Island bei deutschen Dichtern

Freiligrath, der so gern seinen Pegasus in allen fernen Ländern tummelte, ist einer der ersten deutschen Dichter, der das vulkanische Eisland besingt. Bei dem Tee von isländisch Moos, den er als Sechzehnjähriger trinken muss, denkt er an den Geysir und die Hekla, die ihn ihm gesandt:

      Auf der Insel, die von Schlacken
      Harter Lava und vom Eise
      Starrt, und den beschneiten Nacken
      Zeigt des arkt'schen Poles Kreise,


      Über unterirdschen Feuern,
      In nordlichterhellten Nächten
      Bei den Glut- und Wasserspeiern
      Wuchsen diese bittern Flechten.

Er gelobt, dass, wenn dieser Insel Pflanzen ihm den Lebensbecher reichen, er ihr gleichen wolle —

      Wie rot und heiß
      Hekla Steine von den Zinnen
      Wirft nach der Færöer Eis;
      So aus meinem Haupt, ihr Kerzen
      Wilder Lieder, sprühn und wallen
      Sollt ihr und in fernen Herzen
      Siedend, zischend niederfallen.

Auch Scheffel wird nur das von Island gewusst haben, was jedem halbwegs Gebildeten damals bekannt war, als er der Waldfrau im ,,Ekkehard" die Verse in den Mund legte:

      O Island, du eisiger Fels im Meer,
      Steig auf aus nächtiger Ferne.

      Steig auf und empfah unser reisig Geschlecht —
      Auf geschnäbelten Schiffen kommen
      Die alten Götter, das alte Recht,
      Die alten Nordmänner geschwommen.

      Wo der Feuerberg loht, Glutasche fällt,
      Sturmwogen die Ufer umschäumen.
      Auf dir, du trotziges Ende der Welt,
      Die Winternacht wolln wir verträumen.

Felix Dahn freilich, der Dichter von ,,Ein Kampf um Rom", war wohlbewandert in der Geschichte, Literatur und im Rechte des Nordens. Er wusste, dass die Isländer von Norwegern abstammten, die, unzufrieden mit dem Aufkommen des Gesamtkönigtums, vor fast einem Jahrtausend Norwegen verlassen hatten. Aber in kühner, dichterischer Freiheit ließ er die letzten Goten nach der Schlacht am Vesuv auf den Schiffen nordischer Wikinger nach Island auswandern:

      Mit Schild an Schild und Speer an Speer
      Wir zieh'n nach Nordlands Winden,
      Bis wir im fernsten grauen Meer
      Die Insel Thule finden.

      Das soll der Treue Insel sein
      Dort gilt noch Eid und Ehre.

Sehen wir von ausländischen Werken ab, wie von Jules Vernes „Reise nach dem Mittelpunkt der Erde", Pierre Lotis „Islandfischer" (1886), Haggards Erzählung ,,Eric Brighteyes" (1891), Hovards Trauerspiel „Kiartan the Icelander" (1901) und Hall Caines Roman „The prodigal Son" (1904), von denen wir die wichtigsten später noch kennen lernen werden, sowie von dem Trauerspiel des Norwegers Kristofer Jansen „Jón Arason" (1867) und von dem Schauspiel „Asgerd" des Dänen Edvard Brandes, dessen Stoff und Charaktere der isländischen Njálssaga entnommen sind (1895), so können von neueren deutschen Schöpfungen, die isländische Verhältnisse behandeln, nur wenige genannt werden: in erster Linie das Drama ,,Isländisch Blut" von Wilhelm Henzen (Leipzig 1903), dem die Geschichte des Skalden Gunnlaugr Ormstituga zugrunde liegt. Einen lebendigen und bleibenden Eindruck vom Zauber des heutigen Island bekommt man aus den nordischen Novellen von Margarete Kossak ,, Krone des Lebens" (Stuttgart 1904). Das Landschaftliche, Ethnographische und Kulturgeschichtliche schildert gut die idyllische Erzählung des Hamburger Schriftstellers Wilhelm Poeck ,, Islandzauber" (Hamburg 1904); der schlichte isländische Fischerjunge ist als Typus der neuerwachenden isländischen Intelligenz, die sich mit Erfolg bemüht, von fremden, dänischen Kaufleuten loszukommen, recht geschickt gezeichnet. Islands furchtbarste Krankheit, den Aussatz, und die Touristenfahrten der Hamburg-Amerika-Linie verknüpft neuerdings miteinander der Roman von Paul Grabein: ,,Der König von Thule" (1906).