Charakter der bedrängten Juden

Durch diese Geldherrschaft brachten die Juden die Wut der Völker aufs äußerste. Doppelt gehasst als Feinde und Mörder Christi und als Aussauger des Vermögens der Christenvölker, wurden sie im Mittelalter besonders der Gegenstand strenger Kirchen- und Staats-Gesetze, der Feindschaft der Bürger und der Wut des Pöbels. Die sie beschützenden Fürsten gebrauchten sie meistens wie einen Schwamm, den sie sich mit dem Gelde ihrer Untertanen füllten, um ihn dann wieder in die königliche Schatzkiste auszupressen. Oft mussten sie, selbst bei besserer Gesinnung gegen das leidende Volk der Juden, dasselbe preis geben, wenn durch eine einzige böswillige oder unvorsichtige Predigt eines Mönchs oder durch einen einzigen Vorfall, der den unsinnigen Verdacht erweckte, dass die Juden Christenkinder Blut zur Feier ihres Passahfestes vergossen haben, oder durch irgend ein Zeichen der Üppigkeit von Seite der Juden Anlass gegeben wurde, die vorurteilvolle Menge zu Mord und Plünderung eines ganzen Judenviertels aufzureizen.

Es war dieses zwar eine ungesetzliche Misshandlung, die verhindert werden tonnte, aber die Gesetze selbst waren dem Juden nicht viel günstiger. Er wurde durch dieselben von allen Würden, die ihn einigermaßen hätten erheben, von aller Wirksamkeit, die ihn hätte verbessern, von allem Umgang, der ihn hätte veredeln können, gänzlich ausgeschlossen. Kein Recht zu Grundbesitz, keinen Zutritt zu Kriegs- und Staatsämtern hatte er, mit einem Worte, er war gesetzlich von allen bürgerlichen Rechten ausgeschlossen und allerlei erniedrigenden Behandlungen unterworfen. In abgesonderten Stadtteilen, die man des Nachts schloss, war dem Juden in vielen Städten, namentlich in Rom, seine Wohnung angewiesen; es wurde ihm geboten, öffentliche Unterscheidungszeichen an seinen Kleidern zu tragen, als da sind: gelbe Kleider, eckige Hüte und dergleichen mehr. In Böhmen bestand selbst ein Gesetz über die Art, wie man den zum Tode verurteilten Juden hängen solle, um ihn auch in diesem Zustande von den Christen zu unterscheiden *). Konnte es wohl nach diesem allem anders sein, als dass eine solche Stellung in der menschlichen Gesellschaft und eine solche Behandlung auf den sittlichen Charakter, auf die intellektuelle und geistige Entwicklung der Unterdrückten verhärtend und entnervend wirkte? War es ein Wunder, dass der Jude, dessen einzige Beziehung zur menschlichen Gesellschaft vom Besitze einiges Geldes abhing, auf kein Ding in der Welt so viel Gewicht legte, als auf dieses? Ja, dass er, als er seine ganze Wirksamkeit darauf beschränkt sah, in demselben auch seine ganze Lust, seine Liebhaberei und Ergötzung fand? War es ein Wunder, wenn sein ganzer inwendiger Charakter, selbst die Haltung seines Körpers, der Ausdruck seiner Gesichtszüge, Merkmale dieser Geldgier an sich trugen, die eine Mutter alles Übels ist? Merkmale jener Feigherzigkeit, jenes furchtsamen Wesens, das demjenigen eigen ist, der sich bloß von Misstrauen, Feindschaft und Hinterlist umgeben weiß und der sein Eigentum, sein Leben und alles, was einem Vater und Gatten noch teurer ist, als diese beiden, keinen Augenblick gesichert sieht?


Man vergleiche mit dem hier beschriebenen Zustande des tief gekränkten Israels im Mittelalter eine Prophezeiung, die von einem seiner ausgezeichnetsten Geschichtsschreiber und Propheten fünf und zwanzig hundert Jahre früher ausgesprochen worden ist, von Moses (5 Mos. 28 und 29). Die Schilderung der erschütternden Umstände, welche seinen Untergang als Nation in dem Lande seiner Vater bezeichnen werden, beschließt er mit folgenden Worten, welche sich deutlich genug auf den Zustand ihrer allgemeinen Fremdlingschaft beziehen. „So wird der HErr wunderlich mit dir umgehen, mit Plagen auf dich und deinen Samen. Und wird euer wenig Pöbel übrig bleiben, die ihr vorhin gewesen seid wie die Sterne am Himmel. Der HErr wird dich zerstreuen unter alle Völker, von einem Ende der Welt bis zum andern. Dazu wirst du unter denselben Völkern kein bleibendes Wesen haben, und deine Fußsohlen werden keine Ruhe haben. Denn der HErr wird dir daselbst ein bebendes Herz geben und verschmachtete Augen und eine verdorrte Seele, dass dein Leben wird vor dir schweben. Nacht und Tag wirst du dich fürchten und deines Lebens nicht sicher sein. Des Morgens wirst du sagen: ach dass ich den Abend erleben möchte, und des Abends, ach dass ich den Morgen erleben möchte! Vor Furcht des Herzens, die dich schrecken wird, und vor dem, das deine Augen sehen werden.“

