Israel und Ägypten

Kein Volk war von Alters her wichtiger für die Geschichte Israels als Ägypten. In diesem Lande wurde es aus einer Familie zu einer Nation. Siebzig Seelen zogen mit Jacob in das Gebiet eines früheren Pharao, und sechsmalhunderttausend zogen unter einem späteren Pharao, nach wenigen Menschenaltern, wieder aus dem Lande ihrer ersten Bildung, sodann ihrer Bedrückung und Dienstbarkeit. Es hat, zur Rettung von Fürst und Volk, mit seinem Einzug Ägypten einen Joseph geschenkt; als eine — wenn auch unfreiwillige — Wiedervergeltung schenkte das spätere Ägypten und das Haus Pharao Israel einen Moses. Aber nicht Moses allein wurde in dem Hause feiner Fürsten gebildet und in der Weisheit eines der merkwürdigsten und ältesten Völker der Welt unterrichtet; diese Bildung erstreckte sich einigermaßen über das ganze Israel. Auch macht man sich höchst unvollkommene Vorstellungen über den Aufenthalt Israels in Ägypten, wenn man glaubt, Bedrückung und Sklaverei allein hätten diesen Jahrhunderte langen Aufenthalt bezeichnet. Es war diese Sklaverei, diese Bedrückung vielmehr Folge des Wachstums, der Entwicklung und Blüte der unter den Ägyptern wohnenden Nachkommen Jakobs. Das Misstrauen und die spätere Feindschaft Pharaos im 2. Buch Mos. 1, 9, 13. ist ausdrücklich auf diese Weise erklärt: „Siehe das Volk der Kinder Israels ist viel mehr denn wir. Wohlan, wir wollen sie mit List dämpfen, dass ihrer nicht so viel werden. Denn wo sich ein Krieg erhöbe, möchten sie sich auch zu unsern Feinden schlagen, und wider uns streiten und zum Lande ausziehen.“

Vielleicht ist uns in einer merkwürdigen Stelle in l Chron. 4,18. noch ein besonderer Umstand überliefert aus den früheren Blütezeiten der Enkel Jakobs an den Ufern des Nil. Dort wurde wenigstens Israel aus einer Familie ein Volk; dort fing der Übergang aus dem Nomaden- ins Hirten- und Landmannsleben an. Israel war in Ägypten Grundbesitzer im besten Teile des Landes geworden, (l. Mos. 47, 11, 27.) Es lässt sich auch nichts leichter und natürlicher annehmen, als dass Israel, unter der Leitung des Gottes seiner Väter, dem höchstgebildeten Ägypten manche Wohltat dieser Bildung zu verdanken hatte, namentlich den Gebrauch der Buchstaben, was das erste und unentbehrlichste Mittel war, die bevorstehende Gesetzgebung, auf welche die ganze Offenbarung Gottes gegründet ist, aufzubewahren. In Verbindung mit dieser müssen wir hier noch eine zweite wichtige Beobachtung machen, um uns das Verhältnis zwischen Israel und „dem Lande Mizraim“, bei seiner Bildung zu einer Nation, deutlich zu machen. Es ist der ägyptische Charakter seines Gesetzgebers und Führers Moses selbst, und der ägyptische Hauch, der über dem ganzen Pentateuch wie ausgebreitet liegt. Moses ist in gewissem Sinne Ägypter; nicht bloß die Töchter Jethros nennen ihn so, als er sie, nach seiner Flucht aus Ägypten, von den Händen der Hirten befreite; dieses ägyptische Element liegt tiefer und wesentlicher in seiner eigenen Person und in seinem ganzen Werke. Erzogen im Hause der Tochter Pharao, am Hofe des Königs selbst, wurde er frühe schon eingeweiht in die alte weitberühmte Weisheit der Ägypter, (Apost.-Gesch. 7, 22.) und also für sein folgendes Leben und seine göttliche Berufung mittelbar vorbereitet! Zu allen Zeiten ließ Gott seine auserkorenen Werkzeuge erst menschlich vorbereiten zu ihrer späteren Berufung in seinen göttlichen Dienst. Wurde nicht Paulus auf gleiche Weise durch das pharisäische Judentum vorbereitet zu dem Werke, welches er erst nach seiner wundervollen Bekehrung zu Christo antreten konnte? Auf gleiche Weise und noch auffallender hat auch die Erziehung des Moses, in dem Lande der Abgötterei, mitgewirkt zu seiner Berufung in den Dienst des HErrn, des lebendigen Gottes. Unter dem damals gebildetsten, gelehrtesten, in Gesetzen, in Staatsweisheit sowohl als Kunst- und Wissenschaft erfahrensten, Volke der Welt sollte der künftige Führer Israels dasjenige lernen, was ihm als Werkzeug dazu dienen musste, dass er später in der Kraft und unter der Leitung Gottes des Volkes Gesetzgeber, Regent, Anführer, Baumeister, Geschichtsschreiber und Dichter sein konnte. Das Gesetzbuch Israels erkennt diese besondere Beziehung des Volkes Gottes zu Ägypten durch einen merkwürdigen Ausspruch an. Wenn andere Völker, die Israel misshandelten oder sie zur Abgötterei verleiteten, ausgeschlossen wurden aus der Gemeinde des HErrn, wird der Edomiter, weil er „dein Bruder“, d. h. ein Blutsverwandter ist, ausgenommen, und der Ägypter, „weil Israel ein Fremdling in seinem Lande gewesen ist." (5.Mos. 23,7.)


