Die Badeorte

Castellammare ist das neapolitanische Baden-Baden, in dem die vornehme Welt Neapels die Sommermonate zubringt. Das Städtchen liegt am Ufer des Meeres, am Fuße des grünbewaldeten Bergrückens, der auf seiner halben Höhe das königliche Lustschloß trägt. Es heißt Quisisana (Hier wird man gesund).

Von Castellammare bis hinauf nach Quisisana ist der ganze Berg mit Landhäusern und Villen besät, die freundlich aus dem üppigen Grün der Weingärten und Kastanienwälder hervorgehen. Eine geebnete Straße führt zum Lustschlosse hinan, ist aber doch so steil, daß selbst leichte Wagen mit zwei Pferden nicht gut hinaufkommen können. Die Mehrzahl der Badegäste zieht es deshalb vor, den Weg hinaufzureiten, da man sich ohnehin der Wagen nicht bedienen kann, wenn man weitere Ausflüge nach den Bergen beabsichtigt.


Indes ein Bad in deutschem Sinne muß man sich unter keinem der Badeorte denken, welche hier nahe beisammenliegen. Weder Castellammare noch Sorrent oder Vico haben ein Konversationshaus, in dem man spielt, musiziert und tanzt; und auch von einer Promenade auf Kieswegen bei Militärmusik ist hier nicht die Rede. In Sorrent, das vorzüglich von Künstlern besucht wird, lebt man ganz sich selbst überlassen und kann in den schönen Villen des Tales – des Piano di Sorrento –, in den dichten, süßduftigen Orangengärten, welche sich über den blauen Fluten erheben, glückselige Stunden verträumen, wenn man sich selbst genug ist und in dem ungetrübten Zusammenhange mit einer wunderbar reichen Natur Befriedigung findet.

Dabei sind in den Privathäusern die Besitzer, welche ihre Wohnungen an Fremde vermieten, noch nicht so sehr von der Zivilisation angesteckt, daß man sich nicht ihrer ursprünglichen Gutmütigkeit, ihres natürlichen Zutrauens zu erfreuen hätte. Deutsche Künstlerfamilien hatten mir vielfach von der Gastlichkeit und Herzlichkeit der Sorrentiner erzählt, ohne daß ich Gelegenheit fand, diese Gastlichkeit selbst kennenzulernen, da ich bei den Besuchen Sorrents, die ich von Castellammare aus machte, in einer befreundeten Familie wohnte, welche eine ganze Villa zur Miete besaß und eigene Dienerschaft mit sich führte. Einmal aber, als ich im Sommer von 1846 mit Freunden von einer Exkursion nach Capri spät am Abende in Sorrent eintraf, mochte ich nicht erst die lieben Besitzer jener Villa aufsuchen und stören, sondern zog es vor, für die eine Nacht ein Zimmer im Hause der Familie zu mieten, bei der meine mich begleitenden Freunde sonst zu wohnen pflegten. Hier fand ich alles, was mir von dem zutunlichen Wesen dieser Sorrentiner Bürger erzählt worden war, nicht nur bestätigt, sondern übertroffen.

Die Familie bestand, außer den Eltern und zwei erwachsenen Söhnen, aus sechs Töchtern und einem schwächlichen, nachgebornen Knaben, dem Abgott aller übrigen. Die sämtlichen sieben Frauen des Hauses, denen ich Grüße eines früheren Einwohners zu bringen hatte, überfielen mich alle zugleich mit rührender, aber doch gewaltsamer Freude. Eine Tochter drückte mich in eine Sofaecke, man zog mir die Schuhe aus, wollte es mir bequem machen, gab mir zu essen, besah meine Kleider, holte mir den kleinen Lieblingsbruder zum Ansehen, zeigte mir Geschenke jenes Freundes, von dem ich die Grüße gebracht und den die freundlichen Menschen in einer Krankheit treu gepflegt hatten. Es geschah mir dies alles und noch viel Liebes; aber es geschah mir eben, ich konnte nichts dazu, nichts dagegen tun.

