Törichte Urteile über Island

Um so schmerzlicher muss es berühren, dass die Mehrzahl bei uns noch immer so ganz verkehrte Ansichten von Island hat, dass die Vorstellung nicht auszurotten zu sein scheint, als ob die Isländer trantrinkende Eskimos und stumpfe Troglodyten seien. Ein deutscher Doktor, namens Kryper, der 1856 Island bereiste, hatte geglaubt, die Isländer seien ,,Wilde" und sich deshalb statt mit Geld — mit Korallen und Glasperlen versehen (Pöstion, Isländische Dichter, S. I). Viel Schuld daran, dass immer wieder die abgeschmacktesten Fabeleien auftauchen, tragen die Reiseberichte oberflächlicher Touristen, die, ohne eine Ahnung von der Landessprache zu haben, fremd neben den Isländern einhergehen und sich für ihre eigene Unkenntnis mit haarsträubenden Beschreibungen rächen. Darum kann auch Island geradezu das klassische Land der entstellten Orts- und Personennamen genannt werden.

Ein Beispiel davon, was an Unsinn den deutschen Lesern bis in die neueste Zeit hinein geboten wird, führt Gebhardt in seiner Übersetzung von Thoroddsens Geschichte der isländischen Geographie an (Leipzig 189X, II, 367/68 Anm. — Vergl. außerdem Kahle, Beilage zur Allgemeinen Zeitung, 1902, Nr. 13, und Gebhardt, Globus, Bd. 74, No. 4, 1898). Es ist ein Artikel in der „Deutschen Warte", Unterhaltungsbeilage, Berlin, 14. April 1897, Nr. 88. Diese Ausführungen sind so toll, dass ich mir das Vergnügen nicht versagen kann, sie abdrucken zu lassen:


,,Die heutigen Einwohner sind kleine verkommene Menschen, die so aussehen, als hätten sie noch nie im Leben eine Freude gehabt oder je was Warmes zu essen bekommen. Gemütskümmerlinge, die alle prächtige Modelle für Ibsensche Stücke wären. Die Männer sind schweigsam, eigensinnig, jähzornig, die Frauen unglaublich fruchtbar. Das harte Klima aber lässt nicht viele Kinder groß werden. Sehr alte Leute sieht man übrigens auch nicht, aber viel Lungenkranke und Gichtbrüchige. Die Häuser werden aus Lava oder aus Torf und Moos gebaut in Verhältnissen, als seien sie für Maulwürfe bestimmt; die Tür so klein, dass man kaum hindurchgehen kann, das Fenster aber so groß wie ein Briefbogen. Geheizt wird mit allem, was zu finden ist, der Rauch kaum herausgelassen, gelüftet nie. Es riecht im Haus recht übel, und dieser Dunst teilt sich einschmeichelnd den Bewohnern mit. Tote Fische und noch tötere Füchse müssen vertraut dazwischen, so dass man begreift, wenn ein Isländer stirbt, dass er zu Tode gestunken ist. Im Sommer geht es nicht über zwölf Grad hinaus, und die Kälte zwingt die Bewohner zu einer nicht beneidenswerten Eskimo-Existenz."

Fast so viel Unrichtigkeiten und Verkehrtheiten wie Worte! Mit Recht gibt der Übersetzer Gebhardt seiner Beschämung darüber Ausdruck, dass „eine Redaktion und eine Druckerei sich dazu hergibt, solch erbärmliches Zeug unters Volk gehen zu lassen, das als „literarischer Schund'' beinahe noch zu gelinde bezeichnet ist und in dem Gemeinheit des Ausdruckes und Blödsinn des Inhaltes miteinander um den Vorrang streiten".

Wir haben allerdings in neuerer Zeit treffliche Reisebeschreibungen erhalten, wie Baumgartners ,,Island und die Faeröer" (Freiburg 1902, 3. Aufl.), Kahles „Ein Sommer auf Island" (Berlin 19001. Heuslers ,,Bilder aus Island" (Deutsche Rundschau, Bd. XXII) und Zugmayers „Eine Reise durch Island" (Wien 1903). R. Palleske hat zwei ausgezeichnete Schriften des Isländers Valtýr Gudmundsson gut übersetzt „Die Fortschritte Islands im 19. Jahrhundert" (Programm des Gymnasiums zu Kattowitz 1902) und „Island am Beginn des 20. Jahrhunderts" (Kattowitz 1904).

Gleichwohl „ist jede weitere Aufklärung über Island mit Freude zu begrüßen, namentlich wenn in ihr die jüngsten geographischen Forschungen von Thoroddsen und dem eifrigen dänischen Hauptmann Daniel Bruun verwertet sind" (Mogk in Hettners Geogr. Zeitschr., 1905. XI, 630). Und auch Prof. Thoroddsen heißt alle Bücher willkommen, die nach persönlichen Eindrücken mit populären Schilderungen über die jetzigen Verhältnisse auf Island sich an größere Schichten des deutschen Volkes wenden (Petermanns Mitteilungen, 1900. Lit. Ber., Nr. 256).