Saemund der Weise auf dem Sterbebett

Saemund hatte das kleine Mädchen eines armen Mannes als Pflegetochter angenommen. Er freute sich sehr mit ihr und liebte sie über alles, so dass er sie immer in seiner Nähe haben und sich nie von ihr trennen wollte. Als er in den letzten Zügen lag, ließ er sie am Fußende seines Bettes liegen; denn erhielt sie für am besten geeignet, Zeugin seines Todes zu sein. Es ahnte ihm, während er krank dalag, dass dies sein Sterbelager sein würde; und zugleich konnte das Mädchen ihm anmerken, dass er in Furcht und Zweifel war, ob er nach dem Tode zur Glückseligkeit des Himmels eingehen würde, oder ob er an einen anderen Ort müsste.

Am Abend, ehe er starb, bat er seine Pflegetochter, nachts bei ihm zu wachen und genau aufzupassen, dass sie nicht einschliefe; denn seine Gedanken sagten ihm, dass er in dieser Nacht sterben sollte; wenn das aber der Fall wäre, dann würden Zeichen erscheinen, was in der anderen Welt aus ihm werde; und darum bat er sie, alles genau zu beobachten, um seinen Verwandten und Freunden mit voller Sicherheit erzählen zu können, welcher der beiden Aufenthaltsorte sein Los wäre. Als er das gesagt hatte, schwieg er und begann einzuschlafen, während das Mädchen getreulich bei ihm wachte.


Im Laufe der Nacht sah sie, dass sich die Bodenkammer, in der sie sich befanden, mit Teufelchen füllte. Es schien ihr, als ob sie Saemund mit ihren Versprechungen zu etwas Bösem verlocken wollten, aus seinen Worten und Mienen aber schloss sie, dass er ihnen in nichts zu willen sein wollte. Als die Teufelchen auf diese Weise nichts auszurichten vermochten, versuchten sie, Saemund durch Drohungen zum Bösen zu bewegen. Diesen aber widerstand er ebenso mannhaft, wie er zuvor ihren Lockungen widerstanden hatte. Darauf verschwanden die Teufelchen; kaum aber waren sie fort, als sich die Kammer mit gefräßigen Mücken füllte, die Saemund angriffen. Er hatte aber so viel Kraft verloren, dass er sich der Mücken nicht erwehren, noch sie verscheuchen konnte. Während aber der Mückenschwarm ihn aufs schlimmste biss, sah sie, dass ein Lichtglanz aus seinen Augen emporschwebte, und da wusste sie, dass es seine Seele war, die sich zu den Gefilden der Seligen aufschwang.

Da war aber auch der ganze Mückenschwarm verschwunden und Saemund der Weise entschlafen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Isländische Märchen und Volkssagen