Nach dem Abendessen begleiteten ein paar der Töchter uns auf das Dach des Hauses. Die Nacht war wunderschön. Aus allen Gärten stieg der volle Duft der Orangenblüten empor, rundumher auf der Brüstung des Daches blühten in Töpfen die dunkelroten Nelken. Das Meer war glatt und silberhell. Auf Bitten unserer Begleiter holten die Mädchen ihre Gitarren herauf und spielten und sangen uns vor. Ihre Stimmen waren nicht gut, dennoch paßten Melodie und Vortrag so vollkommen zu dieser lieblichen Umgebung, daß man die größte Freude daran hatte. Endlich kam die Mutter und sagte, nun müsse ich schlafen gehen.

Ganz willenlos wurde ich von den sieben Frauen die Treppe hinabgeführt in mein Zimmer und wie ein Kind hin und her geschoben. Nur mit Not konnte ich es erreichen, daß mich fünf von ihnen verließen, als ich endlich zu Bette gehen wollte. Die ganze Art und Weise hatte etwas höchst Befremdliches. Mir war zumute, als wäre ich unter gutmütige Südseeinsulaner geraten. Alles, was ich an und um mich hatte, mein Necessaire, meine Toilettensachen, die gar nichts Merkwürdiges boten, waren Gegenstände ihrer Neugier; und noch nachdem die brave Hausmutter mich, trotz der Hitze, mit einer guten Steppdecke bis an die Ohren bedeckt und die Kanarienvögel aus dem Zimmer getragen hatte, blieb eine der Töchter bei mir zurück, zu sehen, ob ich auch gut einschlafen würde.

Für immer könnte ich freilich solch einen Hofstaat nicht wohl ertragen, an jenem Abende aber machte es mir das größte Vergnügen. In Zeit von zwei Stunden hatte ich alle Herzensangelegenheiten der Töchter vom Hause und alle Familienverhältnisse erfahren. Die eine war mit einem Tischler verlobt, der eine Fabrik jener schönen Sorrentiner Holzarbeiten hatte. Sie sollte sich bald verheiraten. Zwei Töchter standen der Mutter im Haushalt zur Seite, die andern gingen auf Arbeit, das heißt, sie wickelten in den Orangengärten Apfelsinen in Seidenpapier und verpackten sie zur Versendung in Kisten, wofür sie etwa fünf Groschen täglich erhielten. Von diesem Verdienst bestritten sie ihre Kleidung. Sie zeigten mir einige bunte, eingeschmuggelte Kattunkleider, die sie sich billig durch Schiffer vom Auslande mitbringen lassen. Ein paar Stücke Kattun lagen noch ungeschnitten. Ich rühmte die Muster und den für Italien wirklich sehr geringen Preis; sogleich drangen sie in mich, dasjenige zu kaufen, welches mir am besten gefalle, sie könnten es ja im nächsten Monate sich durch ihre befreundeten Schiffer leicht wieder ersetzen. Holzkästchen, Arbeiten des Bräutigams, bunte Pantöffelchen wurden mir als Geschenke aufgedrungen, und ich vermochte sie nur dadurch abzulehnen, daß ich erklärte, ich dürfe sie nicht über die Grenze meines Landes mit mir nehmen.

Als ich am Morgen erwachte und klingelte, kam der ganze Schwarm gleich wieder zurück. Ich hatte nicht das Herz, sie von mir zu weisen, so unbequem sie mir waren. Sie wollten mir das Haar flechten, mich anziehen, meinen Nachtsack packen, und des Erzählens und Fragens war kein Ende. Freilich hatte ich ein schlechtes Abendbrot und ganz ungenießbaren Kaffee erhalten; aber das Bett war gut gewesen wie alle italienischen Betten, und die ganze Art jener Leute hatte mir Freude gemacht. Ich werde die guten Mädchen mit den lachenden, schwarzen Augen, mit der eilfertigen Tätigkeit nicht vergessen und sicher mich weniger heiter fühlen in manchem vornehmen Hotel, wo man von schlaftrunkener Dienerschaft mit kalter Pflichttreue bedient wird.

Indes ermangelt Sorrent der Hotels und Pensionen nicht; jeder kann sich dort nach seinen Ansprüchen einrichten, und selbst die verwöhntesten Engländer finden sich in der Cocumella oder im Tasso befriedigt. Das berichte ich zum Troste für diejenigen, die nicht wie ich die Grille haben, einmal eine Nacht in einer italienischen Bürgerfamilie zuzubringen.

