Der Geist der Gräfenberger Wasserkur

Diese Schrift begründete das Vertrauen des Publikums in die entschiedene Befähigung Franckes zum Wasserarzt. Gleich im Eingang derselben überrascht die Begriffsbestimmung von Krankheit und Heilung, indem er von einem Vergleiche der Allopathie und Homöopathie untereinander und mit der Hydropathie ausgeht.

Die Allopathie vermag wenig oder gar nichts gegen chronische Krankheiten. Akute Krankheiten sind Heilversuche, in welchen durch Fieber die dem Organismus feindlichen Stoffe ausgestoßen werden. Medikamente und Blutentziehungen unterbrechen diese Heilversuche und heben die Krankheit nur in soweit, als sie an deren Stelle chronisches Siechtum oder eine chronische Herabstimmung des ganzen Organismus setze. „Lieber akut sterben, als chronisch siechen und chronisch sterben.“


Die Homöopathie ist der Allopathie weit vorzuziehen, weil sie nicht mordet; doch teilt sie das mit ihr, dass sie ihre Wirksamkeit nur auf einzelne Funktionen, Organe oder Teile des Organismus, nicht auf die Gesundung des Gesamtorganismus richten kann. Sie regt den Organismus wohl zur Heilung an, kann ihn aber nicht darin unterstützen, weil sie gar keine Gewalt über die Summe des Hauptsystems hat, welches doch das wichtigste Organ zu jeder Heilung ist.

Die Hydropathie heilt den Organismus von keiner Krankheit, aber sie zwingt ihn sich selber zu heilen. Die Ursache jeder Krankheit, ist ein materieller Stoff, der aus dem Körper entfernt werden muss. Dynamische Krankheitsursachen existieren nicht. Die Krisen, Schweiße, Erbrechen, Durchfall, Ausschläge — legen die grobmateriellen Krankheitsstoffe zu Tage. Die Wasserkur stärkt den Organismus zum erfolgreichen Kampf gegen den Krankheitsfeind, sie darf also den Kampf durch erregende Mittel nicht eher herbeiführen, als er Kraft ihn zu bestehen erlangt hat.

Hierauf werden die Krankheiten angeführt, welche durch Wasser heilbar sind, (Lähmung durch alte Merkurvergiftung, Säbelbeine, Höcker und Dummheit sind ausgenommen) und demnächst wird das Heilverfahren bei verschiedenen akuten und den meisten chronischen Krankheiten, bei Epidemien, auftreibenden Geschwüren, Krankheiten und Krisen beschrieben. Das Kapitel über „die beste Diät“ ist, trotz der manchen Irrtümer im Einzelnen, welche Francke später teilweise selbst eingeräumt hat, eine wahre Fundgrube von Wahrheit, und diese Wahrheit, in welchen klaren einfachen Grundzügen, wie überzeugend tritt sie vor den raffinierten Gourmand!

Das Büchlein erregte, abgesehen davon, dass es mit ungemeiner Schärfe und schlagender Kürze eine Menge früherer breiten Wasserschriften überflüssig machte, schon durch den schneidenden Humor, welcher im Triumphschritt eine Menge alter medizinischer Vorurteile über den Haufen wirft und vernichtet, mehr als gewöhnliche Teilnahme und musste, als es bereits durch die nachfolgende schriftstellerische Tätigkeit des Verfassers verdunkelt zu sein schien, dennoch neu aufgelegt werden. Die spätern hydropathischen Schriften sind ihrer Uranlage nach bereits in dem „Geist der Gräfenberger Wasserkur“ enthalten und bilden nur die weitere glückliche Durchführung der hier aufgestellten Prinzipien. Francke bewährte in dieser Schrift seine Fähigkeit, den Dingen auf den Grund zu gehen und in die Begriffsaufstellung das innere Werden der Sache mit aufzunehmen.

Franckes Leben war von nun an ein Wechsel von Schriftstellern und Fortsetzung der durch diese immer mehr oder weniger unterbrochenen Wasserkur. Wie oft hat er später seinen Unmut darüber ausgelassen, dass es ihm an Mitteln gefehlt habe, die in Gräfenberg begonnene Kur zu Hause ohne Unterbrechung fortsetzen zu können! Was er mit der Kur heute gut machte, das musste er zum Teil morgen mit der Feder wieder verderben. Die Kur hatte bei ihm eine gewaltige Brechkrisis hervorgebracht, deren mehrjährige Dauer und verstärkten Ausbruch er lediglich jener öftern Unterbrechung zuschrieb. Er vermutete, dass die inneren Wände seines Magens mit verhärtetem Schleim überzogen seien, dessen Ausstoßung nach langsam von Statten gehender Auflösung der allmählich soweit gestärkte Organismus in der Brechkrisis zu bewerkstelligen suche. Er durfte sein Leiden um so mehr als ein kritisches bezeichnen, als er während desselben den besten Appetit behielt und auffallend an Umfang und Kraft des Körpers zunahm. Sein gelbes, erdfahles Aussehen machte einer gesunden Farbe Platz, seine Magerkeit der Zunahme an Muskeln und Fett, ja, sein Knochengerüste weitete sich, namentlich dehnten sich die Schultern gewaltig in die Breite. Er pflegte sich selbst als ein Beispiel darin aufzustellen und seine Schultern zu zeigen, wenn er beweisen wollte, dass der Stoffwechsel sich selbst auf die Knochen ausdehne, von denen man Wunders glaube, wie stille und unbeweglich sie seien, und dass ein lebendiger Körper Alles, selbst die Knochenteilchen in beständiger Neubildung und Ausstoßung des Abgelebten, in fortwährender Wanderung begriffen sei. Durch eine solche Steigerung der Lebenstätigkeit unterscheide sich das kritische Erbrechen von dem krankhaften, abmattenden und abmagernden.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches J. H. Rausse, der Reformator der Wasserheilkunde.