Auch durch die ganze Geschichte hin halten sich in Hinsicht der Beziehung Israels zu Ägypten folgende zwei Grundsätze das Gleichgewicht: keine Rückkehr nach Ägypten, aber auch keine Feindschaft gegen dasselbe. Es blieb also der Israelite in vielerlei Verkehr mit dem Ägypter zu allen Zeiten seines Volksbestehens, Die Gemahlin des Königs, unter dessen Zepter Israels Blüte und Frieden den höchsten Stand erreichten, war eine Tochter Pharaos. Es war ihm und seinem Volke bei all dieser Größe, diesem Reichtum, nicht gut, dass er Pferde aus Ägypten kommen ließ. In Israel namentlich hieß es: „Rosse helfen auch nicht und ihre große Kraft errettet nicht.“ (Pf. 33, 17.) Später unter den von Salomo abstammenden Königen war es Juda nicht gut, den Ägypter zum Bundesgenossen, aber auch nicht wünschenswert, ihn zum Feinde zu haben. Josias, der sonst ein gottesfürchtiger Fürst war, achtete nicht auf dieses Gesetz, und fiel in einem, durch ihn selbst angefangenen, Streit mit Pharao Necho. (2 Chron. 35, 20—23.)

Aber eben so wenig nützte es seinen Söhnen, Ägypten zum Bundesgenossen gegen Babylon zu haben: sie unterlagen beide der dem Nebucadnezar von Gott geschenkten Übermacht. Und als Jerusalem eingenommen, der Tempel verwüstet und seine Einwohner nach Babel weggeführt waren, so hatte Jeremias den letzten Schmerz, einen noch schuldvolleren Teil seines Volkes nach Ägypten ziehen zu sehen, wohin er ihnen gezwungen folgen musste.

Später, nach der babylonischen Gefangenschaft, blieb die Beziehung zwischen Ägypten und Juda stets durch die geographische Lage bestimmt. Zu allen Zeiten musste Palästina der Zankapfel zwischen den zwei großen Erbteilen der Monarchie Alexanders des Großen sein, zwischen Syrien und Ägypten. Wir kommen aber noch auf das Verhalten des jüdischen Volkes sowohl, in seiner anfänglichen Zerstreuung seit der Wiederkehr aus Babel, als in dem Lande seiner Väter während dieser Zeit, zurück.

Die Propheten des alten Bundes verkündigten aber, in Verbindung mit Israels Wiederherstellung, auch eine segensvolle Zukunft für das Ägypten, aus welchem der HErr vor 33 hundert Jahren sein Volk und vor 18 hundert seinen Sohn rief. (Hosea 12, 1. Matth. 2, 15.) „Zu der Zeit“, spricht der Prophet Jesaias. (19, 19—25) von einer Zeit, die in der vergangenen Geschichte nicht zu finden ist: „zu derselbigen Zeit wird des HErrn Altar mitten in Ägyptenland, und ein Malstein des HErrn an den Grenzen aufgerichtet, welcher wird ein Zeichen sein und Zeugnis dem HErrn Zebaoth, denn sie werden zum HErrn schreien vor den Beleidigern, so wird Er ihnen senden einen Heiland und Meister, der sie errette. Denn der HErr wird den Ägyptern bekannt werden, und die Ägypter werden den HErrn kennen zu derselbigen Zeit, und werden Ihm dienen mit Opfer und Speisopfer, und werden dem HErrn geloben und halten. Und der Herr wird die Ägypter plagen und heilen, denn sie werden sich bekehren zum HErrn; und Er wird sich erbitten lassen, und sie heilen. Zu der Zeit wird eine Bahn sein der Ägypter in Assyrien, dass die Assyrer in Ägypten und die Ägypter in Assyrien kommen, und die Ägypter samt den Assyrern Gott dienen. Zu der Zeit wird Israel selb dritte sein mit den Ägyptern und Assyrern, durch den Segen, so auf Erden sein wird, denn der HErr Zebaoth wird sie segnen und sprechen: Gesegnet bist du Ägypten mein Volk, und du Assur, meiner Hände Werk, und du Israel mein Erbe.“ Wir kehren von dieser Zukunft zu der Geschichte zurück.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Israel und die Völker
Abb. 3. Gräberfeld hinter der großen Pyramide von Gize

Abb. 3. Gräberfeld hinter der großen Pyramide von Gize

Abb. 1. Stufenpyramide von Sakkara.

Abb. 1. Stufenpyramide von Sakkara.

Abb. 2. Pyramiden von Gize

Abb. 2. Pyramiden von Gize

Abb. 7. Holzstatue des Schêch el-beled

Abb. 7. Holzstatue des Schêch el-beled

Eine Nilbarke

Eine Nilbarke

Tafel 04 Scheintür aus dem Grab des Manofer

Tafel 04 Scheintür aus dem Grab des Manofer

Tafel 13 Scheingefäß aus vergoldetem Holz mit Fayenceeinlagen

Tafel 13 Scheingefäß aus vergoldetem Holz mit Fayenceeinlagen

Tafel 14 Kopf eines Asiaten (links) und eines Puntiers (rechts) unter den Tatzen der Sphinx

Tafel 14 Kopf eines Asiaten (links) und eines Puntiers (rechts) unter den Tatzen der Sphinx

Tafel 15 Schiff mit asiatischen Gefangenen, aus dem Totentempel des Sahurê in Abusir

Tafel 15 Schiff mit asiatischen Gefangenen, aus dem Totentempel des Sahurê in Abusir

Tafel 16 Kopf der Kupferstatue Pepi’s I.

Tafel 16 Kopf der Kupferstatue Pepi’s I.

Tafel 17 Kopf der Kupferstatue des Merenrê

Tafel 17 Kopf der Kupferstatue des Merenrê

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