Als ich am Morgen nach dieser Nacht in meiner Wohnung an der Marina zu Castellammare anlangte, fand ich meine beiden zurückgebliebenen Freundinnen schon auf dem Balkon, mit Lorgnetten das Meer betrachtend. Ganz Castellammare war in Bewegung, die ganze männliche Bevölkerung am Ufer. Vornehme, elegante Männer in der leichten, weißen Jacke, welche man dort sehr zweckmäßig zu Morgentoiletten trägt, drängten sich unter den Verkäufern von Lebensmitteln und den Eseltreibern umher, die nicht nur bis ans Ufer, sondern in das Wasser hineingeschritten waren, um eine Menge ankommender Boote zuerst zu erreichen.

Diese Boote brachten einen Teil der Besatzung von den Schiffen des Herzogs von Joinville, dessen Flottille in der Nacht im Hafen von Castellammare Anker geworfen hatte, ans Land.

Das war ein Ereignis, welches in einem Badeorte doppelte Teilnahme erregen mußte, in dem soviel Diplomaten beisammen lebten. Aber auch die Nichtbeteiligten wollten den Herzog sehen und warteten seiner Landung, bis man erfuhr, er sei gleich am Morgen mit der ersten Schaluppe ans Ufer gekommen und ruhig auf einem Esel nach Quisisana hinaufgeritten, dem Könige seinen Besuch zu machen. Ein paar Tage hindurch sprach man von ihm, von Festen, welche der König ihm auf Capodimonte geben würde, von einem Balle auf Joinvilles Admiralschiff.

Bald darauf berichtete auch die Augsburger Allgemeine Zeitung sehr pomphaft, daß diese Feierlichkeiten stattgefunden hätten, wie sie einmal die Leistungen eines Landsbergschen Konzertes in Rom besprach, vierzehn Tage, ehe es gegeben wurde. Indes wir alle haben in Castellammare von jenen Joinvilleschen Festen nichts genossen. Während die Damenwelt eifrig mit den Zurüstungen für die Balltoilette beschäftigt war, sah man eines Morgens die sämtlichen französischen Schiffe die Anker lichten, hörte die Abschieds- und Geleitschüsse der neapolitanischen und französischen Flotillen, und – der Herzog fuhr gen Civitavecchia, den neuen Papst im Namen Louis-Philipps zu beglückwünschen.

Nun war die Badegesellschaft in Castellammare wieder sich selbst und den eigenen Hilfsmitteln zur Zerstreuung überlassen. Des Morgens das Bad, des Abends Spazierritte nach Gragnano, Pompeji, Vico, eine Promenade über den Berg nach Pozzano, eine Fahrt ins Meer nach den Ruinen des Castel Revigliono, dem Vesuv gegenüber, und ein Glas Sorbet vor Nacht unter dem Zelte des Cafés an der Marine, das sind die möglichen Genüsse.

Mitunter aber machte auch eine Prozession an den Heiligentagen die Schaulust, mindestens der Fremden, rege; und einmal sahen wir die Taufe eines neuen Kriegsdampfschiffes, welches in Castellammare vom Stapel gelassen wurde. Dies war eines der heißesten Vergnügen, welches ich jemals ausgestanden habe.

Die Feierlichkeit ging in den ersten Tagen des August am hohen Mittag, auf dem glühenden Sand der baumlosen Schiffswerfte, vor sich. Freilich hatte man für den Hof und die geladenen Gäste Tribünen mit Zelttüchern errichtet, aber auf diesen war die Gesellschaft so zusammengedrängt, daß man sich glücklich pries, sie verlassen und auf irgendeinem Stück Stapelholz einen der Seeluft ausgesetzten Platz gewinnen zu können.

Alle neapolitanischen Kriegsschiffe lagen im Halbkreis vor der Werfte vor Anker; die Marinesoldaten waren auf den Rahen; die Bemannung des neuen Schiffes am Fuße der Höhe, welche die Werfte umgibt, amphitheatralisch aufgestellt; der Admiral und eine glänzende Generalität an ihrer Spitze.

Militärmusik erklang, Zimmerleute umstanden das neue Schiff und harrten mit Äxten neben den Stützen. Die Geistlichkeit, geführt vom Erzbischof, hielt sich mitten auf der Werfte. Dieser, ein schöner Greis, las die Messe, nach deren Anhörung die Geistlichkeit in Prozession um das Schiff wanderte, welches dabei von allen Seiten mit Weihwasser besprengt ward.

