Italienische Mutter mit ihrem Kind.
Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1875
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mutter und Kind, Italien, Volksleben, Leidenschaft, Mutterwitz
Jedermann weiß, welch eine reiche und unerschöpfliche Fundgrube das italienische Volksleben für den Genremaler ist, obwohl dieselbe schon seit so langer Zeit ausgebeutet ist. Wer aber Italien aus eigener Anschauung kennt, der kennt sehr gut den unaussprechlichen Zauber, welcher in dem italienischen Volke lebt: die Würde und Anmut, den Adel und dramatischen Ausdruck in Gebärde und Sprache, selbst bis in die unteren Stände herab, die stolze Haltung und den belebten Ausdruck in Auge und Modulation, die Heiterkeit und den Mutterwitz, den künstlerischen Sinn und die ästhetische Empfänglichkeit für Musik und Poesie und bildende Kunst, namentlich aber für Deklamation, Gesang und Schauspielkunst bis in die untersten Schichten des Volkes herab.
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Der Italiener aus dem Volk ist roh, leidenschaftlich, rachgierig, geizig und selbstsüchtig, sagt man; — wir geben dies zu. Aber er ist artig, verbindlich und gefällig in seinen Manieren und erwidert die ihm entgegengebrachte Höflichkeit dankbar. Lässt er sich aber gehen, in Freude wie in Schmerz, so tritt sein ganzes inneres Wesen in der vollen Tiefe seiner Leidenschaftlichkeit zu Tage und wirkt dramatisch und überwältigend. Unser reizendes kleines Bild von Bonnet, einem bekannten tüchtigen Genremaler, mag als ein Beleg dafür gelten: die italienische Mutter, die mit ihrem Töchterchen scherzt und schäkert und mit einer unübertrefflichen Treue dem Leben abgelauscht ist. Sind nicht Beide so seelenvergnügt, so der ganzen Welt vergessen in ihrem Scherzen wie wir es bei unseren: frostigeren, vernünftigeren und seit Jahrhunderten in die Fesseln kühler Vernünftigkeit geschlagenen Volke niemals so unbefangen, kindlich heiter und graziös bemerken? —