Es war wieder der „Ernst Gottes über die, welche gesündigt haben“. Aber ihr Völker der Erde, ihr Zeugen und größtenteils Vollstrecker dieses Urteils, erhebet euch nicht über dieses schwer heimgesuchte Israel, sondern fürchtet für euch selbst! Freuet euch nicht über die Erniedrigung des uralten Volkes, des auserkorenen, sondern seid barmherzig gegen sie, seid billig gegen sie! Seht wie der Gott ihrer Vater, wenn er sie auch um ihrer Übertretung willen mit dem größten Elende heimsucht, dennoch die Treue den Nachkommen Jacobs hält. Er wird wohltun denen, die sie segnen, und Wiedervergeltung üben an denen, welche sie misshandelt haben. Das unterdrückte Israel bleibt fortbestehen, aber wo bleiben so viele der Völker, die misshandelt haben? Mitten selbst in ihrem tiefen Verfall hat sie ihr Gott nicht allein in einer abgesonderten Existenz, sondern in einem der Wiederbelebung und Erneuerung fähigen Zustand erhalten. Und wenn auch durch das Übermaß erduldeter Verachtung verachtungswert geworden, wurde das herumirrende Israel für das gesellschaftliche Bestehen der Völker oft unentbehrlich. Aber leider geschieht es noch heute, dass dieses Volk, das von Gott berufen war — und wieder werden wird — den Reichtum und die Kenntnis der Herrlichkeit seines Gottes unter die Völker zu bringen, dieselben mit vergänglichem Silber und Gold versieht!

Ja tief war Israels Fall, und schmerzlich sind seine Wunden, sein Elend, seine Verachtung für Alle, die dasselbe lieb haben. Doch findet man auch neben den, durch den Hass der Völker so sehr vergrößerten, Gebrechen gute Eigenschaften und Tugenden, die es selbst unter den traurigsten Umständen stets bewahrt hat. Dem Glauben an Christum hartnäckig widerstehend, hing der Jude mit standhafter Treue dem Moses an. In Mäßigkeit, Keuschheit, Treue gegen die gesetzliche Obrigkeit, Barmherzigkeit und Mildtätigkeit gibt er oft den Christen ein beschämendes Beispiel. Sein Fleiß ist eben so groß als seine Klugheit. So sehr er auch erniedrigt und gereizt wird, so ist er doch stets bereit zum Vergeben. Hinter einem Panzer von scheinbarer Gefühllosigkeit gegen die Beleidigungen seiner Mitmenschen hält er oft ein tief menschliches Gefühl verborgen. Und bei diesem allem genießt er stets häusliches Glück und Familienfreuden. Wenn er den ganzen Tag, ja die ganze Woche von Arbeit und Scheltworten ermüdet nach Hause kommt, erquickt er sich mit einer zahlreichen Familie bei der ruhigen Sabbathslampe. Da fühlt sich der sehr misshandelte und verkannte Israelite wieder als Patriarch; da bricht er das Brot und segnet den Kelch nach der Weise seiner Väter, und nach der Weise des von ihm so jämmerlich misskannten Jesus und seiner Apostel. Selbst das Äußere seiner Gestalt verrät mitten in seinem Verfall oft eine höhere Abkunft als die, welche eine rohe oberflächliche Welt in ihm erkennt. Bis auf diesen Tag haben Männer wie Winkelmann und Lavater in dem Schädel und der Gestalt mancher Tochter dieses Volkes den Typus morgenländischer Schönheit erkannt. Auch steht nicht immer an der Seite einer anmutigen Rebekka die Figur eines Isaak von Zock oder ein Shylock von Venedig neben einer schönen Jessica, die sich schämt, ihres Vaters Tochter zu sein *). Oft werden wir auch durch die Gestalt des jüdischen Mannes an die lieblichen edlen Figuren des alten Testaments erinnert, wie dieser selbst oft bei der Abbildung des Königs der Juden am Kreuz als Musterbild dienen muss.

Israels Charakter wie seine Geschichte besteht aus scharfen Kontrasten. Die höchste Auserwählung und die tiefste Verwerfung, — der Segen Abrahams, des edlen Hirtenfürsten, gegenüber dem Fluch der dreißig Silberlinge des Judas, — die Verwerfung Jesu und das fortdauernde Verhältnis dieses Jesu zu seinem Volke!

Wir kehren zu der Geschichte zurück!

*) Welch schreckliche Sünde regt sich in mir,
Dass ich mich schäme, meines Vaters Kind zu sein.
Shakespeare im Kaufmann v. Venedig
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Israel und die Völker
Jüdin des Ostens

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Jüdischer Mädchenkopf

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Ostjüdin mit Kopftuch

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