verhärtungen im Verdauungsschlauch war er aufs Äußerste abgemagert und entkräftet. Unter diesen Umständen fasste er den Entschluss, bei seiner zum Hass gesteigerten Abneigung gegen medizinischen Beistand, die Kur bei Prießnitz auf dem Gräfenberg zu versuchen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches J. H. Rausse, der Reformator der Wasserheilkunde.