Die Juden in Deutschland

Die Überlieferung führt die Niederlassung der Juden in Deutschland in sehr ferne Zeiten hinauf. Es scheint auch, dass sie sich schon früh unter den römischen Legionen und Kolonisten auf dem deutschen Gebiete befunden haben, namentlich in der Gegend der Maas und des Rheines. Aus einer Verordnung des Kaisers Constantin sieht man, dass sie schon 321 in Köln waren. Bald waren sie dort durch den Handel zahlreich und in einem blühenden Zustand, und lange im Besitz verschiedener Privilegien. Das Mittelalter machte aber auch in Deutschland dieser verhältnismäßig günstigen Lage ein Ende. Wie in England fängt auch hier eine ununterbrochene Zeit der Bedrückung und Erniedrigung an, deren Geschichte desto eintöniger ist, weil sie hier länger anhielt und von keiner endlichen Vertreibung unterbrochen wurde. Hingegen findet man hier etwas mehr intellektuelle und wissenschaftliche Blüte als in England, wenn auch außer allem Vergleich mit Frankreich und Italien. Durch diese ganze Epoche hin trifft man gelehrte Rabbinen, die, wenn sie sich auch nicht an die Seite eines Maimonides, Aden Ezra, Abarbanel und so vieler andern südlichen Stammgenossen stellen können, doch das Studium der Theologie und der Sprachen unter ihrer Nation lebendig erhielten. Die deutschen Rabbinen unterhielten oft Briefwechsel mit denen in Spanien, der auch zuweilen durch gegenseitige Besuche belebt wurde. Die Schriften Jarchis und anderer Ausleger von seinem Gepräge waren nebst den heiligen Schriften und dem Talmud stets bei ihnen in Gebrauch. Aus derselben Zeit liest man von öffentlichen Versammlungen und allgemeinen Zusammenkünften der Juden an verschiedenen Orten Deutschlands, in welchen über jüdischen Gottesdienst und jüdische Theologie verhandelt wurde. Unter der großen Zahl Rabbinen in Deutschland, deren Namen und Werke von verschiedenen Schriftstellern genannt werden, finden wir einen berühmten Reisenden, R. Petachia von Regensburg, aus dem zwölften Jahrhundert. Nicht lange nach der Erfindung der Buchdruckerkunst machten sich die deutschen Juden sehr verdient durch die Herausgabe der Schriften des alten Testaments im Hebräischen (1489), so wie der Werke mehrerer Ausleger und jüdischer Schriftsteller. Die Nachkommen eines damals in Israel sehr gepriesenen R. Moses von Speier, die sich in der Lombardei niederließen, haben sich in dieser Hinsicht ausgezeichnet, namentlich R. Gerson, sein Urenkel, der seine Druckerpressen zuerst in Venedig, dann auch in Konstantinopel hatte.

Auch einige Bekehrungen zum Glauben an Christum findet man unter den deutschen Juden. Ein interessantes Beispiel haben wir aus der Mitte des 12. Jahrhunderts an Hermann von Kappenberg aus Westphalen, der später als Mönch seine Bekehrung auf eine liebliche Weise beschrieben hat. In allen andern Hinsichten wirkte diese Zeit auch in Deutschland geistlähmend und entnervend auf die aus Palästina Verbannten. Auch hier zurückgewiesen, ausgeschlossen und sich selber ausschließend von allem, was in der menschlichen Gesellschaft zu einem ehrenvollen Bestehen, zu Gilden und andern Verbänden Zugang verschaffte, war die große Masse der Juden genötigt, sich durch ein unaufhörliches Aufbringen von Kopfsteuern und Geldabgaben zu helfen, die ihnen dann der aussaugende Wucherhandel wieder verschaffen musste, was natürlich höchst nachteilig auf ihren National-Charakter von Geschlecht zu Geschlecht fortwirkte.


Unterdrückung von Seite der Fürsten hatte das jüdische Volk in den deutschen Landen sonst nicht zu erdulden; am wenigsten von den Kaisern, zu welchen die Juden des Reichs in einer ganz eigenen Beziehung standen. Wir haben bereits gesehen, welchen Platz ihnen das europäische Lehenssystem anwies; durch dasselbe ganz von der christlichen Gesellschaft ausgeschlossen, fielen sie in die unmittelbare Abhängigkeit von dem Kaiser oder dem Reiche. Kaiserliche Kammerknechte *) wurden sie genannt; eine Benennung, die oft fälschlich, als bedeute sie einen Stand der Sklaverei (wie bei den Römern), oder eine Art mittelalterlicher Leibeigenschaft verstanden wurde; dieser Titel gab im Gegenteil gerade eine gewisse Art Freiheit, gegenüber einer jeden anderen Macht als der des Kaisers, zu erkennen. Wohl wurde behauptet, der Kaiser habe unbeschränkte Macht über das Leben und Eigentum eines jeden Juden im Reiche. Aber abgesehen davon, dass es nicht im Interesse des Kaisers lag, ein solches Recht zu missbrauchen, war die besondere Verpflichtung, die Juden gegen jede Gewalt zu beschirmen und zu verteidigen und ihr nationales Bestehen zu erhalten, unzertrennlich mit diesem Rechte verbunden. Dieses Recht auf die Juden war so sehr ausschließliches Eigentum des deutschen Reiches, dass sich kein Reichsfürst und keine freie Reichsstadt dasselbe anmaßen konnte, ohne vorher von dem Kaiser damit belehnt worden zu sein und im Fall einer solchen Belehnung musste die damit verbundene Verpflichtung zur Beschützung dieses Teiles der Reichsbevölkerung strenge befolgt werden. Der Kaiser als Haupt des ganzen europäischen Lehnssystems, behauptete sogar, deshalb ein Recht auch über die Juden außerhalb des Reiches zu haben, z. B. über die in Frankreich und Italien.

