J. H. Rausse, von Angesicht zu Angesicht

Ich war mit Rausse durch eine Beurteilung seiner Wasserschriften, welche ich in dem damals in Hamburg erscheinenden Telegraphen für Deutschland unter der Überschrift: J. H. Rausse und die wissenschaftliche Begründung der Hydriatik“*) in Berührung gekommen und konnte das lebhafte Verlangen, den Mann persönlich kennen zu lernen, dem ich einen so bedeutenden Einfluss auch auf meine wissenschaftliche Richtung zugestehe, nicht unterdrücken. Dazu kam das Bedürfnis einer förmlichen Wasserkur gegen eine chronische Augenentzündung, die ich mir durch angestrengte Arbeiten bei Licht zugezogen hatte. Ich brachte die Monate August bis September 1847 in Lehsen zu. Rausse wurde mir nicht allein der sorgsame Arzt, er ward mir auch ein hingebender Freund. Von wenigen mochte er sich so wie von mir verstanden wissen. Daher teilte er mir von seinen Lebensumständen in vertraulicher Unterhaltung so viel mit, dass mir’s möglich geworden ist, diese Erinnerungen an ihn mit einer Vollständigkeit und Genauigkeit zu geben, wie es schwerlich ein Anderer vermag.

*) Mit unwesentlichen Veränderungen und Auslassung solcher Stellen, die hier Wiederholung gewesen wären, ist jener Aufsaß der vorliegenden Biographie als Einleitung zugegeben.


Schon seit vielen Jahren sehnte ich mich, den Mann, der von so großer Bedeutung für mein Lebensglück gewesen war, von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Das Bild von ihm, welches im Verlag der Hinstorff'schen Buchhandlung zu Parchim erschienen ist, ist nach meinem Urteil eine treue Auffassung seiner Persönlichkeit.

Rausse war von mittlerer Größe. Sein Körperbau war ungemein kräftig und muskulös, die Schultern waren breit, Hand und Fuß klein, der Schädel war gewaltig, eine räumige Gedankenwerkstätte mit einer klar gewölbten Stirne, die Nase fein, das Ohr zierlich, das blonde Haar gelockt, der Blick scharf und durchdringend, der schöne volle Bart verdeckte die Mängel der Oberzähne der einen Seite des kleinen Mundes. Seine Haltung war gewöhnlich nicht so aufrecht kühn wie das Bild sie darstellt; er ging meist gesenkten Hauptes sinnend, denkend vor sich hin, die Arme auf dem Rücken zusammengelegt, die Hände mit dem Stabe spielend. Seine Kleidung war im höchsten Grade einfach, fast nachlässig. Hatte er einmal ein neues Stück an, so war dies in der dortigen Badewelt ein Ereignis. Sein Gang war langsam. Er trug meist einen Strohhut mit breitem Rande, einen Paletot, vom Hemde sah man wenig, desto mehr von seiner mächtig gewölbten Brust. Mit dieser kräftigen Statur kontrastierte einigermaßen seine wenig sonore Stimme, die indessen, wenn er heiter und aufgeräumt war, einen ungemein herzlichen und gutmütigen Ausdruck hatte „Nie er auf das Äußere gar keinen Werth legte, so mochte er sich auch nicht damit befassen, sein Wohnzimmer in erforderlicher Ordnung zu halten. Es sah daselbst oft recht bunt und wüst aus; doch fand er stets daselbst, was er brauchte. — Rausse zeigte in seinem ganzen Wesen eine gewisse Ruhe und Festigkeit; so war unter andern, auch sein Stoß beim Billardspiel sicher; auf der Kegelbahn hatte er jede Kugel in der Gewalt. In Vermeidung des Genusses schädlicher Speisen und Getränke ging er seinen Patienten mit gutem Beispiel voran; doch aß er oft ungemein viel und traute seinem Magen vielleicht mehr als ratsam. In großer Gesellschaft, die er überhaupt nicht lübte, war er mehr still als gesprächig; mit wenigen Freunden, von denen er sich verstanden wusste unterhielt er sich lebhaft. Er sprach dann gern von seinen Plänen für die Zukunft, teilte interessante Züge aus seinem frühern Leben mit, und verknüpfte stets in seinen Mitteilungen Vergangenheit und Zukunft auf eine Weise, welche den Hörer zu weiteren Nachdenken stimmte. Ganz frei und heiter war er nicht, ein gewisses Etwas griff in seine Tätigkeit störend ein; er litt nicht selten an einem Erbrechen, welches er bekanntlich für Brechkrisis hielt.

Der Zudrang zu seiner Anstalt mehrte sich dergestalt, dass einzelne Gäste mit dem kleinsten Kämmerchen vorlieb nehmen mussten. Mit der Abstellung der täglich ihm nahe kommenden Klagen über Mangelhaftigkeit der Bäder, Heizung, Beleuchtung, Räumlichkeit befasste er sich höchst ungern. Dass er so viele Anmeldungen abweisen musste, machte den Wunsch in ihm rege, sich einen größeren Wirkungskreis zu verschaffen. Eine erwünschte Gelegenheit bot ihm der Verkauf der Wasserheilanstalt Alexandersbad bei Wunfiedel. — Er tat die nötigen Schritte um seinen Kontrakt mit dem Besitzer der Herrschaft Lehsen zu lösen und entschloss sich im Frühjahr 1848 nach Alexandersbad überzusiedeln. Den Winter wollte er zur Vollendung seiner schon früher angekündigten Wasserheillehre verwenden. Davon wurde er abgehalten teils durch die Anwesenheit eines großen Teils seiner Gaste, teils durch Unmut über sein fortdauerndes Unwohlsein.

Über seinen Abzug nach Alexandersbad, seine kurze Wirksamkeit und seinen plötzlichen Tod lasse ich nun mit weniger Abkürzung ein ausführliches Schreiben des Herrn Hahn folgen, welcher dem Verstorbenen als treuer Helfer und Freund zur Seite stand:
Dieses Kapitel ist Teil des Buches J. H. Rausse, der Reformator der Wasserheilkunde.