Zustand der Juden im MIttelalter

Es waren aber nicht bloß derartige von Zeit zu Zeit sich wiederholende Aufwallungen der Volkswut, was die Lage der mittelalterlichen Juden so elend und verzweiflungsvoll machte. Die ganze Art ihrer Stellung in dem gesellschaftlichen Gebäude der europäischen Christenheit brachte einen Zustand mit sich, in welchem Verachtung und Ausartung wechselweise Ursache und Wirkung sein mussten. Die geregelten Formen des Lehnssystems allein konnten der Regierungslosigkeit und gesellschaftlichen Auflösung, womit die Völker Europas, wenigstens auf dem Kontinente, bald nach der Regierung Karls des Großen, bedroht waren, die nötigen Schranken setzen. Der Zustand einer gesellschaftlichen Hierarchie, der sich damals bildete, war eben so bewundernswert durch seine Kraft als durch seine sich über ganz Europa erstreckende Gleichförmigkeit. Und auch den Juden wurde darin für Jahrhunderte lang ein fester Platz angewiesen: der niedrigste. Jetzt erst werden sie in Wahrheit die Parias des Westens. Dass sie zu genauer Not noch Platz fanden in dieser gesellschaftlichen Ordnung der Dinge, hatten sie einem besonderen Umstand zu danken, der wieder um so mehr dazu beitrug, ihre Erniedrigung und ihren Zerfall auf die tiefste Stufe zu bringen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Israel und die Völker
019. Der Jude. Holzschnitt von Jost Amman. Frankfurt 1568

019. Der Jude. Holzschnitt von Jost Amman. Frankfurt 1568

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