In Deutschland hätte vielleicht diese ausschließliche Beziehung der Juden zu dem Kaiser, die an und für sich mehr demütigend als drückend war, ihre Freiheit und Zivilisation befördern können, im Verhältnis zu den Mächten, welche feindlich gegen die Juden gesinnt waren. Aber wir wissen, wie wenig die kaiserliche Macht in Deutschland, so glänzend und herrlich sie auch nach Außen schien, in der Wirklichkeit zu bedeuten hatte, und wie kraftlos sich oft der kaiserliche Schutz bei den schrecklichen Ausbrüchen von Wut, denen die Juden teils um ihrer Religion, teils um ihres Wuchers oder Geldreichtums willen ausgesetzt waren, bewies. Beispiele derartiger Ausbrüche sind bereits zur Zeit des ersten Kreuzzuges vorgekommen. Sie haben sich später mehrmals noch schrecklicher in allen Teilen des Reiches und fern außerhalb der Grenzen desselben wiederholt. Kaum hatten die Juden in Frankreich und den Niederlanden ein wenig von der Raserei der sogenannten Schafhirten (Pastoureaux) aufgeatmet, welche oft ganze Synagogen ausgemordet haben sollen, so erhob sich wieder ein neuer Sturm an den Ufern des Rheins, wo ein gewisser Armleder, seines Berufs ein Gastwirt (1337), das Volk mit einem solchen Erfolg aufhetzte, dass allein im Elsass über 1.500 dieser Unglücklichen gefallen sein sollen. Im Jahr 1348 fand man einen neuen Anlass zum Judenmord in einer ansteckenden Krankheit, die der Colera Morbus aus Asien nicht unähnlich war. Halb Europa litt an dieser schrecklichen Geißel, und das Volk beschuldigte die Juden, durch Vergiftung der Brunnen dieses Unglück herbei geführt zu haben. So unvernünftig diese Beschuldigung auch war, so war sie doch der Vorwand zu einer entsetzlichen und wütenden Verfolgung und Niedermetzlung der Juden, gegen welche weder die Dazwischenkunft der Fürsten, Magistrate, Bischöfe, noch die des Papstes selbst etwas ausrichten konnte. Im Süden von Deutschland und in der Schweiz waren die Verfolgungen am heftigsten. Herzog Albrecht von Österreich, der die Juden schonen wollte, wurde von den Anführern dieses Aufruhrs selbst gezwungen, 300 Juden zum Feuertode zu verurteilen. Zu Esslingen schlossen sie sich in ihre Synagoge ein und brachten sich selbst unter einander ums Leben. In Basel wurde ein mit jüdischen Flüchtlingen angefülltes Haus in Brand gesteckt und die Obrigkeit dieser Stadt gezwungen, eidlich zu versprechen, dass binnen 200 Jahren keine Juden mehr in der Stadt geduldet würden. In Straßburg wurden sie aufs Rad geschlagen, oder zu Hunderten verbrannt, ihre Synagoge abgebrochen und eine Kapelle an deren Stelle erbaut. Kein Jude durfte nach dem Jahre 1389 in Straßburg wohnen, bis 400 Jahre später im Anfang der französischen Revolution dieses Verbot aufgehoben wurde. Zu Frankfurt entstand bei der Plünderung der Judengasse ein großer Brand, der einen ganzen Stadtteil verzehrte. Und zum Schluss ließ der Kaiser durch ein Rundschreiben an den meisten Orten den Anstiftern dieser Gräuelszenen Straflosigkeit ankünden. Auch in mehreren Städten der Schweiz, wie in Zürich, Bern und andern sind sie nach diesen Verfolgungen nicht mehr geduldet worden.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Israel und die Völker
Franfurt a.M. Ansicht von Südwesten, Im Vordergrund anlegende Schiffe

Franfurt a.M. Ansicht von Südwesten, Im Vordergrund anlegende Schiffe

Frankfurt a.M. Blick vom Römerberg über den Altmarkt zum Domturm

Frankfurt a.M. Blick vom Römerberg über den Altmarkt zum Domturm

Frankfurt a.M. Judenmauer mit Häuserrückseite der Judengasse, Viehmarkt und Herberge

Frankfurt a.M. Judenmauer mit Häuserrückseite der Judengasse, Viehmarkt und Herberge "Zur goldenen Luft"

Frankfurt a.M. Judengasse, Hochzeithaus

Frankfurt a.M. Judengasse, Hochzeithaus

004 Köln am Rhein. Der Gürzenich

004 Köln am Rhein. Der Gürzenich

007 bis 010 Koeln am Rhein Der Dom

007 bis 010 Koeln am Rhein Der Dom

Eine Anzahl von erschlagenen Juden

Eine Anzahl von erschlagenen Juden

Plünderung des Judenviertels in Frankfurt am Main (1612)

Plünderung des Judenviertels in Frankfurt am Main (1612)

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