Der König, seine Gemahlin am Arme, und die ganze königliche Familie, alle Gesandten und sonst dazu berechtigten Personen reihten sich der Prozession an, deren Schluß Baron Rothschild mit seinem zwölfjährigen Sohne machte.

Nach dieser Taufe erklang jubelnde Militärmusik, die Mannschaft bestieg das Schiff, welches schon Masten, aber keine Takelung hatte, die scharfen Axtschläge ließen sich mitten in dem Lärm vernehmen, das straffe Haltseil wurde nachgelassen, und unter donnerndem »Evviva!« schoß das schöne Dampfkriegsschiff ins Meer hinab, tief untersinkend in die blaue Flut und stolz und siegreich wieder daraus emportauchend.

Es mag wohl kein Zuschauer dagewesen sein, der das Schiff in jenem Augenblick nicht beneidet hätte, denn die Hitze war unerträglich, und ich habe mich nachher gefragt, warum man diese Zeremonie nicht am Abende veranstaltete, wo man sie mit viel größerer Freude genossen haben würde.

Neben diesen öffentlichen Belustigungen gab es natürlich auch einzelne Familiengesellschaften, freundschaftliche Zusammenkünfte, einige feststehende Diners bei Rothschild und am Sonnabend die Empfangsabende des russischen Gesandten.

Diese boten ein malerisches, ja in seiner Art vielleicht einziges Schauspiel dar. Graf Potocki wohnte auf einem der höheren Punkte des Berges, und schon von weitem sah man das Licht unter den Gewinden von Schlingpflanzen gastlich hervorschimmern, mit denen die offenen Hallengänge um das Haus geschmückt waren. Näherte man sich der Villa, so erblickte man Männer in vollster Gesellschaftstoilette, Damen in Ballkleidern, mit Blumen in den Locken, den Berg hinanreiten, um sich zu der Gesellschaft zu verfügen.

Die Straße nach Quisisana hinauf ist von mächtigen Kastanien beschattet und tief wie ein Hohlweg; abends wird sie spärlich von Laternen beleuchtet, die eben nur Helle genug geben, jede Gefahr zu vermeiden und Vorüberziehende in ihren Umrissen zu erkennen. Wenn man nun so bei nächtlicher Stille am Schauspielhause die Stadt verließ und sich in die schweigende Dunkelheit des Berges begab, so hörte man plötzlich leisen Huftritt. Um die Ecke eines Bergvorsprunges wurden die roten Mützen und weißen Hemden von Ciuciaren sichtbar, welche ihre mit langen Decken behängten Esel am Zügel führten. Schlanke weibliche Gestalten saßen darauf, luftige Kleider ergänzten in blendender Weiße; aus den Capuchons dunkler Mantillen fielen lange Locken hervor, und kaum daß man sie gewahrte, zog die Erscheinung vorüber. Ein Trupp von schwatzenden Reitern folgte in einiger Entfernung, man erhaschte im Vorbeikommen ein Wort über die Schönheit einer Frau, den Wert eines Pferdes oder sonst ähnlich Interessantes. Dicke Mamas ließen sich ihren keuchenden Esel von zwei Ciuciaren leiten und blickten ängstlich nach den Töchterchen, denen die Esel viel zu langsam gingen, weil sie schon alle klopfende Seligkeit der Galoppaden und Mazurkas in den Adern fühlten. Und dies alles huschte durch die schweigende, süße, duftige Nacht, von Leuchtkäferchen umschwärmt, von dem lichten Nachthimmel des Südens überfunkelt. Man kann keine anmutigem Bilder erfinden.

Am schönsten aber war der Anblick, wenn man um Mitternacht die glänzenden Räume verließ, wenn die ganze Gesellschaft vor der Villa die Esel bestieg und nun der bunte Troß, von dem Lichte aus der Villa streifend beleuchtet, sich nach allen Richtungen hin in den dunkeln Alleen und Schluchten des Berges verlor. Das hatte etwas Elfenhaftes, Magisches. Und kam man dann vom Berge herunter an die Marina, hörte man das Meer leise gegen den weichen Sand des Ufers anplätschern, sah man die wilde Feuersäule des Vesuvs stolz emporsprühen und mit Flammengüssen den Berg überströmen, an dessen Fuße Hunderte von Menschen sorglos und ruhig schlummerten, so glaubte man ein Märchen zu träumen, dessen poetische Bilder sich doch der Seele unvergeßlich einprägen mußten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Italienisches Bilderbuch